Philosophie in turbulenten Zeiten
- Diskussionsabend 1.10.99 -

Eine Urlaubslektüre (Sautet) hatte mich so begeistert, daß ich sie meinen FreundInnen auch vorstellen wollte. Wir organisierten also einen Diskussionsabend (im Schillerhof).
Hier folgt eine kurze Dokumentation der Inhalte, die teilweise in ausführlichere Darstellungen mündet.

TeilnehmerInnen: 4 Erwachsene + 4 aus 10./11. Klasse (die recht unterschiedliche Erfahrungen mit Ehtik-Philosophie- und Religionsunterricht haben).

Ziel: Herausbekommen,

  • warum Logos/Philosophie entstand und wieso er/sie heute für uns besonders bedeutsam ist (und "Ethik" eben nicht ausreicht),
  • was sich hinter den Metaphern der Ödipussage und des Höhlengleichnisses verbirgt,
  • warum Sokrates sich umbringen mußte.

Inhalt:

Einleitung

Anregung durch Marc Sautet: "Ein Café für Sokrates, Philosophie für jedermann"
Seit 1992 finden im Café des Phares, Place de la Bastille in Paris philosophische Gespräche mit 10 bis ... Leuten statt.
Themen: "Tod", "Gewalt", "Abhängigkeit", "Nation", ...

Sautet selbst betreibt eine "Philosophische Praxis" und ihm wurde vorgeworfen, die Café-Gespräche seien lediglich Werbung für seinen Kommerz... (aber: auch Uni-Prof "verkauft" sich an den Staat!)
Sautet beschreibt einige Beispiele: -> "Es kommt nicht darauf an, was der Beratende weiß, sondern was sein Klient sagen kann." (Sautet, S. 65)

Umfrage: Was stellt Ihr Euch unter guter Philosophie vor?
  • frei, kein Zwang, keine Vorgaben,
  • Diskutieren und dabei Erkenntnisse gewinnen und diese wieder hinterfragen
  • Man kann dabei eine Suppe löffeln...
  • Mit ALLEN Dingen beschäftigen, also "wichtigen" und "unwichtigen"
  • Nicht Philosophiegeschichte AUSWENDIG lernen
  • Nicht zensieren (es sollte niemand das Recht zur Beurteilung philosophischen Wissens haben)
  • Neuere philosophische Gedanken kennenlernen
  • Zur Liebe zur Weisheit führen (und nicht etwa abschrecken).
(siehe auch: Schlußfolgerungen aus dieser Diskussion: Kennzeichen guter Philosophie)

Wie entstand Philosophie in Griechenland? Kurzvortrag (Annette)

Ausführlich
Zusammenfassung: Nach dem Ende der durch die Kriegsaristokratie bestimmten gesellschaftlichen Ordnung entstand ein neues Bedürfnis nach Orientierung. Die sich herausbildende Demokratie war von Anfang an durch innere Widersprüchlichkeit gekennzeichnet:

  1. Athens Größe und damit auch ihre Demokratie beruhte zu großen Teilen auf der Tributzahlung durch andere Stadtstaaten. Dadurch kam es zu ständigen Kriegen (z.B. mit Sparta...)
  2. Im Innern wirkten sich soziale Verschiebungen aus, weil durch den erhöhten Einsatz von Sklavenarbeit die freien Tätigkeiten in Landbau und Handwerk nicht mehr ökonomisch waren.

Diese innere Widersprüchlichkeit wird u.a. in "Ödipus" von Sophokles widergespiegelt.

Ödipus-Sage (Kurzvortrag Katja)

Ausführlich
Zusammenfassung
(Tanja):
"Als Ödipus geboren wurde, ging der Vater zum Orakel und das Orakel hat ihm gesagt, daß sein Sohn seinen Vater umbringen wird....Als Ödipus groß war, ist er in ein anderes Land gegangen .... Er sah einen alten Mann, ... und brachte ihn um. Dann heiratete er eine Königin, ohne zu wissen, daß es seine Mutter war..."
Sautet verweist auf eine unübliche Interpretationsmöglichkeit (S. 272,296), welche in der Ödipussage eine Widerspiegelung der o.g. inneren Widersprüche der griechischen Demokratie sieht:

Auch Sokrates: (470-399 v.u.Z.) "war aufgescheucht: er mußte herausfinden, was schiefging..." (Sautet, S. 283)

Warum mußte Sokrates sterben? (Kurzvortrag Annette)

Ausführlich
Zusammenfassung:
Das Philosophieren von Sokrates zeichnete sich dadurch aus, daß es überlieferte Gewißheiten hinterfragte und dadurch zum tieferen Nachdenken zwang.
Allgemein-Aussagen über Gerechtigkeit, Güte und Wahrheit sind oft wenig zweckmäßig - besser ist es, die konkreten Bedingungen und Voraussetzungen zu hinterfragen. Dies führte aber zur Infragestellung von Gesetzen, die das Volk von Athen nicht in Frage stellen lassen wollte. Sokrates verunsicherte sie, und das zu einer Zeit, als Athen durch die Niederlage gegen Sparta sich sehr unsicher fühlte und deshalb sehr empfindlich reagierte. Als Sokrates angeklagt wurde, hätte er trotzdem nicht unbedingt zum Tode verurteilt werden brauchen. Dies geschah erst, weil Sokrates das Recht des Gerichts auf ein Urteil über sein Denken prinzipiell nicht anerkannte.

Platons Höhlengleichnis (Kurzvortrag Carmen)

Ausführlich

Wir beziehen uns hier auf das sog. Höhlengleichnis aus dem Siebenten Buch der Politeia.

(Abbildung aus: Osborne, Philosophie - Eine Bildergeschichte für Einsteiger)

Es zeigt sich, daß diejenigen, die in den Höhlen leben, damit ganz zufrieden zu sein scheinen. Dieses Problem ist immer noch äußerst aktuell. Gerade deshalb ist es aber notwendig, sich zu überlegen, wie diejenigen, die es doch wollen, die Höhle verlassen können. Philosophisches Denken ist eins der Mittel dazu.

Kennzeichen guter Philosophie

  • Frageorientiert: "Philosophieren heißt, das, was bereits als Antwort vorliegt und in Wirklichkeit nicht taugt, in Frage zu stellen." (Sautet, S. 37) "Ein Philosoph ist nicht jemand, er auf alle Fragen eine Antwort hat, sondern jemand, den die bereits erteilten und vorherrschenden Antworten beschäftigen." (Sautet, S. 45) - vgl. "ML": "Dialektik = in den Widersprüchen allgemeinen Zusammenhang sehen" - der aber vorausgesetzt war.
  • An allem zweifeln, alle Voraussetzungen aufgeben (Hegel, S. 382)
  • -> Widersprüche in der öffentlichen Meinung aufdecken (Sautet, S. 53)
  • Das Absolute (auch am "Guten"...) hinterfragen: das Bedingte des besonderen Inhalts zu Bewußtsein bringen (Hegel nach Sokrates, S. 395)
  • durch Kritik des innerhalb der Horizonte Bleibenden Weiterführung - weitere Zusammenhänge aufzeigen...
  • Selber denken ->
  • Voraussetzung für Demokratie!
(vgl. vorn: Erwartungen an Philosophie)

 

 

 

Literatur:
Eichler, K.D., Seidel, H., Philosophie im antiken Griechenland, in: Moritz , R. (Hrsg.), Wie und warum entstand Philosophie in verschiedenen Regionen der Erde?, Berlin 1988, S. 125-166
Fischer, J., Sokratik und Politik, in: Krohn, D., u.a. (Hrsg.), Das Sokratische Gespräch. Ein Symposion, Hamburg 1989, S. 79-105
Hegel G., W., F., Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, Band I, Leipzig 1982
Irmscher, J., Sokrates, Leipzig, 1982
Pagés, F., Frühstück bei Sokrates, Philosophen ganz privat, München 1997
Platon, Der Staat, Leipzig 1988
Sautet, M., Ein Café für Sokrates. Philosophie für jedermann, Düsseldorf/Zürich 1999
Schwab, G., Die schönsten Sagen des klassichen Altertums, Bindlach 1995
Weischedel, W., Die philosophische Hintertreppe. Die großen Philosophen in Alltag und Denken, München 1997

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