Heiner Benking, ExperConsult, im April 1993

 

Akademie für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (ASZE)

Diskussionspapier zum Expertentreffen in Berlin, am 7.-10. Mai 1993

Wege zum ökologisch-ökonomischen Umbau:

Wie kann ein Informationssystem zur Realisierung und Kontrolle des ökonomisch-ökologischen Umbaus in Europa durchgesetzt werden ?

in Fortführung der Sitzung vom 3.- 5. 12. 1992 der ASZE und OWWA

mit Schwerpunkt systemtechnischer und strukturbezogener Fragestellungen gemäß Top 3:

Wie kann ein europäisches Informations- und Überwachungssystem zur Realisierung des gesamteuropäischen ökologischen Umbaus beitragen?

Welche Ziele sollten global, regional, national, lokal und sektoral angestrebt werden? Wie kann eine Aufgabenkonföderation gestaltet werden?

Situation, Defizite

Durch Umweltbelastungen bedingte Schadensprozesse an den natürlichen Ressourcen, an allen natürlichen und kulturellen Gütern, sind kaum noch beherrschbar. Neben den materialistischen und post-materialistischen Einstellungs- und den rasanten politischen Veränderungen, erwächst eine besondere Gefahr durch Passivität und Ohnmacht. Eine besonderer Grund dafür ist das Gefühl, den Überblick verloren zu haben, Größenordnungen, Wirkungen und deren Dynamik nicht abschätzen und sich selbst als Individuum nicht sinnvoll einbeziehen zu können. Eine Bestandsaufnahme liegt außerhalb der Möglichkeiten dieser Expertenrunde, es wir deshalb als Hintergrundinformation auf 1,2 hingewiesen.

Die Risikoabschätzung ist aber im besonderen von kritischer Bedeutung, um Prioritäten festlegen zu können und durch handeln und Erfolge schrittweise gegenlenken zu können. Vertrauensbildende Maßnahmen und Projekte (siehe auch Beitrag von Prof. Franz-Josef Radermacher, Ulm und Dr. Wolf-Dieter Großmann, Leipzig) sind somit unabdingbarer Bestandteil der Diagnose und Therapie!

Ein Mangel ist die fehlende anwendungsorientierte und praxisnahe Abbildung durch alle Verwaltungs- und Verfahrensstufen. Vorsorgliches Handeln erscheint in diesem Licht als riskant oder gar als Scharlatanerie, weil Transparenz und Durchgängigkeit fehlen und die Mittel und Werkzeuge selbst in Verruf geraten sind. Es ist nur zu menschlich aufs eigene Haus zu schaun, und nicht zu wissen was sich rundherum tut! 3.

Zeitgenossen werden als "Clown" angesehen, wenn sie auf mehreren Ebenen und außerhalb ihrer Basiskompetenz oder momentanen Funktion Meinungen äußern (s.a. Editorial FOCUS Nachrichtenmagazin).

Die Frage bleibt offen, ob T-Persönlichkeiten4 durch computergestützte T-Strukturen 5 unterstützt werden können und sollten bleibt offen. Als Einführung sollen deshalb, zur Anregung und Einstimmung, vor Beginn der allgemeinen Diskussion im Gesprächskreis, einige systemorientierte Teillösungen, Konzepte und Prototypen in Kurzvorträgen vorgestellt werden. Diese liefern natürlich kein umfassendes Bild und manch ein wichtiger möglicher Beitrag ließ sich leider kurzfristig nicht mehr einbringen. Ich denke da vor allem an ökonomisch-ökologische Gesamtrechnungs (Bilanzierungs)- Systeme und Konzepte, die vergleichsweise in Deutschland konzeptionell weit vorangetrieben wurden (siehe auch Vortrag Dr. Andreas Kahnert. ECE Genf).

Maßnahmen

Es mag sich zeigen, daß Informations- und Dokumentationssysteme als Instrumente des Menschen, das einzige bekannte Werkzeug sind, um Details bereitzuhalten und gleichzeitig einen universalen Überblick zu unterstützen. Dies ist eine Voraussetzung, um in manchen Bereichen fachübergreifendes und effektives Arbeiten zu ermöglichen und sicherzustellen. Bemerkenswert erscheinen: der ENVIRONET Beitrag, die CORINE EDS - MDS Entwicklungen der EEA-TF, IGBP-DIS und natürlich die 1990 für UNEP entwickelten Konzepte und der Designempfehlungen für den inzwischen vorgestellten multi-lingualen und -medialen HEMIS Prototypen.

Ordnungsversuch

In der Diskussion um adäquate Werkzeuge und Vorgehensweisen wird sich sicher schnell zeigen, daß implementierte Informations- und Überwachungssysteme sehr stark bereichs- und natürlich aufgabenbezogen ausgerichtet sind und Konzepte integrierter, inter-sektoreller, und inter-disziplinärer und trans-kultureller Ausprägung ein Wunsch- oder Alptraum? bleiben; aber genau solche Qualitäten werden gemäß unserer Themenstellung abgefragt! Es verbleibt deshalb wohl nur die Notwendigkeit sich zu beschränken und intelligent zu vernetzen. Aber dies ist an dieser Stelle zu weit vorgegriffen. Verwiesen sei auf die Konzepte, die unter dem Titel "Bridges and a Masterplan ... Islands of Data... Labyrinth of eco-eco Information" auf der ICSU-CODATA Konferenz 1992 als Ausblick auf die zur Zeit laufenden Projekte für das Earth Council und die neue UN Commission entwickelt wurden.

Beobachtbar sind nicht nur, um das Thema hier einzugrenzen, Enwicklungen im Verwaltung- und Industriebereich, die hoffnungsvoll pragmatische Teilziele verwirklichen. Also quasi Testläufe in der Entwicklung kommunaler und regionaler Management- und Führungsinformationssysteme. Hier sei besonders auf das VISION System für Niedersachsen und Entwicklungen für ICLEI, International Council of Local Environmental Initiatives, Toronto, New York, Freiburg, hingewiesen.

Die logistischen und datentechnischen Anforderungen erscheinen enorm, und je abgehobener Entscheider Grundeinstellungen vornehmen, desto schwieriger wird es, das anvisierte System zu erstellen und zu pflegen! Dies liegt an der Komplexität des Gegenstandes Umwelt, der später als "Blackbox" bezeichnet wird und die Frage aufwirft, ob Demut und/oder spielerische Neugier die vorherrschende Emotion sein dürfen und ob Systeme diese Fähigkeiten des Menschen sinnvoll unterstützen und fördern. Jedenfalls ist die Abbildung technisch-kultureller, sozio-ökonomischer und naturräumlicher Strukturen bisher nicht zufriedenstellend und schon gar nicht in einem Kontext gelungen. Hier sei auf die Enzyklopädie" World Problems and Human Potential" verwiesen, deren Gerüst, gemeinsam mit den erweiterten Megatrends (auch zu GIS) von John Naisbitt and Patricia Aburdene, Washington, Moskau, den Rahmen für die nachfolgenden Diskussion, abgeben soll. - Jedenfalls wird man sich um Strukturen und Austauschformate, graduelle Schritte zwischen Koordinierung, Harmonisierung und Standardisierung bemühen müssen, und dies nicht nur innerhalb, sondern vielmehr in einer breiteren und toleranteren Definition des Begriffs Harmonisierung; zwischen den Bereichen, Fächern und Begriffswelten. Siehe auch die beiliegende Folie der ISY-ESSIS Konferenz, Pasadena, 1992 die auf satirische Weise auf Medienbrüche und vorherrschende Denkhaltungen aufmerksam machen soll.

Es geht also um Protokolle auf jedem Pakett!, um Vergleichbarkeit, Aktualität und "Kompatibilität" auf wirklich allen Ebenen und in jedem Fach (hier Sub-Würfel in nicht zu tiefer Verschachtelung!). Die Interaktion entlang und quer zu diesen Würfel-Achsen (hierarchischen Skalen) ist lange schon theoretische Vorbedingung ökologischer Arbeit (diCastri, Hadley, UNESCO, IUBS, Paris); nur die Realisierung scheitert eben zu oft am Menschen selbst. Da dies aber Voraussetzung für die angestrebte Synchronisation der Gesamt- und Teilentwicklungen bleibt, wird sie als Herausforderung quasi eine Überlebensfrage, für eine sich nicht beschränkende Menschheit. Gründe der Effektivität und Wertschöpfung treten so in den Hintergrund, obwohl sie wünschenswert und unabdingbar sind!

Der Verfasser verspricht sich aus dem historischen Abriß der "Human Dimensions" des Globalen Wandels, wie er von der UN-UNU und IFIAS definiert (siehe auch Beitrag Prof. Walter Manshard, Freiburg) und u.a. von ISSC und CIESIN getragen wird, viele weitere Impulse. Da wegen der HDP Sitzung in Barcelona kein Vertreter teilnehmen kann, wird es an dieser Expertentagung liegen, ob ein Statement/eine Empfehlung für die laufende HDP Sitzung abgegeben werden kann. Die Unterlagen des letzten HDP/CIESEN/ISSC Expertentreffens stehen auf Anfrage zur Verfügung und es wird Gelegenheit gegeben, einige Schritte der letzten Sitzung (Graz, April 93) nachzuvollziehen!

Im Lichte der bestehenden Systeme und Erfahrungen sollen ein praxisnaher Orientierungsabgleich geschaffen und Standards und Empfehlungen parallel vorangetrieben werden. Dies betrifft im ersten Schritt die Grundlage der Objekt- oder Grunddatenkataloge und die Bereiche der numerischen, grafischen, statistischen, kommunikativen und dokumentarischen Methoden und die Aktualität und Vergleichbarkeit der Ergebnisse, auch über Grenzen und Kulturen hinweg. Eine größere Aufgabe erscheint schwer vorstellbar und es ist angezeigt, eines der ersten übergreifenden Umwelttechnik- und -managementbücher, das "Umwelt ABC", Professor Hartkamp, Wuppertal, von einem Umweltmeßstrategen und -Analytiker!, zu zitieren. Hier heißt es: "Kein Risiko wird reduziert, bloß weil man rastlos registriert". Die entscheidende Frage ist deshalb: Können nicht die Ressourcen und Gelder besser darauf verwendet werden, die Menschen in traditioneller Weise zur Nachhaltigkeit "anzustiften"?

Falls also, vor dem Hintergrund dieser pessimistischen Anschauungen, die Diskussionsrunde konzeptionell und durch die Ausarbeitung von Empfehlungen weiterarbeiten will, soll im folgenden auf weitere Entwicklungen und Orientierungsbemühungen hingewiesen werden.

Mit CERCO (Comité Europeéen des Responsables de la Cartographie Officielle) und dem "Atlantic Institute" wurde zum Beispiel seit Jahren an Konzepten für die Hierarchisierung von Objektklassen und Inhalten gearbeitet. Die"Blackbox Natur - Zauberwürfel der Ökologie", die Probleme der Abgrenzung und Sprachbarrieren politik- und öffentlichkeitswirksam veranschaulichen (s.a. Hinweise unter Fußnote 1 und 2).

Die Moderation wird versuchen, auf Erfahrungen mit der Ein- und Zuordnung von Beiträgen und Arbeitsperspektiven aufbauend, den Weg der ICSU-CODATA (Beijing-Konferenz) weiterzubeschreiten und jeden Beitrag, jedes Arbeitsgebiet, und die mögliche Relevanz für Nachbardisziplinen und andere (Zeit)-Räume entsprechend den Achsen des Würfels zuzuordnen, um für den Außenstehenden, nicht nur als didaktische Spielerei ,ein wenig Struktur in die Vielfalt und scheinbare Beziehungslosigkeit hineinzubringen.


Ausblicke?

"Zentrale oder dezentrale Zukunft", "Anfang und Ende, Trends zur Jahrtausendwende" ist nicht nur Thema des Kongresses zur Ehren von Prof. Robert Jungk, Salzburg, in Graz (September 1993 - Fußnote 1)). Daneben geht es um die Kontrolle möglichen Wildwuchses und Chaos durch lebbare und nachhaltige Aktion, die von den Menschen mitgeschaffen und getragen wird (Zukunfts-Workshops). Wie verderblich ein falsch verstandener "Freedom of Information Act" ist, zeigt sich an nicht befaßten Menschen die nicht nach Zusammenhängen, Inhalten, Zeiten und Qualitäten fragen, sondern im Detail gefangen sind und oft nur verwirrt, verängstigt, und unregierbar werden (siehe auch Consultativ-Ansatz). -

Ob es eine "Integrale Umweltwissenschaft" geben kann, ist Thema des Symposiums in memoriam des 90. Geburtstages von Hans Jonas, Anfang Juni 1993 in Hofgeismar (Fußnote 2). Dieses Expertentreffen wird jedenfalls die oben gestellten Fragen nicht abwarten wollen und vielleicht auch Zweifel haben, ob das Tagesgeschäft von solchen Grundsatzfragen und Philosophien sinnvoll profitieren kann und darf. Die Tagesordnung wird sich deshalb rigide an die Bestandsaufnahme halten und dann im Austausch mit den Ergebnissen der ersten beiden Themenstellungen Empfehlungen und Vogehensweisen beraten.

Nach all den Überlegungen zu Innen- und Außengrenzen als Maßstäbe des Denkens und Handels, denn das sind Überlegungen zur Integration oder Segregation, wünsche ich allen Teilnehmern neue Einblicke und Ausblicke; Einsichten gewonnen aus lokaler und globaler Ausschau!

Fußnoten:

1 Unter dem Thema "Hoffnung" - "Ende und Anfang- Perspektiven zum neuen Jahrtausend" (Feiern zum 80. Geburtstag von Rober Jungk) wird schwerpunktmäßig in der "Zukunftswerkstatt" neben Projekten auf "Hilfsmittel und Werkzeuge" aufmerksam gemacht. Siehe Symposium und Workshops, Akademie Graz, 9. - 11. September 1993

2 Unter dem Thema "Prinzip Verantwortung- Wege zu einer integralen Umweltwissenschaft" findet sich der Beitrag "Leitziel: Interdisziplinäre Umweltwissenschaft" , Evangelische Akademie Hofgeismar, 4.-6. Juni 1993

3 Der Trendforscher Gerken verwies gereade darauf, das von die von Vester in Bezug auf Ganzheitlichkeit und die Berücksichtigung aller Eingangsgrößen dem Menschen abgeforderten Fähigkeiten nicht vorhanden sind und der Mensch somit kläglich scheitert. Sein Rezept ist ein anderes Thema...

4 Unter dem Thema "Hoffnung" - "Ende und Anfang- Perspektiven zum neuen Jahrtausend" (Feiern zum 80. Geburtstag von Rober Jungk) wird schwerpunktmäßig in der "Zukunftswerkstatt" neben Projekten auf "Hilfsmittel und Werkzeuge" aufmerksam gemacht. Siehe Symposium und Workshops, Akademie Graz, 9. - 11. September 1993

5 Unter dem Thema "Prinzip Verantwortung- Wege zu einer integralen Umweltwissenschaft" findet sich der Beitrag "Leitziel: Interdisziplinäre Umweltwissenschaft" , Evangelische Akademie Hofgeismar, 4.-6. Juni 1993

6 Der Trendforscher Gerken verwies gereade darauf, das von die von Vester in Bezug auf Ganzheitlichkeit und die Berücksichtigung aller Eingangsgrößen dem Menschen abgeforderten Fähigkeiten nicht vorhanden sind und der Mensch somit kläglich scheitert. Sein Rezept ist ein anderes Thema...

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