Die aktuellen Beteiligungsverfahren sind das Schmieröl für eine Nicht-Beteiligungsgesellschaft

Ob es unser Rundbrief ist oder bundesweite Tagungen und Vernetzungstreffen - immer weniger steht eine politische Auseinandersetzung mit den realen Verhältnissen im Mittelpunkt, im mehr dagegen treten solche Beteiligungsformen in den Vordergrund, die sich kompatibel zeigen zur neoliberalen Gesellschaftsumgestaltung. Die aber will vor allem eines: Das Primat der Ökonomie vor allen anderen Belangen der Gesellschaft. Was schon in der Wirtschaft selbst seit Jahren kein Geheimnis mehr ist, wird jetzt in der Gesellschaft nachvollzogen: Menschen sind leistungsfähiger, wenn ihnen das Gefühl vermittelt wird, Teil des Ganzen zu sein, mitreden (aber nicht entscheiden!) zu dürfen. Teamwork in modernen Unternehmen steigert den Profit, Beteiligungsformen des Dabei-sein-ist-alles-Prinzips steigern die Akzeptanz einer Modernisierung der Gesellschaft, die tatsächlich die Menschen entmachtet, in dem sie sie ökonomischen Vorgaben unterwerfen.

Um diesen theoretischen Abriss deutlich und auch anklagend zu formulieren: Die unverbindlichen Agenda-Runden, Mediationsverfahren zur Vorbereitung wirtschaftlicher Projekte, Beteiligungs-Streetwork der unterschiedlichsten Sorten als Begleitmusik zu Innenstadtumgestaltungen sind nicht nur wirkungsloses Beiwerk, das keine realen Beteiligungsrechte schafft (ob Ergebnisse aufgenommen werden oder nicht, bleibt das Goodwill der formal oder ökonomisch Mächtigen). Sie sind TäterInnen, denn die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft, mit der die Entmachtung der Menschen (und der Politik) zugunsten wirtschaftlicher Ziele einhergeht, wäre ohne die akzeptanzbeschaffenden Personen, Institutionen und Verfahren nicht denkbar. Heutige Beteiligungsformen sind das Schmieröl. Die Firmen haben länger gebraucht, um das zu begreifen (zumal da auch viele alte Leute sitzen, die die Chance der Modernisierung der Gesellschaft nicht erkennen und deshalb an alten Strukturen festhalten wollen) - inzwischen aber instrumentalisieren sie Agendarunden, Mediationen genauso für sich wie andere Vorschläge aus sozialen Bewegungen, z.B. die Ökosteuer oder neue Arbeitsplätze.

Expo 2000 als Spiegelbild

Am 1.6. des nächsten Jahres öffnet die Expo ihre Pforten. Überraschungen wird es dabei wenig geben - die Ziele und Inhalte der Expo stehen fest. Sie wird ein Bild zeigen, wie es am Ende der neoliberalen Umgestaltung auf der Welt aussehen soll. Dieses Bild ist erschreckend - vom allgemeinen (die Menschen werden als verwertbares Kapital betrachtet, das per High-Tech-Medizin, -Bildung, -Freizeitgestaltung und -Reproduktion arbeitsfähig gehalten werden muß) bis zum speziellen (Zeitarbeit, neue Atomkraftwerke, Gentechnik überall, Innenstadtzonierungen mit Verdrängung usw.). Doch diese "schöne neue Welt" wäre nicht durchsetzbar, wenn da nicht überall die Akzeptanzbeschaffung erfolgen würde ... Kirchen, Gewerkschaften, Umweltverbände, soziale Einrichtungen und viele mehr wollen auf der Expo bzw. mit dezentralen Expo-Projekten zeigen, wie ihre Ideen in dieser neoliberalen Welt aussehen. Mit technischem Aufwand verschwinden scheinbar alles Probleme. Mit in diesem Boot der Expo sitzen auch viele derer, die in diesem Rundbrief, auf Treffen usw. ihre Beteiligungsmodelle anbieten und von sich selbst behaupten, mehr und qualifiziertere Beteiligung sei ihr Ziel. Gleichzeitig verkaufen sie sich an die neoliberale Umgestaltung der Gesellschaft, ja sie sind die ersten, die dabei sind. Auf der Expo, in Büchern oder auf Veranstaltungen der Expo sowie als dezentrales Projekt - BürgerInnenbeteiligung ist Steigbügelhalter der ökonomischen Entmachtung der Menschen. Sie erreicht damit das Gegenteil ihres vorgegebenen Zweckes, und sie wir selbst zur Täterin.

Konsequenzen:

1. Keine Beteiligung ohne Beteiligung

Die meisten Beteiligungsverfahren schaffen keine tatsächliche Beteiligung. Gegenüber der formalisierten Macht des Staates und der ökonomisch-finanziellen Macht der Konzerne haben die BürgerInnen in der Regel keine tatsächliche Macht. Beteiligungsverfahren müssen dieses Ungleichgewicht verändern - und zwar tatsächlich, d.h. nicht nur in Form freundlicher Zusagen und schwammiger Absichtserklärungen. Ohne tatsächliche Klärung der Machtverhältnisse sollten Beteiligungsformen nicht oder nur als sich auch außerhalb der offiziellen Stränge begreifendes Projekt initiiert werden.

2. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angehen

Beteiligungen verlieren ihren Sinn, wenn sie Begleitmusik einer gesamten Umgestaltung werden, die tatsächlich den Menschen ihre Einflußmöglichkeiten nimmt. Gegen die Neoliberalisierung müssen sich Menschen und Gruppen, die Beteiligung einfordern, ebenso wären wie gegen jegliche staatliche Machtausübung. Bedauerlicherweise fühlt sich aber die Mehrheit derer, die Beteiligungsverfahren propagiert zur Zeit eher neoliberalen Szenarien wie der Expo 2000 oder der Staatsmacht näher als z.B. selbstorganisierten Projekten oder Protestbewegungen. Daß z.B. der internationale Widerstand gegen die ökonomische Entmachtung der Menschen gerade in Deutschland und Mitteleuropa sehr schwach ist, sollte zu denken geben. Es liegt auch daran, daß hier soviele Institutionen eine Scheinbeteiligung organisieren und damit dem Gegenteil von Beteiligung Akzeptanz verschaffen.

Jörg Bergstedt, Institut für Ökologie/Fachbereich Wirtschaft & Politik

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