Umfassende Bereiche:


 

 

Im Dschungel

des

real existierenden Kapitalismus

Eine kleine Orientierungshilfe

 

 
Bedienungsanleitung:
So komplex wie das Leben...
ist der folgende Text.
P.S. Dieser Text entstand zuerst auf Papier, auf dem dann viele bunte Pfeile zu sehen waren...
 

 

Alles hängt schließlich mit allem zusammen.

Ein linearer Text erfaßt nur einen "roten Faden" und läßt unzählige Querverbindungen am Rand wegfasern.
Also probieren wir mal so was wie Hypertext aus. Einen roten Faden gib's trotzdem, das ist dieser Haupttext.

Von dem führen dann ab und an mal Hypertext-Links zu anderen Texten und von denen wiederum usw. ...

Vorschau auf den "Roten Faden":




1. Realität

Die Grundlage der Entwicklung ist die Entwicklung der menschlichen und technischen produktiven Kräfte. In der Gegenwart verflechten sich mehrere dynamische Prozesse mit sich gegenseitig beschleunigenden Effekten.
Dabei bilden sich neue Strukturen und Regulierungsmechanismen auf Grundlage kapitalistisch bleibender Eigentumsverhältnisse.
Direkte Folgen werden ökonomisch und sozialpolitisch deutlich:

  • globaler Wettbewerb nicht nur der Unternehmen, sondern der "Standorte" (sozial, ökologisch)
  • bei gleichzeitiger Vertiefung der Unterschiede (Differenzierung bis Polarisierung der Standortbedingungen)
  • Zentralisierung der Machtblöcke (EG), (Asien?), bei Fragmentierung der Gegenkräfte
  • neue Stufe der Ausdifferenzierung der Ausbeutungsverhältnisse
  • "Arbeit wird weltweit billig wie Dreck..." (Horst Ahfeld)
  • Bereich der Lebensmittelproduktion stärker beachten: durch GATT sind alle Länder zu Marktöffnung gegenüber High-Tech-Agrokonzernen gezwungen. Eigene Landwirtschaft wird zerstört "Überbevölkerung", Abhängigkeit..
  • Entkopplung Afrikas... "Auf dem gegebenen Produktivitätsstandard können sie mit dem größten Teil der Welt gar nichts mehr anfangen." (Robert Kurz) (außer als Absatzmarkt - siehe Lebensmittel)
  • teilweise Entkopplung Osteuropas

2. Gesellschafts-Theorie

Jede Theorie enthält Aussagen über ihre Voraussetzungen, die dann oft irgendwann vergessen werden. Die Voraussetzungen der "üblichen" marxistischen Theorie sind:

1. Die Ökonomie ist primär

2. Reduktion aller Qualitäten auf Quantitäten (austauschbare Äquivalente: Waren)

3. Lebendige Arbeit ist Ware

4. nur lebendige Arbeit schafft Mehrwert

Die Funktionsweise der kapitalistischen Ausbeutung wird folgendermaßen erklärt:

  • Lebendige Arbeit wird als Ware verkauft
  • sie hat die Eigenschaft, mehr Werte zu schaffen, als sie zur Reproduktion benötigt Mehrwert entsteht
  • Ausbeutung ist Aneignung dieses Mehrwerts als unbezahlte Arbeit Fremder
  • Extraprofit kann entstehen, indem Mehrwertanteile auf der Grundlage monopolisierter Naturkräfte umverteilt werden (Differentialrente)

Theoretischer Fortschritt ist oft mit einer Ausweitung der Voraussetzungen verbunden (wobei die "alte" nicht falsch wird, aber in ihren Voraussetzungen bleibt).

zu 1.: Gerade die Verselbständigung der ökonomischen Sphäre gegenüber der gesellschaftlichen und natürlichen ist heute das Problem - das System sollte gerade deshalb umfassender genommen werden.

zu 2.: Der reale Prozeß beruht wesentlich auf qualitativen Prozessen, sie müssen deshalb in der Theorie der Gesellschaft enthalten sein.

zu 3.a) Es wird nur ein Teil der "Fähigkeit, Arbeit zu verrichten = AK" verkauft (genau da liegt ein qualitativer "Überschuß", der für das Überschreiten des Systems wichtig werden wird)

b) Lebendige Arbeit als Nicht-Ware (Schein-Selbstständigkeit, Hausfrauisierung, d.h. Frauen als AK ohne Lohnarbeit, nie bezahlte Reproduktionsarbeit...) wird immer wichtiger

  • Seit 1979 gingen in den USA 34 Mio Arbeitsplätze verloren- gleichzeitig stieg die Zahl der Beschäftigten von 90 Mio auf 117 Mio. Es entstanden also 61 Mio "neue" Jobs ohne Arbeitsvertrag! (WirtschaftsWoche Nr. 15, 12.4.1996).
  • Während 1960 nur 3% der Beschäftigten irreguläre Arbeitsverhältnisse hatten, sind es jetzt 25% (WiWo, Nr. 20).

zu 4.a) Neudiskussion der Anteile verschiedener produktiver Faktoren an der Mehrwert-Produktion

  • nicht Bäume fällen macht "Werte", sondern das "wachsen lassen"

b) Kolonialismus (inn. und äuß.) als ständige Voraussetzung der Kapitalevolution

(Entwicklung der höheren Stufen immer nur auf Grundlage des "Funktionierens" der "niederen" Ebenen)

Kolonialisierung: nicht nur Ressourcenentnahme und Abfallentsorgung (als Umfeld für Energieimport und Entropieexport) - sondern selbst wesentlicher Bestandteil d. globalen Prozesses (Naturprozeß: Menschheitsentwicklung)

Arbeitsformen

3. Metadiskussion

3.1. Zum Wissenschaftsverständnis

Die Analyse eines Realitäts-Bereiches erfordert immer eine bewußte Entscheidung dafür, welche Bereiche dem System zugeordnet werden und welche der Umgebung. Im System müssen die jeweiligen wesentlichen Zusammenhänge (Gesetze) erfaßt sein.

Marx grenzt seinen Bereich folgendermaßen ein:

  • stellt die Ökonomie in den Mittelpunkt Analyse des ökonomischen Systems unter Vernachlässigung der Rückwirkungen der anderen Systeme ("Sein bestimmt das Bewußtsein");
  • verharrt innerhalb der Ökonomie auf quantitativer Stufe (Wissenschaftsideal aus Naturwissenschaft entnommen: Entqualifizierung).

Auf höheren Entfaltungsstufen eines Realitätsbereiches ist sein Wesen besser zu erkennen. Marx konnte nur die allerersten Ansätze der Kolonialisierung sehen, Engels machte in späten Briefen dazu Anmerkungen.

Schon die biotische Evolution erhält sich nur in ständiger Wechselwirkung (Ko-Evolution) mit der abiotischen. Auf der gesellschaftlichen Ebene werden die Verflechtungen noch vielfältiger. Diese neue Qualität ist nicht mit der "rein" naturwissenschaftlichen Methode (Quantifizierung) erkennbar - und auch für die Naturwissenschaft sollte das Quantifizierungsprinzip hinterfragt werden.

Wenn die Marxsche "natur"-wissenschaftliche Methode die einzig Richtige wäre, würde die Analyse des Seins nur die Ausweglosigkeit zeigen können, weil innerhalb der Gesetze dieses Seins tatsächlich keine Lösung möglich ist (Determination alles Bewußtseins durch Sein, siehe Kritische Theorie...).

Eine Denkalternative (die im Kern bei eingeschränktem Voraussetzungen die Marxsche Theorie "richtig" läßt) begann die Praxisphilosophie.

3.2 Was kann ich hoffen?

In der Hegelschen Dialektik reifen die Widerspruchsgegensätze so lange, bis einer "über das System hinaus"-springt. Mit ihr wird deshalb eine Hoffnung gut begründet, die darauf vertraut, daß mit der Krise auch das Rettende mitwächst. Hegel sieht in diesem Vorwärtsschreiten die "List der Vernunft"wirken.

In der Realität funktionierte diese "List" nur für 1% aller biotischen Arten. 99% aller jemals auf der Erde existiert habenden Arten schafften den Sprung nicht, sondern starben aus.

Die Marxsche Theorie setzt auf die Hegelsche Dialektik - aber die Chance ist demnach nicht automatisch gegeben, sondern eher gering!!!!

Etwas anders, realitätsnaher, ist die Dialektik bei Schelling.

Bei ihm bleibt der Ausgang des Kampfes zwischen den widerstreitenden Gegensätzen stets ungewiß. Solange die Gegensätze im Gleichgewicht sind, ist die Realität harmonisch, ausgeglichen. Sobald ein Gegensatz das Übergewicht erhält, ist die Welt gefährdet. Die Gegensätze werden bei Schelling als widersprechende Prinzipien gesehen: das Kontrahierende (Macht der Konzentration, bis hin zu Egoismus bzw Vernunft, Ordnung,Maß) gegenüber dem Expandierenden (Gemeinschaft/Liebe bzw. Drang nach Bewegtheit bis hin zur Sucht, das Irrationale).

Keine Form der Dialektik kann uns jedoch "vorhersagen", was passieren wird.

Besser als die Wirklichkeit kann auch die Theorie nicht sein. Deshalb werden wir keine Theorie finden können, die uns mehr Sicherheit gibt.

In der Theorie steckt die Lösung nicht - in der Realität müssen wir nach Hoffnung suchen - die Theorie kann Orientierungen geben:

a) Orientierungen durch das Selbstorganisations-Konzept:
Nach welchen grundsätzlich übereinstimmenden Prinzipien funktionieren und entwickeln sich Systeme (Dialektik) ?

b) Menschenbild:

Was ist der Mensch?

Das was über sich hinauswächst;

was neu anfangen kann...

Wir sollten also im Menschen nicht vorrangig den Urmenschen sehen, der er mal war; nicht den Sklaven und auch nicht den Lohnarbeiter.

Es ist viel interessanter, unsre Kinder anzusehen. Ihre Art, mit der Realität umzugehen, sich anzupassen oder auszuflippen - wird die nächsten Jahrzehnte gestalten und die Entscheidung an den nächsten Bifurkationspunkten bringen...

Auch hier entscheiden auf die Dauer nicht die 99% Passiven, Bequemen, sich Anpassenden; sondern die 1% Aktiven, Suchenden, Tätigen.

Übrigens: Das wirklich Neue können nur die gestalten, die "genügend anders" sind ,als man sie nach der Logik des jetzigen Systems erwarten kann.

4. Eigentlich weiß ich jetzt alles...

Nach der Wende haben wir erstaunlich schnell gelernt. Das 1992 von uns (meinem Freundeskreis "Zukunftswerkstatt Jena") erarbeitete INFO ist bezüglich der Kapitalismusanalyse und dem Aufzeigen von Auswegen nicht mehr zu überbieten. Vertiefungen führen nicht zu völlig neuen Erkenntnissen.

Daß uns dies damals gelang, hängt wohl auch mit dem Selbstorganisations-Konzept zusammen. Diese Art von Theorie war sehr hilfreich - ein Theorievorsprung hat sich hier also einmal gelohnt. 20 Jahre vorher hätten wir allerdings auch mit der besten Theorie im Kopf noch 20 Jahre bis auf den "Bifurkationspunkt" waren müssen - und was macht man in dieser Zeit?

In dieser Situation stecke ich jetzt. Seit 1990 setzt sich das alte und neue Wissen wie ein Puzzle zu einem immer vollständigeren Bild zusammen. Alles paßt. Die Kritik auf verschiedenen Bereichen: Soziales, Ökologisches, Trikont...ergänzt sich gegenseitig. Es zeigt sich, daß eine Lösung nur über eine totale Überwindung des "Reichs der Notwendigkeit" (Marx), der Welt des Primats der Erwerbsarbeit/Ökonomie /Warengesellschaft, der europäisch-"modernen" Denkmethoden (Wissenschaftskritik) usw. möglich ist. Aber genau diese Verflechtungen verhindern, daß irgendjemand über kleine Schritte zu diesen Erkenntnissen kommt. Jede Teillösung ist falsch!

Wenn man dann den Fehler einer Teillösung messerscharf erkannt hat, lehnt man sich dann aber oft zurück und redet altklug daher und weiß auch alles. Nämlich daß es so weitergeht wie bisher, es wird schon noch immer etwas schlimmer kommen - aber hoffentlich nur für die anderen Leute möglichst weit weg...

Und ich bin dann so hilflos. Ich kann nichts mehr unternehmen. Noch mehr oder noch bessere Theorie löst dieses Problem nicht. Wahrscheinlich muß einfach die Zeit und das Leben darüber hinweggehen wie über die alten Römer...

Eins sagt mir die Theorie auf jeden Fall: Es gibt keine Lösung mehr innerhalb dieses Systems. Vielleicht sind gerade heute wieder die "zivilisiertesten" Menschen (wie einst die Römer) nicht mehr lernfähig (sie "tigern hilflos hinter den Gitterstäben des warenförmigen Bewußtseins" krisis). Die Impulse für Neues kommen woanders her.

Und jetzt, wo ich das weiß - sitz ich da mit meiner Theorie, die so gut erklärt, daß sie nicht gebraucht wird... Es gibt ja erstens keine Adressaten dafür. Keine Arbeiterklasse, keine "Linken", nicht die ums soziale Überleben Kämpfenden, nicht die Öko-Feministinnen. Sie sehen alle je nur Teilaspekte. Und das hängt mit ihrer (objektiven) Entfremdung, ihrer Stellung in diesem jetzigen System zusammen (das Sein bestimmt immer noch das Bewußtsein). Ist also für mich nicht subjektiv aufbrechbar. Außerdem kommts auf diese Menschen hier gar nicht so an. Das einzigste was nötig wäre, wäre eine Verhinderung der Kämpfe zur Besitzstandswahrung ("Zivilisation") gegen den Rest der Welt. Aber da bin ich pessimistisch.

Der Golfkrieg und Jugoslawien haben gezeigt, daß auch die einst "Linken" und der "normale Menschenverstand" des Otto-Normal-Bürgers eher mit ihrem "Klassen"-Feind gemeinsam gegen noch "Fremdere" vorgehen, als sich mit der Welt gegen die Weltherrschaft des Kapitals zu verbünden.

Zweitens kann auch diese, meine Theorie nicht völlig aus ihrer Zentriertheit im europäischen ("scholastischen") Denken heraus, aus ihrer Trennung vom wirklichen Leben. Mein Sein bestimmt auch mein Bewußtsein und da ist nicht mehr alles offen. Also schon im Raum bin ich begrenzt, was zu wesentlichen qualitative Unschärfen und Fehlstellen führt. Und dann kommt der zeitliche Aspekt noch dazu...

Bevors nicht knallt, wird meine Theorie niemanden interessieren/ zu denken geben. Und wenns knallt, hat erst recht niemand die Muße zu Theorie. Und danach wissens eh alle und "haben es schon immer gewußt".



-für HDG - diesen Hypertext habe ich nach einer 1.Mai-Wanderung mit Bekannten geschrieben,
um einige dort diskutierte Fragen aufzuarbeiten-

 

 


Zu diesem Themenkomplex gehören viele Texte:

siehe auch einen neueren Textkomplex über:
Ein System siegt sich zu Tode... und
Selbst-Organisations-Management (51 Dateien, 300 kB/1999)

[Homepage] [Gliederung]

Stübchen Gliederung

- Diese Seite ist Bestandteil von "Annettes Philosophenstübchen" © 1996/98 - http://www.thur.de/philo/as231.htm -