Rüdiger Lutz:

Leading Edge Schamanin Michele Marie (MM) im Metalog mit Rüdiger Lutz, Co-Founder von Future Lab und Zukunftswerkstätten über Futurologie und Psychiatrie, Neuropsychologie und soft-high-tech in der planetaren TranCeformations-Epoche.

MM: Rudy, I asked myself where in the world is not Carmen Sandiego, but where is Rudy? Now what the heck are you doing in a psychiatric institution? Are you gone crazy - or what? äh- auf deutsch:
Was machst Du in der Psychiatrie und warum nennst Du den Ort Corcoran, das ist doch eigentlich unser State-Prison in Sonoma County und zwar ein Hochsicherheitsgefängnis für Schwerstverbrecher?

R.L.: Ja, das hatte ich auch vor Augen, als ich hierher in die Sozialpsychiatrie kam, offiziell ist das natürlich kein Gefängnis, aber mir kam es so vor und so nahm ich CORCORAN als Metapher für meine Situation und als weiteres, achtes Zukunfts-Szenario in meinem Futurologie-Kanon möglicher Zukünfte, denn viele gegenwärtige Entwicklungen deuten darauf hin, dass wir gesellschaftlich in eine derartige Zwangsstruktur kommen.

MM: Erstmal, warum bist Du hier? Und zweitens, wer steckt Dich, einen unbescholtenen Futuristen in ein Heim - oder hast Du irgendwo eine Revolution angezettelt - man weiss ja nie bei Dir - oder?

R.L.: Oh bitte, Du weißt es ja, aber es war gar nicht so leicht, wieder Kontakte aufzunehmen, schliesslich wurde ich durch Gerichtsbeschluss "geschlossen untergebracht", hatte kein Internet, nicht die gewohnte Infrastruktur und Möglichkeit zu kommunizieren - ich war einfach "weg vom Fenster", in jeder Hinsicht. Meine Basis in Freiburg wurde aufgelöst und ich in ein Heim verbracht, alles ohne meine Einwilligung und Zustimmung. Ich war allein (X-mas time), hatte also mein übliches Sozialschutzschild nicht und wurde nun aufgrund des "Eigengefährdungs §§§" zum Selbstschutz interniert.

MM: Aber Du hattest doch ein vierköpfiges Feminat in Deiner Zukunftswerkstatt, haben die Dir nicht geholfen?

R.L.: Tja, die musste ich rauswerfen, wahrscheinlich mein Fehler - aber das waren keine Göttinnen, sondern diebische Elstern, die mir den letzten Nerv und was dazu gehört, raubten.

MM: Man kann Dir nicht nehmen, was Du sowieso nicht mehr hast - Du warst wahrscheinlich leichtsinnig und zu gutgläubig.

R.L.: Ja - so spricht die Gurini ganz weise - aber ich war einfach in einer existentiellen Krise. Kann man nicht einfach mal down sein und in Ruhe gelassen werden? Nein da kommt ein Sozialbetreuer und übernimmt den ganzen Laden, bevormundet mich und schickt mich in die Wüste - eben in ein Corcoran. Das jedenfalls vermochte in meinem Fall die zuständige Amtsrichterin und ihr Vollstrecker (sprich: Sozialbetreuer) ganz alleine zu bewerkstelligen. Für mich eine kafka-esque Situation: Kein Prozess, kein Vetreidiger oder Fürsprecher, keine Klage (es gab keinen Vorfall oder Straftat), aber sehr wohl einen richterlichen Beschluss mit der Folge von Freiheitsentzug und Internierung in einer sozialpsychiatrischen Einrichtung nach Wahl meines Betreuers (nicht meiner).

MM: Du hattest ja schon öfter Erfahrungen mit Autoritäten, Behörden und Companies gemacht- ich weiss noch gut wie Du nach Deiner CEO-Zeit bei der Firma Wilkhahn recht geschafft (besser:fix-und-fertig) zu uns auf die Farm nach Carmel kamst, da ist der Innovationsökologe auch an seine Grenzen gestossen!

R.L.: Und wie - dabei hat die Firma danach noch den Deutschen Umweltpreis erhalten, durch meine Vorarbeit - aber ich war draussen und musste mich erst mal in California erholen. MM: Hattest Du auch bitter nötig, bist aber trotzdem dann weiter nach SF in die Bay Area emigriert zu Deinen dortigen FreundInnen.

R.L: Na-ja, aber ich war doch nicht weit. Remember Mendocino?

MM: Natürlich - aber schweif nicht ab! Du hättest eine längere Auszeit in Carmel-Valley bitter nötig gehabt, wolltest aber so schnell wie möglich in die City on Rock und zu Cal und den Freaks der hyperswinging nineties, zu Terence (McKenna) und Fritjof (Capra) zu Charlene und Barbara, sowie auch Deinen Systems-Gurus Churchman, Meier, Cranz und wie sie alle heissen - Du warst wieder voll auf dem West-Coast Trip, hast von San Diego, LA bis SF, Santa Cruz bis Vancouver alles abgegrast, was fruchtbar für den Futuristen war - eben am leading edge unserer Welt.

R.L.: Halt - ich war noch ein Stück weiter, nämlich in Hawaii, und das ist wirklich westlicher als California und eben nicht nur ein Aloha-Hula-Paradies, sondern tatsächlich ein East-West Center im Pazifik, das auch beste Connections zum Osten, also Asien, China, Japan und den Philipinen hat. Terence McKenna hat da auch seinen Botanischen Garten mit vom Aussterben bedrohten Pflanzen, die er für die Zukunft rettet, leider kann er es nicht mehr betreuen, was da gedeiht.

MM: Ja viele sind gestorben aus der Gründergeneration des neuen Paradigmas. Gregory Bateson hatten wir ja auch noch in seinen letzten Jahren in Esalen, Alan Watts, J.Z., etc., aber viele leben auch noch, Albert Hofmann wird jetzt 100!

R.L.: Der lebt im Nachbardorf, als ich in der Schweiz wohnte trafen wir uns immer beim Einkaufen im Lädli, er hat ja viel ausgelöst mit seinem Sorgenkind, das erinnert mich auch an Tim Leary, den ich zuletzt in Davis sah und irgendwie erscheint mir meine Situation wie seine in den sixties - aber "Staatsfeind No 1" genannt zu werden (durch Nixon) kann mir ja wohl nicht passieren - aber ich habe auch nicht gedacht, dass mir Iberg passieren kann.

MM: Let go, wir sind in einem anderen Jahrtausend, aber Rückschläge, flashbacks und slips gibt es in der Geschichte immer wieder. Irak und Tibet/China sind auch nicht gerade Neuland der kulturellen Evolution. HIStory dominiert immer noch vor HERstory, wie es aber z.B. Charlene Spretnak in ihrem letzten Buch "missing Mary" richtig zu stellen versucht.

R.L.: Ja, sie und die neue ganzheitliche, feministische Spiritualität waren auch für mich ein Turn-on in den 70er und 80er Jahren, wir haben damals gemeinsam an den FrauenZukünften (ÖkoLogBuch 3) gearbeitet. Damals waren in Deutschland die Geschlechterfronten noch so verhärtet, dass die Münchner Frauenoffensive das Buch boykottieren wollte, weil es von einem Mann herausgegeben wurde - Charlene hat sich darüber sehr amüsiert.

MM: Und umgekehrt hat sie den Amerikanern mit "Green Politics" gezeigt, dass in Deutschland schon ökologischer politisch gedacht wurde als bei uns in Uncle Sam's Mickey-Mouse-Nation. R.L.: Wir besuchten zusammen die frisch gebackenen Grünen im Bonner Raumschiff, Petra Kelly und sie wurden gleich herzensverwandte Freundinnen, Joschka und die Öko-Machmachos waren damals noch nicht so im Vordergrund.

MM: Siehst Du - wieder so ein anachronistischer Ausrutscher der eigentlich progressiven Entwicklung - das ist bis heute so und wirft uns dauernd zurück, aber Frauen-Power ist nicht zu bremsen - Hexen können nämlich fliegen.

R.L.: Ich weiss - ich habe Cillie Rentmeister fliegen gesehen und kenne die Kraft, die in ihr steckt und mit Hazel Henderson und Barbara Marx-Hubbard sind zwei wichtige Futurologinnen in die Zukunftsforschungselite gestossen, die z.B. damals den Giganten Herman Kahn leicht aushebeln konnten, die Männerdomäne Zukunft und Fortschritt emanzipierte sich von ihren Vätern. Auch Jane Fonda hat mich beeindruckt, wie sie ihr Barbarella-Image abstreifte und zu Hanoi-Jane und dafür von Hollywood geächtet wurde, aber mit Aerobic und CNN-Turner hat sie es dann wieder geschafft. Sie hat auch das Integral Urban House des Farrallones Institute gefördert, worin ich damals in Berkeley lebte.

MM: Die Welt ist klein, so fühl ich's immer wieder und jetzt mit den winzigen Mikros, iPods und Nanobots kommen wir in eine Dimension, die den Begriff "feinstofflich" ganz imaterialisiert: Shiva tanzt jetzt in der Technik wie in der lebenden Struktur, Blavatsky und Lady Ada Lovelace waren die ersten Systemprogrammiererinnen, jede auf ihre Art und Strickmuster.

R.L.: Dabei wundert mich trotzdem, dass in der Hackerszene und der Computeruser und -producer hauptsächlich Männer zu finden sind. Annette z.B. ist mit ihrer Zukunftswerkstatt Jena eine rühmliche Ausnahme und sollte Vorbild sein für alle Systemveränderinnen und solche die es werden wollen. Wir brauchen noch ein paar richtige "Häcksen" (so werden die Hackerinnen im Teuto-Cyberfem-Slang genannt), wie Cillie oder Laurie.

MM: Die gibt es ja schon, aber nicht immer gleich in der Auslage, Du weißt. Frauen kommen langsam, aber.................

R.L.: Das mit der Langsamkeit habe ich dieses Jahr begreifen müssen. Instant reply gewohnt, wurde ich ins Postkutschepzeitalter zurückgeworfen, snail-mail statt e-mail, Manuskript statt Hypertext, Blues statt HipHop, slow motion statt fast-larie. Diese Entschleunigung bis zum Nullpunkt mag manchmal nötig sein, aber Stillstand kann auch tödlich wirken. Gerade die Teilchenphysik zeigt uns ja, dass es keine gibt, wenn das System sich nicht rührt. Erst durch die Bewegung kommt die Wirklichkeit zustande - die Veränderung gibt die Information, dass da etwas war/ist, ein Ruhezustand ist das Nichts.

MM: Willis Harman hat mit seinem Noetics-Institute dieses Nichts zum Forschungsgegenstand gemacht und Marilyn Ferguson hat diesen Ansatz in ihrer "sanften Verschwörung" poularisiert.......

R.L.... und wurde dafür fast als CIA-gesteuerte Hexe verbrannt. So habe ich es wenigstens in Hamburg erlebt, als sie ihr Buch vorstellen wollte. Überhaupt diese Verschwörungstheorien: Nichts und Niemand ist vor diesen Inquisitoren des Medienzeitalters sicher, jeder kann Opfer einer Verleumdung werden.

MM: Das sind wir Hexen ja gewohnt und leben damit. Seit dem Orakel von Delphi sind wir aber auch notwendige Beraterinnen und Begleiterinnen im gesamten Zukunftsentwicklungsprozess - ohne Frauen läuft gar nichts.

R.L.: Das merke ich jetzt in meiner Situation: Eine Frau war der Auslöser, eine brachte mich völlig zum Ausrasten und eine Amtsrichterin beschloss meine Einweisung - und jetzt komme ich durch eine Anwältin hoffentlich bald aus dieser Misere heraus und das auch nur weil eine Zukunftswerkstattfreundin mich überhaupt wieder in Netzwerkmodus brachte - und dann kommst Du dadurch - aus dem Nichts.

MM: Na, sooo klein ist Carmel by the sea nun auch wieder nicht, jedenfalls hast Du es auch nicht übersehen können.

R.L.: Habe ich auch nicht, jeder muss da durch, wer die Highway 1 rauf oder runter fährt

MM: Tja, das Netz ist nun wirklich überall, anders hätte ich von Dir nichts gehört, Du warst verschwunden - lost in space.

R.L.: Das habe ich gemerkt. Meine (handschriftlichen) Schreiben in snail-mail Format wurden überhaupt nicht registriert oder ernst genommen: STERN, SPIEGEL, FOCUS, selbst BILD haben nicht reagiert, wer aus der Psychiatrie schreibt, ist buchstäblich abgeschrieben. Auch "alte Freunde" antworteten nicht. Nur wenige stellten sich als echte Wohltäter heraus und begannen aktiv zu werden - nur im Netz präsent zu sein genügt eben auch nicht, ohne den persönlichen Draht gibt es keine Resonanz und somit keine Wirkung, das System kann unheimlich kalt bleiben.

MM: Dabei ist die ganze Sache wirklich heiss, es geht um die Vulnerabilität und Failabilty des Systems überhaupt und wo die Grenzen dissipativer Strukturen sind, wann sie ihre Kohärenz gänzlich verlieren und sich also einfach auflösen.

R.L.: Das ist der Paradigmenwechsel, den wir meinen, the system goes hyperbole und wird obsolet. Hinterher hat das jeder gewusst, aber im Moment der TranCeformation ist für viele der Wandel nicht erkennbar, schon gar nicht erklärbar. Die neue Unübersichtlichkeit ist für den ertrinkenden Schwimmer fremd, er ist noch kein Taucher.

MM: Und kein Flieger oder Vogel. Schamanen und Hexen aber können fliegen und bewegen sich somit in anderen Welten. Du aber hast Dich runterziehen lassen und den Trickstern und Schimären das Feld überlassen - die füllen aber jedes Vakuum, das sich ergibt und spuken nicht nur in den Köpfen, sondern auch den leeren Räumen herum - it's halloween, dear - sorry! Ja- und das wars wieder mit der Computerzeit, den Rest muss ich von Hand und Kopf rekapitulieren und skribbeln.
Also MM fragte nach den nächsten Schritten und meinen Konsequenzen bzw. Lehren aus dem Schlamassel 2005 - whatīs next?

RL: Erst muss ich klein anfangen (think and act locally) und mich um meine kranke Mutter kümmern, dann meine nächste Basis finden, was aber möglich sein müsste. Du weißt, wo ich bin ist Future Lab/ZW - aber ich kann nicht überall sein. Der reale Freundeskreis ist wer/wo/was zu finden und die Unruhe wächst nicht nur bei mir. ZW-Freiburg ist perdu, und von Louisiana bis Texas etc. tobten Katrina und Rita sich aus. Future Lab Houston steht auch im Wasser. Wenn jetzt noch BigOne (Erdbeben) in San Francisco kommt, passt alles zusammen - der nächste Crash der Novelty Curve ist zu erwarten. Die TranCeformation wird eben unheimlich, undynny und bitter. Da verspricht Corcoran sogar Sicherheit und (Todes)stille, die Dämme werden höher gebaut und die persönliche Freiheit minimiert - "freedomīs just another word for lothing left to loose" sang Janis Joplin und trank den Bourbon aus, während John Lennon "Imagine" intonierte - Woodstock war auch nur ein Schlammfeld.

Flashback: 1953 wurde ich geboren, als Watson und Crick die DNS entschlüsselten, mithilfe des 1943 von Albert Hofmann syntetisierten LSD und ich "sah" die Doppelhelix in den siebziger Jahren als Grundstruktur der Zukunftswerkstatt in einer "Vision", die ich später mit Ketamin und LSD wiedersah. Das war schwer zu kommunizieren, aber in meinen durchgeführten Zukunftswerkstätten haben es doch viele gespürt, was gemeint ist, wenn ich von Ablaufspirale, Helixmodell und Tensegritätsmustern sprach - dies waren keine abstrakten Methoden-Diagramme, sondern Gestalten, morphogenetische Felder von Erlebnisinhalten, die man intuitiv erfasste - oder gar nicht. Die Zukunftswerkstatt ist ein Zeitausschnitt in einem andauernden Lauf der Dinge, wo stroboskopartig Momente individueller und kollektiver Befindlichkeit erfaßt werden zum Zwecke ihrer eigenen Transformation. Es ist die bewußte Entfaltung der alltgälichen Schizophrenie in konzentrierter (Seminar-)Form:

Das Grundprinzip ist so einfach und selbstverständlich, daß es ohne Dogmatik und Exegese ihres Ursprungs auskommt - es wird durch seine Anwendung klar. Es ist ein Lernen wie bei Fahrrad fahren oder schwimmen/tauchen, es geht einfach so... Just do it!
Die Interferenz-Resonanz wirkt wie die beiden gleichschwingenden Stimmgabeln im Grundkurs "Physik für Dummies".

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- Diese Seite ist zu Gast im"Annettes Philosophenstübchen" 2005 - http://www.thur.de/philo/gast/ruediger/lutz10.htm -