Drei ökonomische Fragen

 

1. Das Ende der Arbeit

"Die Zeit des historischen Masochismus ist abgelaufen." (Robert Kurz)

Ich vertrete auch die Position, daß der nächste Qualitätssprung in der gesellschaftlichen Entwicklung der in eine nach-ökonomische Etappe sein müßte, nicht eine "effektivere-aber humanere und ökologischere" Art neuer ökonomischer (Wert-)Dominanz.

Ich habe durchaus den Eindruck, daß die Produktivkräfte so groß sind, daß wir zum Herstellen der zum Leben notwendigen Dinge und Leistungen keine "Arbeit" und keine "Ökonomie" mehr brauchen. Dieser Eindruck allein reicht aber auf die Dauer nicht aus!!!

Wie auch Sartre irgendwo bemerkte, darf tatsächlich kein "Mangel" mehr herrschen, wenn wir auf Ökonomie verzichten wollen. In welchem Sinne sind wir schon so weit?

(Vor dem Studium habe ich noch eine Lehre in der Landwirtschaft gemacht und mir war als Studentin immer bewußt, daß für meine Studien irgendwer anders sich frühmorgens auf den Weg in den Kuhstall machen muß um zu melken... Heute weiß ich, daß ein Teil der Milch eh weggeschüttet wird. Wenn wir aber nicht mehr auf Kosten der ärmeren Länder leben (im Moment befinden sich die Weiden zur Fütterung unserer Tiere zu 20% auf Böden von Ländern, in denen gehungert wird), werden wir die Tätigkeiten zur Herstellung der für uns nötigen Güter wieder selbst tun müssen. Vielleicht melke ich dann früh ein paar Stunden und kann dann studieren? Aber wieviel solcher notwendiger Tätigkeiten werden bleiben, wie können wir sie demokratisch verteilen?).

Wie können wir das Nötige tätigkeitssparend machen, damit es nicht wieder zur Arbeit ausartet, es demokratisch organisieren (ohne Zwang), gleichzeitig ökologisch verträglich bleiben - also auch "Produktivität" verlieren und trotzdem die historisch entstandenen Bedürfnisse befriedigen (und ändern)?

"Widerstand gegen den totalen Markt beginnt vielleicht dort, wo die Menschen sich rücksichtslos das Recht nehmen, erst einmal gründlich auszuschlafen". (Robert Kurz)

2. Ausbeutung der Zukunft

Im Prinzip bin ich einfach zu doof, um die Funktion der Börsen und nun auch noch die Tricks der sogenannten "Finanzinnovationen" zu kapieren. Da ich mangels Masse da eh nicht mitspielen kann, habe ich gedacht, daß ich diese Dinge ignorieren könne. Ökonomietheorie beschäftigte sich eh nur mit Produktions- und Reproduktionsprozessen, in der Werte und Mehrwerte erzeugt werden. Die Finanz-"Luftblasen" paßten in dieses Bild nicht recht rein.

Oft wird auch der Eindruck erzeugt, als seien das tatsächlich nur Luftblasen, denen die Luft regelmäßig platzend wieder rausgeht und sich weiter nichts verändert. Aber es gibt durchaus massive Einwirkungen auf die "normale" Wirtschaft:

  1. Schon im Zustand steigender Finanzinnovationsrendite muß die "Rest-"Wirtschaft mit diesen Renditen konkurrieren. Sogar gewinnbringende Geschäftsbereiche werden abgestoßen, wenn der "Unternehmenswert" nicht genügend groß ist.
  2. Wenn die aufgepushten Kurse dann geplatzt sind, gibt es ja nicht etwa nur verlierende Spekulanten (über deren dumme Gesichter man sich ja notfalls noch amüsieren könnte), sondern ganze Staaten rutschen in Abhängigkeit von Analysten, IWF usw. Ihre Verschuldung zwingt sie auf Jahre hinaus ihre Rohstoffe zu verscherbeln und die Arbeitskraft ihrer Bevölkerung zu verkaufen. Das "Abarbeiten" dieser Schulden, die als Vermögen schon heute in den Datenbanken der Guthaben der Spekulationsgewinner stehen, geschieht vor allem in der Zukunft und wird mittels struktureller und allzu oft auch direkter Gewalt auch eingefordert. Insofern sind die wesentlichen Mehrwerte der kapitalistischen Wirtschaft "Optionen auf die ausgebeutete Arbeit der Zukunft".
Auch R. Kurz spricht mit Bezugnahme auf das fiktive Kapital vom "Anzapfen einer imaginären kapitalistischen Zukunft" (in: Politische Ökonomie der Simulation, in: "Folha" 1995).

Deshalb ist der Kampf um die Entschuldung vielleicht sogar revolutionärer als die Forderung nach Enteigung der Produktionsmittel (denn mit den kapitalistischen Mitteln - z.B. Börsensoftware und Autofabriken - können wir auch kaum andere Ziele erreichen...).

"Jedes Baby der BRD kommt heute mit gigantischer Staatsverschuldung auf die Welt. Und so ist ihr Leben nicht mehr als ein Kredit auf Ratenabzahlung" (A.Gödde).

3. Innovationsquellen des Kapitalismus

Bisher war es so, daß bei ausgeglichenen Profitraten irgendein Unternehmer eine Innovation auf den Markt werfen mußte, um wieder höheren Profit als die anderen zu bekommen. Die anderen mußten mitziehen, bis sich das Ganze auf dieser Ebene wieder angeglichen hat und dann gings in die nächste Runde. Dadurch ist der Kapitalismus derart dynamisch bei der Erzeugung profitbringender Innovationen. Ob irgendwelche Menschen die Innovationen brauchten, war zweitrangig. Der derzeitige Boom der Medienindustrie ist eigentlich schon ein Anzeichen dafür, daß mehr Arbeit reingesteckt werden muß, das produzierte Zeugs loszuwerden, als es herzustellen.

Zu dieser Irrsinnigkeit dieser an den Bedürfnissen vorbeirasenden, bzw. die Lebensgrundlage zerstörenden Innovationslawine kommt jetzt ein neues prinzipielles Problem:

Bisher brauchte der Einzelprofit nur mit anderen Unternehmensprofiten konkurrieren, die im wesentlichen alle aus ausgebeuteter Arbeit bei der Güterproduktion gezogen wurden (Mehrtwertproduktion).

Jetzt allerdings ist der Vergleichsmaßstab nicht mehr der aus gegenwärtiger Arbeit gezogene Profit, sondern die Rendite, die aus Finanzinnovationen gezogen werden kann. Finanzinnovationen erzeugen nicht nur "Luftblasen", die irgendwann wieder zerplatzen - sondern gerade das Zerplatzen bringt große Wirtschaftsregionen in eine Verschuldungssituationen. Im Allgemeinen sind die Gläubiger private Kapitalgeber bzw. Konzerne - die Schuldner sind Staaten, deren Bürger dafür aufkommen (werden) müssen. Eine enorme Maschinerie zur Umverteilung von Gewinnen und Kosten (Gewinne privatisiert, Kosten vergesellschaftet).

Die hieraus entstehenden "Mehrwerte" sind Optionen auf zukünftige Ausbeutung (siehe 2.) - werden einfach über strukturelle oder direkte Gewalt eingefordert und erfordern keine wissenschaftlich-technischen Innovationsleistungen mehr.

Kann es sein, daß dadurch auch die Innovationszyklen des Kapitalismus, die ja vielleicht doch noch seine "historische Rolle bei der Produktivkraftentwicklung" legitimierten, endgültig an ihr Ende gekommen sind und die jetzigen euphorischen Bestrebungen zur Entwicklung der Mediengesellschaft etc. nur noch Scheinblüten darstellen?

"Alle Welt bettelt in Umkehrung der früheren Postulate darum, normal ausgebeutet zu werden, und bietet sich hoffnungsvoll dar für die "Eroberung", aber das Kapital ist impotent geworden." (Robert Kurz).

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Annette


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