Computer im Kapitalismus
- aus der Mailinglist-Debatte "Oekonux" -

Vorher: Neuer ProduzentInnentyp

Stefan Mn, (25.11.99):
> gelesen zu haben. Korrigiere mich, wenn es falsch ist.
Nee, das denke ich nun wirklich nicht. Ich versuche es mal ein wenig zu präzisieren:

  • Computer stehen an der Spitze der kapitalistischen Produktionsmittelentwicklung
    Das dürfte klar sein - wobei Computer hier im weiten Sinne also incl. der erwähnten Werkzeugmaschine verstanden werden sollen. Ohne die durch die Informatisierung, ohne die Mikroelektronik wären die Produktivitätsschübe der letzten Jahre undenkbar.

    Klarerweise ist die Entwicklung des Computers vom Militärisch-Industriellen Komplex (um mal eine alte, aber sehr treffende Vokabel zweckzuentfremden ;-) ) massiv forciert worden - letztlich also auf verschiedenen Ebenen Sieger im Konkurrenzkampf zu bleiben.
  • Computer markieren einen Epochenbruch innerhalb des Kapitalismus
    Ich denke, seit der industriellen Revolution hat es nichts gegeben, was die Produktion und die gesamte (kapitalistische) Arbeitsweilt durchgreifender verändert hat. Selbst der fordistische Schub (vulgo: Fließband, aber siehe Stefan Mz.s Ausführungen dazu) dürfte in historischer Perspektive gegen die heute mögliche Steigerung der Produktivität verblassen.

    Ich denke auch, daß wir hier erst am Anfang einer Entwicklung stehen. Bedenkt einfach mal, was in dem ganzen hochgepriesenen Dienstleistungsbereich durch Computer übernommen werden kann. Wenn sich das Internet noch flächendeckender durchsetzt, wird es z.B. für Banken immer weniger Gründe geben, Filialen zu unterhalten oder dort gar teure MitarbeiterInnen zu beschäftigen. Die flächendeckende Einführung von Geldautomaten und Kontoauszugsdruckern gibt da ja einen ersten milden Vorgeschmack. Und die Entlassungspläne bei Banken und Versicherungen sprechen da ja eine deutliche Sprache.
  • Im Ergebnis schafft der Computer die Lohnarbeit tendenziell ab
    Na, das ist dann eigentlich eine klare Konsequenz. Natürlich kann ich hier irren, aber momentan ist schlicht nichts in Sicht, was die Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierung auch nur annähernd auffangen könnte. Na, vielleicht noch ein großer Krieg zwischen den hochproduktiven Zentren (Europa, Japan, USA) :-( ...
    Für die Arbeitsgesellschaft heißt das, daß ihr Ende in Sicht ist.
    Bis hierher sehe ich vor allem die destruktiven Folgen der Computer im Bestehenden. Nun zum Neuen / Hoffnungsvollen - was ja eigentlich Thema der Liste ist und daher nur eine grobe und hoffentlich nicht allzu falsche Zusammenstellung sein kann.
  • Der Computer ermöglicht lustbetonte produktive Tätigkeit
    Nun, nichts grundsätzlich Neues. Klar gibt es im Bereich der Hobbies auch eine Menge lustbetonter produktiver Tätigkeiten. Aber dennoch ist es wichtig, weil es ohne diesen Effekt vieles nicht gäbe.
    Mir fällt auch keine andere (komplexe) Maschine ein, die so unterschiedslos wie z.B. ein PC im privaten und im kapitalistischen Bereich eingesetzt wird. Na, Autos vielleicht noch. Sonst noch was?
  • Computer ermöglichen das Internet
    Mehr und mehr halte ich das Internet für einen ganz entscheidenden Faktor. Nicht nur, weil ohne das Internet Gnu/Linux nie diese Dimension hätte erreichen können, sondern weil es mir - wie in einigen vergangenen Mails schon angedeutet - so scheint, als wäre das Internet zumindest nicht massiv in die kapitalistische Verwertungsmaschine zu integrieren. Diesen Gedanken würde ich gerne noch mehr diskutieren.
  • Beides zusammen ermöglicht interessante unbezahlte Produktion
    Interessant ist daran, daß das Produkt einen hohen Gebrauchswert hat und ebenfalls an der Spitze der kapitalistischen Produktionsmittelentwicklung steht.
    Weiterhin ist es interessant, daß hier (historisch erstmals auf diesem Vergesellschaftungsniveau) eine Produktionsweise aufscheint, die eine Vergesellschaftung ohne Tausch real und an einem praktischen Beispiel vorstellbar macht.

Soweit erstmal. Vieles habe ich sicher vergessen.
Um auf deine Bedenken zu antworten: Nein, der Computer ist nicht die neue Gesellschaft. Aber er enthält Potentiale, die in eine neue Gesellschaft weisen.

 

Stefan Mz. (09.12.99):
eine gemütliche, aber sehr interessante Debatte, zu der ich auch etwas beisteuern möchte: Computer im Kapitalismus. Die frühere Debatte (noch vor der über die Programmiertätigkeit) hat sich damit von der Produktivkraft(entwicklung) zu den Produktionsmitteln verschoben.

Nur zur Sortierung möchte ich hier kurz mein begriffliches Verständnis darstellen:

  • Produktionsmittel: Dinge, die der Mensch bearbeitet und mit denen er arbeitet; also sowohl Arbeitsgegenstände als auch Arbeitsmittel (Werkzeuge, Maschinen...), wobei letzte den Stand der Entwicklung markieren.
  • Produktivkraft: Über die Arbeit vermitteltes Dreiecksverhältnis aus Mensch, Natur und Produktionsmitteln mit drei Aspekten:
  • Inhalt der Arbeit bestimmt durch die Art der Produkte, des Naturverhältnisses und der verwendeten Mittel,
  • Form der Arbeit, also die Arbeitsorganisation,
  • Produktivität der Arbeit, der Güterausstoß pro Zeit.

Oft wird Produktivkraft auf Produktionsmittel reduziert, weil einfach nur die Produktivität, also der quantitative Aspekt der Produktivkraft, im Blick ist (wohl auch dem Kapitalismus geschuldet). Ich versuche dagegen, die qualitativen Aspekte des Inhalts und der Form der Arbeit (wieder) zur Geltung zu bringen, sozusagen den Blick von der toten, vergangenen auf die lebendige Arbeit zu richten. Ich meine, dass man dann mehr kapiert, was abgeht. Die Produktionsmittel sind folglich nur ein Aspekt der ziemlich komplexen Mensch-Natur-Mittel-Beziehung - allerdings ein ziemlich wichtiger.

Also zur toten Arbeit, zu Stefan Mn’s Thesen:

> * Computer stehen an der Spitze der kapitalistischen
> Produktionsmittelentwicklung
> Das dürfte klar sein - wobei Computer hier im weiten Sinne also
> incl. der erwähnten Werkzeugmaschine verstanden werden sollen.
> Ohne die durch die Informatisierung, ohne die Mikroelektronik
> wären die Produktivitätsschübe der letzten Jahre undenkbar.

Rainer F. würde dir u.U. widersprechen, aber ich denke, es trifft zu. Kern des erlebten Prozesses ist die Trennung von gegenständlichem und algorithmischem Aspekt in der Produktion, oder profaner ausgedrückt: Trennung von Hardware und Software. Früher waren beide Aspekte _in_ der Maschinerie quasi "analog" zusammengeschlossen, heute sind sie Teile von Spezial- und Universalmaschine, wobei letztere durch die Digitalisierung ungeheuer "flexibel" und damit "produktiv" geworden ist.

> * Computer markieren einen Epochenbruch innerhalb des Kapitalismus
> Ich denke, seit der industriellen Revolution hat es nichts gegeben,
> was die Produktion und die gesamte (kapitalistische) Arbeitsweilt
> durchgreifender verändert hat. Selbst der fordistische Schub (vulgo:
> Fließband, aber siehe Stefan Mz.s Ausführungen dazu) dürfte in
> historischer Perspektive gegen die heute mögliche Steigerung der
> Produktivität verblassen.

Der These stimme ich zu, bei den Erläuterungen bin ich skeptischer. Die These trifft m.E. aus dem o.g. Grund der Trennung von gegenständlichem und algorithmischem Produktionsaspekt zu. Alles was man trennt, kann man dann einer separaten wissenschaftlichen Bearbeitung unterwerfen. Die Informatik ist logisch-historisch genau deswegen entstanden. Den Epochenbruch würde ich also im Übergang von der industriellen Revolution in den Fordismus ansiedeln - auch wenn die ersten realen Computer erst in den Vierzigern gebaut wurden.

Eine heute mögliche Steigerung der Produktivität geht keinesfalls von den Computern aus. Hier darf man Rationalisierung, also der Ersatz lebendiger durch tote Arbeit, nicht mit Steigerung der Produktivität kurzschliessen. Rationalisierung ist der Hauptprozess. Auch Produktivitätsteigerung wird es geben, aber in Maßen. Die Quelle eines weiteren Qualitätssprungs ist nicht die tote Arbeit, sondern die lebendige, genauer eine neue Qualität der Produktivkraftentwicklung, in der der Mensch sich als Hauptproduktivkraft selbst entfaltet.

> * Im Ergebnis schafft der Computer die Lohnarbeit tendenziell ab
> Na, das ist dann eigentlich eine klare Konsequenz. Natürlich kann
> ich hier irren, aber momentan ist schlicht nichts in Sicht, was die
> Arbeitsplatzverluste durch Rationalisierung auch nur annähernd
> auffangen könnte. (...)
> Für die Arbeitsgesellschaft heißt das, daß ihr Ende in Sicht ist.

Da führt kein Weg dran vorbei. Aber auch hier muss man genau hingucken, denn innerhalb der Arbeitsgesellschaft gibt es Umschichtungen: weg von Vollzeitarbeit hin zu prekären Lohnarbeitsverhältnissen, von denen es immer mehr geben wird (siehe USA). Aber Kern des Prozesses ist: Die _wertschaffende_ Lohnarbeit nimmt ab. BTW: Weil die Wertproduktion nicht voran kommt, blähen sich die Börsen auf, da dort die "Rendite" auf Basis von Mutmaßungen über zukünftige Wertproduktion höher ist.

> * Der Computer ermöglicht lustbetonte produktive Tätigkeit
> Nun, nichts grundsätzlich Neues. Klar gibt es im Bereich der
> Hobbies auch eine Menge lustbetonter produktiver Tätigkeiten.
> Aber dennoch ist es wichtig, weil es ohne diesen Effekt vieles
> nicht gäbe.

Du denkst an die Programmiertätigkeit, oder? Wenn ich aber diese Mail z.B. schreibe, dann ist das Teil für mich quasi gar nicht existent. Es verschwindet sinnlich völlig hinter dem Inhalt dieser Mail, mit dem ich mich beschäftige und dem Spass, den es mir macht, einen Gedanken in Schriftform zu bringen.

Was anderes ist das Programmieren. Hier ist der Computer (wie auch vermittelt) Gegenstand meiner Tätigkeit - und _nicht nur_ Mittel (aber auch). Neben den vielen Gründen, warum Programmieren Spaß macht, sehe hier den Bezug zur Produktivkraftentwicklung. Indem in programmiere, schraube ich sozusagen an der Front der Entwicklung mit rum - und wer hat sonst schon diese Möglichkeit! Und ich kann ein Stück der angesagten neuen Qualität der Selbstentfaltung schon vorwegahnen - die Entwickler/innen freier Software erleben dies schon ansatzweise. Dem Durchbruch stehen jetzt "nur noch" die Verwertungszwänge entgegen...

> * Computer ermöglichen das Internet
> Mehr und mehr halte ich das Internet für einen ganz
> entscheidenden Faktor. Nicht nur, weil ohne das Internet
> Gnu/Linux nie diese Dimension hätte erreichen können, sondern
> weil es mir - wie in einigen vergangenen Mails schon angedeutet
> - so scheint, als wäre das Internet zumindest nicht massiv in die
> kapitalistische Verwertungsmaschine zu integrieren.

Computer ermöglichen das Internet - wohl klar. Bei Internet und Verwertung muß man m.E. deutlich zwischen Wertproduktion und Distribution unterscheiden. Wert wird im Internet kaum geschaffen, aber vertrieben schon. Internet ist ein rationeller Vertriebskanal, dem sich Firmen kaum entziehen können. Insofern ist das Internet in die Verwertungsmaschine integriert.

> * Beides zusammen ermöglicht interessante unbezahlte Produktion
> Interessant ist daran, daß das Produkt einen hohen Gebrauchswert
> hat und ebenfalls an der Spitze der kapitalistischen
> Produktionsmittelentwicklung steht.
> Weiterhin ist es interessant, daß hier (historisch erstmals auf
> diesem Vergesellschaftungsniveau) eine Produktionsweise
> aufscheint, die eine Vergesellschaftung ohne Tausch real und
> an einem praktischen Beispiel vorstellbar macht.

Du denkst wieder an Software, gell? Ich glaube, daß "unbezahlte Produktion" absehbar sogar unter kapitalistischen Bedingungen generell möglich ist. Die Produkte werden verschenkt, die Kohle wird sekundär eingefahren über Werbung, Support, Zweitgeschäfte etc. Ein solches Szenario entwirft - noch völlig systemimmanent - Kevin Kelly im Buch NetEconomy, das ich heftigst empfehlen kann. Dort wird das "Netzwerk" die zentrale Metapher für eine neue Ökonomie. Beim Lesen dachte ich, dass man "nur noch" die Verwertung als gesellschaftlichem Vermittlungsmechanismus (z.B. zwischen Produzenten und Konsumenten) ersetzen müsse - dann könnte das ein Szenario für die Zukunft sein. Na, das ist jetzt sehr in Blaue gedacht...
Hat jemand Lust, das Buch "mal" zusammenzufassen und ins Web zu stellen? Ich könnte mir vorstellen, dass das unserer Oekonux-Debatte neuen Schub geben könnte...

 


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Siehe auch Neueartige Produktionsmittel im Selbstorganisations-Management

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