Determinismus, Gesetzmäßigkeit
Determinismus ist nicht nur der Gegenbegriff zu Indeterminismus und deshalb nicht "in der Regel eine These der Prädetermination von (allen) Ereignissen in der Welt" (Stekeler-Weithofer 1999: 230). Damit wäre er zu unterbestimmt. Einem Indeterminismus, dem entsprechend es Ereignisse gäbe, die in keiner Weise bedingt und vermittelt sind, ist eine andere Art von Determinismus entgegenzustellen. Ein solcher allgemeinerer Begriff von Determinismus ist als "philosophische Theorie des objektiven Zusammenhangs und der wechselseitigen Bedingtheit aller Objekte und Prozesse der Natur, der Gesellschaft und des Denkens" (Hörz 1996a: 188) zu verstehen. Ohne objektive Zusammenhänge der Objekte und Prozesse gäbe es keine Erkenntnis- und Gestaltungsmöglichkeit. (Hörz 2002) Dabei gibt es viele verschiedene Formen des Zusammenhangs; umfassende Entwicklungszusammenhänge enthalten als Momente auch Struktur- und Bewegungszusammenhänge, für die Kausalbeziehungen, Gesetzesbeziehungen und andere Zusammenhänge existieren, die nicht einfach alle miteinander identisch gesetzt werden können. Es wäre sehr mechanisch, Gesetz, Notwendigkeit, kausalen Verlauf, Vorausbestimmtheit und Voraussagbarkeit miteinander zu identifizieren (Hörz 1973: 174). Integraler, "statistischer" Gesetzesbegriff Während Aussagen über Strukturbeziehungen auch unwesentliche Strukturen beinhalten, Kausalbeziehungen "direkte, konkrete und fundamentale Vermittlung(en) des objektiven Zusammenhangs", bei denen die einen Prozesse (Ursachen) andere (Wirkungen) hervorbringen (Hörz 1996c: 444) sind, beziehen sich Gesetze auf das Wesentliche im Ablauf und Bedingungszusammenhang (Bloch 1954: 538); sie stellen die reproduzierbaren wesentlichen Zusammenhänge zwischen Systemstruktur und Elementverhalten (Hörz 1980: 145) dar. Wesentliche, d.h. allgemein-notwendige Beziehungen sind Gesetzesbeziehungen, die jedoch niemals rein abstrakt und bedingungslos gelten, sondern durch ihre Bindung an konkrete Bedingungen in sich strukturiert sind. Wesentliche Beziehungen konstituieren Weltbereiche, die von anderen unterschieden, auch "System" genannt werden können, deren innere Strukturierung nicht zu vernachlässigen ist. Aus dieser inneren Strukturierung ergibt sich auch eine innere Struktur der Gesetze. Um den Gesetzesbegriff klar abzuheben von mechanisch deterministischen Vorstellungen entwickelte Herbert Hörz einen Gesetzesbegriff, der verschiedene Aspekte, die mit Wahrscheinlichkeiten operieren, integriert und nannte ihn "statistisches Gesetz": Für ein System existiert eine Möglichkeit, die notwendig verwirklicht wird (dynamischer Aspekt). Für jedes Element des Systems existiert eine Reihe von Möglichkeiten, von denen sich eine zufällig, nach einer Wahrscheinlichkeitsverteilung realisiert (stochastischer Aspekt). Die Elemente des Systems verwirklichen eine bestimmte Möglichkeit nach einer bestimmten Übergangswahrscheinlichkeit (probabilistischer Aspekt). (Hörz 1996b: 345) Obgleich dieser Begriff so allgemein gehalten ist, dass er auch für physikalische Objekte gilt, lässt er sich nach Hörz auch für gesellschaftliche Fragestellungen präzisieren. Der eben vorgestellte Gesetzesbegriff arbeitet nicht primär mit dem mathematischen, epistemischen oder einem anderen Wahrscheinlichkeitsbegriff, sondern betrachtet – wie seit Leibniz tradiert – die Wahrscheinlichkeit als Grad der Möglichkeit (Niiniluoto 1999: 1732; Röseberg 1996: 947), bzw. als "objektiv bedingtes Maß für die zufällige Verwirklichung von Möglichkeiten" (Hörz 1980:143). Gesetzmäßigkeiten stellen eine "Einheit von notwendigen und bedingt zufälligen Verwirklichungen von Möglichkeiten" (Hörz 2002) dar. Gesetze beschreiben nicht konkrete, wirkliche Vorgänge in Raum und Zeit – sondern spannen ein Möglichkeitsfeld für sie auf. Sie beschreiben, unter welchen Bedingungen welche Vorgänge möglich sind, nicht ob und wo diese Bedingungen gerade erfüllt oder nicht erfüllt. sind. Wo alle Bedingungen für die Existenz einer Sache gegeben sind, so existiert sie notwendigerweise. Die im allgemeinen nur partielle Bedingtheit, z.B. durch Bedingungsänderungen im Zeitablauf ermöglicht die Zufälligkeit. Während die Gesetzmäßigkeit vielerlei Mögliches einschließt, schließt sie das Unmögliche aus. Die Zufälligkeit ist auch nicht lediglich abstrakte Unbestimmtheit, sondern enthält konkrete Bedingtheit, jedoch nur partielle. Neben dem Zufall sind andere nicht in der üblichen Weise als gesetzmäßig zu klassifizierende Verhaltensweisen wie Asymmetrie und Nicht-Linearität zu berücksichtigen (vgl. Hörz 2002). Besonders im Rahmen zeitlicher Prozesse verändern sich die Bedingungen und damit der Status einer Sache, eines Vorgangs bezüglich seiner Notwendigkeit oder Zufälligkeit, Möglichkeit oder Wirklichkeit. Auf diese Weise wird mit diesem Gesetzesbegriff eine ältere Vorstellung von Ernst Bloch über gesellschaftliche Gesetzlichkeit erfüllt. Durch diese Offenheit nach vorwärts kommt also keineswegs ein Undeterminiertes, sondern ein noch nicht vollzählig Determiniertes in die spezifische Gesetzesweise, Determinationsweise der realen Möglichkeit. Die reale Möglichkeit selber ist zweifellos auf der noch nicht vollzählig-fertig determinierten, das heißt, auf der nichtmechanisch determinierten Seite der Wirklichkeit angebaut; so also erhält die Gesetzesweise der realen Möglichkeit ebenso eine eigene, eine heilsame Art von Kontingenz. Ja, es wirkt in dieser Art Kontingenz ein relatives Freiheitsmoment im objektiven Faktor selbst – wohlverstanden nur an der offenen Front des Prozesses. (Bloch 1954: 554) Der integrale Gesetzesbegriff enthält das von Bloch geforderte "Anders-Seinkönnen", "das sich relativ "kontingent" Verhaltende, mit noch Real-Möglichem in sich" (Bloch 1954: 564) primär für die im System enthaltenen Elemente. Nur wegen der Relativität der Systematik, wegen der auch Systeme sich als Elemente übergeordneter Systeme erweisen, zeigt sich die Tendenznotwendigkeit des Systems selbst als relativ. In dieser abstrakten Sichtweise scheint dem Relativismus Tür und Tor geöffnet. Als System ist das Verhalten mit Notwendigkeit bestimmt, als Element gibt es Möglichkeitsspielräume. Wichtig ist die Rückbesinnung auf die jeweils konkret gegebenen Bedingungen, wobei eine konkret-historisch gegebene Bedingungsgesamtheit für eine Sache oder einen Prozess ihre Notwendigkeit bestimmt – und nur partielle Bedingungsrealisationen die Offenheiten begründet. In der realen Entwicklung springen die Zustände nun nicht beliebig hin und her, sondern bauen aufeinander auf, auch wenn sich die Bedingungen immer wieder ändern. Die früheren Bedingungen und realisierten Zustände gehen in die neuen Bedingungen ein. Dadurch kommt es nicht auf einen "zerstreut-zufälligen", sondern einen "offenhaltend-zufälligen" Anteil von Zufall im Gesetz (Bloch 1954: 564) an. Bereits vor der ausführlichen Untersuchung von sprunghaften Verhaltensweisen an sog. Bifurkationspunkten in sich selbst organisierenden Systemen wurde in der Diskussion der Rolle verschiedener Zufallsformen bereits darauf verwiesen, dass bestimmte Zufälle in geeigneten Momenten auch zu wesentlichen der Entwicklung werden können. Gegenüber notwendigen Tendenzen für das Ganze sind Zufälle nicht vernachlässigbar; sie können sogar zu wesentlichen Zufällen werden, vor allem, wenn sie zu einer qualitativen Änderung des Systems führen (Hörz 1967: 864; Hörz 1968: 334). Die Idee des Zufalls als konstituierendem Element von Prozessen wird zusätzlich konkretisiert durch die neuere Erkenntnis der Fluktuationen als "Schwankungen zwischen mindestens zwei möglichen Zuständen eines Systems, von denen sich einer realisiert, ohne dass die Bedingungen für die Verwirklichung gerade dieser Möglichkeit genau bestimmbar sind." (Hörz 2002). Durch das Konzept der Selbstorganisation erweitert sich auch die Sichtweise auf den dynamischen Aspekt des Systems – im überkritischen Zustand erhält sein Verhalten selbst ein Möglichkeitsfeld (ebd.). Der integrale Gesetzesbegriff in der Gesellschaftstheorie Die Gesellschaftlichkeit der Menschen steht den Individuen nicht als ihnen äußerlicher Zwangsmechanismus gegenüber, sondern das Leben jedes Menschen verwirklicht (konkret-historische) menschliche, durch die gesellschaftliche Existenz gegebene Möglichkeiten; er enthält also quasi die Gesellschaftlichkeit in sich und die Gesellschaft konstituiert sich im Handeln der Menschen. Individuen sind mehr als nur einander äußerlich wechselwirkende Teile eines Ganzen, mehr als nur Platzhalter für Objekte in systemhaften Interaktionsnetzwerken. Das Begreifen der Gesellschaft erfordert letztlich ein Begreifen nicht nur des Gegen- und Miteinanders ihrer Teile oder Aspekte, sondern der widersprüchlich einander entgegengesetzten, aber auch einander enthaltenden Momente. Eine Voraussetzung für das Auffassen dieser Momente und der Darstellung ihrer Verhaltensmöglichkeiten ist jedoch ihre angemessene Unterscheidung und Erfassung ihrer gesetzmäßigen Wechselbeziehungen (in Hegelschen Kategorien: die wesenslogische verständige Erfassung als Voraussetzung der begriffslogisch vernünftigen). Ein Gesetzesbegriff, der hier dem Besonderen des Gesellschaftlichen gegenüber dem bloß-Naturhaften Raum lässt, muss "unabgeschlossen" bleiben und dem "Neuen seinen Latenz-Ort" (Bloch 1954: 551) geben. Das gesellschaftliche Spezifische, die schöpferischen gesellschaftlichen Produktionsvorgänge, können in einem Natur und Gesellschaft umfassenden Gesetzesbegriff noch keine ausreichende qualitative Bestimmung erfahren. Aber in abgeschwächter Form muss vor allem für das Neue ein, wenn auch unterbestimmter, Raum vorhanden sein. Auch wenn die qualitative Spezifik des menschlich-Gesellschaftlichen im integralen Gesetzesbegriff nicht erfasst werden kann (und soll), so zeigt sich in seinem Rahmen bereits die Offenheit sogar des gesetzmäßigen Determinismus gegenüber Freiheitlichem. Die Gesellschaft, als System, bestimmt das Verhalten der einzelnen Menschen nicht direkt und unvermittelt. Für das Verhalten von Individuen in der Gesellschaft gibt es wie für Elemente in Systemen "eine Reihe von Möglichkeiten, von denen es eine zufällig, da nicht eindeutig aus dem Gesetz ableitbar, verwirklicht, wofür eine bestimmte Wahrscheinlichkeit existiert" (Hörz 1973: 179). Für gesellschaftliche Gesetze sind wichtige Besonderheiten zu beachten (vgl. Hörz 1973: 180ff.):
Gesetze und freie menschliche Handlungen Auf diese Weise sind Gesetzmäßigkeit und Freiheit auch in der menschlichen Geschichte nicht unvermittelte Gegensätze, sondern einander voraussetzende Momente bewusster menschlicher Handlungen. Anders gesagt: ohne subjektiv-real Vermögendes wären die Möglichkeiten der Geschichte blind, ohne objektiv-reale Möglichkeiten wäre das Vermögende der menschlichen Geschichtsbildung taub. (Bloch 1954: 555) Aus der Kenntnis von Gesetzen kann dem Handeln aufzeigen, was unter welchen Bedingungen möglich ist. Es kann nicht eindeutig prognostiziert werden, was geschehen wird aber es können Wahrscheinlichkeiten für die Verwirklichung von Vorhaben aufgezeigt werden (Hörz 1973: 176). Mit den statistischen Gesetzen können zwar Trends der Zukunft angegeben, aber keine exakten Prognosen aufgestellt werden. Der Gegensatz zu einer mechanistischen Auffassung ist jedoch keineswegs mit einer Haltung verbunden, nach der die Zukunft überhaupt nicht mehr gestaltbar sei. Die Welt verändert sich im Rahmen von Gesetzmäßigkeiten und nicht einfach regellos. (Hörz 2002) Zu beachten ist auch, dass ein Gesetz nicht vorzeitig mit einer Tendenz identifiziert werden kann, sondern dass es notwendig ist, "einander widersprechende Tendenzen zusammen [zu] fassen" (Hörz 1974: 1211). Objektiv gegeben, und durch die Gesetzeserkenntnis erfassbar sind Möglichkeitsfelder und Wahrscheinlichkeitsverteilungen (Hörz 1976: 960). Historische Notwendigkeit, Möglichkeitsfeld, Bedingungen und Wahrscheinlichkeitsverteilungen bleiben objektiv, können aber erkannt und bei der Auswahl der zu verwirklichenden Möglichkeit Voraussetzung der Entscheidung sein. (Hörz 1974: 1209) Zur Grundlage des Handelns der Menschen werden vor allem die "relativen Ziele", die sich objektiv aus den im gegebenen Bedingungsgefüge und gegebenen Möglichkeitsfelder abzeichnenden Haupttendenzen ergeben (vgl. Hörz 2002). Ob diese relativen, d.h. objektiv möglichen Ziele auch subjektiv zu Zielsetzungen werden, ist eine andere Frage. Erst wenn Entscheidungen über eine die Verwirklichung einer bestimmten Möglichkeit getroffen worden ist, ergeben sich daraus sogenannte "objektive Erfordernisse", denn um die Wahrscheinlichkeitsverteilung in die gewünschte Richtung zu verändern, müssen Bedingungen bewusst verändert werden. Dass diese Veränderung die gewünschten Resultate haben kann, wird durch die Gesetzmäßigkeit der zugrunde liegenden Prozesse abgesichert. Auf diese Weise ist "Freiheit [...] begriffene Notwendigkeit [...], weil die Freiheit der Aktionen mit dem Gesetz der Notwendigkeit wirklich vermittelt ist" (Bloch 1954; 546). Auf diese Weise können "Wollen und Gang der Sache richtig aufeinander abgestimmt" (ebd.) werden, das Wollen wird zum "besonders aktive[n] Teil der begriffenen Tendenz selber" (ebd.). "In die Bedingungen geht nun das gesellschaftliche Handeln der Menschen direkt ein." (Hörz 1973: 182). Es sind die Bedingungen, die es uns ermöglichen, die Gesetze für freies Handeln zu nutzen. Die Zwischenschicht der Bedingungen kann der subjektive Faktor folglich ändern, sogar aufheben, sogar neu schaffen, aber er kann nicht die Gesetze ändern, denen gemäß diese Bedingungen erst änderbar, aufhebbar, neubildbar sind [...]" (Bloch 1954: 548) Aus dieser Vermittlung läßt sich ein "Fahrplan konkret-haltbarer Bedingungs-Änderungen" (ebd.) ableiten. Die Gesellschaftswissenschaft kann dabei angeben, "welche wesentlichen Bedingungen vorhanden sein müssen, damit eine bestimmte Möglichkeit Wirklichkeit wird" (Hörz 1967: 864). Der Mensch kann handeln, "indem er die Bedingungen schafft, die die im Gesetz enthaltende und von ihm gewünschte Möglichkeit verwirklicht" (ebd.: 865). Der Mensch ist dabei Bestandteil des geschichtlichen Prozesses und "gerade die dialektische Prozessgesetzlichkeit, mit dem Novum an der Front, gibt der kenntnisreichen subjektiven Freiheit Wirkungsraum" (Bloch 1954: 555). Dabei ergibt sich weder aus dem Wissen direkt eine Handlungsanweisung, noch kann rein subjektives Wollen das Handeln der Wirklichkeit aufzwingen. Es gibt verschiedenartige Vermittlungen, die im Einzelnen zu untersuchen sind. Zwischen der allemal von der Außenwelt bedingten menschlichen Inwelt und der von dieser ebenso unabhängig existierenden wie mit ihr vermittelten oder vermittelbaren Außenwelt besteht vielmehr eine Wechselwirkung, die keines ihrer Glieder starr-antithetisch hält (Bloch 1954: 532f.). Hörz nennt als vermittelnde Faktoren Normen als " im Bewusstsein fixierte Anforderungen an gesellschaftliches Verhalten des Individuums, die sich aus der Existenz objektiver Gesetze, ihren Bedingungen, der auf Grund von Entscheidungen zu verwirklichenden objektiven Möglichkeit, den sich daraus ergebenden objektiven Erfordernissen und den existierenden Traditionen ergeben" (Hörz 1974: 1212) und erwähnt die Rolle von Interessen, die wiederum von objektiven Lebensbedingungen abhängen (nach Gleserman, in Hörz 1976: 959). Freiheit in Aktion ist kein Amoklauf, sondern tätiger Einklang mit den herangereiften und heranreifenden gesetzmäßigen Bedingungen. Objektive Gesetzmäßigkeit ist keine Schranke, sondern für den Willen, der zu einer besseren Zukunft empor will, zuweilen doch eine mehr als hilfreiche Staffel. (Bloch 1954: 566) Hinaus ins Offene, das Neue schaffend Der wesentliche Unterschied zwischen Naturgesetzen und gesellschaftlichen Gesetzen ergibt sich aus der gesamtgesellschaftlichen Verfügung über die Reproduktionsbedingungen der Gesellschaft, die für die Natur höchstens hypothetisch ("hypothetisches Natur-Agens" wie natura naturans, Bloch 1954: 558) angenommen werden kann. Zu Blochs Zeiten konnte das menschliche Eingreifen in die Naturvorgänge selbst keine für die Natur wirklich neuen Bedingungen (für bisher nicht existierende Naturgesetze) erzeugten. Dies hat sich seitdem schon geändert. Erst recht können in der Gesellschaft solche Bedingungen hergestellt werden, dass neue Gesetze ihre Wirkungsbedingungen finden. Das über den Rahmen der gegebenen Gesetze Hinausgehende wird auch seltener als Möglichkeit menschlicher Handlungen im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Gesetzen thematisiert (in der DDR ebenso wie in den jetzigen "Zukunftsforschungs- und gestaltungs"-Prozessen). Im günstigsten Fall wird wenigstens betont, dass "der Mensch innerhalb dieses Rahmens Entscheidungsfreiheit besitzt" (Hörz 1968: 331) und dass neue Entscheidungsspielräume entstehen können (Hörz 1968: 331). Neben der Tatsache, dass Gesetze selbst Modifikationen (Veränderungen im Möglichkeitsfeld) unterliegen, muss aber in Betracht gezogen werden, dass auch verschiedene Gesetze in einer historischen Entwicklung aufeinander folgen. Letzteres geschieht auch in der Natur, allerdings ist die Form der erkannten Naturgesetze aufgrund der epistemologischen "Dualisierung" der konkreten Widersprüche (Borzeszkowski, Wahsner 1989) nicht direkt geeignet, historische Evolutionsprozesse zu erfassen. Im gesellschaftlichen Handeln kommt dieser Möglichkeit der Überschreitung von Gesetzen eine besondere Bedeutung zu. Einerseits können und müssen die Möglichkeiten, damit auch die Grenzen der gegebenen Gesetze (z.B. der herrschenden ökonomischen Gesellschaftsformation) erkannt, ausgenutzt, so weit wie irgend möglich modifiziert werden – andererseits müssen wir diese nicht hinnehmen, sondern können sie kritisieren und nach neuen humaneren und ökologischeren wesentlichen menschlichen Zusammenhangsformen suchen. Ob diese Frage gestellt wird, unterscheidet grundlegend verschiedene "Zukunftsforschungs"-Optionen. Bei Hörz wird erwähnt, dass es neben existierenden auch sich herausbildende, erst bewusst zu schaffende Bedingungen gibt (Hörz 1976: 962), aber der Schwerpunkt liegt noch in der Vorhandenheit der Möglichkeiten, denen nur noch die Realisierung fehle. Das Entstehen neuer Möglichkeiten, das z.B. von Ernst Bloch als das Wesentliche der menschlichen Handlungen eingefordert wird, fand weniger Aufmerksamkeit. Diese unterschiedlichen Orientierungen erklären sich wohl aus der Situation in der DDR: Die Mehrheit der PhilosophInnen nahm an (bzw. hatten davon auszugehen), dass die Gesetze des Sozialismus im Wesentlichen vorhanden seien, es nur noch auf die Entbindung ihrer zu verwirklichenden Möglichkeiten ankomme, während sich Bloch grundsätzlicher an dem immer wieder vor uns lockenden grundsätzlichen – auch über den "realen Sozialismus" hinausweisenden - Novum orientierte. Bloch, Ernst (1954): Über Freiheit und objektive Gesetzlichkeit, im Prozess gesehen. In: Bloch, Ernst: Philosophische Aufsätze zur objektiven Phantasie Frankfurt am Main: Suhrkamp 1985. S. 531-567.Borzeszkowski, Horst-Heino von; Wahsner, Renate (1989): Physikalischer Dualismus und dialektischer Widerspruch. Studien zum physikalischen Bewegungsbegriff. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Hörz, Herbert (1967): Mensch und Wissenschaft. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 15 (1967) 7. S. 840-867. Hörz, Herbert (1968): Die Rolle statistischer Gesetze in den Gesellschaftswissenschaften und ihre Bedeutung für die Prognose. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 16 (1968) 3, S. 327-335. Hörz, Herbert (1973): Die Bedeutung statistischer Gesetze in den Gesellschaftswissenschaften. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 21 (1973) 2, S. 174-189. Hörz, Herbert (1974): Objektive gesellschaftliche Gesetze und Subjekt-Objekt-Dialektik. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 22 (1974) 10, S. 1206-1217. Hörz, Herbert (1976): Statistische Gesetze, Wirkungsmechanismus und individuelles Verhalten. Deutsche Zeitschrift für Philosophie 24 (1976) 8, S. 958-971. Hörz, Herbert (1980): Zufall – Eine philosophische Untersuchung. Berlin: Akademie-Verlag. Hörz, Herbert (1996a): Determinismus. Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch. Bonn: Pahl-Rugenstein. Hörz, Herbert (1996b): Gesetz. Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch. Bonn: Pahl-Rugenstein. Hörz, Herbert (1996c): Kausalität. Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch. Bonn: Pahl-Rugenstein. Hörz, Herbert (2002): Heisenberg: Determinismus und die Folgen. In: G. Klose, K. Reiprich (Hrsg.): Werner Heisenberg. Vorträge zum 100. Geburtstag. Rohrbacher Kreis, Sonderh. Leipzig: Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen, 2002, S. 21–48. Niiniluoto, Ilkka (1999): Wahrscheinlichkeit. Enzyklopädie Philosophie (Hrsg.v. Hans Jörg Sandkühler). Hamburg: Felix Meiner Verlag. Röseberg, Ulrich (1996): Wahrscheinlichkeit. Philosophie und Naturwissenschaften. Wörterbuch. Bonn: Pahl-Rugenstein. Stekeler-Weithofer, Pirmin (1999): Determinismus/Indeterminismus. Enzyklopädie Philosophie (Hrsg.v. Hans Jörg Sandkühler). Hamburg: Felix Meiner Verlag. |