Für ein Recht auf Leben ohne Arbeitszwang

 

Leserbrief ans "Neue Deutschland"

In seiner Kolumne "Grundeinkommen ohne Leistung" gelingt Harry Nick ein dialektisches Glanzstück. Im ersten Teil betont er: "Recht auf ein Leben durch Würde muss nicht durch Leistung erworben werden". Danach gelingt es ihm, dieses "axiomatische" und "unbestreitbare" Recht auf die nicht arbeitsfähigen Menschen einzuschränken. Jenen Menschen, die arbeitsfähig sind, aber "lieber Bücher lesen, Geselligkeit pflegen oder einfach nur faulenzen ..., statt zu arbeiten" wirft er vor: "Wer das Recht auf Faulheit in Anspruch nimmt, lebt wie ein Kapitaleigner von den Früchten der Arbeit anderer."

Das sitzt! Gerade jene, die mit der Forderung nach einem Grundeinkommen die Erpressungsverhältnisse des Kapitalismus aufweichen wollen, müssen sich nun "wie Kapitaleigner" anklagen lassen. Dabei tut Herr Nick so, als würde jeder, der nur irgendwie arbeitet, nicht von den Früchten anderer leben. Also lieber ein Job in der Bundeswehr, oder in der Verwaltung irgend einer sinnlosen Marketingmaschinerie als Bücher lesen und Geselligkeit pflegen oder gar faul sein! Ob nicht große Mengen der im Dienste des Kapitals getanen Arbeit durch den damit verbundenen Ressourcenverbrauch und die dabei verschleuderte Lebenszeit eher menschliche Lebensfülle reduziert als genießbare Früchte zu liefern, wird gar nicht gefragt.

Nick hätschelt damit die Ressentiments aller, die notgedrungen jobben müssen oder sogar noch an Lohnarbeit Spaß haben gegen jene, die für sich entschieden haben, sich der Maloche im Dienste des Profits zu entziehen. "Arbeit" wird unterschiedslos, ob es menschliche Bedürfnisse wie Kultur oder Muße befriedigt, oder nur zur Profitsteigerung sinnlos verpulvert wird, geadelt und gegen die Faulenzer heilig gesprochen. Nick setzt auf die angstmachende Knappheitsideologie, die Menschheit sei so arm, dass wir es uns nur am Rande der notwendigen Arbeit leisten können, Bücher zu lesen, Geselligkeit zu pflegen oder auch faul zu sein. Andere Ansichten verwirft er als "unrealistisch romantisch" und "lebensfremd". Wie lebensfremd muss denn der Herr Professor sein, wenn er nicht kapiert, dass die Produktivkräfte der Menschheit inzwischen weit über das Maß hinaus gewachsen sind, als dass alle "arbeitsfähigen" Menschen durch den ökonomischen Zwang, bestätigt und verstärkt durch moralische Standpauken, gezwungen werden müssten, zu malochen. Nur wem das "Recht auf Faulheit" zusteht, ist so frei, seine Bedürfnisse nach Büchern, Geselligkeit und auch Muße in selbstbestimmter Kooperation mit anderen Menschen zu befriedigen und dabei neue Tätigkeitsfelder entwickeln, in denen die historisch entstandenen neuen Möglichkeiten auf emanzipative Weise genutzt werden können, statt sich untertänig einem kapitalismustreu "realistischen" Lohn- bzw. Ehrenamtsarbeitszwang unterzuordnen.

 

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