Gretchenfrage:
Technologieentwicklung und -nutzung

 

Andere als die vorherrschenden naturzerstörerischen Technologien sind an vielen Stellen der Welt in Entwicklung und Diskussion [u.a.13]. Ein internationales Netzwerk des International Network of Engineers and Scientists for Global Responsibility (INES), sammelt zur Zeit Beispiele für erfolgreiche Technologien im Sinne der "Allianz-Technologien" Ernst Blochs (Schlemm 1995), die bisher noch nicht flächendenkend, sondern eher in Keimform Möglichkeiten anderer Produktions- und Lebensweisen erkunden. Zukunftsfähige Technologieentwicklung könnte innerhalb von New-Work-Projekten nicht nur der unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung dienen, sondern in ihrer Eigendynamik über die vorherrschenden nicht zukunftsfähigen Produktionsprinzipien hinauswirken. Typisch für diese Technologieformen sind ihre regional an die jeweiligen Bedingungen angepaßten Zielsetzungen und Problemlösungsformen. Sie vereinen dabei anerkannte traditionelle Erfahrungen, deren Rückgewinnung heute eine der wichtigen Aufgaben ist (Schlemm 1997) mit den modernen Möglichkeiten aus fortgeschrittenen Technologien - deren weitere Entwicklung allerdings von den konkreten Erfordernissen "vor Ort" und nicht von abstrakten Investitionsverwertungsprinzipien bestimmt sein sollte. Regionalisierung ist deshalb ein wesentlichen Kennzeichen für neuartige Produktions- und Wirtschaftsformentwicklungen.

Typisch für alle von F.Vester (Vester 1984) zusammengefaßten ökologischen Produktionstechnologien ist ihre regionale Angepaßtheit. Angesichts der ökonomischen "Globalisierung" fallen viele Regionen der Welt aus dem Bereich der Profiteure des Fortschritts und sind auf ihre eigenen Kräfte zurückverwiesen. Viele Städte werden in den USA mittlerweile regelrecht "aufgegeben", Ghettos inmitten der früheren Hochburgen der reicheren Länder werden nur noch mit Mauern und Highways abgeschottet, ganze Regionen in Großbritannien verelenden. Eine Alternative zur weltweiten Unterbietung aller Billiglöhne und Herabsetzung ökologischer Standards ist die Neuentwicklung eigenständiger regionaler Wirtschaftskreisläufe und wird immer öfter in Angriff genommen. Es wäre sicher auch für die noch nicht völlig verelendeten Regionen von Vorteil, sich auf neue, wirklich zukunftsfähige Wege zu besinnen. In technologieorientierten Studien und Ansätzen wird der soziale Aspekt oft vernachlässigt. Neben technischen Innovationen sind "soziale Erfindungen" unabdingbar.

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Auch oder gerade wenn wir auf vielfältige jetzt forcierte Technologien wie Rüstungstechnik, Atomtechnik und aggressive Gentechnik verzichten, bleibt die Produktivkraft der Herstellung von notwendigen Gütern so hoch, daß auch dann nicht mehr die gesamte Lebenszeit (auch nicht ein Drittel des Tages) von der Produktion notwendiger Güter absorbiert werden muß. Die Integration dieser Tätigkeiten in das Lebenskonzept wird der freien Entscheidung der Menschen innerhalb ihrer Lebensgemeinschaften unterliegen. Garten- oder handwerkliche Tätigkeiten, auch das Kloputzen kann man natürlich auch "wie ein Gebet" und langsam-geruhsam verrichten und wer das mag, soll es können. Wer seine Zeit lieber mit Lesen, Sterne beobachten oder anderen Dingen verbringt, soll auch schneller saubermachen und abwaschen dürfen (solange er damit die ökologischen Ressourcen durch übermäßige Technisierung nicht übernutzt). Diese Feststellung erscheint mir wichtig angesichts der Überhöhung von Handarbeit in manchen alternativen Lebensvorstellungen. Es dürfen nicht wieder Dogmata entstehen, die mögliche Emanzipation verhindert.

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Die Vertreterinnen der Subsistenzperspektive (Bennholdt-Tomsen, Mies,...) kritisieren die Orientierung auf moderne Technologie (u.a. auch der auf Mikroprozessoren beruhenden), weil sie annehmen, daß diese nicht dezentral produziert, vertrieben und verwendet werden könnte und sie außerdem die Subsistenzarbeit nicht erleichtere (Bennholdt-Tomsen, Mies, S. 200). Ich glaube nicht, daß dieses Pauschalurteil angemessen ist. Vielleicht ist das auch eine Frage der Interpretation lebensgeschichtlicher und historischer Erfahrungen. Für mich stünde es einer Emanzipation im Wege, wenn ich wieder wie meine Vorfahren die gesamte Lebenszeit in der Land- und Hauswirtschaft Selbstversorgung auf geringem technischen Niveau betreiben müßte. Geistig-kulturelle Bedürfnisse würden hier wieder beschnitten, unterwerfender Gruppenzwang würde sich einstellen. Lediglich für extrem kritische Überlebensphasen würde ich dies vielleicht akzeptieren, ansonsten aber auf die Entwicklung ökologisch und sozial verträglicher, aber intelligenterer Lösungen drängen.

 

"Erst mit der Telematik wird überhaupt eine menschenwürdige Post-Wertgesellschaft denkbar, die die Fesseln entfremdeter Arbeit nicht nur in Sonntagsreden überwindet, sondern real den Maschinen das Wiederholbare überläßt" (Telekom 1996).

 

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High Tech Self Providing

Natürlich ist z.B. ein Tauschring produktionstechologisch erst einmal eher im traditionellen Bereich, maximal handwerklich orientiert. Soll der Bereich der Eigenarbeit den der Erwerbsarbeit wirklich sinnvoll ergänzen, ist auch hier eine Orientierung auf höhere Arbeitsproduktivität notwendig. Während bisher hohe Produktivität an zentralisierte Massenproduktion ("Fordismus" mit tayloristischer Fließbandarbeitsorganisation) gebunden schien, entwickeln sich auch im Kernbereich der Wirtschaft neuartige Formen dezentralisiert-vernetzter Produktion mit Gruppenproduktion und schlankeren Hierarchien. Heute wird von "indvidueller flexibler Massenproduktion" (Kippels 1998) gesprochen. Warum sollten diese Entwicklungen an der selbstorganisierten Eigenarbeit vorübergehen? Sie ermöglichen ja geradezu die Entwicklung ökologisch an die jeweiligen Bedingung angepaßten und sinnvollen Technologien und fordern dazu auch im Rahmen der Eigenarbeit heraus. Welcher Ingenieur hat nicht öfters mal "ganz verrückte" Ideen zur Weiterentwicklung eines Lastenfahrrads oder andere Dinge im Kopf? In Detroit werden durch frühere Langzeitarbeitslose sog. Bioblocks hergestellt, getestet und genutzt, die auf Grundlage moderner pflanzenphysiologischer Kenntnisse die vorhandenen städtischen Flächen (Dächer...) zur Gemüsezucht nutzen (Bergmann 1998). Manche Ergebnisse der in der Bundesrepublik durchgeführten Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen lassen sich sicher auch nach der Maßnahme in weiter genutzte Projekte umwandeln, wenn nicht mehr nur die individualisierte Verarbeitung der durch Arbeitslosigkeit hervorgerufenen Problemlagen im Mittelpunkt steht.

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- Aus dem Manuskript des zweiten Bandes zum Buch:
"Daß nichts bleibt, wie es ist..." - Perspektivenkapitel, Stand: Januar 1999 - Literaturangaben in diesem Buch -

 

 

Zu Perspektiven siehe auch:

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