Sozial? Ökologisch?
Klar, und die Erde ist eine Scheibe...

Die Grüne Liga Berlin warb in einem Rundfax Mitte April für drei 6-tägige Reisen unter dem Motto: "Reisen nach Utopia 99. Besuch von ökologischen und sozialen Zukunftsprojekten".

Die erste Reise Mitte April führt zu so illustren Orten wie der Obstbausiedlung Eden in Oranienburg und Wulkow bei Frankfurt/Oder.

Die Lebensgemeinschaft Oranienburg-Eden wurde 1893 gegründet und steht in einer völkischen Tradition. 1916 wurde anläßlich der ersten Feier des Freiland-Tages in Eden verkündet: "Zu solchem Siedeln ist die deutsch-völkische Gesinnung Voraussetzung. Und dazu befähigt nur deutsches Ariertum." Die Siedlung Eden war bedeutend für den völkischen Strang zum Nationalsozialismus. Von dort gingen die Gründungen anderer Siedlungen aus, die den "geistigen Adel deutschen Bluts" fördern sollten. Zudem verbrachte Silvio Gesell, Verfechter rassistischer Theorien und der neoliberalen Freiwirtschaftslehre, in Eden seinen Lebensabend.

1992 war Wulkow "Modellgemeinde für ökologische Dorfentwicklung" des Landes Brandenburg, und nicht nur das: Wulkow ist auch Expo 2000 Projekt in Brandenburg! Ökologische Dorfentwicklung und Expo-Projekt, beworben von der Grünen Liga, das harmoniert!

Zum Abschluß der Reise geht es noch zum LebensGut Pommritz in Sachsen, ebenfalls ein Projekt der EXPO 2000. Gegründet wurde das LebensGut Pommritz mit Unterstützung vom sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (CDU) und Rudolf Bahro 1993. Letzterer wünschte sich nichts sehnlicher als einen "grünen Adolf" und trug zu Lebzeiten massiv dazu bei, die Ursachen von Umweltzerstörung zu verklären und Menschen zu verblöden, indem er als Antwort auf Umweltzerstörung nicht etwa auf Demokratisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und Vergesellschaftung von Produktionsmitteln gesetzt hat, sondern - wie das LebensGut Pommritz - auf eine "geistig-spirituelle Grundhaltung" (Das Werk Bahros setzt jetzt Marko Ferst erfolgreich bei der Ökologischen Plattform der PDS fort.). Die "kommunitäre Lebens- und Arbeitsweise" des LebensGut Pommritz ist das Resultat des Versuches, gesellschaftliche Verhältnisse zu ignorieren und die daraus entstehenden Probleme abzufedern. Es wird sich nicht gegen den Abbau des Sozialstaats gewehrt, sondern die daraus entstehende Armut soll durch ein mehr an Solidarität untereinander abgeschwächt werden. Die Kommunitarismusdebatte, die sich in der BRD durchgesetzt hat, ist nicht an Demokratisierung gekoppelt. Inhaltlich sagt die NPD das gleiche, wenn es bei ihr heißt: "Soziale Gerechtigkeit braucht nationale Solidarität".

Die zweite Reise Mitte Mai ist noch besser: Es geht unter anderem wieder mal nach Eden, aber auch zum ZEGG in Belzig und zur Lebensgemeinschaft Seewalde. Letztere arbeitet "auf der Grundlage der anthroposophischen Heilpädagogik und der Sozialtherapie" des (Wurzel)Rassentheoretikers Rudolf Steiner. Daß dort "behinderte" und "nichtbehinderte" Menschen zusammen leben und arbeiten ist grundsätzlich zu begrüßen, aber wieso dieser positive Bezug auf die Anthroposophie und dessen Begründer Steiner?

Daß das Zentrum für experimentelle Gesellschaftsgestaltung (ZEGG) im Programm der Anders-Leben-TräumerInnen nicht fehlen darf, war klar. Der mittlerweile riesige und in der Umweltbewegung sehr einflußreiche "Konzern" stilisiert die sexuelle Verklemmung - vor allem von Frauen - zur Ursache allen gesellschaftlichen Übels. Tatsächlich findet sich im ZEGG eine stark männerdominierte Sexualität, die Frauen zum allzeit bereiten Sexualobjekt degradiert.

Geleitet wird diese und auch die dritte Reise von Thomas Beutler aus dem ZEGG.

Die dritte Reise Anfang September führt u.a. zum Ökodorfprojektzentrum in Groß Chüden, der ökumenischen Aktions- und Lebensgemeinschaft in Güstritz und der "anthroposophischen Bildungseinrichtung" "Freie Akademie" in Sammatz.

In Groß Chüden - InitiatorInnen der ZEGG-Solierklärung vor einigen Jahren und Beispielprojekt einer EXPO-Präsentation - soll ein "Beitrag auf der Suche nach einer nachhaltigen Lebensweise" geleistet werden (viel Spaß beim Suchen!) - als Agenda-21-Modellprojekt der rotgrünen Regierung Sachsen-Anhalts bleibt so etwas wohl nicht aus.. In Güstritz sollen "Spiritualität und politisches Engagement auf dem Hintergrund eines einfachen Lebensstils" zusammengebracht werden. Bisher sind emanzipatorische spirituelle Projekte nicht bekannt, und wenn es dann weiter heißt, daß als Ziel das "Leben in Einklang mit allem Lebendigen" gebracht werden soll, so schimmert hier nicht nur ein Biologismus durch, sondern auch ein Leben in Armut.

Veranstalter dieser Reisen ist der Verein Industrielles Gartenreich e.V. mit Sitz in Lutherstadt Wittenberg. Dieser will in völkischer Tradition "regionale Identität" fördern und setzt auf eine "eigenständige Regionalentwicklung". Regionalisierungsbestrebungen werden so rassistisch modernisiert - nachhaltig, versteht sich. Bei den angebotenen Reisen dürften die Ziele des Vereins in Erfüllung gehen.

Otto Busse (JungdemokratInnen / Junge Linke)

Nachtrag: Der Macher des Vereins Industrielles Gartenreich e.V. Falk (Digdedoupl@aol.com) hat in einer widerwärtigen Art eine Umweltschützerin aus Berlin, die sein Programm kritisiert hat, angegriffen. Das ganze gipfelt in dem Vorschlag, sie solle doch mal im ZEGG anrufen, "aber Vorsicht, sie ficken auch durchs Telefon!".


Wie ich mittlerweile erfahren habe, wird dieser Text benutzt, um die Grüne Liga als "ökofaschistisch" und dergleichen zu diffamieren. Dies war nicht die Intention des Textes. Ich betrachte die Grüne Liga weder als "ökofaschistisch" (ein ohnehin problematischer Begriff, da rechtsökologische Denkfiguren in aller Regel keinen umfassenden faschistischen Gesellschaftsentwurf entwerfen), noch ist es richtig, sie anhand dieses Textes "abzuschießen". Ich kritisiere, daß die Grüne Liga für diese Reisen geworben hat, das macht sie aber nicht selbst zu einer rechten Gruppierung. Tendenziell ist es wohl ohnehin sinnvoller, die einzelnen Projekte selbst anzugehen oder den Verein Industrielles Gartenreich e.V.

Otto Busse, Februar 2000

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