Lückenbüßer-Theologie?

 

Frank Richter, Freiberg

 

 

 

Durch eine Diskussion im Internet unter der Adresse http://www.hanspenner.de/dk-lückenbüßer.htm angeregt, habe ich – ausgehend von meiner Seite kosmo1.htm - meine Position zum Thema Lückenbüßer-Theologie noch einmal bestimmt und mit einigen darüber hinaus gehenden Wertungen verbunden.

Der Text ist nicht lang – um so besser, denke ich. Hier ist er:

 

 

 

Lückenbüßer-Gott               

 

Herr Penner meinte, daß der Begriff eines Lückenbüßer-Gottes seinen Sinn verliert, wenn man prinzipielle Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis annimmt und akzeptiert. Lückenbüßer-Gott heißt ja ursprünglich, dass Lücken in der Erkenntnis, etwa fehlende Erkenntnisse zum Urknall, dadurch gefüllt werden, dass man hier göttliches Wirken annimmt. Nun ist es die Frage, ob die Kosmologie überhaupt sinnvoll nach solchen Details, etwa nach den Ursachen für die Größe bestimmter Naturkonstanten, fragen kann und darf.

 

Ja, es sieht zunächst so aus, dass der Begriff des Lückenbüßer-Gottes seinen Sinn verliert, wenn man im Rahmen einer Weltanschaung oder eines Naturbildes Grenzen der naturwissenschaftlichen Erkenntnis einräumt: Dort, wo die Naturwissenschaften gar keine Lücke hinterlassen (können), insofern sie hier gar nicht zuständig sind, benötigt man auch keinen Lückenbüßer-Gott. Wenn der Urknall eine solche Nicht-Lücke darstellt, scheint an dieser Stelle die Rede von einem Schöpfer, der sich in Gestalt jenes Urknalls als Schöpfer äußert, möglich zu sein – ohne dass das die Naturwissenschaften in irgendeiner Weise tangiert. Solche Stellen zeigen sich beim gegenwärtigen Wissensstand vorrangig als Singularitäten und man könnte als Beispiele hierfür neben dem Urknall auch die Entstehung des Lebens wie des Menschen auf der Erde nehmen und akzeptieren, obwohl hier die Sache nicht so eindeutig wie beim Urknall ist: bei diesem wissen wir tatsächlich nichts über eine Zeit und Entwicklung o.ä. vor dem Urknall, und bei gegenwärtigen Erkenntnisstand können wir darüber auch prinzipiell nichts wissen. Bei der biologischen und Humanevolution sind uns jedoch Entwicklungsetappen vor der jeweiligen Singularität bekannt und es fehlt nur der exakte naturwissenschaftliche Nachweis des jeweiligen „Qualitätssprungs“.

Dieser Sachverhalt macht folgende Weiterungen sinnvoll:

-         Theologisch gesehen macht die Konstruktion eines Lückenbüßer-Gottes wirklich eigentlich keinen Sinn, sondern führt auf bedenkliches Glatteis, und dies gar nicht einmal primär wegen der Gefahr, dass man sich dabei vom wissenschaftlichen Fortschritt direkt abhängig macht. Im besten Fall kann man diese Konstruktion als eine Art von Physikotheologie ansehen und diese der Offenbarungstheologie zu- und unterordnen. Es ist aber auch theologisch riskant, konkretere Vorstellungen über den Schöpfungsakt entwickeln zu wollen – etwa hinsichtlich der Wahl bestimmter Naturkonstanten durch Gott bei der Schöpfung u.ä. Wenn ein Gott im Sinne christlicher Religion existiert, dann ist er ein völlig anderes Sein als das Sein der Natur, und für uns ist es dann völlig unergründlich, wie jenes göttliche Sein die Natur hervorbringen konnte, z. B. durch eine Festlegung der Größe von Naturkonstanten.

-         Dennoch ist die Meinung heutzutage nicht unüblich, daß die Naturwissenschaften bessere Beweise für die Existenz Gottes erbringen als die Theologen selbst. Die eben genannten Bedenken werden dabei aber übersehen und Gott quasi als Naturkraft eingesetzt. In einem schwächeren Sinne wird festgestellt, dass Naturwissenschaft und Theologie immerhin nicht mehr als unvereinbar gelten können.

-         Insofern macht es eher Sinn, wenn Theologie nicht einzelne Erkenntnisse oder Ereignisse theologisch reflektiert, sondern die Existenz von Gesetzen, von Ordnung u.a. im Universum generell. Karl Heim versuchte, eine zusätzliche Begründung für Gott aus den spezifischen Eigenheiten der nichtklassischen Physik zu gewinnen und diese in einen prinzipiellen Gegensatz zur materialistischen Philosophie zu bringen.

-         Aus wissenschaftlicher Sicht sind die heute bekannten Grenzen naturwissen­schaft­licher Forschung, sofern sie wirklich in den Gegenstand der Naturwissenschaften fallen, nicht unbedingt absolut. Selbst das Standardmodell der Kosmos-Entstehung pr Urknall ist ja nicht absolut unumstritten. Vorschnelles Setzen und Akzeptieren von Erkenntnisgrenzen hemmt wissenschaftlichen Fortschritt.

-         Naturwissenschaftliche Erkenntnisgrenzen sind häufig dadurch bedingt, dass die jeweiligen Probleme im Grenzgebiet verschiedener Wissenschaftsgebiete, speziell auch an Geistes- und Gesellschaftswissenschaften angelagert, ihren Ort haben. Das würde  insbesondere die Menschwerdung betreffend, die wenigstens genau so sehr ein Thema der Kultur ist wie eines der Natur.

-         Dort, wo spezielles Wissen über Natur und Gesellschaft versagt oder nicht verfügbar ist, steht uns möglicherweise das philosophische Instrumentarium zur Verfügung – darunter Überlegungen zu den Themen Gesetz, Zufall und Kausalität, Erhaltungssätze, Bewegung, Materie, die sich um eine Erklärung der Welt bemühen, die ohne die „Hypothese Gott“ (Laplace) auskommen will.

-         Üblicherweise werden solche Positionen mit den Ausdrücken Atheismus und Materialismus bezeichnet. So richtig es ist, dass die Vorstellung, diese Positionen seien direkt aus der wissenschaftlichen Denkweise hervorgegangen und als einzige mit dieser kompatibel, als überholt gelten kann, so richtig ist es aber auch, ihre Bedeutung und heuristische Funktion für jene zu betonen – auch und gerade unter den gegenwärtigen Bedingungen.

-         Gelegentlich wird von einer Patt-Situation gesprochen: religiöse und materialistische Philosophie können ihre Grundprinzipien (Gott, Materie) aus den Naturwissenschaften genau so gut oder genau so schlecht herleiten.

-         Es kann aber auch argumentiert werden, daß die Theologie in einer günstigeren Position ist: Die These von Gott als Verursacher des Urknalls stellt keinerlei Anforderungen an die Kosmologie, wogegen die materialistische These von einer zeitlichen Unendlichkeit des Weltalls völlig neue kosmologische Theorien erfordert.

-         Es kann aber auch argumentiert werden, dass die Atheisten und Materialisten in einer besseren Position sind: Zwar bleiben bestimmte Ereignisse unerklärt, aber damit ist weiterer kosmologischer Forschung ein unbegrenzter Horizont eröffnet.

-         Hinzukommt, dass materialistische Positionen, etwa zur Unendlichkeit der Welt, oftmals immer noch an Vorstellungen aus der klassischen Physik gebunden sind. Löst man diese Verbindung und akzeptiert Grenzenlosigkeit des Universums (Hawking) als Form von Unendlichkeit, dann ist die alte Forderung von natura causa sui erfüllbar.

-         Ob man diesen so gefassten Kosmos als gottgegeben oder rein naturgesetzlich bestimmt ansieht, bleibt letztendlich unentscheidbar, obwohl sich für jede Position Argumente angeben lassen. Deren Akzeptanz ist jedoch nicht zwingend.

 

Damit – wobei wir uns zunächst auf unseren westlichen Kulturkreis beschränken ­– entsteht die Frage nach der Relevanz dieses Problems für allgemeinere weltanschauliche Problemstellungen, etwa nach dem Sinn des Lebens, nach der Verantwortung des Menschen für die Natur usw. Der wichtigste Zusammenhang ist dabei wohl der, daß klar geworden ist, dass weder theologische noch nicht-religiöse Konzepte allein die globalen Probleme der Welt lösen werden oder aber deren Lösung verhindern (können). Das gemeinsame Interesse muß dominieren. Dabei kann man davon ausgehen, daß nicht-religiöse Welt- und Moralauffassungen die Forderungen der Bergpredigt durchaus aufgenommen und verarbeitet haben und die Marxsche These vom Menschen als dem höchsten Wesen für den Menschen gar keine absolute Konfrontation zur Religion darstellt. Denn: ein existierender Gott sollte den Menschen auf Erden nicht aus seiner Verantwortung entlassen haben, und die Textstelle aus der Internationale, dass uns kein Gott, Kaiser noch Tribun aus unserem Elend erlösen wird, sondern dass wir dies selber tun müssen, dürfte also auch in religiösen Ohren gar nicht so furchtbar klingen, wie er natürlich zunächst klingen muß.