Modelle in Evolutionstheorien

Frank Richter, Freiberg

Anläßlich einer Konferenz zum Thema "Orient und Okzident" in Graz im Jahre 1992 erarbeitete ich einen Vortrag zum Thema "Die Begegnung von Orient und Okzident in der Wissenschaft", setzte dabei mit der Parallelisierung von moderner theoretischer Physik und indischer Philosophie durch F. Capra ein und kam dann hin zu einer prinzipiellen Diskussion des Themas Modellvielfalt in Bezug auf Entwicklungskonzepte, speziell die Entwicklung der menschlichen Vernunft betreffend. Vgl. den Aufsatz in: Manfred Büttner/Wilhelm Leitner (Hrsg.): Beziehungen zwischen Orient und Okzident (Abhandlungen zur Geschichte der Geowissenschaften und Religion/Umwelt-Forschung, Band 8, Teil 1). Universitätsverlag Dr. N: Brockmeyer, Bochum 1922, S. 315-331.

Slaterdijk hat einmal sinngemäß gesagt, mit Buddhismus kann man zwar keine Lokomotiven bauen, ansonsten kann buddhistische Philosophie sehr wohl befruchtend wirken. Es gibt also offensichtlich verschiedene Bewertungsmaßstäbe, analysiert man das komplexe Phänomen menschlicher Vernunft und seiner Entfaltung. Solche unterschiedlichen Ansätze gibt es sowohl hinsichtlich des Begriffs der Entwicklung bzw. Evolution, wie auch hinsichtlich des Begriffes der Vernunft. Bezüglich des letzteren Begriffs befinden wir uns dann also auch inmitten des Streites um Moderne und Postmoderne wie auch um den Eurozentrismus.

Beginnen wir mit der Entwicklung:

   Entwicklung im starken Sinne. Grundpostulate sind hier im Sinne einer Teleologie "Fortschritt", "Zielbestimmtheit", "Gesetzmäßigkeit der Entwicklung" (E1)

  Entwicklung im schwächeren Sinne. Hier gilt "Fortschritt nur noch im Rahmen einer Beziehung von Notwendigkeit und Zufall. Zielbestimmtheit ist nur noch hinsichtlich einzelner Entwicklungetappen denkbar.(E2)

  Entwicklung im schwachen Sinne, d. h. in der Bedeutung von "Evolution. Ob gesicherte oder erhöhte Systemstabilität und -flexibilität noch als Fortschritt angegeben werden können, ist fraglich. Zufälle leiten neue Entwicklungsetappen ein, von "Determination" kann höchstens noch im Sinne von Möglichkeitsfeldern (Hörz) gesprochen werden. (E3)

Ablehnung von Entwicklung im Sinne eines realen Prozesses. Grudpostulate sind hier die Orientierung auf Stabilität, die Annahme von Formenvielfalt ohne evolutionären Zusammenhang; es dominieren Katastrophen- und Zyklenmodelle bzw. Konzepte von Emergenz. (E4)

In Bezug auf die Bewertung und den Vergleich verschiedner Vernunft- bzw. Rationalitätsbegriffe möchte ich unterscheiden:

  Pluralismus. Die verschiedenen Formen des Denkens sind völlig unabhängig voneinander, es gibt keine Ebene von Übereinstimmungen oder von Konsens. Kompromisse oder Synthesen sind systamatisch ausgeschlossen, die Möglichkeit von Diskursen kann theoretisch nicht begründet werden (selbst wenn sie tatsächlich stattfinden). (R1)

  Pluralität. Die Existenz einer existierenden oder anzustrebenden gemeinsamen rationalen Grundposition in formaler Hinsicht (Möglichkeit und Notwendigkeit von Argumentation, Begründung und Diskussion) und /oder inhaltlicher Hinsicht (Auszeichnung einer bestimmten Rationalitätsform, Rolle der Menschenrechte, Auffassungen zu Mensch-Natur, Mensch-Gott usw.) bei Akzeptanz mehrerer Denkformen. Die Suche nach Gemeinsamkeiten ist theoretisch begründbar. (R2)

  Monität. Schwache Form des Einheitsdenkens, die einen Rationalitätstyp, zumeist die Wissenschaft, favorisiert, aber strukturelle und historische Zusammenhäng mit den anderen Denkformen akzeptiert. Dialog und Lernprozesse sind, freilich asymmetrisch, denkbar. (R3)

  Monismus. Tritt zumeist, zumindest heute, als Scientismus auf, der die unter 1-3 möglichen Vereinbarungen ablehnt bzw. sie als als Ausdruck noch vorhandenen Irrationalismus bzw. von Unwissenschaftlichkeit bekämpft.(R4)

Wenn man will, kann man das alles noch in Gestalt einer Matrix darstellen, und dann den Versuch machen, sich zwischen den möglichen 16 Modellen für eines zu entscheiden.Ich würde mich für E2/R2, gegebenenfalls noch für E2/R3 entscheiden.