Kritik der vereinfachten Wissenschaftskritik

In wissenschaftskritischen Kreisen ist es ausgemacht, dass nicht nur ein falscher Gebrauch oder Missbrauch der Wissenschaft zu kritisieren sind, auch nicht nur ihr übermäßiger und verabsolutierender Herrschaftsanspruch, sondern dass ihre Methoden selbst durch und durch getränkt sind von der herrschenden Gesellschaftsform, wodurch sich eine Kritik der Wissenschaft erforderlich macht. 

Sehr klar äußert Claus Peter Ortlieb diesen Anspruch in seinen Analysen, allerdings wird bei ihm auch ein großes Problem deutlich. Es bleibt ziemlich unklar, wie groß die Reichweite seiner Wissenschaftskritik ist. Einerseits wird immer wieder darauf verwiesen, wie stark Wissenschaft an Kapitalismus geknüpft ist, andererseits wird betont, dass es nicht um eine Ablehnung jeglicher methodischer Ordnung geht (Ortlieb 1998: 23). Wesentliche Momente der Naturwissenschaft (Mathematisierung, Experiment, Messung) werden ablehnend (nicht nur aufhebend) kritisiert – es bleibt offen, was von Wissenschaft als weiter entwickelbar übrig bleibt. Der folgende Text bezieht sich zum größten Teil auf zwei seiner Texte, in weiten Zügen zustimmend, in anderen Fragen kritisierend und ergänzend; es bleibt aber unbestimmt, ob er eine grundsätzliche Kritik an Ortlieb oder eher eine Ergänzung darstellt. Das liegt an der eben erwähnten Unklarheit.

Ortlieb argumentiert gegen die empiristische Vorstellung, neuzeitliche Wissenschaft sei primär in voraussetzungsloser Erfahrungen fundiert (Empirismus). Er deckt auf, dass wissenschaftliche Erfahrung nicht unabhängig von vorausgesetzten Prinzipien und Methoden ist und geht davon aus, dass die Erkenntnis, auch die naturwissenschaftliche, von der Gesellschaftsform abhängt (Ortlieb 2000: 21). Daraus ergibt sich die Frage nach einer anderen Wissenschaft (Ortlieb 1998: 2) als Problem und Aufgabenstellung.

Die aufklärerische Selbstgewissheit der Überlegenheit der neuzeitlichen Wissenschaft als Welterklärung beruht allzu oft auf täuschenden Annahmen. Das betrifft die Verfasstheit der Wissenschaft selbst wie auch das Verhältnis von Wissenschaft zum Weltbild, zur Weltanschauung.

Zuerst muss festgehalten werden, dass es wichtig ist, zwischen Wissenschaft und Weltanschauung zu unterscheiden. Wissenschaft unterliegt spezifischen methodisch-epistemologischen Voraussetzungen und damit auch Begrenzungen, die eine Identifizierung mit Weltanschauung im allgemeinen Sinne nicht rechtfertigen.[1] Auch die Einschätzung der Wissenschaft als unvoreingenommene aus der Erfahrung stammende wirkliche Darstellung der Welt ist zu kritisieren. Die empiristische Darstellung mag in didaktisch-vereinfachender Absicht entstehen oder auch aus dem Bestreben heraus, die Bedeutung der Wissenschaft als sicheres Fundament wahrer Erkenntnis und richtigen Handelns zu unterstreichen  – auf jeden Fall ist sie eine Verfälschung der wirklichen wissenschaftlichen Praxis.

Hans-Peter Ortlieb setzt mit seiner Kritik an dieser vereinfachenden, verfälschendenden Vorstellung über Wissenschaft in seinem Fachgebiet an. Er gibt zu bedenken, dass das Anwendungsfeld der mathematischen Modellierung immer mehr erweitert wird und ihren Methoden dabei blind vertraut wird. Vor allem die Übertragung „harter“ mathematischer Methoden in „weiche“ (z.B. soziale) Fragestellungen geschieht viel zu unkritisch (Ortlieb 2000: 21). Zu beanstanden ist auch die übliche Aneignung formaler Regeln und Kalküle ohne jeden Sinnzusammenhang (Ortlieb 1998: 17). Eine anderer Kritikpunkt ist die empiristische (Selbst-)Täuschung, die davon ausgeht, Ausgangspunkt und zentrales Werkzeug aller Naturwissenschaft sei die alltägliche Erfahrung (ebd.: 2). „Zu hinterfragen ist insbesondere die verbreitete Auffassung, bei mathematischen Modellen handele es sich in aller Schlichtheit um „Abbilder der Wirklichkeit“ (ebd.: Vorwort). Ortlieb zeigt den Fehler dieser Annahme am mehreren Beispielen aus der Physikentwicklung und verweist auf Kant, der erkannt hatte, dass der Aufnahme von Erfahrung immer schon Annahmen „a priori“ (vor aller Erfahrung) voraus gehen. Die Rolle der Apriori in den Naturwissenschaften ist tatsächlich häufig wenig bekannt und führt bei denen, die sie thematisieren, häufig zu konstruktivistischen Annahmen, bei denen der Wirklichkeitsbezug der Naturwissenschaft dann wieder fast fraglich wird und Wissenschaft als reine Konstruktion des menschlichen Geistes erscheint.

Ortliebs Argumenten gegen den Empirismus ist unbedingt zuzustimmen, allerdings bleibt bei ihm offen, in welcher Weise die Naturwissenschaften den notwendigen Wirklichkeitsbezug realisieren. Wenn allerdings die Diagnose der empiristischen Fehlinterpretation der Wissenschaft die Behauptung der Gesellschaftsformabhängigkeit der Wissenschaft stützen soll, so fehlt hierzu eine schlüssige Argumentation. Für die angestrebte Sichtweise auf eine andere Wissenschaft ergibt sich die Fragestellung, wie diese dem Problem eines angemessenen Wirklichkeitsbezugs begegnen kann. Auf jeden Fall ist dazu eine ausführliche Analyse der wirklichen wissenschaftlichen Praxis, ihrer Mittel und Methoden unabdingbar (vgl. z.B. Wahsner 1998), und Ortlieb nennt wichtige Ansatzpunkte dafür.

Bei anderen Punkten ist auch seinen Ansichten Kritik entgegen zu setzen. Dies betrifft ganz maßgeblich die Reduktion der wissenschaftlichen Methodik auf die Methode der mathematischen Modellierung[2] und die Nichtunterscheidung von Mathematik und Naturwissenschaft. Durch diese Konzentration auf nur eine Methode wird der Eindruck erweckt, als gäbe es keine anderen epistemologischen Fragestellungen zu klären, bzw. die Beziehungen der Methoden untereinander bleibt verborgen (Wissenschaft als spezifische menschliche Praxis, Rolle der Erkenntnismittel und ihre Beziehungen untereinander...). Die Reduktion auf diese eine Methode zeigt sich z.B. an dem Satz:  „Nichtsdestoweniger ist mathematische Modellbildung aus heutiger Sicht das, was die neuzeitliche mathematische Naturwissenschaft seit Galilei betreibt.“ (Ortlieb 2000: 1). Die Naturwissenschaft betreibt tatsächlich mathematische Modellbildung, aber nicht nur und auf jeden Fall in abgestimmtem Zusammenhang mit allen anderen ihrer Methoden unter Nutzung spezifischer Erkenntnismittel. Ortlieb vertritt die Vorstellung: „Das eigentlich Neue an der neuzeitlichen exakten Naturwissenschaft ist die Vorstellung von mathematischen Gesetzen hinter den vielfältigen Erscheinungen des Naturgeschehens.“ (ebd.: 2). Diese Ansicht verleugnet den qualitativen Unterschied zwischen mathematischen Gesetzen und physikalischen (naturwissenschaftlichen) Gesetzen. Vor allem wird die Bedeutung der physikalischen (naturwissenschaftlichen) Grundgrößen geleugnet, mit denen in den physikalischen (naturwissenschaftlichen) Gesetzen verschiedene konkrete Naturqualitäten in Bezug gesetzt werden und nicht völlig qualitätslose Quanta. In den Naturwissenschaften geht es qualitative Verhältnisse, nicht um mathematische Beziehungen.[3] Es entspricht nicht der Realität zu behaupten: „Bis ins 19. Jahrhundert hinein bilden Mathematik und Physik eine Einheit. In dieser Sicht sind mathematische Sätze einfach wahre Aussagen über die Natur [...]“ (Ortlieb 2000: 24). Zwar ist die Trennung im Sprachgebrauch noch nicht immer vollzogen[4], aber von der Bedeutung her geht es um die Veränderbarkeit physikalisch bestimmter Grundgrößen, die sich von mathematischen durch einen spezifischen Wirklichkeitsbezug auszeichnen. Dass Ortlieb diese Unterscheidung nicht trifft, zeigt auch seine Darstellung von Modellen, beispielsweise der Elementarteilchenphysik, die er kennzeichnet als „rein mathematische, keinem mechanischen Analogon mehr verpflichtete Modelle“ (Ortlieb 1998: 18). Dieser Satz impliziert die Scheinalternative: Entweder „ rein mathematisch“ oder „einem mechanischen Analogon verpflichtet“. Diese Alternative ist aber falsch. Es gibt nicht mechanisch analogisierbare physikalische Modelle (Modelle für nichtklassische physikalische Größen wie Spin, Charme etc.), die reale (physikalisch-mögliche, aber nicht mehr anschaulich vorstellbare) Verhaltensweisen darstellen, nicht nur abstrakte (mathematisch-mögliche).[5]

Ähnlich gelagert ist die Einschätzung der Systemtheorie. Ortlieb erwähnt „mit den Naturwissenschaften entlehnten Konzepten der Systemtheorie“ (Ortlieb 1998: 14). Dabei verkennt er die Eigenständigkeit der epistemischen Standpunkte von Naturwissenschaft und Systemtheorie. Der Unterschied zwischen beiden bezieht sich vor allem auf die Form des Allgemeinen. In den Naturwissenschaften ist dies Allgemeine nicht völlig abstrakt, sondern bezogen auf konkrete, naturwissenschaftlich qualitätsspezifisch bestimmte Größen oder Parameter, die Systemtheorie zeichnet gerade die besonders hohe Abstraktheit ihrer Größen aus.[6]

Nun zur Arbeitsweise der Wissenschaft selbst. Ortlieb verweist darauf, dass die Erfahrungen in der Wissenschaft nicht unmittelbare Beobachtungen sind, sondern durch Experiment und Messung ganz spezifische Methoden entwickelt haben. „Die ungeordnete und vielfältige Wirklichkeit lässt sich nicht messen. Daher wird dann auch anders vorgegangen, wie aus allen Schriften etwa Galileis und Newtons deutlich wird.“ (Ortlieb 2000: 17) Zwar ist der Hinweis auf den entscheidenden Unterschied zwischen Alltags- und wissenschaftlicher Erfahrung richtig – aber als Beschreibung der Arbeitsweise der Wissenschaft hat diese Aussage zwei Probleme: Erstens geht Ortlieb von einer „ungeordneten und vielfältigen Wirklichkeit“ aus. Ist für ihn die Wirklichkeit selbst ungeordnet, so dass alle Ordnung nur durch den Menschen in die Erkenntnis hineinkommt? Folgt er damit den nominalistischen Wissenschaftstheorien seit Russell[7]? Zweitens hat Ortlieb hier eine andere wichtige Fragestellung berührt. Neben der nominalistischen Interpretation kann Ortliebs Verweis auf die ungeordnete und vielfältige Wirklichkeit auch anders interpretiert werden. Denn tatsächlich wendet uns die Welt ihr Antlitz nicht in Gesetzesform zu. Sie ist selbst eine universelle Einheit vielfach ineinander verflochtener Entwicklungszusammenhänge, die in sich widersprüchlich sind. Diese widersprüchliche Welt kann so nicht in Gesetzesform erfasst werden. Naturwissenschaftliche Praxis besteht wesentlich darin, die Widersprüchlichkeit der Welt in dualisierter Form zu erfassen. Am deutlichsten wird dies anhand der einfachen Ortsbewegung, die die Widersprüchlichkeit selbst ist: „Das Bewegte bewegt sich weder im Raume, in dem es sich befindet, noch in dem es sich nicht befindet.“ (Zenon, nach Diels: 175). In dieser Form können keine Aussagen über die spezifischen Bewegungsmöglichkeiten wirklicher Naturkörper gemacht werden. Deshalb muss Bewegung auf ganz bestimmte Weise der Widersprüchlichkeit entkleidet werden. Dies geschieht, indem die Physik die widersprüchliche Situation, „“zu ein und demselben Zeitpunkt an einem Ort zu sein und nicht zu sein“ durch einen Zustand beschreibt, der durch ein duales Größentupel bestimmt wird. Dabei sind die beiden Größen algebraisch voneinander unabhängige Variable, die dennoch in bestimmter Weise aufeinander bezogen sind, wobei die Art ihrer Beziehung durch das jeweilige dynamische Gesetz bedingt ist“ (Wahsner, Borzeszkowski 1992: 24). In der eben angedeuteten Sichtweise wird die Praxis der Physik nicht nur beschrieben, sondern als sinnvoll begründet. Sollten alternative Vorstellungen von Physik entwickelt werden, wird dasselbe Problem mit der Widersprüchlichkeit stehen und wenn die bisher gefundene Lösung nicht als ausreichend empfunden wird, werden andere gefunden werden müssen. Die eben angedeutete Sichtweise von Wahsner und Borzeszkowski verweist auf die Rolle der Erkenntnismittel, worunter nicht nur technische Geräte, sondern u.a. messtheoretische Voraussetzungen zu verstehen sind. Wissenschaftsanalyse und –kritik wird sich auf eine konkrete Diskussion dieser Erkenntnismittel einlassen müssen, statt verwendete Mittel abstrakt und ersatzlos abzulehnen.

Die bloße entlarvende Darstellung von Erkenntnismitteln als an die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsform gebunden, wie in der Frage der Zeit bei Ortlieb, wird nicht ausreichen. Sie verengt die eigene Sichtweise auf jene als bürgerlich-kapitalistisch darstellbaren Momente und schließt eine ganze Vielfalt anderer Zeitvorstellungen aus, wie sie z.B. bei Hörz thematisiert werden, der von „objektiven Zeitstrukturen in ihrer potentiellen Unerschöpflichkeit“ ausgeht (Hörz 1989: 35).

Bloß abstrakte Kritik realisiert genau das, was sie dem Kritisierten vorwirft – dass ihre Vorstellungen und Begriffe im bürgerlich-kapitalistischen befangen sind und keine Überschreitung erlauben.

Bisher hatte noch eine Aussage dazu gefehlt, wieso die Naturwissenschaft und ihre Methoden in der gegebenen Form an die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaftsform gebunden sein sollen. Ortlieb konstatiert ein zeitlichen Zusammentreffen, aber dies wäre noch kein Argument. Inhaltlich findet er das „bürgerliche Subjekt“ als „Verbindungsglied zwischen der Warengesellschaft und der objektiven Erkenntnisform“ (Ortlieb 1998: 14). Diese bürgerlichen Subjekte werden von ihm gekennzeichnet als „wirtschaftliche Monaden“, als im „abstrakten Sinne freie und gleiche Subjekte des Warenverkehrs“ (ebd.). Die „bürgerliche Illusion der Ich-Identität“ sei als „elementare Grundvoraussetzung der wissenschaftlichen Rationalität“ (ebd.) zu verstehen und dieses Identitätsbewusstsein „nicht qua Menschsein angeboren, sondern gesellschaftlich konstituiert“ (ebd.: 15). Diese Subjektvorstellung beruht wesentlich auf der Konstruktion eines „Subjekt-Objekt-Dualismus“, wie Ortlieb, Robert Kurz zitierend, bestätigt. Damit folgt Ortlieb der Subjekt-Kritik von Lohoff, in der deutlich wird, dass hier eine undialektische Entgegensetzung von Subjekt und Objekt vorausgesetzt ist und deshalb kein angemessener Zugang zu einem dialektischen Begreifen von Vermittlungsverhältnissen zwischen Subjekt und Objekt oder zwischen Subjekten möglich ist. Subjekte werden Objekten abstrakt gegenüber gestellt. Sobald eine Kategorie etwas Allgemeines darstellt, wird nur das abstrakte, das Besondere auslöschende, Allgemeine vorgestellt und dann wegen dieser Abstraktheit, deren Verwandtschaft mit den herrschenden Realabstraktionen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsform erkannt wird, abgelehnt. Dadurch wird die andere Form der Allgemeinheit, die der konkreten Allgemeinheit, verleugnet.[8] Diese Allgemeinheit würde sich erschließen, wenn die praktisch-gegenständlich-sinnlichen Lebensprozesse der wirklichen Menschen in den Mittelpunkt gestellt würden und von daher das Subjekt begriffen würde als eine Einheit, die ihren Subjektstatus gerade dadurch beibehalten kann, in dem sie in ihrer Tätigkeit, im Lebensprozess, der Praxis Vergegenständlichungen/Objektivierungen realisiert.[9]

Im Prinzip bildet die nur abstrakte Fassung des Subjektbegriffs die bürgerlich-kapitalistische Zurichtung der Individualität ab. Tatsächlich sind Menschen im Kapitalismus als „Privatproduzenten“ allen anderen und damit auch der Gesellschaft abstrakt gegenüber gestellt. Diese Realabstraktion bedingt geistige Abstraktionen. Es wäre aber verhängnisvoll, das Denken in die Bahnen der ewigen Rekapitulation dieser Gegebenheiten einzusperren. Gerade die Subjektivität nur in dieser Abstraktion zu bestimmen, versperrt genau die Auswege, die gefunden werden müssen und können. Hier sei nur kurz erwähnt, welche Art Subjektivitätsbegriff bei Lohoff und Ortlieb völlig außer Betracht fallen:

-           Menschliche Subjektivität zeichnet sich durch spezifische Möglichkeitsbeziehung gegenüber der Welt aus. (vgl. Holzkamp 1983)

-           Das menschliche Subjekt ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass es die Bedingungen, unter denen es steht, auch selbst verändern kann. (vgl. Schlemm 2002)

So sehr die Subjektivität im Kapitalismus auch von dieser Gesellschaftsform bestimmt wird – die je individuelle Möglichkeitsbeziehung jedes Individuums gegenüber der Welt ist nie völlig aufgehoben. Zwar beherrscht die Realabstraktion Kapital das Leben und es zieht immer mehr bisher noch vor ihm geschützte Lebensbereiche in seinen Bann –  aber ohne funktionierende wirkliche Lebendigkeit und Subjektivität über diese Beherrschung hinaus endet auch seine Existenz. Alle menschliche Subjektivität als kapitalistisch zerstörte aufzufassen folgt selbst dem kapitalistischen Denkmuster der isolierenden Vereinzelung und Abstraktion. Hier passt sich das Denken ohne Not der kapitalistischen Beherrschung an und verzichtet auf die Entwicklung seiner möglichen Alternativen, die gerade in der Ablehnung der Abstraktion, der Entwicklung einer anderen Art von Allgemeinheit liegen könnte (wofür Hegels begriffslogisches Denken Vorläufer und Vorbild sein kann).

Es kann hilfreich sein, zwischen zwei Betrachtungsweisen zu unterscheiden: Auf der Ebene des Austauschs – in abstrakter Weise vorgestellt – treten die Menschen einander als private Warenbesitzer („bürgerliche Subjekte“) gegenüber, im speziellen als Besitzer der Produktionsmittel und als Besitzer ihrer Arbeitskraft. Als solche sind sie voneinander getrennt. Ohne einen wirklichen Arbeitsprozess findet aber nichts statt, auch kein Austausch. Und im wirklichen Prozess vermitteln sich die Beziehungen zwischen den Produktionsmittel- und den Arbeitskraftbesitzern (erst hier kann dann auch die Erzeugung von Mehrwert begriffen werden). Diese Produktionssphäre muss gegenüber der bloßen Austauschsphäre in unseren Blick kommen. Genauso ist es zu halten bei der speziellen Tätigkeit Wissenschaft: Zwar können hier Erkenntnissubjekt, Erkenntnismittel und Erkenntnisobjekt unterschieden werden (gedanklich gelingt sogar ihre abstrakte Trennung) – im wirklichen Prozess der Wissenschaft gehen sie konkrete Beziehungen ein, die zum Gegenstand der Untersuchung der Wissenschaft werden müssen. Es ist völlig verfehlt, die Wissenschaft lediglich in ihrer abstrakten Resultatsform zur Kenntnis zu nehmen, und sich dann über den ominösen Notwendigkeitscharakter von allgemeinen Gesetzesbeziehungen zu wundern und dies lediglich auf logisch-formaler Ebene zu bewältigen zu versuchen. Es kommt auf die Betrachtung der Wissenschaft als konkret zwischen Erkennendem und zu Erkennendem vermittelnder wirklicher Praxis an, und aus dieser erklären sich auch verschiedene Phänomene der Wissenschaftlichkeit wie die Verwendung von messtheoretischen Voraussetzungen, der Umgang mit naturwissenschaftlichen Modellen, mit mathematischen Methoden usw. usf.[10] Erst in solchen Untersuchungen kann dann auch unterschieden werden, inwieweit welche konkreten Momente des Erkennens, der Wissenschaft entweder gesellschaftsformationsspezifisch sind und inwieweit sich Erkenntnis von anderen Tätigkeiten (Spiel, Kunst...) unterscheidet und welche Momente dies ausmachen.

Für Ortlieb ist in der Subjektfrage eine weitere Fragestellung enthalten. Ortlieb kritisiert die Abspaltung der körperlichen und empfindenden Individualität; im urteilenden Verstand dürfe nichts Besonderes oder Individuelles mehr enthalten sein (Ortlieb 1998: 16). Diese Kritik geht fälschlicherweise davon aus, dass Erkenntnis jeweils in der ersten Person stattfindet. Demgegenüber ist aber zu vermerken, dass Erkenntnis und Wissenschaft gesellschaftliche Prozesse darstellen. Das bedeutet nicht, dass die Rolle des Individuums damit aufgehoben wäre. Wissenschaft kann mit den oben vorgestellten „bürgerlichen Subjekten“ gar nicht funktionieren. Wissenschaft braucht einerseits jeweils individuell besondere Menschen, weil dies die Voraussetzung für Schöpfertum und Kreativität ist. Andererseits ermöglicht sie auch individuelle, bewusst entscheidende besondere Handlungsoptionen, weil sie typische veränderbare Verhaltensmöglichkeiten jeweils von Klassen vergleichbarer Gegenstände heraus arbeitet. Wichtig ist jedoch, dass das Individuelle nicht in einem Individuum bleiben soll – sondern es muss von jedem anderen Individuum in der gleichen Weise auch erkannt werden können. Es stimmt nicht, dass im urteilenden Verstande nichts Individuelles mehr enthalten sein dürfe – sondern der urteilende Verstand hat in jedem Individuum möglich zu sein. Allgemeinheit der Wissenschaft bedeutet nicht unbedingt Verzicht auf Besonderheit, aber Verzicht auf der abstrakten Trennung von Allgemeinem und Besonderen. Wenn es um die Verhaltensmöglichkeiten von Naturgegenständen geht, so ist es nur vorteilhaft, wenn diese nicht für jeden Menschen anders aussehen, sondern Menschen gegenüber der Welt in ihren Handlungsoptionen – zumindest von der Bedingtheit durch die Naturgegenstände her – gleichberechtigt sind.

Außerdem ist Erkenntnis und Wissenschaft tatsächlich eine reduzierte Form der Wechselbeziehungen zwischen Menschen und ihrer Welt. Nicht alle möglichen Beziehungen gehen in sie ein. Ortlieb kritisiert beispielsweise die Abspaltung der Empfindung und der Körperlichkeit. Wir müssen uns fragen, welchen Einfluss Empfindung und Körperlichkeit jeweils auf Erfüllung der Aufgaben der Wissenschaft haben würden.[11] Ginge es nur um eine möglichst getreue Abbildung, die Beschreibung der Außenwelt, so hätte das Gefühlte, das körperlich Wahrgenommene sicher eine große Bedeutung. Die Frage steht, inwieweit Empfindung und Körperlichkeit bei der Erkenntnis der wesentlichen Verhaltensmöglichkeiten von Naturgegenständen helfen können. Es kann nicht darum gehen, eine totale Übereinstimmung von Mensch und Welt zu idealisieren und die reale Wissenschaft an diesem Ideal zu messen; sondern der Wissenschaft bewusst Aufgaben zu stellen und ebenso bewusst die dazu notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ob Empfindung dazu gehört, wird von den Aufgaben abhängen und kann nicht nur abstrakt-idealisierend gefordert werden.[12]

Es ist tatsächlich richtig, dass die Messung (als Moment der Erkenntnis) „durch die mathematisch-naturwissenschaftliche Methode vermittelte Wechselbeziehung von erkennendem Subjekt und der zu seinem Objekt gemachten Natur“ (Ortlieb 1998: 16) ist. Wie auch bei Lohoff, so liegt in Ortliebs Bestreben eine Kritik dieser Objektivierung. Einerseits bezieht sich die Kritik auf die Objektivierung des Naturgegenstands, andererseits auf die Abspaltung von Momenten der Menschlichkeit (wie Empfindung) aus dem Erkenntnissubjekt. Es zeigt sich, dass in beiden Fällen aus einer analytisch notwendigen Unterscheidung eine verabsolutierende Trennung gemacht wird. Es ist zwar modisch geworden, von einem „Dialog mit der Natur“ wie zwischen zwei Subjekten zu sprechen, und in weitestem Sinne ist die Beschäftigung mit natürlichen Bewegungsformen auch eine Art Selbsterkenntnis der Natur, da wir Teil von ihr sind. Für eine Analyse des Erkenntnisprozesses ist die Vereinheitlichung der Momente bis zur Unterschiedslosigkeit und der Verzicht auf die Kennzeichnung jeweils aktiver und passiver, bewusster und unbewusster Prozessmomente nicht hilfreich. Erkenntnis unterscheidet sich von beliebigen anderen wechselwirkenden Prozessen dadurch, dass die beteiligten Momente nicht gleichberechtigt sind. Während tatsächlich immer wirkliche und umfassende Wechselwirkungen stattfinden, hat die Erkenntnis die Spezifik, dass ein Moment (das Erkenntnissubjekt) das jeweils andere (Erkenntnisobjekt) erkennt.[13]. Insofern ist im Begriff der Erkenntnis eine Unterscheidung zwischen dem, was erkennt und dem, was erkannt wird, enthalten – egal, wie es genannt wird. Und innerhalb der vielfältigen Möglichkeiten, in der Welt zu interagieren, ist Erkenntnis nur eine Möglichkeit der Menschen, die von allen anderen (z.B. Spiel, Kunst...) auch berechtigt zu unterscheiden ist. Wenn Ortlieb und andere immer wieder spezifische Merkmale der Wissenschaft, bzw. der Erkenntnis wegen der Differenz zur Totalität des Lebens bzw. der Welt kritisieren, bleibt zu fragen, ob letztlich alles Eins ist, oder worin sie die Differenz, die Spezifik des Erkennens mit dem Ziel eines „Systems des Wissens“ gegenüber anderen Wechselwirkungen sehen. M.E. ist ein angemessenes Verständnis der Erkenntnis nur möglich, wenn ihre Momente z.B. nicht in einer Zweierbeziehung zwischen Erkennendem und Erkanntem verstanden wird, sondern die Erkenntnismittel hinzu genommen werden. Sie ermöglichen eine konkret-historische Betrachtung der verschiedenen Formen, Erkenntnis bzw. Wissenschaft betreiben zu können. Es ist bekannt, dass verschiedene Typen von Wissenschaft unterschieden werden können (Hörz 1988: 84, 92) und es ist absehbar, dass der jetzt moderne Typ auch Grenzen hat und zu neuen Typen führen wird. Wenn wir wissen wollen, welche Komponenten des bekannten Typs, die wir oft mit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsform in Verbindung sehen, zu beseitigen oder aufzuheben sind, brauchen wir nicht nur eine Kritik in entlarvender Form, sondern die Analyse ihrer Funktionalität bei der Erfüllung spezieller Aufgaben, deren Zweck selbst auch gesellschaftsformbestimmt sein kann. Auf jeden Fall wird es wohl, solange es Menschen als spezielle selbstbewusste, handelnde und in Gesellschaft organisierte Individuen gibt, auch die Notwendigkeit geben, Verhaltensmöglichkeiten im allgemeinen Sinne zu kennen. Erst die Kenntnis dieser allgemeinen Verhaltensmöglichkeiten ermöglicht freies Handeln und damit auch die Entwicklung individueller Besonderheiten[14]. Das Allgemeine kann nicht nur abstrakt dem Einzelnen als fremd gegenüber gestellt werden, sondern es ermöglicht es erst (natürlich in bestimmten konkreten Formen). Das Subjektive ist nicht dem Objektiven fremd und abstrakt gegenüber gestellt, sondern die Erkenntnis ist gerade der Prozess ihrer konkreten Vermittlung – wobei in der Erkenntnis tatsächlich nicht die Totalität aller möglichen Beziehungen zwischen zwei beliebigen Momenten der Wirklichkeit ausgeschöpft wird, sondern eins als Erkennendes, eins als zu Erkennendes mit bestimmten Mitteln zu betrachten sind.[16] Wenn diese Unterscheidung (nicht isolierende Trennung!) klar ist, können wir tatsächlich dazu kommen, die jeweilige Beschaffenheit von Erkennendem, zu Erkennendem und den Mitteln in den verschiedenen Wissenschaftstypen konkret zu analysieren und z.B. deren Abhängigkeit von der konkreten Gesellschaftsform neben ihrer Abhängigkeit von der Funktionalität in ihrer Aufgabenstellung festzustellen.

Vielleicht ist es möglich, in den Erkennenden Abspaltungen zurückzunehmen, der Empfindung wieder mehr Raum zu geben; vielleicht tritt das zu Erkennende immer mehr als selbst aktive Entität in die Erkenntnis ein, vielleicht werden wir uns unserer Mittel immer mehr bewusst und unterliegen nicht mehr der „bewusstlosen Objektivität“, die Ortlieb berechtigt kritisiert.

Die verabsolutierende Ablehnung nur abstrakt gesehener Komponenten des Erkenntnisprozesses wird jedoch dahin nicht führen.

Kommen wir noch einmal zu den genannten Anliegen Ortliebs zurück. Die Kritik des naiven Realismus, Naturalismus und Empirismus von Ortlieb ist berechtigt, kann aber in ihrer Ausführung noch wesentlich ergänzt werden, indem die jeweiligen nichtempirischen Methoden nicht nur in entlarvendem Sinne genannt, sondern in ihrer Funktionalität für die jeweilige Aufgabenstellung begründet (und damit in ihrer historischen Veränderbarkeit erfasst) werden. Auch bei der Darstellung der Abhängigkeit der Wissenschaft von der Gesellschaft (Verabsolutierung ihrer Mittel für nicht angemessene Zwecke etc., Zwecksetzung...) fehlt eine Unterscheidung, welche Momente des Wissenschaftlichen in einem „umfassenden System menschlichen Wissens“ (Ortlieb 1998: 20) aufbewahrt sein werden, welche in verändertem Sinne aufgehoben, welche ganz abgeschafft werden müssen. Gerade die Frage nach einer anderen Wissenschaft braucht die differenzierte Darstellung (nicht nur Entlarvung) ihrer Mittel und Methoden, um kritisch daran ansetzen zu können. Da bisher eigentlich alle Momente der neuzeitlichen Wissenschaft eher ablehnend thematisiert werden fehlen alle Ansatzpunkte für einen Neuansatz.

Ortlieb meint selbst, dass die Frage nach einer anderen Wissenschaft „heute keineswegs schon positiv zu beantworten“ (Ortlieb 1998: 2) ist. Dadurch bleibt auch offen, ob die gegenwärtige Form der Wissenschaft, mit ihren mathematischen, experimentellen, aufs Messen bezogenen Methoden noch wenigstens für eingeschränkte Fragestellungen (z.B. das Berechnen der Planetenbahnen) akzeptiert werden darf (oder auch dafür ein empfindendes Einfühlen oder ähnliches gebraucht werden wird). Bei der gezeigten Einseitigkeit der negativen Kritik kann das auch gar nicht anders sein. Mannheim nennt diese Form der Kritik, die jeweils nur die außertheoretische Funktionalität von Merkmalen aufzeigt, „Enthüllung“ (Mannheim 1925: 315).

Ortlieb würde die Forderung, selbst positive Aussagen zu treffen, von sich weisen: „Von einem Naturwissenschaftler und bürgerlichen Subjekt wie dem Autor des vorliegenden Textes ist eine positive Bestimmung einer Lebens-, Denk- und Erkenntnisweise jenseits der Warenform nicht zu leisten.“ (Ortlieb 1998: 24) Das verschiebt die Fragestellung einer anderen Form von Wissen auf die Zeit jenseits des real existierenden Kapitalismus. Mit solch einer Haltung ist man natürlich immer fein raus. Als einzigsten Pflock gegen einen Rückfall in vormoderne Zeiten, den Ortlieb auch nicht wünscht, finden wir bei ihm die vagen Umschreibungen „Ordnung im Denken“[15] und „umfassendes System menschlichen Wissens“ (Ortlieb 1998: 20).

Ich kritisierte zu Beginn, dass die Reichweite der Wissenschaftskritik bei Ortlieb nicht ganz deutlich wird. „Kritik“ selbst trägt eine Doppeldeutigkeit von verbessern wollendem Urteilen und Zerstören in sich (Röttgers 1991). Ortlieb kritisiert einerseits die Verabsolutierung von Methoden der neuzeitlichen Naturwissenschaften (wie die Mathematisierung), andererseits stellt er auch ihre Notwendigkeit z.T. völlig in Frage, wie beim Experiment: „Das Experiment... ist eine Erfindung der neuzeitlichen Naturwissenschaft, und niemand ist gezwungen, es als Erkenntnisinstrument zu akzeptieren.“ (Ortlieb 2000: 6). Da er keinen Hinweis geben will, wie „Ordnung“ und „Wissenssystem“ selbst vorzustellen sind, ist auch völlig unklar, welche Methoden diesen Zielen dienlich sein können (und deshalb von der neuzeitlichen Wissenschaft her wenn auch sicher verändert übernommen werden können und sollen) und welche Methoden von Grund auf als nur bürgerlich-kapitalistisch funktional abzulehnen sind. Es ist auch unklar, welche Teile der Arbeit der neuzeitlichen Wissenschaft selbst, wie die Berechnung von Planetenbahnen, die Formeln der Baustatik usw. usf. aus antikapitalistischer, bzw. wertkritischer Sicht nun auch ihre Berechtigung verloren haben. Denn auch die eben genannten, wohl doch allgemeinmenschlich wichtigen Fähigkeiten beruhen auf den kritisierten Methoden der neuzeitlichen Wissenschaften und würden mit deren Außerkraftsetzung verunmöglicht werden.

Die schwächere Form der Kritik ist jene, die wie im Titel der einen Arbeit von Ortlieb vor allem die Bewusstlosigkeit der Methodik der Naturwissenschaften in den Mittelpunkt stellt. Tatsächlich ist es erforderlich, und bisher kaum durchgeführt, die Wissenschaft als Prozess konkret zu analysieren, ihre epistemologische Verfasstheit zu studieren und bewusst zu machen. Bewusstsein bedeutet auch immer die Möglichkeit der freien Entscheidung und vermeidet doktrinäre Festschreibungen in Inhalt und Methodik. Die auch von Ortlieb noch als positiv gesetzten Zwecke Ordnung und Wissenssysteme werden immer Ergebnisse von Vermittlungsprozessen zwischen verschiedenen Teilmomenten von Erkenntnis sein. Diese Vermittlungsprozesse sind – solange Menschen als auf Grundlage von Erkenntnissen über Verhaltensmöglichkeiten bewusst handelnde Wesen existieren – nicht abschaffbar, sondern müssen begriffen und bewusst gestaltet werden.

Literatur

Borzeszkowski, Horst-Heino von; Wahsner, Renate (1980): Newton und Voltaire. Zur Begründung und Interpretation der klassischen Mechanik. Berlin: Akademie-Verlag.

Diels, Hermann (1922): Die Fragmente der Vorsokratiker. Griechisch und Deutsch von Hermann Diels. Vierte Auflage, 1. und 2. Band, Berlin: Weidmannsche Buchhandlung.

Hörz, Herbert (1988): Wissenschaft als Prozeß. Grundlagen einer dialektischen Theorie der Wissenschaftsentwicklung. Berlin: Akademie-Verlag.

Hörz, Herbert (1989): Philosophie der Zeit. Zeitverständnis in Geschichte und Gegenwart. Berlin: VEB Deutscher Verlag der Wissenschaften.

Holzkamp, Klaus (1983): Grundlegung der Psychologie. Frankfurt/New York

Mannheim, Karl (1925): Das Problem einer Soziologie des Wissens. In: Wolff, Kurt H. (Hrsg.): Wissenssoziologie: Auswahl aus dem Werk Karl Mannheims. Neuwied: Luchterhand 1964. S. 308-387.

Lefèvre, Wolfgang (1978): Naturtheorie und Produktionsweise Darmstadt.

Lefèvre, Wolfgang (1995): Was sind "objektivierende Wissenschaften"? Thesen zur gesellschaftlichen Natur der modernen Naturwissenschaften. In: Kritische Philosophie gesellschaftlicher Praxis. Auseinandersetzungen mit der Marxschen Theorie nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus (Hrsg. Heinz Eidam, Wolfdietrich Schmied-Kowarzik). Würzburg: Königshausen & Neumann. S. 310-321.

Lohoff, Ernst: Subjekt der Emanzipation oder Emanzipation vom Subjekt.. http://www.giga.or.at/others/krisis/e-lohoff_emanzipation-vom-subjekt.html

Ortlieb, Claus Peter (1998): Bewusstlose Objektivität. Aspekte einer Kritik der mathematischen Naturwissenschaft.In: Hamburger Beiträge zur Modellierung und Simulation. Heft 9. August 1998. Vgl. Internet: http://www.math.uni-hamburg.de/home/ortlieb/hb09bewobj.pdf.

Ortlieb, Claus Peter (2000): Exakte Naturwissenschaft und Modellbegriff. In: Hamburger Beiträge zur Modellierung und Simulation. Heft 15. Juli 2000. Vgl. Internet: http://www.math.uni hamburg.de/home/ortlieb/hb15exaktnatmod.pdf.

Röttgers, Kurt (1991): Stichwort “Kritik”: In: Enzyklopädie Philosophie. Hamburg: Felix Meiner Verlag (Hrsg.: Hans Jörg Sandkühler).

Russell Bertrand (2001):The scientific outlook. (1931) London, New York: Routledge.

Schlemm, Annette (2002): Zur Kritik der abstrakten Subjektkritik. Internet: http://www.thur.de/philo/subjekt3.htm.

Schlemm, Annette (2003): Ersetzt Selbstorganisationsdenken die Dialektik?. Internet: http://www.thur.de/philo/project/salecina/salecina.htm.

Schlemm, Annette (2004): Ist die Newtonsche Physik mechanistisch? Internet: http://www.thur.de/philo/project/mechanik.htm

Wahsner, Renate; Borzeszkowski, Horst-Heino von (1992): Die Wirklichkeit der Physik. Studien zu Idealität und Realität in einer messenden Wissenschaft. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Verlag Peter Lang.

Wahsner, Renate (1996): Einleitung: Hegels Naturphilosophie und das Erkenntnisproblem der Neuzeit. In: Wahsner, Renate (1996): Zur Kritik der Hegelschen Naturphilosophie. Über ihren Sinn im Lichte der heutigen Naturerkenntnis. In: HEGELIANA. Studien und Quellen zu Hegel und zum Hegelianismus. Herausgegeben von Helmut Schneider. Band 7. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien. Peter Lang. S. 3-123.


[1] Horst-Heino von Borzeszkowski und Renate Wahsner stellen diesen Unterschied ausführlich am Beispiel der Physik von Newton und der daraus abgeleiteten Weltanschauung Voltaires dar, wobei sie Voltaires Rezeption und Popularisierung der Newtonschen Physik als mechanizistisches Weltbild kritisieren (v. Borzeszkowski, Wahsner 1980). Leider ist es üblich, die Voltairesche Interpretation als die einzig mögliche zu nehmen und damit die Physik (speziell die Klassische Mechanik) selbst des Mechanizismus anzuklagen. Vgl. dazu auch Schlemm 2004.

[2] Es wäre natürlich berechtigt, die eigene Kritik auf nur eine Methode zu beschränken, wenn nicht der Eindruck erweckt würde, diese eine Methode sei die (einzige) in den Naturwissenschaften wesentlich verwendete Methode.

[3] Renate Wahsner macht berechtigt darauf aufmerksam, dass zwischen verschiedenen Typen mehrstelliger Relationen zu unterscheiden ist: In "Beziehungen" wird von der besonderen Qualität der sich aufeinander Beziehenden abstrahiert, in "Verhältnissen" wird davon nicht mehr abstrahiert. (Wahsner 1996: 42 Fußn.)

[4] So nennt Newton sein physikalisches Hauptwerk „Mathematische Prinzipien der Naturlehre“, aber es wäre ein fatales Missverständnis, dieses Werk als Mathematikbuch misszuverstehen. Die Definition der Grundgrößen sind keine mathematischen Definitionen, sondern in ihnen werden Messvorschriften angegeben, die ihnen eine auf die Wirklichkeit bezogene Bedeutung, also eine physikalische, verleihen.

[5] Der wesentliche Unterscheid besteht darin, dass es einmal um abstrakte Möglichkeiten (Mathematik) geht und das andere mal um reale Möglichkeiten (Physik).

[6] In der Wissenschaftsphilosophie macht sich der Mangel an der Kenntnis des Unterschieds zwischen abstrakt Allgemeinem und konkret Allgemeinem (Hegel) und spezifisch naturwissenschaftlich Allgemeinem  immer wieder negativ bemerkbar.

[7] Für Russell ist die Welt ein „unordentliches Durcheinander von Flickwerk und Löchern“ (Russell 2001: 72) und Beziehungen sind den Dingen selbst immer nur äußerlich. Auf diese Äußerlichkeit der Beziehungen legte Russell wegen seinem Vorrang des Mathematischen großen Wert und darin liegt die Begründung für seine Abkehr von der Hegelschen Dialektik, die er früher vertreten hatte. 

[8] Zur Kritik der abstrakten Subjektkritik siehe Schlemm 2002.

[9] Dies muss sich nicht nur auf rationale Tätigkeiten beziehen (Lohoff erwähnt öfter die tatsächlich einseitige historische Bezogenheit des Subjektbegriffs auf Rationalität), sondern auch andere Befindlichkeiten des Menschen streben – z.B. in der Kunst – nachdrücklich nach Objektivierungen, um sich – sich davon wieder abstoßend – weiter entfalten zu können.

[10] Mit dichotomisch getrennten Subjekten und Objekten würde Wissenschaft gar nicht funktionieren! Wissenschaft als wirklicher Prozess ist zwar eine Vermittlung je konkreter unterscheidbarer Momente, aber von Momenten, die nicht wirklich dichotomisch getrennt sein können.

[11] Wir kommen hier zu der berechtigten Thematik, dass nicht nur die Methoden der Wissenschaft zu hinterfragen sind, sondern auch ihre Aufgabenstellung. Ich gehe entsprechend meiner wissenschaftsphilosophischen Untersuchungen davon aus, dass die neuzeitlichen Wissenschaften die Aufgabe erfüllen, wesentliche und allgemeine Verhaltensmöglichkeiten wirklicher Gegenstände zu erfassen und der Entscheidung für Handlungsoptionen zur Verfügung zu stellen.

Vgl. Lefèvre: "Die modernen Naturwissenschaften haben die Funktion der Bereitstellung der ideellen Voraussetzungen für die Aneignung von Naturpotenzen für unsere produktive Lebenspraxis und werden genau wegen dieser Funktion als gesellschaftliche Tätigkeit gesellschaftlich reprodziert, wie immer das näher durch die bestimmten kapitalistischen Produktionsweisen vermittelt ist." (Lefèvre 1995: 320)

[12] Gegenüber Hegels abstrakt-analytischer Betrachtungsweise von Gesellschaftlichkeit legt Marx besonders viel Wert auf die Gegenständlichkeit des wirklichen Lebensprozesses der gesellschaftlichen Individuen. In dieser Gegenständlichkeit sind gewisse Formen von Sinnlichkeit mit gemeint. In gleicher Weise fordert auch Renate Wahsner die Ergänzung der Hegelschen Vermittlungsdialektik durch die Gegenständlichkeit bei der Betrachtung der Naturwissenschaften. Natürlich erfüllt diese Gegenständlichkeit immer noch nicht die Ideale der das Körperlich-Empfindende nicht abspaltendenden Wissenschaft bei Ortlieb.

[13] Genau so ist die Kausalität von Ursache und Wirkung eine Abstraktion von den immer auch Rückwirkungen enthaltenden realen Wechselwirkungen, aber wir sind als endliche Bestandteile der Natur gar nicht in der Lage in allen Wechselbeziehungen im Universum gleichermaßen gleichberechtigt interaktiv zu wirken und eine quasi unmittelbar-direkte gegenseitige Erkenntnis aller Momente zu realisieren. Die Frage ist, in welchen Wechselwirkungen wir in welchem Ausmaß beteiligt sind und wie und mit welchen Mitteln wir selbst unsere Beziehungen in diesem Wechselwirkungsnetzwerk erkennen.

[14] Hier macht sich in der Erklärung erschwerend bemerkbar, dass der von mir vorausgesetzte Subjektbegriff, der gerade die individuelle Möglichkeitsbeziehung betont, von Ortlieb in seiner negativ-abstrakten Subjektbestimmung negiert wird und wir insofern „aneinander vorbei“ reden, wenn wir von „Subjekt“ sprechen.

[15] im Zusammenhang: „Nun ist an sich gegen [...] Ordnung im Denken wenig einzuwenden [...]. Zu kritisieren ist aber die Bewusstlosigkeit, mit der die Disziplin des objektiven Denkens angeeignet wird [...]“ (Ortlieb 1998: 17)

[16] Siehe dazu auch Lefèvre 1995. Er arbeitet heraus, inwieweit die Natur nicht nur in der Wissenschaft, sondern in der jeder Wissenschaft vorausliegenden Pebenspraxis als Objekt gesetzt wird. Lefèvre differenziert dann im Zusammenhang mit der historischen Entwicklung der Lebenspraxis auch verschiedene Weisen des Naturverhältnisses und der Naturerkenntnis. vgl. auch zu Wissenschaftstypen. Dabei zeigt es sich, dass der jeweils von den Naturwissenschaften unterstellte Naturbegriff nicht nur eine ideologische Setzung sein kann, sondern auf der Grundlage der jeweiligen wirklichen Produktion entsteht. Vgl. auch Lefèvre 1978.



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