Neues und altes Lernen
Hinweise zur Einbindung traditioneller Lernweisen im Zeitalter der "Cyberculture"

Heiner Benking, Berlin

Im effe-Forum ging es auch um die Rolle und Stellung der freien Schulen in Zeiten des gesellschaftlicher Veränderungen und technologischen Umbruchs. Diese grundlegenden Veränderungen zeigen sich auch darin, daß von einer sich aus der Kultur entwickelnden virtuellen "Cyberculture" gesprochen wird.

Siehe besonders den Report für den Europarat "The Second Flood" von Pierre Lévy. Er beschreibt eine hoffnungslose postmoderne, postindustrielle Kultur mit einer Metapher die Sinn zu machen scheint, aber vor allem Angst macht und unumkehrbar Zusammenhänge, Beziehungen und Ordnungen durcheinanderwirft. Zurück bleiben suchende Menschen, die mit diesen "Bildern" orientierungslos und verwirrt, aggressiv oder schon teilnahmslos zurückgelassen werden.

Die Gesellschaft, nicht nur Lehrer und Schüler, stehen solchen "Horror-Visionen" und negativen Perspektiven hilflos gegenüber, zumal sogar einige Bildungspolitiker meinen, in der Fähigkeit im Internet suchen zu können, Suchmaschinen zu "beherrschen", liege schon an sich eine kulturelle Leistung und Fähigkeit.

Dabei ist doch allen klar, daß es sich beim Lernen nicht um massenhaftes, schnelles "Lernen" und Vergessen von Zufallswissen handeln kann und darf. Die Gefahr liegt gerade in der "Show" und Verblendung durch erstaunliche, neue Ergebnissen die wir nicht bewerten können, ohne geringste Ahnung vom Bezug, Rahmen, Quelle und Qualität, der vielbesprochenen Kontext oder Meta-Ebene.

Heutige Suchmaschinen stecken noch in den Kinderschuhen und können weder übeschaubare, noch wiederholbare oder verläßliche Ergebnisse liefern. Sie fördern ein blindes Überfischen, nahe der Küste eines unbekannten Ozeans des Wissens, und so sicher keine nachhaltiges Selbstvertrauen. Gefährlich ist es, wir ein falsches Selbstvertrauen, wenn wir Kinder in falsches Wissen und Selbstvertrauen wiegen, und sie nur meinen die Dinge kennen und beherrschen zu können. Wenn sie glauben dann an "Land", ohne Standpunkt und Richtung, dafür aber hektisch und mit doppelter Geschwindigkeit, ohne Wege, sogar im Nebel fahren zu können - doch an der ersten Mauer ein frühes Ende finden.

Das weltweite Informationsnetz ist gerade 10 Jahre alt. Es gibt keine Karten, keinen Entwurf, keinen Plan, wie es aussieht oder wächst. Was es aber gibt, sind Grundkategorien, Ordnungsmuster und Musterordnungen, die dazu dienen, um zum Beispiel Bibliothekswissenen, nicht nur zu verwalten, sondern sogar wiederzufinden! Um solche Ordnungen, oder besser, räumliche Architekturen für ein U-topia des Wissens ging es in einem effe-Workshop mit dem Tite: "Durch die Sinne zum Sinn - Von Kultur zu Cyberculture?" mit dem Architekten Otto Schärli und dem Autor. http://www.thur.de/philo/Benking/effe.html

Ziel war es dabei gerade nicht zu lamentieren und flapsig den "Sinn der Schule in der Schulung der Sinne" zu sehen, sondern alternative Denklandschaften zu entwerfen: Gerüste, Gebäude, Karten und Modelle. Mehr dazu auch m Buch "Die Kultur der Verweigerung": http://www.thur.de/philo/Benking/verweigerung.html (erscheint im September 99 bei Bölau in Wien).

Voraussetzung ist bei solchen Konstruktionen und Uebungen natürlich sofort ob ein Schüler stehen kann um versteht zu können, greifen bevor er sich auf ein be-greifen einlassen kann, fühlt damit sich ein Gefühl und Augenmaß für Situationen und Proportionen entwickeln kann.

Otto Schärli hat seit Jahren, teils zusammen mit Hugo Kückelhaus an solch einer "Schulung der Sinne" gearbeitet, an Exploratorien und Sinngärten, und viel publiziert. Es erscheint an der Zeit, diese Erfahrungen, anstatt sie "einzumotten", als Grundlage zu nehmen, einzusetzen, auch für und in Neuland, Utopia, oder Cyberia.

Ein weiterer Autor in der Sammlung "Die Kultur der Verweigerung" ist Yehudi Menuhin. Auch ihm war es immer ein Anliegen, besonders mit seiner kürzlich gegründeten "Stiftung Singen International -Il-Canto-del-Mundo", http://www.il-canto-del-mondo.org, seine "Seeds of Change" http://www.club-of-budapest.org/html/en/viewsletter/1996-08/seedsofchange.html auf den Weg zu bringen.

Bei Menuhins "MUS-E" Projekt geht es darum, die grundlegenden Fähigkeiten durch Singen, Tanzen und Musizieren schon vor der Schulzeit und im Schulalltag zu fördern, und so vielleicht auch Grundlagen für neue Anforderungen, wie die oben beschriebenen gemeinsamen Denkkonstruktionen zu legen, an gemeinsamen menschengerechten Lösungen zu arbeiten. Seine Stiftung "Singen" will sich der frühen Kindheit widmen, Kinder vorbereiten für unbekannte Anforderungen.

Später, wenn ältere Schüler in sich ruhen, Karten zeichnen, lesen und sogar navigineren kennen, können sie sich ja dann auf die "hohe See" wagen. Zum Beispiel beim "Global Learn Day" http://www.bfranklin.edu wo spielerisch alljährlich, in diesem Jahr im Oktober, eine virtuelle Seereise rund um den Globus in 48 Stunden gestartet wird. Dabei werden viele Häfen angelaufen und selbständig neue Eindrücke gesammelt. Voraussetzung ist natürlich einen Platz und Ort zu haben für das was sie da lernen. Zum Beispiel, um es später wiederfinden und gemeinsam betrachten zu können. Also "Leinen los" und Orientierungskarten zeichnen und mitnehmen!


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