Verratene Träume

Daß die Science Fiction in einer Welt, in der die "Schwächsten sterben müssen" (Eaton, Vorstandsvorsitzender von DaimlerChrysler), anti-utopische Züge annimmt, kommt nicht unerwartet. Daß sie diese Inhalte jedoch nicht nur als warnende, kritisierende Provokationen und Fingerzeige versteht, sondern ganz bewußt zur Forcierung der Militarisierung einsetzt, ist erschreckend.

Der bekannte SF-Autor Norman Spinrad beschreibt jetzt, wie J. Pournelle, L. Niven, R.A. Henlein, P. Anderson und andere Privatpersonen eine Lobby aufbauten, die zur Forcierung der Raumfahrt die Star-Wars-Politik von Präsident Reagan überhaupt erst initiierten und beförderten. Nachdem seit ca. 1980 die zivile Raumfahrt die Wünsche der Raumfahrt-Visionäre nicht mehr erfüllte, hatten diese keine Skrupel, sich in die Sicherheitspolitik und die Wahlkämpfe in den USA einzuschalten, um sich die Erfüllung ihrer Träume nun bewußt vom Militär bezahlen zu lassen. Das Budget des Pentagons war schließlich dreißigmal höher als das der Nasa. Um an dieses Geld heranzukommen, mußte man sich natürlich etwas einfallen lassen. Von J. Pournelle kam die entscheidende Idee: der Schutz der USA vor sowjetischen Atomraketen sollte ihnen ein Raumfahrtprogramm bescheren, das ihnen jene Infrastruktur (Orbitalstationen, Ortungs- und Überwachungssysteme, menschliche Besatzungen...) in den Kosmos zaubert, die sie sich wünschten. Pournelle formulierte sogar die entsprechenden Teile der Rede von R. Reagen zur Lage der Nation über SDI (Strategische Verteidigungsinitiative).

Da wir inzwischen Marketing- und politische Strategien kennen und durchschauen können, fällt auch auf, daß die entsprechende Rede Reagans vom 23.3.1998 ganz "zufällig" mit dem Boom des Star-War-Kultes zusammenfällt (1983 erschien der dritte Teil der Saga). Auch der neue Star Wars- Film kommt "zufällig" gerade rechtzeitig zum Beginn des Haushaltsjahres in den USA.

Mit dieser Entwicklung wurde eine verhängnisvolle Entscheidung getroffen. Selbst der ehem. US-Verteidigungsminister McNamara schätzte ein: "Der Krieg der Sterne ist die falsche Antwort auf eine richtige Frage, nämlich wie wir die Spannungen abbauen und die Sicherheit erhöhen können." (nach Hoffmann, S. 11). Die scheinbar so unpolitische Science-Fiction hat an dieser falschen und für die Zukunft verhängnisvollen Weichenstellung einen großen Anteil, der in der Fanszene meiner Meinung nach aufgearbeitet und bedacht werden muß.

Klar wollte Pournelle sicher nicht in Wirklichkeit einen "Krieg der Sterne". Er dachte einerseits, er wäre weniger naiv als jene, die noch glaubten, auch ein ziviles Programm ließe sich irgendwann finanzieren und politisch durchsetzen. Andererseits war er selber zu naiv, nicht rechtzeitig zu bemerken, daß im Handumdrehen auch die bisherigen zivilen Ansätze (Shuttle-Programm) militarisiert wurden, wie ihn N. Spinrad bereits vorgewarnt hatte. Inzwischen ist die Bilanz eindeutig: "Das SDI-Programm hat 40 Milliarden Dollar, die für eine Mars-Mission und für eine Basis auf dem Mond hätten verwendet werden können, umgepolt und ins intergalaktische Nichts geschleudert" (Spinrad). Gerade nach dem Ende der Blockkonfrontation wird der Militarisierung kaum noch ein Riegel vorgeschoben, sondern sie wird im Gegenteil immer mehr forciert. Früher gegen die Sowjetunion gerichtet - jetzt gegen "Terroristen", also gegen alle, die in irgendeiner Weise der Weltmacht USA entgegengerichtete Ziele verfechten.

Wie sensibel und verletzlich die Raumfahrtvertreter an dieser Stelle sind, zeigte sich auch an dem Rückzug ihrer Teilnahme- und Referatsversprechen zur einer Weltraumtagung in Darmstadt, wo "Weltraumnutzung und Ethik" diskutiert und die bisherige Raumfahrtstrategie kritisch hinterfragt werden sollte. Wohl auch ein schlechtes Gewissen war an dieser Absage beteiligt, denn auch die ESA nimmt sich vor, "Raumfahrt zunehmend zu einem integralen Bestandteil politischer, wirtschaftlicher und militärischer Führung" (nach Hagen, S. 7, Betonung A.S.) zu machen. Hier spielt dann auch noch eine gehörige Portion Konkurrenz gegen die USA eine Rolle, besser ist diese Hochrüstung im Weltall aber auf keinen Fall.

Wir sollten die Augen nicht verschließen vor diesen vorherrschenden Interessen, die jene Projekte bestimmen, denen wir gern zustimmen würden. Klar ist eine "Forschungsarmada zum Mars" (Naumann) faszinierend. Ich befürchte aber, die Hoffnung auf die Befriedigung unserer Träume ist nur ein Abfallbrosamen vom Tisch derer, die die Grundlage dafür legen, daß ihre Erfüllung der irdischen Zivilisation versagt bleiben wird, da auch wir zu wenig Gegenkräfte gegen diese Gefahr entwickeln.

Literatur:
Eaton, R., J., "Die Schwachen müssen sterben", auf dem 7. Jahreskolloquium der Alfred Herrhausen Gesellschaft für internationalen Dialog, dokumentiert in: junge Welt, 8. Juli 1999, S. 10-11
Hagen, R., Weltraumtagung - ein Stich ins Wespennest, FriedensForum 3/99, S. 7-8
Hoffmann, H., Star Wars. Gutes Timing zwischen Hollywood und Pentagon, in: junge Welt, 21. Juni 1999, S. 10-11
Naumann, H.-D.., Forschungsarmada zum Mars - auch Europa ist dabei, in: IPRO-EXPRESS 2/2/99, S. 27-29
Spinrad, N., Science-fiction im Pentagon, in: Le Monde Diplomatique, Juli 1999, S. 3

- für IPRO-EXPRESS -

 

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