Rüdiger Lutz:

Wider den Methodenzwang (vgl.Paul Feyerabend "Against Method") hin zu einer Ökologie des Geistes (Gregory Bateson "Steps to an Ecology of Mind")
- über den Methodenstreit bezüglich Zukunftswerkstätten

Innerhalb der Zukunftswerkstatt-Gemeinde, und darüber hinaus gab und gibt es seit Jahren eine lebendige Diskussion über die Methodik und die angewandten Methoden in der ZW. Das ist gut und richtig, sollte aber nicht zu einer Dogmatisierung und Handlungseinengung, sowie einer Verzettelung in einem überzogenen Methodenstreit enden. Bateson meinte mal auf die Frage, welche Methoden er eigentlich verwende: "Wir sind erfahrene Wissenschaftler, Methoden sind für Anfänger". Das sollte nicht heissen, dass keinerlei Methodik hinter seiner Arbeit steckt, sondern dass er über genügend Kompetenz verfügt, um problemgerecht die jeweils adäquate wissenschaftliche Vorgehensweise zu wählen bzw. zu entwickeln. Im Vordergrund steht dabei nicht eine bestimmte Methode, sondern das grundsätzliche Prinzip bzw. die erforderliche epistemologische Struktur einer Untersuchung.
Für die ZW gilt dies sinngemäss: Wer das Prinzip verstanden hat, kann auf vielfältige Weise mit der ZW umgehen. Bei Jungk war es seine Persönlichkeit, die die jeweilige ZW prägte und die Methoden wurden als das gesehen, was sie auch sein sollen, nämlich Hilfsmittel und Instrumente zur Meisterung der gestellten Aufgabe und nicht das blosse Erfüllen eines Katalogs oder Tests, ganz wie schon Heraklit sagte: "Lernen ist nicht das Füllen eines Eimers, sondern das Entfachen eines Feuers".

Dies bringt uns auch zur Rolle des Paradigmas und welche es spielt in der ZW. Die Zukunftswerkstatt kann als Übungsfeld und "Tatort" des Paradigmenwechsels gesehen werden. Gegenüber einer rein dialektischen, polaren Vorgehensweise (+/-=0) werden in der ZW alternative, multiple Zukünfte entwickelt, die unterschiedlichen Paradigmen zuzuordnen sind bzw. aus ihnen hervorgehen. Dafür ist ein mehrmaliges Umdenken bzw. Neusehens erforderlich, mit immer wieder veränderten Perspektiven und Dimensionen. Es genügt also z.B. nicht, die Aspekte der Phase I in der II. Phase einfach umzudrehen, ein solches schwarz/weiss-Bild ist ja gerade ein viel zu oft benutztes Schema konventioneller Methoden. Probleme werden dabei eindimensional negiert und bekämpft, aber nicht gelöst. Deshalb kommt der Katharsis in der I. Phase neben der reinen Kritik-Artikulation eine so grosse Bedeutung zu.
Erst durch den Tiefgang durch das Tal der Mühen und Ängste, Barrieren und Hindernisse wird das System und der Problemzusammenhang deutlich. Wichtig sind die Beziehungen, nicht die einzelnen Elemente des Gesamtsystems.

Wie in der Traumdeutung und Psychoanalyse kommt es nicht so sehr auf präzise Details an, sondern auf ihre Bedeutung im Gesamtzusammenhang ("manchmal ist eine Zigarre eben nur eine Zigarre" - auch bei Freud). Die Grundschwingung und Stimmung machen den Tanz, so wie die Materie letztendlich gar keine Grundbausteine, unteilbare Atome hat, sondern erst in ihrem Bewegungsmuster ein Objekt "darstellt", so ist jedes System nur in seiner wirksamen Form erkennbar. Erst aus dieser Einsieht heraus können die Fantasien und Utopien der II. Phase erwachsen. Ihre Multidimensionalität entspricht dann dem durch den reinigenden Effekt der Katharsis erreichten Grad der Problemdurchdringung. Dabei kann sich ganz natürlich z.B. auch ein Wandel des Themas bzw. der Eingangsfrage ergeben, oft ist es eine kontextuale Systemerweiterung ("Wir begannen mit Kindergarten und jetzt sind wir bei Landwirtschaft gelandet" - warum nicht?). Das jeweilige Paradigma muss nicht unbedingt explizit sein, es genügt, wenn es von den Teilnehmern gefühlt und verstanden wird - man muss ja auch Musik nicht als Musikrezensent erleben, sondern kann sie einfach geniessen. Diese ästhetische Qualität der Radianz eines Paradigmas steht im Vordergrund der Phase II, wie bei Albert Einstein "Erst kommt die Intuition, Erklärungen folgen später". Vereinfacht ausgedrückt: Je tiefer man in der LPhase das System ergründet, desto grösser sind die Höhenflüge in der II. Phase und die sich daraus entfaltenden Zukünfte.

In der Phase III werden die gestalteten Visionen, Utopien und Langfristziele dann nicht einfach wieder "auf den Boden der Realität" zurückgeworfen, sondern in der nun gewonnenen Systemsicht in einer integralen Synthese aus I und II planerisch präzisiert. Zu den ersonnenen Zukunfts-Räumen kommt nun die Zeit-Dimension hinzu, die Ideen, Akteure und "trigger" werden verortet und vernetzt, bis es tatsächlich "Hand und Fuss" hat. Hier ist eine besondere Form von Intelligenz gefragt, die der Hacker-Philosophie unserer Gegenwart ähnelt, aber natürlich schon zu allen Zeiten vorhanden war (die Erfindung des Papiergeldes war ein solcher "hack", wie auch die Telegraphie oder die Ehe, um eine soziale Erfindung zu nennen). Aber es geht nicht nur um derartige umwälzende Innovationen der Geschichte, sondern eben auch um die kleinen Schritte in die richtige Richtung, die sich dann evolutionär im Gesamtsystem entfalten. Dazu gehört auch Interferenz-Kompatibilität der erstrebten Szenarios, d.h. wie die Wechselwirkung mit dem wahrgenommenen, vorhandenen Systems eingeschätzt wird. Selbstverständlich ist der ZW-Beteiligte ein "Systemveränderer" und muss sich auch als solcher verstehen, ansonsten hat er keinerlei Bedeutung, aber er muss seine Interferenz- und Einflussmöglichkeiten klar einschätzen können und nicht illusionär überheben - das wäre Selbstbetrug (virtual suicide), und dem Gesamt-Vektor ZW wenig nützlich, sondern eher abträglich. Die ZW ist eine Herausforderung der Vernunft, so wie C. West Churchman auch seinen systems approach sah und Karl R. Popper seine Logik der Forschung verstand.

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