Die zarteste Versuchung, seit es Neoliberalismus gibt
EXPO, Biopolitik und Gentechnik

von Otto Busse

"Deutschland hat die ganze Welt geladen - und sie kommt." Ab dem 1. Juni 2000 soll Hannover die folgenden fünf Monate lang "Nabel der Welt" und die dort stattfindende Weltausstellung EXPO 2000 "Wiege der Zukunft" werden. Modernste Multimediainszenierungen, Erlebniswelten und Mitmachangebote sollen die "Lust auf Zukunft" wecken.

Das umfangreiche Kultur- und Ereignisprogramm präsentiert den BesucherInnen nicht bloß "Zigeunermusik", "Funsport", "Rock und Rave, Tanz und Theater", kurz: ein "Fest der Völker"; allabendlich soll sich zusätzlich ein "Flambée" in das Gedächtnis "einbrennen".

Das "Herzstück" des "Kompetenzzentrums für die Lösung der Zukunftsfragen" (EXPO-Generalkommissarin Birgit Breuel) ist der Themenpark, eine futuristische Erlebnislandschaft, in dem mit omnipotentem Anspruch nichts weniger als "Lösungsbeiträge für die drängenden Menschheitsfragen" - der gängige Jargon für Hunger, Armut und Umweltzerstörung - dargestellt werden, die sich als "Bilder in den Köpfen der Menschen festsetzen" (B. Breuel) sollen.

Die zentrale Begegnungsstätte der EXPO 2000, der Deutsche Pavillon mit seiner "Ideenwerkstatt Deutschland", steht in der Mitte des ganzen Geschehens - die Inszenierung als Wunschtraum oder schon Realität? "Die Weltausstellung wird eine einmalige ästhetische Selbstkonzentration des ganzen Landes werden", denkt zumindest Michael Naumann.

Seit ihrer Gründung 1851 stehen Weltausstellungen in einer kolonialistischen Tradition. Die Veranstalterin der "Visitenkarte unseres Landes", die Bundesrepublik Deutschland, und die für die Durchführung komplett privatisierte EXPO GmbH, haben eine beachtliche Leistung erbracht: Ohne jede Analyse präsentieren sie einen Zukunftsentwurf, in dem alle Hinweise auf gesellschaftliche Ursachen und herrschende Politik verschwunden sind. Und den Doktor für alle Probleme haben sie gleich mitgebracht: das deutsche Kapital hat sich bereitwillig dieser ach so schweren Aufgabe angenommen. Ein Quantum Fortschrittsoptimismus, eine Messerspitze Wissenschaftsglaube, eine Prise Esoterik und eine formbare Grundmasse leichtgläubiger IdiotInnen, und fertig ist das Zukunftskonzept für Energie-, Umwelt-, Gesundheits- und Ernährungswirtschaft.

Die EXPO ist nur ein Ausdruck gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen, steht jedoch für diese an zentraler Stelle. Sie ist das herausragende Ereignis diesen Jahres in der BRD. Sie ist ein High-Tech Event zur Inszenierung herrrschender Zukunftsentwürfe, macht diese für Millionen erlebbar und beeindruckt durch ihre Grösse und hervorgehobene Rolle. Die EXPO ist keine klassische Verkaufsmesse, sondern eine Image-Werbeveranstaltung mit dem Ziel, die globale Lösungskompetenz der westlichen Welt zu behaupten, Fortschrittsglauben zu verbreiten und eine Identifikation mit dem herrschendem Kulturverständnis zu fördern. Weniger die materielle als vielmehr die symbolische Basis der Reproduktion der Herrschaftsverhältnisse steht im Vordergrund.

Auf der EXPO selbst wird der Reproduktionsbeich hingegen vollständig ausgeklammert. Strategie ist die Reduktion von grundlegenden gesellschaftlichen Problemen auf die Frage einer mangelnden Anwendung technischer Fachkompetenz. Experten retten durch technologische Optimierung die Welt, während die Frauen zu Hause energiesparend Biogemüse brutzeln und den Müll trennen.

"Metropolen der Zukunft sollen übereinandergeschichtet werden - samt Parks, Wiesen und Seen" bei "Platzproblemen", Daimler-Chrysler ist für die "Technik-Erlebniswelt für 12-18-Jährige" zuständig und der "Tag der Maschine" ästhetisiert Technik und Fortschritt. Die Technikkultur mit lifestyle-Bezug und interaktiver Inszenierung ist nur ein Ausdruck des mit der Bevölkerungspolitik verbundenen Interesses an Macht, Verwertung und Kontrolle. Die Darstellung der technisierten, herrschaftlichen Planbarkeit sozialer Prozesse findet auf der EXPO ihren vorläufigen Höhepunkt. Entfesselte Technokraten und Sozialplaner sorgen für die Ausmerzung von Überraschungen jeglicher Art, für die Herstellung einer vollkommen durchschaubaren Welt.

Akzeptanzbeschaffung

Es ist keine neue Methode, mit erlebnisparkähnlichen Propagandashows Akzeptanz und emotionale Zustimmung zu einer schönen, bunten kapitalistischen Welt zu schaffen. Bei der Brüsseler Weltausstellung 1958 wurde für die Atomenergie "zum Anfassen" durch ein begehbares Atommodell (Atomium) geworben. Auf der EXPO 2000 sollen Gentechnik und High-Tech-Medizin - als Wahrzeichen war ursprünglich eine riesige Darstellung des DNS-Strangs geplant - das Blaue vom Himmel holen.

Die offenen Integrationsangebote und ein differenziertes System von Beteiligungsmöglichkeiten der EXPO "neuen Typs" stehen für ein relativ neuartiges integratives Politikmodell. Die Internationale Frauenuniversität, das DRK, Frauenhäuser, Jugendzentren, amnesty international, der BUND und fast jede andere NGO sind irgendwie, mindestens aber als kritisches Feigenblatt, dabei. Wer nicht mitmachen will, macht sich schuldig am Elend in der Welt und hat in der neuen Mitte der wohligen Weltrettungsgemeinschaft nichts verloren.

Der Klebstoff zwischen Hightech, kapitalistischer Entwicklungslogik, Lösungskompetenz und integrativer Präsentation ist bei der EXPO wie im Umweltbereich insgesamt derzeit die Ideologie der Nachhaltigkeit. Mit dem aggressiven Einfordern von Konsenslösungen, runden Tischen, Diskussionsangeboten, hippem Edutainment, modischen Modernisierungsfloskeln, einer disneylandartig umgesetzten Agenda 21 und der multimedialen Inszenierung von High-Tech werden (fast) alle zu einem Teil der "Zivilgesellschaft" mit ihrer "globalen Verantwortungsethik". Die Hightech-Produktion wird nicht angetastet, dafür findet der Umbau des sozialen Herrschaftssystems durch Flexibilisierung und ökologische wie ökonomische Kostensenkung statt.

Das Motto der EXPO - "Mensch - Natur - Technik. Eine neue Welt entsteht" - steht für die Idee, die Welt von morgen zu präsentieren. Es wird Politik mit der Zukunft gemacht. Man droht, falls sie verpaßt wird, man verspricht Neues und Besseres. Allerorten herrscht Handlungsbedarf. Die Geschäftsgrundlage der gesellschaftlichen Zukunft ist ohne wenn und aber eine neue Ökonomie des genetischen Codes.

Getreu der Idee von "Auslese und Ausmerze" ergänzen die Biowissenschaften und Bevölkerungskontrolle das Set an modernen Sozialtechniken: das Kranke, Häßliche und Unbrauchbare wird aus dem Volkskörper herausgeschnitten. Der "gesunde" Rest wird fit gemacht für die Verwertungszwänge der Zukunft.

Das "Zukunftslabor des Jahres 2000" erfindet hierbei keinen wesentlichen Gedankengang neu, vielmehr greift die Ausstellung einen zunehmenden Trend in herrschenden Politikmustern auf. Biowissenschaftliche "Analysen" ersetzen zunehmend politische Diskussionen um Gesellschaftsentwürfe. Die soziale Frage wird zu einer biologischen verkehrt, der Mensch wird zum genetisch gesteuerten Wesen. In dieser Logik müssen nicht mehr die Verhältnisse verändert werden, sondern das Genmaterial. "Lösungen" werden folglich im Labor kreiert. Und dies geschieht keineswegs mehr nur auf einer ideologischen Ebene oder in abgeschirmten Produkionsbereichen. Gen- und Reproduktionstechnik werden zunehemend zur Alltäglichkeit. Gentests, künstliche Befruchtung und gentechnisch veränderte Nahrungsmittel sind inzwischen mehr als vereinzelte Vorboten einer Biogesellschaft geworden. Damit einher gehen neue soziale Differenzierungen und Spaltungen. Während zum einen die medizinische Versorgung für viele eingeschränkt und im Süden die Bevölkerungszahl kontrolliert wird, wird im Norden genetisch selektiert und operiert und für wenige die kostenintensive Genmedizin angeboten.

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