Der aufrechte Gang der Menschenfrau

- Matriarchatsforschung und
Visionen partnerschaftlichen Zusammenlebens -

Ein Bericht - ergänzt durch weitergehende Informationen

 

Frauenseminar


Veranstaltung
des Frauenzentrums Jena e.V.
mit Unterstützung
der "Zukunftswerkstatt Jena"


vom 4.-6. Dezember 1998
in Kunitz

 

  • Warum dieses Seminar und dieses Thema?
  • Bei einem selbstorganisierten Frauenseminar im vorigen Jahr zum Thema der unterschiedlichen Sozialisation von Jungen und Mädchen brachte eine Teilnehmerin das Gespräch auf unsere geschichtlichen Wurzeln, bei deren Kenntnis uns ebenfalls eine einseitige "Prägung" aufgezwungen wird, weil in unserem Geschichtsbild die Rolle der Männer übergewertet und die der Frauen prinzipiell unterbewertet wird. Da im Freundeskreis "Zukunftswerkstatt" dieses Thema schon öfter diskutiert wurde, lag es nahe, eine gemeinsame Veranstaltung zu organisieren, deren Träger diesmal das Frauenzentrum e.V. Jena wurde (vielen Dank !).

    "In diesem Seminar wollen wir uns mit den Ergebnissen der Matriarchatsforschung auseinandersetzen, uns auf eine spannende Reise in die Ur- und Frühgeschichte der Menschheit begeben.

    Wir wollen der Frage nachgehen, ob und wie uns die "andere" Sicht auf unsere Menschenfrau-Werdung zu Visionen partnerschaftlichen Zusammenlebens beflügeln kann... " (Petra E. - im Namen aller Frauen, die dieses Seminar vorbereitet haben)

    Wir sind alle keine Spezialistinnen auf diesem wichtigen weltanschaulichen Gebiet. Wir stellten aber in vielen Gesprächen fest, daß viele von uns aus der Literatur einzelne Zusammenhänge kennen und wir bisher einzeln nach Möglichkeiten suchten, Schlußfolgerungen für unser Leben zu ziehen. Deshalb nahmen wir uns vor, dieses Thema ein Wochenende lang zu diskutieren.
    Aufgrund des Prinzips der Partnerschaftlichkeit entschieden wir uns auch, nicht lediglich Expertinnen zum Thema einzuladen, sondern das Seminar inhaltlich selbst gemeinsam, partnerschaftlich vorzubereiten und durchzuführen. Die Teilnehmerinnen kannten sich zum größten Teil durch Kommunikationszusammenhänge im Frauenzentrum und der Zukunftswerkstatt - allerdings lernten wir uns zum Teil auch erst hier kennen.
    Nicht alle Teilnehmerinnen bezeichnen sich als "Feministinnen". Viele von uns haben nicht die Erfahrung gemacht, vorrangig "gegen Männer" argumentieren zu müssen. Trotzdem gingen wir davon aus, daß eine für uns neue, andere Sicht auf die Geschichte und unsere Ursprünge wichtig sein wird.

     

    "Durch die Art, in der Menschen darstellen, wie die Dinge am Anfang gewesen sind,... machen sie eine grundsätzliche Aussage über ihre Beziehung zur Natur und ihr Verständnis von der Quelle der Macht im Universum." (P.R. Sanday)

    "Erst eine feministische Sichtweise der Evolution ist in der Lage, das mann-menschliche Menschenbild zu korrigieren und damit eine andere Auffassung von der Urgeschichte der Menschheit zu entwerfen. Damit gewinnt auch die Bedeutung der Frau für die Zukunft der Menschheit eine neue Dimension." (Weiler, S. 52)

    Sicherlich wird das eine oder das andere überbetont. Aber ich habe eine Entschuldigung: Wenn die Verhältnisse zu lange einseitig gewichtet worden sind, dann wird es notwendig, auf der anderen Seite heftig gegenzusteuern. (M.R. Beard, nach Miles, S. 16)

    "Erst die Erforschung und das Verständnis nicht-patriarchaler Gesellschaftsformen und Denkweisen machen es überhaupt möglich, einen Standpunkt außerhalb des Patriarchats zu gewinnen" (Göttner-Abendroth 1998 S. 11).

    "Zu wissen, was möglich gewesen wäre, erweitert unseren Blickwinkel auf der Suche nach neuen Interpretationen. Es erlaubt uns, jenseits der Grenzen eines engen und völlig überholten begrifflichen Rahmens darüber zu spekulieren, was in der Zukunft möglich sein könnte." (Lerner S.61)

     

  • Ablauf:
  • Freitag abend: Eröffnung, Einleitungsbrainstorming und "Statuenbildung" zur Urgeschichte

    Zuerst holten wir die Bruchstücke hervor, an die wir uns noch aus dem Geschichtsunterricht und anderen Quellen erinnerten. Dabei ging es uns nicht primär um ein Rekonstruktion des Schulwissens, sondern darum, was an Bildern über die Menschwerdung bei uns hängengeblieben ist. Es entstand folgende Stichwortsammlung zur Erinnerung/Dokumentation unserer Vorstellungen zur Urgesellschaft (Moderation: Petra):

     

    Jagd führt zum aufrechten Gang
    Jagdzauber - Magie
    Fleischnahrung fördert Gehirn
    Arbeitsteilung/Koordination führt zu Sprache
    erste Schrift: Keilschrift
    Jäger und Sammler
    Jagd - Fell als Kleidung
    Horden, patriarchal;

    Dschungel; - Menschen - Affe
    Frau läßt sich beschützen
    Freiwerden der Hände durch aufrechten Gang

    rauben sich gegenseitig die Frauen
    primitiv - erste Werkzeuge
    Hütten
    Jäger und Sammlerinnen,
    primitives Dasein;
    Männer ernähren die Sippen
    Hüterinnen des Feuers in den Hütten
    Höhlenzeichnungen
    Mammut - Feuer
    Existenzsicherung
    "Zähmung" des Feuers
    Anteil der Arbeit;
    Werkzeuge, Faustkeile
    Frau und Kinder im Lager, platzbezogen
    Mann erfand Werkzeuge,
    Erziehung der Kinder durch Frauen; Frauen hüten Kinder
    Benutzung der Hände nicht zur Fortbewegung
    Gesellschaft: Zusammenleben im Dorf (Frauen und Kinder ums Feuer)
    Männer eher Außenseiter; ansonsten beim Jagen und Trinken

     

    Wir wollten dann nicht nur reden über unsere Vorstellungen, sondern bauten kurz eine Szene des Urhordenlebens nach ("Statue"):

     

    Wir sahen dann noch ein "Lehrvideo" zur Entstehung der Menschheit mit den üblichen Gemälden der jagenden Männer, nähenden Frauen, sammelnden Familien... und dem "ersten Künstler" mit einer "Venusstatuette".

    Zu diesem Geschichtsbild paßt auch die aktuellste Veröffentlichung anläßlich eines neuen Skelettfundes:

     

    Samstag vormittag: Ergebnisse der Matriarchatsforschung

    1. "Referat": Die Rolle der Frauen und des Wassers beim Aufrichten unserer Vorfahrinnen und Vorfahren (Katja)

    Katja referierte über die vom Standard abweichende These über die Menschwerdung nach dem Buch "Der aufrechte Gang der Menschenfrau" von Gerda Weiler. G. Weiler stützt sich auf eine These von Sir Alister Hardy von 1960. Schauen wir uns die folgende Tabelle an, so ist zuerst zwischen einer späten und einer frühen Divergenzhypothese zu unterscheiden, bei der die Trennung der zum Menschen führenden Linie später oder früher vermutet wird. In beiden Konzepten gibt es für das mittlere Miozän eher gemeinsame Konzepte und die Rolle der Versteppung als die Aufrichtung der Menschen auslösende Umweltänderung betonen alle weiteren Konzepte. Anerkannt sind auch klimatische Veränderungen seit ca. 12 mio Jahren. Die Folgen dieser Klimaveränderungen werden i.a. entsprechend einer Erklärungslinie gedeutet: Versteppung (in Ostafrika, im Gegensatz zu Westafrika, wo Urwälder blieben und sich die jetzt bekannten Menschenaffen aus unseren gemeinsamen Vorfahren entwickelten); darauffolgende Änderung der Lebensweise: aufrechter Gang, Jagen, Hände werden frei, gemeinsame Jagd fördert Intelligenz, Kooperation etc... Die Krönung dieser Theorie besteht darin, die Menschen als biologisch "schlecht angepaßt" an die neuen Umweltverhältnisse zu beschreiben und zu begründen, daß alles die Menschwerdung Befördernde Kompensationen dieser Mängel seien. Der Mensch als "Mängelwesen" und gar "Mörder-Affe" sind gängige Bilder, die uns auch in Filmen (bis hin zum utopischen "2001 - Odyssee im Weltraum") immer wieder begegnen.

    Diese Thesen sind eigentlich überhaupt gar nicht näher begründet - außer daß man es sich so auch vorstellen kann und es immer und immer wieder wiederholt wird. Es wird zugegeben, daß für mindestens einen Zeitraum von 5 bis 8 Millionen Jahre keine Fossilien oder andere Hinweise vorhanden sind, um die entscheidenden Prozesse zu dokumentieren. G. Weiler vermutet demgegenüber mit Hardy, daß unsere Vorfahren in den Jahren vorrückender Trockenheit nicht lediglich in den Steppen überlebten - sondern sich - wie auch andere Tierarten - an die Küstengewässer Ostafrikas zurückzogen und eine lange Zeit hindurch im Wasser lebten. Wie erwähnt, der Verbleib in der Steppe ist demgegenüber auch nicht nachgewiesen!

    Wir haben aber eine Menge Hinweise, die die Wasserhypothese stützen und die mit der anderen Theorie nicht erklärbar sind:

    • Menschen verloren Fell im Wasser und entwickelten eine Fettschicht (wie andere Meeressäuger sie haben - aber keine Menschenaffen! .
      Es wäre auch zu komisch, wenn entsprechend der anderen Theorie die Menschen ihr Fell erst verloren hätten, als die Eiszeiten heranrückten. Da Menschen den Kopf über Wasser hielten, ist es auch logisch, daß wir hier unsere Haare behielten.
      Föten haben übrigens eine Haarkleidstruktur, die ein stromlinienförmig optimal ist und Neugeborene schwimmen kurz nach der Geburt sehr gut).
    • Wenn unsere Vorfahren sich im Wasser aufhielten, mußten sie den Kopf immer nach oben halten. Das Wasser erleichterte die Aufrichtung - auch bei noch ungünstigen anatomischen Voraussetzungen während der Menschwerdung (Beckenstruktur). Danach erst konnten die Menschen auch auf dem Land die nun neu gebildeten anatomischen Strukturen und ihren neu gelernten Gleichgewichtssinn auch auf dem Land nutzen. Die übliche These, daß unsere Vorfahren aufrecht besser sehen und jagen konnten, müßte ja auch für andere steppenbewohnenden Tiere gelten. Für Werkzeuggebrauch war der aufrechte Gang den üblichen Theorien widersprechend gar nicht notwendig - meist benutzt man Werkzeuge eh im Sitzen.
    • Der Verlust des Fells und die Aufrichtung bedingen ein Tragen des Kindes - üblicherweise an der linken (Herz-)Seite. Nur die rechte Hand blieb frei und wurde zu unserer Haupthandlungshand.
    • Eine vorgelagerte Vagina (die wir mit Bonobos und Elefanten gemeinsam haben) und hochgelagerte Milchdrüsen erleichtern die Wassergeburt und das Säugen lungenatmender Säuglinge im Wasser.
    • Im Vergleich mit anderen Affenartigen scheiden nur Menschen Salzwassertränen aus - was wir wiederum gemeinsam mit den Meeressäugern haben. Lediglich Elefanten, die mit im Wasser gebliebenen Großsäugern verwandt sind, weinen ebenfalls.
    • Der Zyklus von Äffinnen richtet sich nicht nach dem Mond - während die menschliche Menstruation eng mit den mit dem Mond verbunden ist - was für Wasserlebewesen verständlich ist, denn der Einfluß des Mondes ist im/am Meer deutlicher.
    • Außerdem sind uns Meeressäuger im Intelligenzverhalten und dem Gemeinschaftssinn sehr verwandt.
    • Muschelnahrung fördert den Umgang mit Werkzeugen und deren Verbesserung.
    • Gerade das Fehlen der Fossilien in diesem Zeitraum wird erklärbar, wenn man weiß, daß unsere Vorfahren in diesem Zeitraum am und im Meer gelebt haben. Hier halten sich keine Fossilien.
      späte Divergenzhypothese (Greenfield)
    -Molek.-biol.-

    frühe Divergenzhypothese (Pilbeam)

    -Paläoontologen-

    A. Hardy: Wasserhypothese (nach Weiler)

    frühes
    Miozän:

    v. 23 mio J.
     

    seit 16 mio Jahren Trennung der Hominidenlinie, die zum M. führt; Proconsul als letzter gemeinsamer Vorfahre von M. und Affen

    mittl.
    Miozän

    (14-9 Mio: Abkühlung, off. Wald;
    Gebirgsbildung)
    Sivapithecus (15-8 mio J. in Afrika und Eurasien) als gemeins. Vorf. von Affen und Vormenschen, noch nicht in Steppen Ramapithecus als erster Hominide (Fund von vor 8,5 mio J. aus Griechenl., 15-16 mio J. aus Anatolien) - verwandt mit Orang Utan (Coppens)

    Kindheit bereits seit 15 mio J. verlängert,

    wahrsch. hohe Vermehrungsrate durch veränderte Sexualität (Simon) - vgl. Weiler!

    vor 8 mio Jahren: tektonische Gräben →

    Wanderungsbewegungen ;

    Westen: feuchtwarmer Wald → Affen/

    Osten: offenes Land → Menschen (Coppens)

    LÜCKE zwischen 8 mio und 5 mio J.

    Trockenheit seit vor 12 mio J.! (Weiler, S. 42) - hier keine Fossilien!

    Nachfahrinnen der Ramapitheca überlebten im flachen Wasser die Trockenheit

    spätes Miozän
    vor 5 mio J.

    Australopithecus: ermöglichte Herausbildung der Menschen , in Steppen
    Pliozän:
    5-1,5 mio J.

    (Schwelle zur Menschwerdung, starb vor 1 mio J. aus, wurden von höher entwickelten Achanthropinen (Urmenschen)/oder Huftieren verdrängt) - Lucy

    Pleistozän
    1,5- 130 000 J.v.u.Z.

    erste Geröllgeräte vor 2-1 mio J.

    Jagdbeute,... - aber nicht ausschließlich, (Grünert, S. 104)

    Feuererzeugung: Beginn der eigentlichen Geschichte der Menschen (Engels)

     

    Artefakte: ausschließ. lebensfördernde (Weiler 57)

    "Speerspitzen" im Experiment zum Stoßen unbrauchbar, eher zum Schaben (Weiler S. 79)

     

    Warum ist diese Frage nicht lediglich ein Streit wissenschaftlicher Theorien? Wir haben bei der Diskussion gemerkt, daß wir uns dadurch von dem drückenden Bild des hart in der Steppe ums Überleben kämpfenden "Mörder-Affen" befreien und "selber aufrechter gehen" können.

    weitere Diskussionsabsätze dazu:

    Ergänzungen:
    a) Im Geburtshaus Jena fand vor kurzem eine intensive Diskussion über das Gebären im Wasser statt - diese Informationen passen sehr gut zur Vorstellung einer stärkeren geschichtlichen Beziehung zum Wasser,

    b) Ein Besuch im Zoo verdeutlichte die Rolle des Anklammerns der Jungen von Affen.

     

     

    Auch in der traditionellen Ur- und Frühgeschichtsforschung wird inzwischen akzepiert, daß die Höhlenkunst "ein bildlicher Ausdruck eines komplizierten religiösen Systems" (Grünert, S. 152) ist.

    Pfeile sind oft nicht realistisch abgeschossene - sondern Symbole für die Mondphasen. Abstrakte männliche Symbole sind üblicherweise Pfeile und Federn, während Ovale und Dreiecke als weibliche Symbole gelten. Lediglich die Rundungen des Mondes gehören i.a. zu männlichen Tieren (Hörner der Stiere, bewußt unperspektivische Hufdarstellungen...).

    Die enge Beziehung der Frauen zum Mond (Menstruation im Mondrhythmus) führte auch dazu, daß angenommen wurde, die Frauen hätten sich ursprünglich mit einer Mondgöttin identifiziert. Tatsächlich jedoch e ntsprach der in allen Kulturen ursprünglichen Göttin der gesamte Himmel - der Mondgott symbolisierte ihren Jahreskönig (Heros), der mit ihrer Menstruation starb und wiedergeboren wurde. Erst später wurde dies uminterpretiert - die männliche Dominanz wurde in den männlichen (aktiven) Sonnengott verlagert und der Frau wurde der (passive) Mond überlassen (in späteren Sprachen wurde der Mond weiblich - im Deutschen setzte sich die römische weibliche Form im Gegensatz zum Französischen aber nicht durch).

    Aus den neuen Interpretationen ergibt sich,
    "... daß es in den jungsteinzeitlichen Matriarchaten die Frauen waren, welche die Grundlage der Kultur schufen, von denen wir heute noch zehren - den Ackerbau, die Züchtung von Pflanzen, die Domestikation von Tieren, die Seßhaftigkeit, den Hausbau, das Spinnen und Weben, das Kochen von Nahrung und Arzneien, die Pflanzenheilkunde, die frühen Formen von Astrologie und Astronomie..." (Göttner-Abendroth 1992; S. 96)

    Wenn wir uns fragen, warum bisher andere Interpretionen überwogen, so ist das einerseits den Vorurteilen der Forscher zuzuschreiben. Sie "sehen" in den Mustern eben eher Harpunen als Pflanzen. Sie unterschreiben ein Bild im Museum als "Minoisches Kriegsschiff", obwohl auf diesem lediglich tanzende und musizierende Menschen und Blumen und keine einzige Waffe zu sehen ist...

    Wenn sie naturnah lebende Völker besuchen, werden sie dem "Fürsten" vorgeführt und verhandeln mit ihm - und bemerken gar nicht, daß in einer abgelegenen Hütte die "Göttin" die Geschicke des geprägt hat. Gleichfalls sind wir nicht davor gefeit auch hier gerade die Gegenansicht zu sehr zu betonen und so zu tun, als hätten lediglich die Frauen zur Entwicklung der Menschen beigetragen. Immer vollzog sich die Entwicklung als Prozeß miteinander lebender, kommunizierender und arbeitender Menschen beiderlei Geschlechts - wir wollen hier jedoch wenigstens einmal auch die Rolle der Frauen zu ihrem Recht kommen lassen.

     

    Zusammenfassung: Faktoren der Menschwerdung (Annette):

    • Klima: "Zweifellos ist der Mensch das Ergebnis einer evolutiven Anpassung an ein ziemlich trockenes Klima." (Coppens, S. 71)
    • Wasseraufenthalt über einige Millionen Jahre - siehe oben; dadurch ergeben sich für das Folgende spezielle Hinweise (Muschelernährung...)
    • Ernährung:
      Primaten: ökologischer Wandel: Savannen entstanden, Raubtiere und pflanzenfressende Huftiere tauchten auf, Hominiden mußten zu Allesfessern werden (muß sehr ausgewogen sein, Anstrengung beim Sammeln notwendig) → Greifhand, Sehvermögen, Lernvermögen, soziale Innovation der Arbeitsteilung schon bei Klammeraffen im Vergleich zu sich anders ernährenden Brüllaffen (Milton 1993) , dann nochmalige Differenzierung: Australopethicinen wurden Pflanzenfresser, Vorfahren der künftigen Menschen nicht spezialisiert, sondern flexibel (Coppens)
    • Jagd? "Frühere Vermutungen, daß der Australopethicus jagte... sind kaum haltbar, da ... die Kadaverteile ebensogut durch Hyänen zusammengetragen worden sein können" (Simon 1978)
      Frauen als eigentliche Erfinderinnen der Jagd, weil sie den Stamm mit Stich- und Stoßwaffen versorgten (Boulding, nach Miles, S. 317)
      Jagd i.a. immer im Zusammenhang mit Kooperation, Gedächtnis und Denken genannt (vgl. Grünert, S. 109)
    • Sozialverhalten: koooperativ, tolerant, stabile Gruppenbindungen , "Gesellung" = "Urhorde" (Grünert 1989)
      Gruppenorganisation bezweckte Vermeidung des Kampfes (Miles, S. 34)
    • Kommunikation (Grünert 1989)
    • Kulturentwicklung: Frauen kultivieren Jagdbeute der Männer (Weichteile werden i.a. von den Männern sofort roh gegessen) (Weiler 57) - Jagdbeute an Wohnplätzen gefunden - Abhängigkeit der jagenden Männer vom Feuer, das von den Frauen gehütet wird...
    • Selbstbestimmung der Frau über ihre Sexualität ® Wachstum der Population (Simon) plus Kulturentwicklung (Weiler S. 105)
      Menstruation als Schlüsselereignis der Evolution → a) Vermehrung, b) Wissen (Körperkalender → Kultur) (Miles, S. 28)
    • Arbeit (Darwin, Marx/Engels): auch hier vorwiegend Arbeit der Frauen (Sammelarbeit als Auslöser der Technologie: Ausgraben, zermahlen, Sammelsack) + Mutterarbeit als Evolutionsarbeit (Miles, S. 23, 25)
    • Körperentwicklung: primär bei Frau: Aufrechtgehen (Wasser) ® Vagina neigt sich nach vorn → Penis muß dem folgen (Miles, S. 27)

     

     

    3. "Referat": Kelch und Schwert - Partnerschaftliche Gesellschaften der Stein- und Bronzezeit (Ramona als Referentin, hier folge ich - wie sie im wesentlichen auch - der Argumentation im Buch von R. Eisler)

    In dem Buch "Kelch und Schwert" beschreibt Riane Eisler ein Bild der Ur- und Frühgesellschaft, welches beschreibt, daß der Mensch "nicht aus einer Welt zivilisatorischer Primitivität und aggressiver Barbarei in die abendländische Geschichte eingetreten (ist). Er hat bereits im Neolithikum Möglichkeiten des partnerschaftlichen Zusammenlebens der Geschlechter und in der Gesellschaft sowie mit der Natur verwirklicht." (Eisler, S. 10).

    Riane Eisler setzt nicht primär "matriarchale" und "patriarchale" Gesellschaftsmodelle gegeneinander, sondern unterscheidet das dominatorische (oder Herrschafts-)Modell von einem Partnerschaftsmodell (S. 20). Dadurch ist "nicht das Geschlecht der Männer... das Grundproblem, sondern ein soziales System... indem sowohl Männern als auch Frauen beigebracht wird, echte Männlichkeit mit Gewalt und Herrschaft gleichzusetzen... "(S. 22).

    Riane Eisler beweist dann an mehreren Beispielen, wie eine "Projektion einer Klischeevorstellung" (S. 38) der Menschen als Jäger und Krieger verhindert, in den Ursprüngen der Menschheit die Existenz von lebensspenden und partnerschaftlichen Denk- und Handlungsweisen zu erkennen.

    Fischgrätenmuster in Höhlen aus der Altsteinzeit sind als Waffendarstellungen interpretiert worden - während es sich ebensogut um Pflanzen, Bäume, Äste, Schilfgräser und Blätter handeln kann (S. 37). Waffen bei der angeblichen "Jagdmagie" verfehlen die Tiere auffallend oft. Überhaupt nehmen weibliche Figuren, und Symbole, die als weiblich zu interpretieren sind, eine zentrale Position in diesen Höhlen ein (S. 39).

    Im Neolithikum entstanden die ersten großen Städte wie Catal Hüyük und Hacilar. Über Jahrtausende hinweg haben hier Kulturen stabil und kontinuierlich existiert, die eine Göttin verehrten. Dies aber nicht etwa in einem zentralen, dominierenden Tempel - sondern in einer Tempelnische in jedem der ziemlich gleichgroßen und gleich ausgestatteten Häuser.

    Ramona berichtet von ihrem Besuch in der Ruine von Knossos, die auch für eine weiblich geprägte Kultur steht. Da sie dies vorher wußte, hatte sie innerlich eine "Große Göttinnenstatue in erhöhter P osition" erwartet - aber nicht gefunden. Dagegen muß die Stadt mit tausenden von Einwohnern von pulsierendem Leben in offenen Terassen (keine Festungsmauern!) erfüllt gewesen sein; die Wände sind mit Blumenmustern geschmückt, die weiblichen und männlichen Reize sind bei den Menschen deutlich hervorgehoben - nicht nur die Mütterlichkeit - und auch keine Helden.

    Riane Eisler betont, daß auch in diesen Kulturen bereits Landwirtschaft und Handwerk betrieben wurde. Diese bereits weit entwickelten ("ziviliserten" würden wir heute sagen) Kulturen waren keine Ausnahmen, sondern u.a. auch im alten Europa weit verbreitet (ausführliche Dokumentationen dazu siehe in Gimbutas). Über Jahrtausende hinweg ließen sich hier oft keinerlei Anzeichen kriegsbedingter Zerstörungen nachweisen. P erfekte Kanalisation, sanitäre Einrichtungen und perfekte Infrastruktur waren selbstverständlich und allen Menschen nutzbar.

    Der Reichtum wurde nicht zentralisiert und privatisiert, sondern diente "der Gestaltung eines harmonischen und ästhetischen Lebens" (S. 85).

    Weitere Kennzeichen einer egalitären Gesellschaftsstruktur sind:

    • Größe der Häuser weicht kaum voneinander ab (keine soziale Polarisierung)
    • Bestattung ohne krasse soziale Unterschiede
    • matrilineare und matrilokale Struktur der Lebensgemeinschaften
    • in frühen Religionen gab es Priesterinnen und Priester
    • Männer wurden ebensooft künstlerisch dargestellt wie Frauen.

    Bei R.Eisler wird dann im Besonderen die minoische Kultur vorgestellt. Von 6000 vu.Z. an entwickelten sich hier Agrarkultur, Göttinnenreligion, handwerkliche Künste usw. zu einer enormen Blüte. In der späteren Bronzezeit (2000 vuZ.) setzten sich in anderen Gebieten die kriegerischen Götter noch um Jahrhunderte eher durch als auf Kreta.

    Den Übergang vom Kelch als Symbol der Fruchtbarkeit der Frau zum Schwert als Herrschaftsmittel beschreibt Riane Eisler am Beispiel des Einfalls von Nomadenstämmen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen (S. 96ff.). Sie legt Wert darauf, daß wir uns von der Vorstellung verabschieden, der Übergang zu Zentralisierung, Herrschaft und Patriarchat sei notwendig mit der "Höherentwicklung" verbunden.

    Diskussionsbeiträge von Vera:

    "Gefraut hat noch niemand, nur geherrscht."

    "Eine Partnerschaft ist eine Partnerschaft,
    wenn es der Partner schafft;
    daß es der Partner schafft."

    Die Teilnehmerinnen aus dem Zukunftswerkstattkreis haben alle die Meinung, daß sie sich nicht primär "gegen die Männer" definieren wollen. (Mindestens zwei Frauen aus unseren Kreis nehmen deshalb nicht an diesem Wochenende teil, weil nur Frauen zugelassen sind. Sie empfinden das als ein aus ihrer Sicht ungerechtfertigtes Aussperren der Männer und als einen Verlust für die Diskussion). Deshalb bietet uns das Eislersche Partnerschaftskonzept eine gute Möglichkeit, ohne zu starke Einengungen neue Sichtweisen aufnehmen zu können.

     

    Ergänzung: Thesen zur Entstehung des Patriarchats (Annette)

    Bei einer früheren Diskussion waren wir an der Frage hängengeblieben, ob die Entstehung des Patriarchats "objektiv notwendig zur Höherentwicklung" war, wie wir es bisher gelernt hatten. An diese Meinung ist die Behauptung geknüpft, daß die alten Zeiten der Partnerschaft/Matriarchat berechtigt überwunden wurden.

    Diese Frage spielte an diesem Wochenende in Kunitz keine Rolle, ich möchte der Vollständigkeit für die Leserinnen und Leser hier lediglich einige Punkte aus meiner Literatursammlung dazu aufführen.

     

    Zwei grundlegend unterschiedliche Betrachtungsweisen dokumentieren die folgenden Sätze:

     

    Maximen des Ptah Hotep (vor 5000 Jahren):
    "Wenn du weise bist, bleibe zu Hause, liebe deine Frau,
    und streite dich nicht mit ihr.
    Ernähre sie, schmücke sie, massiere sie.
    Erfülle alle ihre Wünsche, und achte auf das, was sie bewegt.
    Denn nur so kannst du sie bei dir behalten.
    Wenn du dich ihr widersetzt, so wird das dein Untergang sein." (Miles, S. 52)

    babylonischer Schöpfungsepos: (König Marduk unterwirft die Große Mutter:)
    "Er schoß einen Pfeil ab und durchbohrte ihren Bauch.
    Er spaltete ihr Inneres, ihr Herz,
    er zerstörte ihr Leben.
    Er streckte sie nieder und stand triumphierend auf ihrem Leib." (Miles, S. 60)

     

     

    Diese beiden Dichtungen zeigen den grundlegenden Wandel, den die menschliche Gesellschaft vollzogen hat. Nachdem die Menschen 40 000 oder auch "nur" 25 000 Jahre lang partnerschaftlich-"matriarchal" gelebt hat, begann vor ca. 7 000 Jahren das Zeitalter der patriarchalen "Zivilisation".

    Allgemein ist zu diesem Wechsel festzustellen:

    "Die Periode der "Durchsetzung des Patriarchats" war nicht "ein Ereignis", sondern ein Prozeß, der sich in einem Zeitraum von etwa 2500 Jahren, ungefähr von 3100 bis 600 v.Chr. vollzogen hat." (Lerner 25)

    Es gab unterschiedliche Wege dazu (Lerner 60)

    "In einem fast 2500 Jahre währenden Prozeß ist das Patriarchat von Männern und Frauen geschaffen worden." (Lerner 263)

    "Das System des Patriarchats kann nur funktionieren, wenn die Frauen an seiner Aufrechterhaltung mitwirken." (Lerner 269)

    Aus einem Science Fiction Roman (Orson Scott Card: Die Schiffe der Erde.):
    "Wenn wir in einer stabilen und zivilisierten Umgebung leben, entscheiden die Frauen alles, gründen Haushalte, pflegen die Beziehungen, schaffen sich eine Nachbarschaft und Freundschaften. Doch wenn wir ein nomadisches Leben führen, um unser Überleben kämpfen müssen, herrschen die Männer und dulden keine Einmischung von den Frauen. Vielleicht macht das die Zivilisation aus - die Dominanz der Frauen über die Männer. Und wann immer diese Zivilisation zusammenbricht, nennen wir das Ergebnis unzivilisiert, barbarisch und... männlich."
     

    Samstag nachmittag: Diskussion
    Einstimmung: Wir malen partnerschaftlich jeweils zu zweit ein Mandala

     

    Manche von uns nahm erstmalig seit der Schulzeit wieder einmal einen Pinsel zur Hand. Ein leises Aufstöhnen "Ich kann doch nicht malen" - war auch nicht zu überhören.
    Eine von jeweils zwei Partnerinnen begann dann doch zu malen, die andere setzte das Muster fort oder begann an einer anderen Stelle. Es entstanden Muster, Farbverläufe, Symmetrien, Symmetriebrüche - auf jeden Fall aber etwas Interessantes.

     

     

    In der Auswertung wurde auch gestaunt darüber, daß zwei Individuen gemeinsam ein Bild malen können. Es hatte Angst gegeben, daß jeweils eine der Malerinnen dominieren würde. Es ist aber gelungen, daß jede die Ideen der anderen aufgenommen hat, sie weitergestaltet und auch mal "dazwischengegangen" ist, ohne daß es einen Bruch gab.

    In der sich darauf ergebenden Diskussion wird angesichts des Bildes vom "Palast von Knossos" vermutet, daß dieser auch organisch gewachsen ist, ohne daß ein zentraler Plan vorlag.

    Das Leben in solch großen Stadtstaatengebilden, wie auch in Catal Hüyük, brauchte Regeln und Vereinbarungen und wir sehen an ihrer Existenz über Jahrtausende hinweg, daß dies auf nicht dominatorische Weise möglich gewesen ist.

     

    Sonntag vormittag: Visionen partnerschaftlichen Zusammenlebens

    Wir sahen uns zuerst einen Film über die "Göttinnendämmerung" an. Er versuchte, den Stand der Matriarchatsforschung darzustellen und ließ völlig offen, ob sie einen realen Hintergrund besitzt oder nicht. "Scheinobjektiv" - wie wir danach äußerten - referierte er Annahmen der Matriarchatsforschungen, ließ eine Laienforscherin und eine Wissenschaftlerin dazu sprechen und stellte dem die Meinung einer "Gegenexpertin" (ausgerechnet eine Frau) aus einem Museum entgegen. Der Film endete mit der vagen Aussage, daß man die Symbole nicht "überfrachten" und auch nicht zu sehr vermessen sollte. Eigentlich war das eine Absage an die Interpretationen der kritischen Matriarchatsforschung - denn sie ließ die Lehrbuchmeinungen letztlich doch unangetastet. Wir wollen uns in wissenschaftliche Streite nicht einmischen - noch dazu, wenn es gar nicht um Sachargumente geht. Spontan fiel jedoch die Bemerkung: "WIR sind tiefer in die Problematik eingedrungen als dieser Film."

    Uns selbst war es wichtig, die Impulse aus den Anregungen der neuen Sichtweisen weiterzuverarbeiten.

    Unter dem Eindruck der gemalten Mandalas und des Bildes des Palastes von Knossos sowie der Aufzeichnungen der letzten Diskussionen trugen wir in einem Brainstorming Merkmale partnerschaftlicher Gemeinschaften zusammen:

     

    Gleichwertigkeit
    Lust am Leben

    Gebären
    Frau+Frau/Mann+Mann/Frau+Mann - alles ist in Ordnung
    Geborgenheit
    Kreatives Chaos
    Lachen
    Anerkennung gewachsener Autorität (Weisheit)
    mehrperspektivischer Erziehungsprozeß (z.B. verschiedene Ansichten über Geschichtsverläufe in der Schule vorstellen)
    Leben im Hier und Jetzt
    Verantwortung tragen
    "Anerkennung" des Lebens als Mutter
    Die Familie nicht zu sehr gesellschaftlich belasten - Gemeinwesen
    Ordnung ohne Herrschaft;
    reiches Gefühlsleben
    Entlohnung (nicht unbedingt Geld) für gleiche Arbeit gleich gestalten ,
    Glaube ohne Fanatismus
    Individualität & Gemeinschaft
    Ganzheitliches Lernen an der Schule
    gemeinsame Rituale

    Spaß
    die Natur erhalten
    Erziehung durch Gesellschaft
    Kompetenz vor Macht
    Differenzen fruchtbar machen
    intensive Kommunikation
    offenes Zusammenleben in Gruppen
    große Fürsorge/ Solidarität in der Gemeinschaft
    Tauschringprinzip
    Eigenverantwortung ohne Existenzdruck
    Toleranz (gelebte, nicht nur gesprochene)
    Aggressivität ausleben können;
    Lust

     

    Wichtige Ergänzung:

    Wir kamen auf den Gedanken, daß wir unseren Kindern nicht nur die patriarchalen Umschreibungen alter Mythen und Sagen geben sollten, sondern nach Beschreibungen früherer Erzählarten suchen möchten. Auf der Suche nach Beispielen trugen wir einige Bücher zusammen:

    • A.Lorent: Findegöttin (Es ist vergriffen - hat jemand ein Exemplar für mich übrig?)
    • Tanz der Göttinnen
    • S. Rüttner-Cova: Frau Holle

    Einige Umschreibungen von Mythen als "geschichtliche Quellen aus nichtpatriarchalen Kulturen" (Göttner-Abendroth 1998, S. 142) konnten wir noch zusammentragen:

    • Mythe von Ariadne und Theseus im Labyrinth von Minos (Göttner-Abendroth 1998, S. 189f.)
    • Tannhäuser (Göttner-Abendroth 1998, S. 211f.)
    • Parzifal (Göttner-Abendroth 1998, S. 216f.)
    • Turandot (Göttner-Abendroth 1998, S. 223f.)

    Allerdings sollten wir darauf achten, daß derartige Interpretationen immer einseitig sind. Auch die feministischen Interpretationen tendieren zu einer einseitigen Mythenauswahl- und Interpretation. Wir wissen, daß Mythen kein Spiegel der gesellschaftlichen Realität sind (dazu vor allem Biehl, S. 37f.).

    Beispiele für die Vielschichtigkeit der sozialen Realität und ihrer Beschreibung im Mythos gibt z.B. J. Biehl:

    • Orestie nach Aischylos (S. 36)

    "Unbedachte Versuche die Stammeskultur (mit Blutrache etc.) wiederzuerwecken und die rationale Werte der Polis zu leugnen, wären genauso reaktionär wie der Versuch die Polis als perfektes Modell für eine freie Gesellschaft zu etablieren." (Biehl, S. 44)

    Gleichzeitig sollte auffallen, daß die Hinwendung zu Mythen und zur Göttin zwar grundlegende Bedürfnisse nach nichtrational bestimmten Gefühlen und Erkennntnisformen ausdrückt - gleichzeitig aber dazu führen kann, regressiv und reaktionär zu werden. Hierarchien unter Priesterinnen werden z.B. im allgemeinen durchaus anerkannt und erstaunlicherweise nicht kritisiert! (vgl. z.B. in der Belletristik von M.Z.Bradley bzgl. Avalon und Darkover).

    Auch Sonja Rüttner-Cova warnt vor einer regressiven Identifikation mit der "Mutter Erde", weil diese Mutteridentifikation die notwendige Ich-Werdung verhindert.

    Mit diesem gesamten Thema bewegen wir uns in einem ständigen Spannungsfeld von Faszination gegenüber dem sich eröffnenden neuen Welt- und Menschenbild - aber gleichzeitig des Zurückweisens übersteigerter neuer einengender Denkmuster, die uns auf Einseitigkeiten festlegen würden (wie bspw. das völlige Abwerten des rationales Denken gegenüber mystischen Beziehungen).

     


      "Aber: Woraus speist sich mein Unbehagen bei der Lektüre so mancher Veröffentlichung - auch aus dem Bereich von Archäologie, Frühgeschichtsschreibung -, die sich selbst unter das Prädikat "Frauenliteratur" begibt?
    Nicht nur aus meiner Erfahrung, in welche Sackgasse sektiererisches, andere als die von der eignen Gruppe sanktionierten Gesichtspunkte ausschließendes Denken immer führt; vor allem empfinde ich einen wahren Horror vor jener Rationalismuskritik, die selbst in hemmungslosem Irrationalismus endet. Daß Frauen zu der Kultur, in der wir leben, über die Jahrtausende hin offiziell und direkt so gut wie nichts beitragen durften, ist nicht nur eine entsetzliche, beschämende und skandalöse Schwachstelle der Kultur, aus der heraus sie selbstzerstörerisch wird, nämlich ihre Unfähigkeit zur Reife. Jedoch bringt es der Fähigkeit zur Reife nicht näher, wenn an die Stelle des Männlichkeitswahns der Weiblichkeitswahn gesetzt wird und wenn die Errungenschaften vernünftigen Denkens, nur weil Männer sie hervorgebracht haben, von Frauen zugunsten einer Idealisierung vorrationaler Menschheitsetappen über Bord geworfen werden.
    Die Sippe, der Clan, Blut und Boden: Dies sind nicht die Werte, an die Mann und Frau von heute anknüpfen könen; daß sie im Gegenteil, Vorwände für schreckliche Regressionen bieten können, sollten gerade wir wissen. Es gibt keinen Weg vorbei an der Persönlichkeitsbildung, an rationalen Modellen der Konfliktlösung, das heißt auch an der Auseinandersetzung und Zusammenarbeit mit Andersdenkenden und, selbstverständlich, Andersgeschlechtlichen."
    (Christa Wolf: Kassandra. Vier Vorlesungen, Eine Erzählung. Berlin 1983. S. 153f.)

     

    Und das Allerletzte (von 1994!):

     

    Literatur:

    Biehl, J., Der soziale Ökofeminismus 1991
    Coppens, Y., Geotektonik, Klima und der Ursprung des Menschen, in: Spektrum der Wissenschaft, Dezember 1994, S. 64-71
    Eisler, R., Kelch und Schwert, München 1989
    Gimbutas, M., Die Zivilisation der Göttin, Frankfurt am Main 1996
    Göttner-Abendroth, H., Für die Musen, Frankfurt am Main 1992
    Göttner-Abendroth, H., Für Brigida - Göttin der Inspiration, Frankfurt am Main 1998
    Göttner-Abendroth, H., Die Göttin und ihr Heros, München 1997
    Grünert, u.a.: Geschichte der Urgesellschaft, Berlin 1989
    Lerner, G., Die Entstehung des Patriarchats, Frankfurt am Main 1991
    Miles, R., Weltgeschichte der Frau, München Zürich 1995
    Simon, K., Der Urmensch und seine Umwelt, Naturwissenschaftliche Rundschau, 31. Jg. Heft 9, 1978, S. 376-379
    Rüttner-Cova, S., Frau Holle. Die gestürzte Göttin, Basel 1998
    Weiler, G., Der aufrechte Gang der Menschenfrau. Eine feministische Anthropologie, Frankfurt am Main 1994

     


    Mehr zur Anthropogenese aus kritisch-psychologischer Sicht

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