Ökologie und Ökonomie sind unvereinbar!
Umweltschutz hat nur eine Chance, wenn ökonomische Zwänge abgebaut werden
(Jörg Bergstedt)

Ausbeutung von Mensch und Natur funktioniert nur dann uneingeschränkt, wenn die Menschen keine andere Wahl haben. Daher ist es ein Grundprinzip, den Menschen ihre Selbstorganisationsfähigkeit zu nehmen, um sie für die Verwertung im Kapitalismus gefügig zu machen. Der Prozeß der Zerschlagung selbstorganisierter Lebensformen (Subsistenz, direkter Handel oder Tausch, ebenso aber auch kulturelle Entwicklungen, Kommunikation usw.) ist in den ärmeren Staaten dieser Welt noch in vollem Gange bzw. hat unter dem Begriff "Globalisierung" sogar eine besondere Härte entwickelt. Zur Ausbeutung der Menschen kommt die Ausbeutung der Natur, die selbst grundsätzlich wehrlos ist und nur von Menschen im Rahmen der Selbstbestimmung in ihren Regionen als Wert definiert und verteidigt werden könnte. Doch das endet unter dem Druck auf die Menschen, sich selbst und die natürlichen Ressourcen in ihren Regionen dem Zugriff des Profitstrebens freizugeben.

Alternative Ansätze der Ökonomie haben bislang nur Teilaspekte der Verwertungslogik und Machtstruktur aufheben können oder sind in diesem zentralen Punkt gänzlich unwirksam geblieben.

  • Selbstverwaltete Betriebe, Kommunen usw. haben höchstens Nischen aufgebaut, ohne auf das restliche Geschehen irgendeine spürbare Wirkung zu entwickeln. Die von außen auf sie wirkenden Zwänge und eigene Wünsche der Beteiligten haben sie zudem immer ähnlicher werden lassen den konventionellen Strukturen der Gesellschaft. Zudem schüren Zwänge interne Konflikte, die Zeit und Kraft kosten und damit viele Gemeinschaften entpolitisiert haben.
  • Tauschringe oder alternative Währungssysteme können zwar einige Härten der kapitalistischen Gesellschaft abfangen (z.B. die unterschiedliche Bewertung von Arbeit), aber nicht die grundlegenden Prozesse. Vielmehr unterliegen sie diesen selbst, denn Angebot und Nachfrage, Vorteile für oft nachgefragte Fähigkeiten und die Reduzierung des Tauschgeschehens auf Randbereiche des täglichen Lebens machen sie oft zur (durchaus wichtigen!) Vermittlung sozialer Kontakte, nicht aber zu ökonomischen Gegenstrategien.
  • Selbstversorgungsversuche in den Industrienationen enden meist in zeitintensiven Anbauversuchen ohne wesentliche Wirkung auf den Konsum der beteiligten Menschen, da höchstens der Nahrungsmittelbereich, meist aber noch nicht einmal der abgedeckt werden kann. Stattdessen erweist sich der Eigenanbau innerhalb kleiner, losgelöster Gemeinschaften eher als zeit- und kraftraubend und damit entpolitisierend.
  • Das internationale Engagement reduziert sich bislang meist auf direkte Hilfslieferungen oder die Organisation fairer Handelsbeziehungen, die allerdings auch nicht das Problem lösen können, daß die Nachfrage in den reichen Ländern diktiert, was in den ärmeren Staaten angebaut oder hergestellt wird. Gleichberechtigte Beziehungen, z.B. der Tausch selbstbestimmt erzeugter Güter, finden nicht statt.
  • Marktwirtschaftliche Mittel wie die Ökosteuern, freiwillige Selbstverpflichtungen oder das unverbindliche Öko-Audit schaffen nicht einmal Nischen oder Verbesserungen im Detail, sondern stärken den Kapitalismus, in dem sie einen Druck zur Modernisierung, vor allem zur technischen Innovation und Rationalisierung aufbauen. Tatsächlich verschlechtern sie das Mächtgefälle sogar, in dem sie die Kompetenz über die Entscheidung zum Umwelt"verbrauch" von den zumindest theoretisch abwählbaren Regierungen und Parlamenten in den Markt verlegen, wo das Kapital, d.h. in der Regel die zahlungskräftigen Großkonzerne entscheiden.

Die Alternative zur Alternative: Keine Ökonomie

Das Zielbild einer herrschaftsfreien Gesellschaft sieht die Menschen im Mittelpunkt. Alle Menschen sind frei und gleichberechtigt. Was zwischen ihnen bzw. zwischen den Organisationen und Gruppen, zu denen sich Menschen zusammenschließen, geschieht, erfolgt auf der Ebene freiwilliger Vereinbarungen. Die Existenz von Strukturen, die den Menschen die Regelung ihres Zusammenlebens abnehmen, widerspricht dem Prinzip der Selbstbestimmung. Folglich gibt es auch keine ökonomischen Strukturen, die nicht von den Menschen selbst gewollt, getragen und organisiert werden – keinen Handel, kein Wirtschaftsministerium, keine Welthandelsorganisation und keine Bank, die nicht direkt aus dem Willen und der Vereinbarung der Menschen entspringen.

Eine herrschaftsfreie Gesellschaft ist nicht das Ende von Austausch, Handel und Zusammenarbeit von Menschen und ihren Zusammenschlüssen, aber alle Institutionen und Organisationen verschwinden, die heute auch dann weiterexistieren, wenn es keine Menschen gibt, die sie wollen und tragen (außer denen, die es machen, um damit Geld zu verdienen).

Auf dem Weg zu einer Gesellschaft ohne oder mit weniger Ökonomie sind verschiedene Teilschritte denkbar, die allein das Ziel nicht erreichen, aber dem immer ein Stück näher kommen.

Absicherung durch Grundsicherung oder Subsistenz

Subsistenz bedeutet die Fähigkeit, sein Leben selbst zu organisieren. Das beinhaltet die Möglichkeit zur Befriedigung der Grundbedürfnisse (Nahrung, Wasser, je nach Wohnort ein Dach über dem Kopf und Heizung u.ä.) und zur Entwicklung der kulturellen Gemeinschaft zwischen Menschen.

Die Absicherung von Menschen kann vor der Auflösung zentraler ökonomischer Strukturen über verschiedene Wege führen. Diskutiert wird bereits die finanzielle Absicherung über eine Grundversorgung, d.h. ein staatlich gesichertes Gehalt. Dieses darf nicht an Bedingungen geknüpft sein, weil es sonst in gleicher Weise wie ein Arbeitsplatz zu konformen Verhaltensweisen führt, also nicht absichert, sondern kanalisiert. Sinnvoller, vor allem in Hinblick auf eine Weiterentwicklung in Richtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft, wäre die Absicherung über materielle Wert, vor allem einen Anteil am Bodenbesitz. Diese müssen unverkäuflich sind, damit nicht über Zwang, ökonomischen Druck u.ä. diese Sicherungen wieder entfallen bzw. bei wentigen zusammengeführt werden. Bei einer Absicherung über einen Anteil am Boden können die Menschen selbst entscheiden, ob sie diesen selbst bewirtschaften, anderweitig nutzen oder aber verpachten (auf welcher Tauschbasis auch immer) bzw. mit anderen gemeinsam nutzen.

Individueller und gemeinsamer Abbau ökonomischer Zwänge

Ein hoher materieller Lebensstandard ist daher für Menschen ohne vorhandenes Kapital gleichbedeutend mit starken Zwängen, d.h. der Notwendigkeit, den Gegenwert der materiellen Güter zu erwirtschaften. Der einfachste Teilschritt, sich ökonomischen Zwängen zu entziehen, ist daher die Beschränkung der im freien Markt erworbenen, materiellen Werte und Dienstleistungen. Das ist nicht gleichbedeutend mit Verzicht. Zum einen entsteht ein Gewinn: Zeit und Freiheit. Zum anderen gibt es für die Schaffung eines ausreichenden Lebensstandards auch Alternativen zum Markt, z.B. Tausch oder Eigenproduktion. Zu den Möglichkeiten, den materiellen Bedarf zu senken, gehören auch Eigentumsgemeinschaften: Wo Sachwerte nicht individuell zugeordnet, sondern von mehreren genutzt werden, sinkt der wirtschaftliche Druck auf den Einzelnen, diese zu beschaffen, instandzuhalten usw. Der bekannteste Fall solcher Eigentumsgemeinschaften sind das Car­Sharing oder geteiltes Hauseigentum.

Am konsequentesten sind Gütergemeinschaften, d.h. die Teilung aller materiellen Werte innerhalb eines Zusammenschlusses von Menschen in freier Vereinbarung.

Dezentralisierung von Politik und direkte Demokratie

Jeder Schritt gesellschaftlicher Machtverlagerung nach unten sowie verbesserter Beteiligungsrechte für die BürgerInnen bedeutet einen Fortschritt hin zur Herrschaftsfreiheit. Zur Zeit bietet sich aber nur ein geringer Rahmen für solche Veränderungen. Die Bemühungen um direkte Demokratie stärken die Rechte der Menschen für Einzelfälle und meist außerhalb vieler Politikbereiche, die von der Entscheidungsbefugnis ausgenommen sind.

Verbesserungen der Beteiligungsrechte für alle Menschen bzw. die BürgerInnen einschließlich des vollen Einsichtsrechts werden auch die Mitwirkungsmöglichkeiten bei ökonomischen Entscheidungen stärken, vor allem bei der Gewerbeansiedlung und Flächennutzung. Zudem stellt die direkte Demokratie die Mittel bereit, per BürgerInnen­ oder Volksentscheid weitergehende Veränderungen durchzusetzen.

Zerschlagung/Entmachtung zwangausübender Wirtschaftsinstitutionen

Das richtige Tun ist ein Teil des Ganzen, würde aber angesichts der Übermacht der bestehenden Ordnungsstrukturen nur in Nischen eine Chance haben und in der Wirkung nur wenige Menschen erreichen. Es gilt, sich gegen Institutionen und Organe, die ökonomische Zwänge ausüben, zu erheben. Viele von ihnen können unter Druck gesetzt werden, wenn sich viele Menschen einig wären in der Verweigerung und in ihrem Protest, z.B. durch

  • Blockaden, Besetzungen oder Aktenvernichtung in Arbeits­ und Sozialämter, die mit der Androhung der Minderung oder des Entzug der finanziellen Überlebensgrundlage Menschen zur Bereithaltung oder zum Verkauf ihrer Arbeitskraft zwingen.

  • Streiks und andere Arbeitskampfformen gegen die Firmenleitungen und für mehr Mitbestimmung oder Kollektivierung sowie höhere Autonomie der Menschen.

  • Umsturz innerhalb der Gewerkschaften, um diese zu einer Plattform des Widerstandes gegen die Macht der Ökonomie und der Konzerne zu machen.

  • Widerstand gegen die Macher der weltweiten Wirtschaftsordnungen, u.a. die Welthandelsorganisation WTO, die Weltbanken und Weltkreditinstitute, die Weltwirtschaftsgipfel usw.

  • Widerstand gegen alle Grenzen zwischen Ländern, der Nationalstaaten und ihnen ähnlichen Gebilden (z.B. der EU), denn sie alle bedeuten "Ordnungen".

  • Widerstand gegen die lokalen und regionalen AkteurInnen der Wirtschaftsordnung, d.h. dominante Konzerne, Industrie­ und Handelskammern und andere, die mit Rechten ausgestattet sind und so von oben (Wirtschafts­)Ordnungen schaffen.

  • Besetzung von Flächen, die seitens der Politik (z.B. über Baulandausweisung) für die Stärkung zentraler Konzerne oder der nötigen Infrastruktur ausgewiesen werden.

Ökonomie von unten

Wo ökonomische Strukturen bleiben (das wird am Beginn des Veränderungsprozesses fast überall, mit zunehmendem Abbau ökonomischer Zwänge und Institutionen immer seltener der Fall sein), muß sie von den Menschen getragen und organisiert, d.h. selbstverwaltet, sein. Wenn alle verbleibenden Arbeitsstrukturen selbstverwaltet organisiert wären, wäre eine Ausbeutung von Mensch und Natur schwerer möglich. Im günstigsten Fall gibt es die folgenden Wirkungen, wenn alle Bereiche selbstverwaltet sind, also wirtschaftliches Handelns nur noch entsteht, wenn sich Menschen in freier Entscheidung dazu entschließen.

  • Der Bau von Großanlagen oder zentralen Versorgungsstrukturen ist nicht oder kaum möglich, weil sich kein Mensch freiwillig (also ohne Verfügbarmachung über Lohnzahlung oder Unterdrückungsmaßnahmen) dafür bereitfinden wird, über viele Jahre und ohne eigene Identifikation an solchen Mammutprojekten zu arbeiten.

  • Lokale und regionale Bezüge werden gegenüber überregionalen und internationalen Arbeitsstrukturen und Handelsbeziehungen bevorteilt, weil internationale Geflechte ständig Transport- und andere Leistungen verlangen, die auf der Ausbeutung von Mensch (BilliglohnarbeiterInnen) und Natur (Rohstoffen) basieren. Wenn alle (!) Betriebe selbstverwaltet sind, werden auch im Trikont Kollektive als Gesprächspartner für Kollektive aus dem reichen Norden bereitstehen und keine ausbeutbare, verfügbare Masse Mensch
  • Es wird kleinere Betriebe bzw. Betriebseinheiten geben, da nur diese selbstverwaltet arbeitsfähig sind. Kooperationen werden durch freiwillige Vereinbarungen und nicht von oben oder per Bankensteuerung geschlossen. Die Arbeitsformen werden vielfältiger, alle Menschen arbeiten gemäß ihren Fähigkeiten und Zeitmöglichkeiten.
  • Gewerkschaften und ArbeitgeberInnenverbände gibt es nicht mehr. Die Menschen vertreten sich selbst.

Dezentralisierung ökonomischer Strukturen

Je direkter wirtschaftliche Kontakte organisiert werden, desto einfacher wird es möglich, daß die beteiligten Menschen diese selbst verwalten. Daher sind kleinräumige Strukturen des Wirtschaftens und Handels kleine Schritte in Richtung des Abbau ökonomischer Hierarchien. Konkrete Anfänge sind Tauschringe, Tauschhandel, Kooperativen, Direktvermarktung und gemeinsames Eigentum.

Der Text ist die Kurzfassung des Kapitels "7.5 Weniger Ökonomie ... und die von unten" aus dem Buch "Perspektiven radikaler, emanzipatorischer Umweltschutzarbeit", daß im April 1999 im IKO-Verlag erschienen ist (39,80 DM, Autor: Jörg Bergstedt). Darin werden genauere Ausführungen zum Thema gemacht, zudem finden sich Statements und ergänzende Texte.

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