Rüdiger Lutz:

Vektor 2012
Future Lab project in progress - eine Zukunftswerkstatt in permanenter Gründung

Einen Vektor kennen wir aus der Mathematik und der Biologie, es ist ein Medium mit Richtung und Kraft. Für Schiffe ist das Wasser, die Meeresströmung ein Vektor, für das HIV-Virus ist es das Blut und andere Körperflüssigkeiten. Mit der Information sieht es noch komplexer aus; Information ist selbst ein Vektor für Inhalte und Wissenseinheiten, aber es braucht wiederum ein Medium, um transportiert zu werden, die dann den übergeordneten Vektor Intelligenz bedienen.
Intelligenz-, bzw. Bewusstseinserweiterung ist deshalb ein Fokus für den Vektor, den die ZukunftsWerkstatt/Future Lab als Medium für die gesellschaftliche Progression beeinhaltet. Die "2012" ist lediglich als vorläufige Hausnummer auf dieser Strasse in vielfältige Zukunftspotentiale zu sehen. Dennoch hilft die "novelty curve" bzw. "timewave zero" nach Terence McKenna bei der Orientierung im eigentlich zeitlosen Raum der Zukünfte, die wir selbst produzieren.
Nach den bisherigen Eigentumsgütern Land, Infrastrukturen und Industrieprodukten wird inzwischen die Verfügungsgewalt über Information zur zentralen Entscheidungsvektoralität unserer globalisierten Gesellschaft. Die Allokation von Produktion und Arbeitskraft, von Kapital und Ressourcen ist eine Domäne der Informationstechnologie.
"Information muss frei sein" postuliert deshalb der engagierte Reality-hacker und zeigt auch durch seine Hacks, wo sie es nicht ist, bzw. wer darüber verfügt und damit den Rest des Spiels bestimmt. Die neue Klasseneinteilung ist deshalb zwischen Informationsreichen und den Informationsarmen, den vom Verteilungskampf ausgeschlossenen desinformierten Menschen. Hierbei gilt es auch die Unterscheidung zu machen zwischen den Vektoren, auf denen die jeweiligen Informationen reiten. Information ist nicht gleichzusetzen mit Intelligenz. Durch die massenhafte Verbreitung von elektronischen Medien sind wir zwar alle überinformiert, aber oft ohne den blassesten Schimmer einer Ahnung, was tatsächlich läuft. Intelligente Vektoren verlangen nach kompetenten Surfern, die die Spreu vom Weizen trennen können und im alltäglichen Info-Müll die wertvollen Schätze erkennen.
Die Zukunftswerkstatt soll als Medium bzw. Vektor diesen Lernprozess zur innovativen Intelligenz ermöglichen, indem sie nicht nur quantitativ relevantes Wissen verbreitet, sondern ein progressives Denken und Handeln evoziert. Dabei wird sie selbst zum hacker existenter Systeme und scheinbar selbst zum TranCeformator ihrer jeweiligen Form. Bildung und Erziehung spielen in diesem Zusammenhang eine hervorragende Rolle. Wenn diese aber zum Konservatorium oder zur Konserve (CD-ROM o.ä.) degenerieren, ist eine produktive Progression nicht mehr möglich. Sie wird obsolet.
Es ist kein Zufall, wenn die Innovatoren unserer high-tech-avantgarde drop-outs der Elite-Hochschulen waren, weil sie einfach schon weiter waren als der Rest, also auch der Lehrenden. Das heisst nicht, dass sie nicht mal zurück kommen zu ihrer "Alma Mater" (wie geschehen bei Stephen Wozniak, der seinen Science-degree nach 15 Jahren Apple-Karriere nachholte), aber solche Pioniere der mikro-elektronischen Revolution sehen Zukünfte, wo andere nur Antiquitäten bewundern. " Wer kann schon in BASIC hacken?" war ein klarer Lacher im home-brewing computer club in silicon valley, Palo Alto.
Zur gleichen Zeit wurde Timothy Leary, Psychologie-Professor, von der Harvard University gefeuert, weil er mit seinen Studenten LSD erprobte und über Bewusstserweiterung dozierte. 2004 publizierte McKenzie Wark an eben dieser Universität sein "Hacker Manifesto" im hauseigenen Verlag und schrieb damit über 100 Jahre nach Marx ein kontemporäres Pamphlet der heutigen Lage der arbeitslosen Klasse (oder wie es in irischen Pubs heisst: "Work is the curse of the drinking class"). Die Hartz IV Opfer gedenken der Grossmut ihrer Verweser. Arbeit ist als Attraktor aus dem realen Sicherungssystem verschwunden und zum notwendigen Übel der Gesellschaft geworden. Auch die verschiedensten Umbenennungen in Ich-AG, neue Selbständigkeit und Future Jobs können nicht vor der Tsunami-Welle der Arbeitslosigkeit ablenken.
Jahrhunderte wurde danach gestrebt, Arbeit zu erleichtern, die Produktivität zu erhöhen und letztendlich die Arbeit insgesamt abzuschaffen. Nun ist dies in den hochentwickelten Industriegesellschaften tatsächlich eingetroffen - und erschreckt muss die Arbeiterklasse feststellen, dass es sie nicht mehr gibt. Stattdessen gibt es die zwei Kulturen, eine systemimmanente, tragende Kaste von Besitzenden und Verfügenden, und die externalisierte Kaste von Randständigen, Sozialhilfebedürftigen, drop-outs und outlaws. Dabei bilden die Externalisierten die quantitative Mehrheit, sind aber nicht so organisiert und ressourcenbewusst wie die systemimmanenten Kräfte.
Das System selbst stabilisiert sich durch kontrollierten Zugang von "man-power", der Faktor Arbeit und Mensch wird nämlich immer noch gebraucht ("der Mensch ist unser Kapital"), aber in richtiger Dosierung und passender Qualifikation - die Mehrheit ist deshalb entweder über- oder unterqualifiziert, Was benötigt wird sind flexible, mobile, angepasste MIT's (men-in-time), die richtigen Leute zur richtigen Zeit am richtigen Ort, kurz "Vagabunden", deren Allokation durch globale Steuerungsinstrumente geregelt wird. Eine Arbeitseinheit kann deshalb von Bayern bis nach Shanghai vagabundieren, gemessen und vergütet in EURO, $, Yen oder Krüger-Rand. Wer dieses Schleudertrauma auf der globalen Achterbahn nicht verträgt, muss zwangsverwaltet oder re-habilitiert/re-sozialisiert werden.
Terrotoriale Grenzen spielen dabei genausowenig eine Rolle wie kulturelle und traditionelle, gewachsene Strukturen. Solche Barrieren werden überrannt durch den Vektor "Sachzwänge", die dann auch den Auf- und Ausbau weltweiter Corcorans rechtfertigen. Die Angst vor ökonomischer und sozialer Destabilität: Kriminalität, Unterversorgung, Notlage, Krankheit fördert die Sucht nach "sicheren Häfen", wie es heute die Reichen in ihren Refugien schon vormachen. Wie in Rio de Janeiro oder vielen anderen Weltstädten krasser, sozialer Gegensätze entstehen Ghettos, räumlich oft durch Mauern oder Abstände gekennzeichnet, wo deutlich wird, wer "innen" und wer "draussen" ist. Was dabei Gefängnis, und was Freiheit bedeutet, ist jeweils recht verschieden.
Entscheidend ist die Grenzziehung, die Osmose und Permeabiltät der Trennlinie. Die Asylanten sind z.B. die typischen Grenzgänger solcher Systeme, sie sind die eigentlichen hacker mit einem klaren Vektor: Von der Unsicherheit und Gefahr in die vermeintlich sichere Zone von Sicherheit und Freiheit. Dies kann aber auch eine reine Illusion sein, und ihr Ausbruch ist eigentlich ein Einbruch in ein geschlossenes System. Corcoran gibt sich nicht unbedingt als Gefängnis zu erkennen. Längst sind die Fesseln subtiler und virtueller geworden: Kreditkarten und Pässe (Durchgangserlaubnis) "access numbers and codes" zeigen heute den jeweiligen Freiheitsgrad an. Der Wächter steht nicht mehr vor der Tür, sondern ist als "Big Brother" (Video-Überwachung) im Haus und im All (GPS). Diese Fire-Walls sind schwerer zu durchdringen als einen Tunnel aus oder in das Gefängnis zu graben. Die Berliner Mauer war gefallen, als telefonisch und informatorisch die gedankliche, geistige Freigabe Erfolgte, der Rest war rituelle Formsache.

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