Rezension von Annette Schlemm:

Stephen Baxter: Zeit
Das Multiversum - Erster Roman

Wilhelm Heyne Verlag München 2002

 

Nur wenige Jahrzehnte von der Gegenwart entfernt - hat sich nicht viel verändert. Die menschliche Zivilisation hat nur wenige der Raumfahrtutopien des 20. Jahrhunderts realisiert - aber den Menschen gehen die Träume immer noch nicht aus.

Einer der Phantasten, vor vielen Jahren von der NASA entlassen, verwirklicht seine Träume nun doch. Reid Malenfant leitet ein Unternehmen, das auf einem der verlassenen Raketenstützpunkte aus alten Teilen neue Raketen herstellt, angeblich um mit den Raketentriebwerken Abfälle zu verbrennen. Seine Ex-Frau, die für das Unternehmen arbeitet, wird von einem windigen Sektenvertreter in Zweifel über diese Vorhaben gestürzt und muss erkennen, dass Malenfant rigoros ein viel weitreichenderes Konzept durchzieht. Er will nun endlich den alten Traum der Auswanderung der Menschheit aus ihrer irdischen Wiege, wie Ziolkowski die Erde nannte, bewerkstelligen - auch gegen den Willen von Regierungen, gegen gesetzliche Vorgaben und wenn es sein muss auch mit List und Täuschung. "Nach allem, was wir wissen, sind wir allein in einem indifferenten Universum. Wir sehen nirgends als auf der Erde Anzeichen für Intelligenz. Wir sind vielleicht die ersten Intelligenzen. Vielleicht sind wir auch die letzten. ... Wenn wir scheitern, ist dieses Scheitern endgültig. Wenn wir sterben, sterben Geist und Bewusstsein und Seele mit uns: Hoffnungen und Träume und Liebe, alles, was einen Menschen ausmacht....
Erster zu sein, ist eine enorme Verantwortung. Es ist eine Verantwortung, der wir uns stellen müssen." (S. 9)
Der Plan besteht darin, zuerst einen rohstoffreichen Asteroiden zu erreichen und auszubeuten. Als Pilot wird ein gentechnisch mit Intelligenzpotential angereicherter Kalmar ausgebildet. Es könnte Schritt für Schritt weitergehen...
Aber der Sektenvertreter macht Druck. Er hat gute Argumente dafür, dass die Zeit für diese langsame Entwicklung nicht ausreicht. Es ist abzusehen, dass der Menschheit die Zeit davon läuft, dass ihr Untergang in wenigen Jahrzehnten ziemlich sicher ist. Nur eine Chance bleibt ihr: zu hoffen, dass sie vielleicht nicht untergeht und ihre späten Nachfahren einen Weg finden, ihr mitzuteilen, was sie dagegen tun können. Solche Leute wie Malenfant haben ein offenes Ohr für solche Spekulationen - und prompt gibt er seinem Chefwissenschaftler den Auftrag, sich einen Detektor auszudenken, der eine mögliche Nachricht aus der Zukunft aufspüren könnte. Da wir in einem Science Fiction-Roman sind, gelingt diesem das natürlich und- das sei schon verraten - gelingt das Aufspüren von Signalen, die vielleicht als solche Botschaft gedeutet werden können. Dies ändert alles. Das Ziel des kalmargesteuerten Raumschiffs wird geändert. Der Kalmar jedoch hat auch seine eigenen Pläne... und am Ziel angekommen, findet er ein geheimnisvolles Tor ... Da kann auch Malenfant nicht widerstehen. Gemeinsam mit seiner Ex-Frau, dem Sektenmenschen und einem der inzwischen auf der Erde vielfach geborenen Wunderkinder fliegt auch er dorthin. Das Militär schickt ihm eine Landungstruppe hinterher, um ihm aufzuhalten.
Das wirkliche Abenteuer ist inzwischen nicht mehr die Raketenraumfahrt - das beginnt erst hinter dem Tor, das Malenfant und seine Mitstreiter erreichen. Nach dem Durchgang gibt es keine Rückkehr mehr, sondern Erlebnisse, die noch kein Mensch zuvor erfahren hat. Und die auch wir - die Vorfahren der Tor-Reisenden - erst seit wenigen Jahren überhaupt denken können. Science Fiction ist den spekulativsten Zweigen der modernsten Kosmologie kaum Monate hinterher. Aber die Fragen bleiben dieselben. Was wird aus der Menschheit, wenn alle kosmischen Energiequellen versiegen? Was wird aus der Intelligenz, wenn sie nach ihrem erfolgreichen Weg durch viele Universen am Ende aller möglichen Entwicklung steht? Woher das Signal flussaufwärts aus der Zukunft in die Gegenwart gesendet wurde, weiß Malenfant am Ende des Buches. Und nach dem Durchleben der verschiedensten faszinierenden Universen bleibt am Ende die Erkenntnis:

Wozu sind wir denn da, wenn nicht zu dem Zweck,
die Zahl der glücklichen Tage der Menschheit zu erhöhen? Nicht wahr? (S. 663)

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