Zur Diskussion gestellt:

Dem Öko-Neoliberalismus widerstehen!?!

Ein Positionspapier der Gruppe Landfriedensbruch, Basisgruppe Reiskirchen

Was aktuell an Umweltschutzstrategien diskutiert wird, orientiert sich am Markt. Die Fusion von ökologischen und ökonomischen Zielsetzungen soll gelingen. Ökosteuer, nachhaltiges Wirtschaften, Effizienzrevolution - nur drei der vielen Wörter, die für Konzepte stehen, die aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Umweltgruppen präsentiert werden. Sie sind nichts anderes als die Grünkosmetik für ein neoliberales Gesellschaftsmodell, für eine Zukunft, in der Mensch und Natur nurmehr als verwertbare Ressource gesehen und dafür erhalten werden. UmweltschützerInnen werden so zu TäterInnen von Ausbeutung und Unterdrückung.

Definitionen (1)

Neoliberalismus: Der N. bezeichnet eine besondere Phase und Form des Kapitalismus. Nach Aussagen seiner BefürworterInnen ist der Abbau jeglicher Reglementierungen und Begrenzungen des freien Handels nicht nur für den Profit, sondern auch für alle anderen gesellschaftlichen Ziele die beste Lösung. In der Welt des Neoliberalismus werden Menschen und die Natur ausschließlich noch nach ihrem Gebrauchswert im profitorientierten Verwertungssystem beurteilt. Die bisherigen Formen des Kapitalismus hatten zwar ebenfalls diese Grundlage, aber nicht in Reinform. Verwertungslogik und Profitstreben schließen langfristige Planung nicht aus, z.B. die Steuerung der Reproduktion, der Bildungspolitik oder des Verbrauchs von Rohstoffen. Dies dient jedoch nur dem Zweck, dauerhaft (engl.: sustainable!) Ausbeutung und Profit zu sichern.

Öko-Neoliberalismus: Damit sind Umweltschutzkonzepte gemeint, die sich der Logik des Neoliberalismus anpassen, d.h. also in einem auf Profitmaximinierung und Verwertung ausgerichtetem Gesellschaftsmodell angewendet werden können. Sie akzeptieren die Idee des unbegrenzten Marktes und der totalen Dominanz ökonomischer Wirkungsprinzipien als Grundlagen des Lebens, des Zusammenlebens und der Gesellschaft insgesamt, d.h. sie integrieren sie in die eigenen Vorschläge. Typische Beispiele sind die Öko-Steuer und das Öko-Audit, die die Entscheidungsgewalt über den Umgang mit der Umwelt vollständig in den Markt bzw. die Konzernleitungen verlegen. Gleiches gilt für Selbstverpflichtungen und den Technologietransfer. Fragen der Demokratisierung bis Selbstbestimmung der Menschen, auch hinsichtlich des Umgang mit den Lebensgrundlagen, werden in solchen Konzepten vollständig ausgeblendet.(2)

Die Entwicklung des Umweltschutzes zum Öko-Neoliberalismus

Die wesentlichen Entwicklungsschritte beschränken sich auf die letzten zehn Jahre - auch wenn einzelne Ideen bereits viel früher entwickelt wurden (z.B. die Ökosteuer), aber dort meist nicht einmal breiter wahrgenommen wurden. Seit ca. 1990 gibt es in Verbänden, Institutionen und Parteien die Debatte um eine Integration von Ökologie und Ökonomie.
Den wichtigsten Sprung innerhalb der Umweltorganisationen brachte der Deutsche Umwelttag 1992 (DUT), der zwar finanziell und von der Zahl der BesucherInnen ein Fiasko war, aber gerade in der Ruhe leerer Messe- und Veranstaltungshallen die dort bevorzugt ausstellenden großen Umweltverbände und Konzerne einander näherkommen konnten. Der DUT war ein durchorganisierter Schmusekurs zwischen Umweltverbänden, RegierungsvertreterInnen und Konzernen, während große Teile der Umweltschutzbasis den DUT boykottierte, zu einem "DUT von unten" aufrief oder sogar ausgegrenzt wurde.

In den Jahren 1993 bis 1995 bildeten sich etliche Arbeitskreise zu Ökologie und Ökonomie, in den Geschäftsstellen setzte ein starker Personalwechsel weg von klassisch ausgebildeten oder aus der Basisarbeit kommenden Fachleuten hin zu jungdynamischen ManagerInnen und BetriebswirtschaftlerInnen ein. Die Agenda 21 wurde als passendes Grundsatzprogramm entdeckt und vor allem von der zeitparallel modernisierten Partei Bündnis 90/Die Grünen gefördert, während in den Umweltverbänden und Instituten die ebenfalls die ökonomischen Rahmenbedingungen akzeptierende Studie "Zukunftsfähiges Deutschland" ihre Wirkung ausübte. Nachhaltigkeit, Zukunftsfähigkeit und ökologisch Wirtschaften wurden zu den wichtigsten Arbeitsgebieten fast aller Teile der Umweltbewegung - auch z.B. der Jugendumweltgruppen, die noch 1992 den "DUT von unten" organisierten. Seminare, Kongresse, Veröffentlichen und Presseinformationen drehten sich immer mehr um dieses Thema, strategische Allianzen mit Konzernen und UnternehmerInnenverbänden wuchsen wie Pilze aus dem Boden. Umweltmedien, vom Rundfunk über Fernsehen bis zu den führenden Öko-Zeitungen wurden zu den VorreiterInnen dieser Entwicklung und berichteten umfangreich von scheinbar gelungenen Fusionen ökologischer und ökonomischer Prinzipien.

Ende 1999 sind etliche Etappen der Auflösung ökologischer Ziele im Einheitsbrei ökonomischer Dominanz geschafft. Vorstände und Geschäftsstellen fast aller Umweltverbände sind frei von Personal, daß regierungs- oder wirtschaftskritisch ist.
UmweltschützerInnen sind zu PartnerInnen von Wirtschaft und Staat geworden, während sie ihre Aktionsfähigkeit in der Öffentlichkeit weitgehend verloren haben. Schwerpunkt sind Projekte wie Agenda 21, Ökosteuer oder nachhaltige Konzepte - immer mit dem Ziel, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen.

1999 selbst war das erste Jahr, in dem sich (Ex-?)UmweltschützerInnen zu Werbeagenturen der Konzerne machten - geschmiert mit Millionensponsorings. So bescheinigt das Öko-Institut heute den Chemiefirmen vorbildliches Verhalten und die UmweltpolitikerInnen der Grünen behaupteten in einem Grundsatzpapier, in der Industrie sei unbemerkt eine "Revolution" (!) in Sachen Umweltschutz abgelaufen.

VordenkerInnen und Konzept-Schreiberlinge

Der Öko-Neoliberalismus als moderne Umweltschutzstrategie ist nicht vom Himmel gefallen. Zum einen haben die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ihren Anteil daran. Neoliberale Umgestaltung ist Realität, ökonomische Fragen dominieren alles, zugunsten der Wirtschaftsstärke werden Umweltbelange ebenso geopfert wie soziale Standards oder die Selbstorganisationsfähigkeit von Menschen. Umweltschutz, der sich nicht als widerständig begreift und organisiert, gerät in den Strudel der prägenden Debatten und Prozesse in Politik und Wirtschaft.

Zum zweiten aber ist die Modernisierung des Umweltschutzes hin zu öko-neoliberalen Konzepten gezielt entwickelt worden. Der entscheidende Anschub kam dabei von jüngeren, oft in Wirtschaftsfragen geschulten Personen, die inzwischen fast alle Machtzentralen der Verbände und Institutionen übernommen haben (Vorstände, Geschäftsstellen, Institute, Bildungseinrichtungen, Medien).

Vier Gruppen sind besonders hervorzuheben bei der Forcierung öko-neoliberaler Ideen:

  • Meist junge Quer- einsteigerInnen aus Betriebswirtschaft und Management: Sehr gezielt sind aus Geschäftsstellen und Vorständen in den letzten Jahren Personen mit langjähriger Umweltschutzerfahrung oder klassischen Ausbildungen gegen solche mit Managementwissen oder -erfahrung ausgetauscht worden. Viele der Hauptamtlichen in den Zentralen des Umweltschutzes könnten und würden beliebig zwischen den politischen Lagern wechseln können - ihr Ziel ist das Management. Umweltschutz ist für sie ein Produkt, daß es zu verkaufen gilt. Imagebildung, schlanke Organisationsstrukturen unter Aufgabe jedes Basisbezuges, maximale Finanzbeschaffung über Sponsoring, Mitgliederwerbung mit allen Mitteln usw. gehören zum Handwerkszeug der Führungskader, während das Wissen um Widerstand, politischen Druck und anderem oft fehlt. Etliche Organisationen, Institute und Medien widmen sich ausschließlich der Frage von Ökonomie und Ökologie, z.B. der von Großkonzernen wie Sandoz, Mobil Oil, Shell, Daimler Benz oder Deutsche Bank getragene Verband B.A.U.M., den UnternehmerInnenverbänden future e.V., UnternehmensGrün usw.
  • Die ehemalige Jugendumweltbewegung, die ursprünglich (Ende 80er/Anfang 90er Jahre) noch emanzipatorische Ideen vertrat, sich dem Durchmarsch der ökonomischen Dominanz im Umweltschutz widersetzte (Flugblatt auf dem DUT: "Ökonomie und Ökologie sind unvereinbar") und stattdessen den öffentlichen Druck bzw. die praktische Aktion als politische Strategie ansah, bewirkte ab Mitte der 90er Jahre eine erhebliche Verjüngung und Modernisierung der Umweltverbände. Ideen und Kampagnen wie die Nachhaltigkeitsdebatte, die Ökosteuer-Kampagnen oder auch Agenda-Arbeit sind stark von Ex-Jugendumweltleuten gefördert oder sogar entwickelt worden. Heute sitzt ein großer Teil der ehemals verbandskritischen, eine politische Radikalisierung einfordernden Jugendumweltleute in den Spitzenpositionen bei Umweltverbänden, in Instituten, z.T. auch in Parteien oder Medien.
  • Die Medien, seien es Umweltmagazine oder die Umweltredaktionen anderer Medien, gehörten ab Anfang der 90er Jahre zu denen, die den Wandel zum Öko-Neoliberalismus vorbereiteten. Einflußreiche Tageszeitungen wie die FR oder taz zeigen das nicht nur in ihren Umweltberichterstattungen, die fast nur noch von den "ökologischen Heldentaten" der Industrie berichten, sondern auch strukturell, in dem z.B. die Umwelt- und die Wirtschaftsredaktionen zusammengefaßt wurden (wer das vor zehn Jahren vorgeschlagen hätte, wäre ausgelacht worden...). Sie suggerieren damit, daß Ökologie ein Teilproblem der Ökonomie wäre bzw. nur über diese umsetzbar ist. Die Umweltzeitung "natur" z.B. ist seit Jahren immer vorne dabei, wenn es darum geht, ökologische Positionen aufzuweichen oder aufzugeben - so Anfang 1999 mit einem klaren Bekenntnis zur Gentechnik, mit ständiger Schelte für radikale Positionen, mit einer Serie zur Expo 2000 (positive Darstellung) usw. Andere Zeitungen prägten vor allem die Lebensstil ("lifestyle"-Debatte), die neben den öko-neoliberalen Konzepten prägend ist. Etliche Zeitungen widmen sich ausschließlich oder in gesonderten Rubriken der Fusion von Ökologie und Ökonomie.
    Und auch "linke" Zeitungen wie die Junge Welt oder Wochen-/Monatsmagzine debattieren höchstens die Detailfehler der neoliberalen Umweltpolitik, während emanzipatorische Positionen verschwiegen werden.
  • Die Parteien, vor allem Bündnis 90/Die Grünen, aber auch alle anderen, z.B. auch die UmweltpolitikerInnen der SPD oder die PDS, legten sich bis spätestens 1998 auf eine ökonomieorientierte Ökologie als ihr Programm fest. Die Ökosteuer ist als Idee von allen Parteien akzeptiert, wenn auch Unterschiede über die Art bestehen - keine Partei allerdings unterließ es, besondere Ausnahmen für die Industrie als Ziel zu beschreiben. FunktionärInnen der Grünen, der SPD und der PDS sitzen oder saßen 1998 in zentralen Positionen der Umweltorganisationen und prägten von dort den Wandel der Umweltpolitik in Parteien und Verbänden.

Eine wichtige Begleitmusik dieser Entwicklung ist die Debatte um neue Beteiligungsmodelle und Befriedungstechnologie. Eine durchökonomisierte Welt mit ihrer Verwertungslogik ist nicht nur umweltzerstörend, sondern auch unmenschlich. Menschen werden ihrer Selbstorganisationsfähigkeit beraubt (soweit sie noch besteht) und einem ständigen Druck ausgesetzt, sich im Markt zu profilieren, die Arbeitskraft anzubieten usw. Um daraus folgende soziale Ausgrenzungen sowie eventuell Unruhen abzufangen, werden nicht nur die Bemühungen um eine Verschärfung der inneren Sicherheitsvorkehrungen erhöht, sondern auch Befriedungstechnologien und Schein-Beteiligungen eingeführt. Dazu gehören Mediationen, Runde Tische und viele weitere neuartige Methoden, die nicht tatsächlich Mitbestimmung und Selbstorganisation fördern. Moderation und andere Harmonisierungstechniken senken die Fähigkeit, sich selbständig zu organisieren und der gesellschaftslichen Umgestaltung Widerstand zu bieten.

Gegenstragetegien

Die folgenden Hinweise könne nur sehr kurz sein, um Richtungen eines "Umweltschutz von unten" anzudeuten. Nähere Vorschläge können den angegebenen Veröffentlichungen entnommen werden.

Notwendig ist, Umweltschutz mit der Frage der Selbstbestimmung zu verbinden. UmweltschützerInnen müssen sich an der gesellschaftlichen Debatte beteiligen, also nicht als losgelöster Sektor (Schutzgebiete u.ä.) agieren. Das bedeutet aber nicht, Umweltschutz an aktuelle Entwicklungen anzupassen. Es ist ganz im Gegenteil das Ziel, die Verhältnisse zugunsten einer emanzipatorischen Welt zu verändern, in der auch der Schutz der Lebensgrundlagen "von unten", d.h. von den Menschen selbst definiert wird.

Emanzipatorischer Umweltschutz will etwas ganz anderes als die neoliberalen Konzepte oder einen starken Staat: Die Menschen werden zu AkteurInnen. Die Straßen, Häuserblöcke und Landschaften müssen den Menschen gehören, die in ihnen leben. Niemand kann

über Flächen und Orte bestimmen, ohne selbst betroffen zu sein. "Demokratisierung von Flächen- und Rohstoffverbrauch" heißt das Gegenkonzept zu Ordnungsrecht oder dem kapitalistischen Instrument Ökosteuer.

Vision ist eine Welt von unten. Die kleinen Schritte dahin bestehen aus konkreten Projekte, die die Menschen zu den EntscheiderInnen machen: Windanlagen, die den Menschen drumherum gehören (statt teurer Großanlagen ohne örtliche Akzeptanz), Stromnetze im Besitz der BürgerInnen, ökologische Bauernhöfe im Gemeinschaftsbesitz, lokale Ökonomien ohne Apparate und vieles mehr. Dazu gehört aber auch, die Visionen einer Welt von unten laut zu benennen, denn Visionen können motivieren. Und der Widerstand, die direkte Aktion gegen Symbole und Macht von Staat und Konzernen sind Teil dieser Strategie.

Zudem entsteht die Chance, mit emanzipatorischen Zielen und Strategien des Umweltschutzes wieder Bündnisse schaffen zu können mit anderen sozialen Bewegungen, die gemeinsam an einer "Welt von unten" arbeiten. Kristallisationspunkte wie konkrete Gegenmodelle selbstorganisierten Zusammenlebens oder der Widerstand gegen Symbole des neoliberalen Machtanspruchs (Expo 2000, Weltwirtschaftsgipfel, -konferenzen, -einrichtungen und anderes) können der Anfang sein. Um klare politische Positionen, Visionen und Aktionsstrategien entwickeln zu können, muß eine selbstkritische Analyse erfolgen, Platz sein für kreative Strategieentwicklung und für eine bewegungsinterne Streitkultur, die nicht mit dem falschen Ziel einer Harmonie die Aktionsfähigkeit mindert.

Anmerkungen

(1) Es gibt sicherlich auch andere Definitionen und hier soll nicht für die einzig richtige gekämpft werden. Die hier vorgenommenen Definitionen gelten für diesen Text und sollen sein Verständnis erleichtern.

(2) Genauso wie es ökologische Konzepte zum Neoliberalismus gibt, tauchen auch immer öfter Vorschläge aus anderen gesellschaftlichen Feldern auf, die kompatibel zum neoliberalen Gesellschaftsmodell sind, z.B. in der Sozialpolitik (mehr Eigeninitiative).

 

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