Werner Braeuner:
Teil I von "Gewalt, Arbeit, Sexualität" war mit "Arbeit, Wert, Gebrauchswert" überschrieben. Mit Moishe Postone, Karl Marx, Friedrich Nietzsche, Michel Foucault und anderen DenkerInnen wurde ein erster, zusammenhängender Blick auf das entwickelt, was "Moderne" heißt und zeitgenössische, "abendländische", aus dem Christentum hervorgegangene Kultur bezeichnet. Mit dieser kam eine sozio-ökonomische Formation hervor, die als kapitalistische Produktionsweise, kurz: Kapitalismus, firmiert und die Menschheit gewalttätig mit Krieg, Herrschaft und Ausbeutung überzieht.
Bild oder Wort - oder was war im Anfang?
In einer Sprache der Inuit gibt es etwa zwanzig verschiedene Wörter für etwa zwanzig verschiedene Schnees bzw. Qualitäten von Schnee, doch keines für Sexualität. Vermutlich müssen auch die Wörter Verliebtheit und Liebe fehlen. Dies ist - so hier die These - nicht der Urtümlichkeit der Lebensweise der Inuit oder der bei ihnen beinahe unvorhandenen Arbeitsteilung zuzuschreiben, auch nicht der bei ihnen beinahe völligen Deckung sozialen und ökonomischen Lebenszusammenhangs, sondern allein dem Fehlen von "Mikrophysik des Körpers", von Zurichtung.
Nun ist erahnbar, wieso das frühe Proletariat die repetitiven Tätigkeiten in den eben aufgekommenen kapitalistischen Fabriken als skurrile bis obszöne Zumutung empfunden hat; nicht der Schwere der körperlichen Arbeit wegen... Welcher Band- oder Industriearbeiter würde heute das Angebot einer akkordlichen Leistungsentlohnung mit den Worten ablehnen wollen "Nein, ich möchte lieber weiter auf Zeitlohn bleiben- mag mich nicht nötigen, schnell hektische Bewegungen auszuführen!" Eben das ist ja Mikrophysik des Körpers: auf das schnelle Ausführen hektischer Bewegungen abgerichtet zu sein, dies nicht mehr als skurril oder obszön zu empfinden! So würde ein Vorarbeiter heute schlicht entgegnen: "Also was!? Willste nun arbeiten oder nicht? Sekt oder Selters!"
"Arbeit" und "Sexualität" sind Zwillingskinder der Zurichtung. Dieser Umstand wird heuristisch zu einem Ansatz erweitert, hier nun die Marxsche kritische Theorie kapitalistischer Produktionsweise zum Modell einer entsprechenden Theorie von Lieb' und Trieb im Kapitalismus werden zu lassen, welche "Arbeit" und "Sexualität" in Analogie bringt.
Hinzu kommen die entsprechenden Analogien von (2) "Wert" - "Verliebtheit" und (3) "Gebrauchswert" - "Liebe".
Alles ist Subsumtion
Zum Verständnis dieser Analogien wird hier unten Postone angeführt werden. Es wird von "relativem Mehrwert" die Rede sein, von dem Mehrwert/Profit, den Unternehmen unter dem Druck des Wettbewerbs oder von Absatzschwierigkeiten (z.B. durch eine Produktion, der keine zahlungskräftige Nachfrage am Markt gegenübersteht, so genannte "relative Überproduktion") erzwingen, indem sie Arbeitskräfte entlassen, nachdem sie entsprechende technische Verbesserungen (Rationalisierungsinvestitionen) vorgenommen haben; die Herstellkosten der Waren sinken und diese können zu niedrigeren Preisen angeboten werden, was mehr Käufe nach sich zieht und die Konkurrenz eventuell aus dem Feld schlägt. Dies eine Profittaktik, die etwa mit dem 19. Jahrhundert begann. Sie zieht eine Erscheinung nach sich, die "Subsumtion" genannt wird. Bei Postone (a.a.O.) S. 426: "Die Produktion des relativen Mehrwerts revolutioniert durch und durch die technischen Prozesse der Arbeit und die gesellschaftlichen Gruppierungen." (MEW 23, 532f) Der Arbeitsprozeß wird also in dem Maße transformiert, wie sich die Basis des Verwertungsprozesses vom absoluten zum relativen Mehrwert verschiebt. Marx beschreibt diese Transformation als Übergang vom Stadium der "formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital" (MEW 23, 533), in dem sich "die allgemeine Natur des Arbeitsprozesses...nicht dadurch ändert, daß der Arbeiter ihn für den Kapitalisten statt für sich selbst verrichtet" (MEW 23, 199), hin zu einem Stadium der "reellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital" (MEW 23, 533), in dem sich eine "Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital" (MEW 23, 199) vollzieht. Die sich dauernd verändernde industrielle kapitalistische Produktionsweise wird also als "spezifische" benannt, bei der es zur "reellen" Subsumtion der Arbeit unter das Kapital kommt. "Formelle" Subsumtion hingegen bedeutet, daß eine vom Kapitalisten vorgefundene sozio-ökonomische Struktur von diesem unverändert genutzt wird - wie im einfachsten Falle bei der Erhebung von Steuern oder des Kirchenzehnten -, was "absoluten" Mehrwert hervorbringt, der also durch die fixen Gegebenheiten in absoluter Weise festliegend ist.
Analogische Strapazen
Dem Marxschen Wertgesetz zufolge, läßt sich Mehrwert allein aus lebendiger menschlicher Arbeit gewinnen, und da im Kapitalismus der Mehrwert Ziel und Zweck allen Produzierens ist, bedeutet dies zugleich, daß Arbeit zu diesem Ziel und Zweck werden muß. Ideal wäre, ein am Markt gut nachgefragtes Produkt herzustellen, zu dessen Fabrikation ein möglichst hoher Anteil lebendiger menschlicher Arbeit vonnöten ist. Bei personenbezogenen Dienstleistungen ist dies am ehesten der Fall, optimal hier die direkte Prostitution; dort der Anteil der fixen Kosten (Maschinen, Gebäude, Ausrüstung) - zur Not reicht ein Busch neben der Schnellstraße - im Vergleich mit denen der Arbeitskraft verschwindend niedrig. Um das Kleingewerbe Prostitution wieder unter das große Kapital zu bringen, mußte dies allerdings die fixen Aufwendungen hochfahren: Computer, Datennetze, Cybersex. Und wie der Mehrwert eine Art entkörperlichten Substrats der Arbeit ist, ist Cyberlust entkörperlichtes Substrat der "Lust", des Lustdings. Eben das meint Fiktion: erst fiktive "Dinger" schaffen, um sie anschließend sogar noch zu "vergeistigen"! Kapitalismus erschafft also körperlose Geistdinger, was seine Herkunft aus dem Christentum mit seinen Wiederauferstehungen und Himmelfahrten belegt. Wir könnten also noch eine (2a)-Analogie einführen, die von "Mehrwert" - "Lust".
Die Leerstelle der Subsumtionen
Der Text will sich nun einer seiner zentralen Aussagen nähern. Zusammenfassend haben Arbeit und Sexualität vor der Zurichtung, welche der kapitalistischen Produktionsweise notgedrungen vorausgehen mußte, zwar existiert - sicherlich! -, doch nicht als gesondert' Ding, sondern vielmehr sozialen Zusammenhängen so weit subsumiert, daß Arbeit und Sexualität keine eigenständigen Bezeichnungen verlangten. " Arbeit" im Sinne heutigen Sprachgebrauchs kam erst mit der körperlichen, neurophysiologischen Zurichtung im Rahmen reeller Subsumtion und spezifisch kapitalistischer Produktionsweise auf. Die dieser vorausgegangene unspezifische Variante (absoluter Mehrwert) hingegen, hat sich auf eine überwiegend unkörperliche, eine ideologische Zurichtung gestützt, wie sie die protestantische Predigt in optimaler Weise beistellen kann. Erst mit dem allmählichen Übergang zur spezifisch kapitalistischen Produktionsweise wurde die Zurichtung körperlicher (frühe Arbeitshäuser für die Armen und Bedürftigen) und schließlich immer mehr verwissenschaftlicht (Jeremy Benthams Panoptikumarbeiten), bis schließlich das moderne Gefängnis hervorkam. Letzteres geschah zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Dazu Michel Foucault, a.a.O., S. 148: "Das Problem ist nun, daß binnen kurzer Zeit die Haft zur wesentlichen Form der Züchtigung wurde. Im Strafgesetzbuch von 1810 nimmt sie in einigen Abwandlungen zwischen der Todesstrafe und den Geldbußen fast den gesamten Bereich möglicher Bestrafungen ein." Und auf S. 150: "Diesem Traum vom Straftheater, das wesentlich auf den Geist der Straffälligen wirken sollte, folgte der große einförmige Apparat der Gefängnisgebäude, deren Netz sich über ganz Frankreich und Europa ausbreitete. Wahrscheinlich ist es aber schon zuviel, wenn man diesem Übergang zwanzig Jahre gibt. Man kann sagen, daß er sich beinahe in einem einzigen Augenblick vollzogen hat." Mit dem angegebenen Datum, 1810, ist die institutionelle verkörperlichte Zurichtung "zum Schmieden des Nerven" (Nietzsche) fertig installiert. So ist dieses Datum zugleich ein Marker für den Übergang der kapitalistischen in die spezifisch kapitalistische Produktionsweise. Ein Datum auch für die Auflösung jener Subsumtionsverhältnisse, in die Arbeit und Sexualität zuvor sozial integriert waren. Doch während die Arbeit neu, nämlich unter das Kapital reell subsumiert wurde, fehlte solche reelle Subsumtion für die Sexualität. Arbeit ersetzt nun quasi die Sexualität im Hinblick auf deren existentielle Bedeutung; ist Sexualität biologische Existenzbedingung in Absolutheit, wird Arbeit, die vorher existentiell eher bedeutungslos war, nun zur alleinigen Bedingung der physischen Existenz sozial und ökonomisch isolierter Individuen. Ein Tausch der existentiellen Bedeutungen findet statt.
Privat vagabundierende Herrscherin des Seins
Arbeit wird zur neuen Mutter des Seins. Sexualität, ihre Vorgängerin, der über Jahrzehntausende eine tiefe kultische Verehrung entgegengebracht worden war (siehe auch das Kali Dhurga-Fest), vagabundiert nun frei, kontur- und bedeutungslos, ohne innere Einbindung oder Subsumtion im Sozialen, bleibt sich selbst und einer - nun erstmals neu entstandenen - "Privatsphäre" überlassen. Subsumtionen in reale Lebensvollzüge hat sie sich fortan selbst zu erschaffen. Wie macht sie das?
Unverblümtes
"Echter Profi: acht Stunden feucht!" So ein Akteur aus der Pornobranche im Rückblick und anerkennend über eine frühe deutsche Pornoqueen der 70er/80er Jahre. Hier orientiert Sexualität sich direkt am Normalarbeitsverhältnis der so genannten Taylorschen Periode der Industriearbeit; welche vom Achtstundentag gekennzeichnet ist. Wie die Arbeit bei ihren "Helden", Stakanovich & Co., ist solche Sexualität reiner Fetisch, eine Art Droge. Die Erschöpfungszustände übermäßiger Verausgabung von Arbeitskraft oder Geschlechtskraft führen zur Ausschüttung körpereigener Morphine und in einen tranceartigen Zustand. Arbeitliches Pendant zum acht Stunden lang feuchten Profi am Pornoset wäre: "Geil, heute drei Pensen geschafft!" (Entlohnung nach Pensum ist eine Form akkordlicher Leistungsentlohnung; ein Pensum ist Knappe, zwei ist Meister, drei sind Queen oder King!)
Messen, zählen, rechnen, wiegen
Heraklischer Schweiß, bartholinische Feuchtigkeit und prostateisches Liquid sind dinglich gegenständlich und materiell konkret; wenig Spielraum, sie kreativ sublimierend zu behandeln, naheliegender, sie den Prozeduren des Messens, Zählens, Rechnens und Wiegens zu unterwerfen;, Sich an ihrer Reichlichkeit berauschen oder ihnen auf kindlich frühe Weise Mana-Qualitäten zueignen. Das läßt sich allenfalls - wie bei der Bafomet-Kultfigur, aus deren satyrischem Penis Licht strömt - in erster Näherung entkörperlichen und vergeistigen. Geschäft asketisch zugerichteter Gemüter; einem den Zisterziensern nahestehenden Orden, den Tempelrittern, die als Militärs an sich selbst asketisch frühe Zurichtung betrieben haben müssen, wird eine klandestine Verehrung des Bafomet nachgesagt. Solcherartiges Subsumtionstun wird heutzutage meist bei denen gefunden, die durch Schule, Betrieb und Armee auf unverblümtere Art zugerichtet worden sind und die deshalb aus den unteren bis mittleren Rängen des Proletariats herkommen. Die Subsumtion beleiht weniger "Arbeit" als vielmehr "Arbeitskraft" und reproduziert beinahe Techniken zurichtender Disziplinierung.
Beten, fasten, singen, knien wären die überkommenen Versuche sexueller Subsumtion eines noch religiös geprägten Proletariats und markieren das Bemühen um Vergeistigung des Geschlechtlichen in Form von ideeller Liebe zu den Kultgestalten Jesus und Maria. Sie sind heute nicht mehr anzutreffen. Hierzu später mehr.
Die Standardsubsumtion
"Überhöhte Sexualität", "blinde Verliebtheit" (Volkmar Sigusch) sind Ausdruck gängigsten Subsumptionsversuchs von Sexualität im Kapitalismus. Er orientiert sich am kapitalistischen "Wert". Dieser beruht zwar auf Arbeit bzw. auf deren Vollzug durch die Arbeitskraft, doch anders als Maschinenöl oder Körpersekrete ist er völlig geruchlos, immateriell, ja vergeistigt und verschiebt Wirklichkeit in einen fiktiven Raum der Möglichkeiten von Sexualität so, wie der Wert den Möglichkeitsraum von Konsumtion abbildet, welche aber dem Verzicht unterliegt. Realisierung hieße Verlust von Mehrwert bzw. Lust. Wert, Geld, stinkt nicht, die Bits und Bytes elektronischen Zahlungsverkehrs noch viel weniger. Der Gestank von Zurichtung und Enteignung der sozialen Bezüge haftet nicht an.
Pökelfrau
Solchen luftigen Fiktionen stellt "klassenbewußtes" Proletariat (konkret: Sozialdemokratie und DGB mitsamt ihren linken Kleinsatelliten) sein bieder-braves Phantasma vom "gesellschaftlich nützlichen" (Variante: "ökologisch nützlichen") "Gebrauchswert" gegenüber. Wird so jemand nach "Zurichtung" gefragt, hat er noch nie davon gehört? Anstatt kritisch, "schwarmgeisterisch" zu denken, will er lieber die Erde salzen. Das liegt ihm mehr als luftakrobatische "Wert"-Akte. In der Tiefenpsychologie steht "Erde" für "Frau". Hier nun die andere Seite des Verzichts auf die vollziehende Konsumtion, welche einen ländlich-bäuerlichen Aspekt aufweist: Gesalzene Erde ist eingepökelte Frau. Das riecht zudem nach Dauerhaltbarkeit und Nachhaltigkeit (die Zweikinderfamilie) und ist allemal "gesellschaftlich nützlich". Frau als Dauergebrauchswert. Gewachsener Schinken, gewachsene Liebe? Immerhin weist dies Subsumtionsmodell Beständigkeit auf und ermöglicht längerfristige Partnerbeziehung. Das Modell bröckelt parallel zum Niedergang des Normalarbeitsverhältnisses, was erneut als Hinweis zu nehmen ist, daß es sich tatsächlich eng an eine aktuelle Form kapitalistischer Arbeit anlehnt.
Piratinnen
Nachdem Wert- und Gebrauchswertkasper portraitiert sind, nun die Frage nach den Frauen. Vorweg: Sie tun das, was gefallener alter Subsumtionsadel als gefallener Adel tun muß - unter die Piraten gehen. Denn Wert- und Gebrauchswertsubsumtionsmodelle für Sexualität sind durchweg männlicher Konnotation. Sie greifen auf Instrumentalisierungen von Frau so zurück, wie das Kapital auf wertschaffende Arbeiter zurückgreift, auf den männlichen Arbeiter, wohlgemerkt.
Kapitalistische Kultur hat offenbar wenig Repertoire an Subsumtionsmodellen, die für die Sexualität von Frauen annehmbar sind. Tiefenpsychologisch betrachtet ist Kapitalismus rein männliches Geschäft: Vergeistigung des Materiellen, Übertrag von schweißiger Arbeit in die aseptische Wertform des Kapitals, in Zahlen und Papier. Das Wort "materiell" trägt Mutter, Frau mit sich. Extremistisch patriarchal, kann die aus Zurichtung hervorgehende Fiktionsebene kapitalistischer Arbeit, kapitalistischen Werts und Gebrauchswerts, Frauen Subsumtionsmodelle kaum anbieten. Nur wo das Subsumtionsmodell die äußerlichen Formen drastisch zugerichteter proletarischer Arbeit unmittelbar beleiht, fehlen solche Geschlechterunterschiede. Die an Größe festgemachten Manaqualitäten von Penissen, Brüsten und Gesäßen lassen sich in der exakt selben Währung messen: in Zentimetern; die Leistung läßt sich wie Akkordpensen zählen, in Stunden, Minuten und Stück. Offenbar allerdings, daß solche Subsumtion Beständigkeit von Paarbeziehung nicht bieten kann.
Infusionen und Einläufe
Kapitalismus und seine Fiktionen lassen sich nicht mittels Schönredens austricksen; ihr zähes Leben endet erst, wenn sie an der Wirklichkeit zerschellt sein werden. Dieser Text will Sterbehilfe geben.
Hardcore
Hier der heiße Brei, um den die Katze namens öffentlich vorgetragener
linker und linksradikaler Kapitalismuskritik allezeit ängstlich und allezeit stumm herumschleicht: Denn ist Arbeit nicht invariantes Agens eines historischen Prozesses, wird sie also nicht so wie bei der arbeiter- und traditionsmarxistischen Linken zum Gegenstand einer mit Hilfe platter dialektischer Liturgie zusammengeschusterten Apotheose, bleibt sie das, was Postones Marx an ihr erkannte: historisches Novum. Ein solches läßt sich theologisch unbefangen untersuchen; unmittelbar wird aus dem Wertgesetz und mit diesem geborene "Arbeit" als krasseste aller historischen Formen von Herrschaft von Menschen über Menschen sichtbar, nämlich als die von Sklaven Über Sklaven. Präzise: Die einzige existierende Form von Arbeit ist eben diese "Arbeit"! Nacktes Zwangs- und Gewaltverhältnis, wird mit Auslöschung bedroht, wer aus dem Kreis der anal verkehrenden austritt.
Hart links
Der nun allhin sichtbar in tiefer Krise der Verwertung von Arbeit stehende Kapitalismus kann den Gewaltcharakter des durch "Arbeit"/Arbeit formierten menschlichen Beziehungsverhältnisses nicht mehr verbergen; an einigen Stellen tritt dieser Gewaltcharakter schrankenlos offen zutage, in der aktuellen Arbeits-, Sozial-, Innen- und Justizpolitik. Überall da, wo vom Beziehungsverhältnis infolge des Fehlens von Arbeit nur noch harter Kern übrigbleibt, stehen Disziplinierung, Nötigung, Bedrohung und Zwang allein auf weitem Feld. Die im Taylorsch-Keynesch-Fordistischen Kapitalismus hervorstechende Sinnsuche, mit welcher - beinahe ausschließlich von Angehörigen der Linken! - Anspruch auf ein Stück vom Kuchen der überflüssigen Arbeit quasi theologisch zu legitimieren versucht wurde, ist vom individual-narzißtischen Größenwahn des "Arbeit soll ein, weil ich bin!" überboten worden.
En passant
Wo Arbeit sich auf ihren harten Kern reduziert, sie Individuen zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten bestimmte Bewegungen ausführen lassen will - manches Mal reicht allein schon physische Präsenz! - und dies alles in ungeschönter Willkür und unter Drohung des Entzugs der Existenzmittel, übersetzt sich die hier entwickelte Analogie schlicht zu: "Gewaltkonnotierte Sexualität soll sein, weil ich bin!" Damit ist die sich verbreitende Attraktion sadomasochistischer Sexualität aus der hier entwickelten These en passant abgeleitet. Sie stellt einen geradezu klassischen Versuch von Subsumtion von Sexualität im Kapitalismus dar: am aktuell majoritären Arbeitsverhältnis orientiert.
Sexualität oder Arbeit?
Die Annahme von Volker Sigusch, "symbolischer oder realer Bedeutungsverlust von Sexualität" könne eventuell Gewalt produzieren, ist hernach zutreffend, falls in seinem Satz "Sexualität" durch "Arbeit" ersetzt wird. Der symbolische oder reale Bedeutungsverlust von Arbeit produziert also Gewalt. Nicht auf verschlungenen Wegen findet sich dieser Zusammenhang von Arbeit und Gewalt, sondern auf dem allereinfachst denkbaren: Arbeit kann immer nur kapitalistische oder sozialistische "Arbeit" sein und stellt per se ein Gewaltverhältnis dar. "Realer oder symbolischer Bedeutungsverlust" von Arbeit übersetzt sich alsdann zu Arbeitsplatzverlust und Verlust von Sinngebung in Form von verlustiger Anhänglichkeit an die ja gerade eben die Gewalt verschleiernden Fiktionen, die aus der Arbeit hervorkommen. Vielmehr also führt Verlust eines in der(im Taylorsch-Keynesch-Fordistischen Kapitalismus gegebenen gesellschaftlichen Sinnhaftigkeit von Arbeit formierten Arbeitsplatzes zu gewaltförmiger Sexualität, nicht aber zu Gewalt. Welche Sexualität könnte auch jemand haben, der sich bei Arbeitsagentur/Jobcenter brav seinen Eineuro-Sklaveneinlauf abholen geht bzw. gehen muß? Wer sind dann wohl die "die ganze Woche über gut funktionieren"? Es sind alle, die auf dem Felde der überflüssigen Arbeit den Zurichtungsringelpietz tanzen.
Äpfel und Birnen
Abschließend ein Blick auf Antje Vollmers Reportage vom Kali Dhurga-Fest.
Ein Fest der "Masse", Gewalt und Sexualität tanzen einen tagelangen ekstatischorgiastischen Reigen. Festzuhalten, daß sich die Gewalt gegen Tiere richtet, kultische Opferungen, ein Tieropfer-Blutfest. In traditionsgeleiteten sozialen Zusammenhängen wie dem nepalesischen, gibt es keine "Masse", die sich mit jener gefürchteten modernen vergleichen ließe - und die dem massenhaften Menschenmord huldigt. Die moderne Masse konstituiert sich vielmehr erst durch die soziale Vereinzeltheit ihrer Teile. Wobei es auch hier eine Ausnahme geben mag, wenn an die kultischen Massenmenschenopfer bei den Azteken gedacht wird. (Die aztekische Kultur war äußerst bellizistisch!) Dort traf es immerhin erklärte gegnerische Kombattanten, es handelte sich also nicht um Ausbrüche blinder oder fanatischer, bürgerkriegsartiger Gewalt. Aus der kulturhistorisch orientierten archetypischen Psychologie (hier zu nennen Erich Neumann) sind Tieropfer-Blutfeste als Fruchtbarkeitsfeste ursprünglicher traditionsgeleiteter spiritueller und nichtmonotheistischer Kulturen bekannt. Daß sich dort fruchtbarkeitskultisehe Gewalt mit Sexualität verbinden muß, ist ohne weiteres eingängig. Gewalt und Sexualität stellen dort nicht zwei Gewichte in den zwei Schalen einer Waage dar, deren eine sich neigen müßte, wenn die andere sich hebt, mehr noch geht es dort nicht vorrangig um Gewalt, sondern es ist Tierblut, was hier kultisch aufgeladen ist. Mit solchem Fest wird der Spirit Fruchtbarkeit gefeiert bzw. erneuert, welcher - wie bei allen spirituellen Kulturen - den Widerspruch individueller und sozialer Existenz löst, indem er mit dem Ritus einer Initiation eine "neue Person" schafft, welche diesem Widerspruch nicht allein gewachsen, sondern ihm durchaus überlegen ist und ihn auflöst. Diese "neue Person" ist Geistkind des Spirit. Moderne Überheblichkeit mag darüber lachen, doch ist das spirituelle Identitätskonzept dem kapitalistisch-modernen unendlich weit überlegen. Im Vergleich mit diesem "primitiven" spirituellen Tun, sind die "großen Religionen" kulturell zahnlose Chimären. Die Vorstellung, Massenfußball sei mit solcher Spiritualität vergleichbar, ist allenfalls niedlich zu nennen.
Oldenburg, 23.07.2005
P.S.: Das Copyright an diesem Text wurde vom Autor bedingungslos freigegeben. Ein jeder kann diesen Text für jeden beliebigen Zweck frei verwenden.
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