Das Wesen des Kapitalismus

Das Wesen der herrschenden Gesellschaft besteht darin, daß in ihr keine Menschen mehr wirklich herrschen und ihren (guten oder bösen) Willen durchsetzen, sondern sich Strukturen entwickelt haben, in denen "ihre eigne gesellschaftliche Bewegung ... für sie die Form einer Bewegung von Sachen (besitzt), unter deren Kontrolle sie stehen, statt sie zu kontrollieren." (MARX, Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 89)

Die Menschen in den so entwickelten Ländern haben keine eigene Lebensgrundlage mehr (Selbstversorgung in gewachsenen Gemeinden), sondern haben entweder keine Produktionsmittel oder besitzen letztere. Haben sie keine, müssen sie ihre Arbeitskraft verkaufen, um vom Arbeitslohn leben zu können. Diejenigen, die Produktionsmittel besitzen, können diese allerdings nicht mehr selbst betreiben (weil es i.a. technische Großanlagen sind), sondern kaufen sich die Arbeitskräfte dazu. Sie setzen die Produktionsmittel jedoch nur in Betrieb, wenn für sie mehr Geld herausspringt, als sie zuvor für das Finanzieren der Produktionsmittel und Arbeitskräfte eingesetzt haben. Das gelingt ihnen aber nur, wenn ihre Waren nicht teurer sind, als die ihrer Konkurrenten - was sie gegenseitig dazu zwingt, billiger herzustellen und neue (manchmal sogar bessere) Waren anzubieten. Diese Zwänge - zum Verkauf der Arbeitskraft wie zum Kaufen und Auspressen der Arbeitskraft anderer - haben nichts mehr mit menschlich gesetzten Zielen und Zwecken zu tun, sondern ergeben sich aus der Herrschaft versachlichter, anonymer Mächte, die i.a. mit "Markt" umschrieben werden.

"Wert-Vergesellschaftung" ist eine andere Kurzfassung für diese Art gesellschaftlicher Kohärenz, bei der die Menschen einander wesentlich nur als Vereinzelte und einander fremde Warenverkäufer und -verkäufer begegnen, wobei ihre Verhältnisse sich über Wertbeziehungen regeln.

Ebenfalls synonym für diese Situation, in der es bestenfalls noch Nischen, aber keine anderen Formen zur Realisierung der materiellen Reproduktion in größerem Maßstab bestehen, ist der Begriff "Kapitalismus".

 

Mit diesem Begriff wird NICHT irgendein "Kapitalist" als Feindbild erkoren - sondern er drückt aus, daß Kapitalist(in) wie auch Arbeiter(in) in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit lediglich als "ökonomische Masken" in festgelegten Rollen agieren MÜSSEN.

Wenn die Politische Ökonomie die Gesetze dieser Zwangsvergesellschaftung beschreibt, so besteht der Ausweg theoretisch nur in der konsequenten KRITIK der Politischen Ökonomie (nicht ihrer rechnerischen Verbesserung) und praktisch in der realen Aufhebung dieser Art Vergesellschaftung.

Die Aufhebung erfordert die Aufhebung der oben genannten Voraussetzung von Trennung der Arbeitskräften von den Produktionsmitteln, die Aufhebung der Erpressung der Arbeiter und des Zwangs für Kapitalisten (jeden "Kapitalanleger") sein Geld "arbeiten" lassen zu müssen.

 

Im Kapitalismus ist die Geld- und Warenwirtschaft so weit vorangeschritten, daß überhaupt nur noch produziert wird, um eingesetztes Kapital zu vergrößern. Überdeutlich wird das z.B. in der aktuellen "Globalisierungs"tendenz. Keine noch so große Not in der "Dritten Welt" oder den osteuropäischen Ländern wird Kapital dahinlocken, wenn es nicht genügend hohe Rendite verspricht. Auch jede/r von uns, die/der Geld auf einer Bank hat, ist an Zinsen interessiert und wird den jeweils höchsten Zinsen nachstreben...

Aus dem Zyklus "Ware - Geld als Vermittler - andere Ware" der einfachen Warenzirkulation, bei welcher der Austausch der Waren das Ziel und Geld nur Vermittler war, ist als vorherrschendes Muster geworden "Geld - Ware - Geld + mehr Geld". Die Ware ist nur dazu da, mehr Geld zu machen, "an sich" ist ihre Qualität und ihr Nutzen unwichtig geworden. Diese neue Qualität der gesellschaftlichen Regelungsmuster wird dadurch gekennzeichnet, daß das Geld nun "Kapital" genannt wird und diese Gesellschaft Kapitalismus.

 

Dieser "Paradigmenwechsel" ist nun nichts rein Gedachtes, das durch "Neues Denken" einfach wieder zurückzuführen wäre.

Einzelne könnten beginnen, neu zu denken und ihr Geld nicht mehr "arbeiten" lassen. Das ist zwar löblich, aber was verändert es? Folgende Möglichkeiten existieren:

  1. Sie wechseln einfach die Stellung und werden innerhalb des Systemmusters zu solchen, die dann auch nur noch ihre Arbeitskraft verkaufen können, um leben zu können,
  2. sie haben so viele Produktionsmittel, um sich ohne Lohnarbeit in die Reproduktion einklinken zu können (Computer etc.) - dann müssen sie aber nichtsdestotrotz innerhalb der Kapitalakkumulation "funktionieren" ("Scheinselbständige", die nicht mehr selber Kapital akkumulieren, sondern nur sich selbst reproduzieren können),
  3. sie versuchen, soviele Produktionsmittel zu behalten/zu kaufen, daß sie sich damit selbst versorgen und sich aus der Kapitalakumulation ausklinken können.

Solange sie nur wenige sind und nicht die höchstentwickelten Produktionsmittel haben, wird das ein Rückfall in vorkapitalistische Zustände mit allen damit verbundenen Vorteilen (ökologisch verträglicher) und Nachteilen (arbeitsintensiver, weniger Zeit für persönliche Entfaltung; persönliche Abhängigkeiten dominieren wieder).

Sogar wenn sie mehr würden und wichtige Produktionsmittel in ihren Händen hätten - müßten sie sich total von der kapitalistischen Welt abkoppeln, denn sonst müßten sie aussichtslos doch wieder mit deren Maßstäben konkurrieren (was schon den sozialistischen Staaten nicht gelungen ist).

Der "Rest" der noch vom "Neuen Denken" zu überzeugenden kapitalistischen Eigentümer von Produktionsmitteln - wäre dann sicher ausgerechnet der "harte Kern" transnationaler Konzerne und Banken - für die es außerhalb der Systemlogik des Kapitalismus überhaupt gar keine Existenzberechtigung gibt.

Solange diese aber die Spielregeln bestimmen, muß sich auch das "Neue Denken" ihren Bedingungen beugen, weil die materielle Reproduktion eine unabdingbare Basis des Lebens ist.

Daß sie die Spielregeln bestimmen, hat wieder nichts mit dem guten oder bösen Willen ihrer Manager zu tun. Bei anderen Spielregeln wäre ihre Existenz beendet - deshalb ist halt nur die/derjenige Manager, die/der seine Forderungen erfüllt - als ökonomische Maske in einer eindeutigen Rolle (Manager mit sogar teilweise anderen Zielen fallen ziemlich regelmäßig die Karriereleiter wieder herunter - das hat strukturelle Ursachen).

 

Der Mehrwert selbst kommt daher, daß die Arbeiter nur einige Zeit ihre Arbeitszeit dazu brauchen, den Gegenwert des von ihnen zur Reproduktion benötigten Werts (in der sog. "notwendigen Arbeitszeit") zu erzeugen - den Wert der am Rest des Tages erzeugten Waren steckt sich der Kapitalist ins eine eigene Tasche.

 

1. Der Kapitalist steckt sich diesen Wert ein als "Preis" dafür, daß er dem Arbeiter die Produktionsmittel zur Verfügung stellt - eigentlich stellt ja aber auch der Arbeiter dem Kapitalisten seine Arbeitskraft zur Verfügung und bekommt den Lohn erst hinterher (kreditiert ihn mit dem Wert seiner Arbeitskraft).

2. Daher kommt es auch, daß es einfach innerhalb dieser Logik keinen Sinn macht, den Arbeitenden die Arbeitszeit zu verkürzen, um den Erwerbslosen Arbeit abzulassen. Die vorher Erwerbslosen würden ja auch erst einmal ihre notwendige Arbeitszeit (zur Erzeugung des Werts ihrer Arbeitskraft) benötigen und erst danach für die Tasche des Kapitalisten arbeiten. Durch das Länger- und/oder intensiver arbeiten der vorher schon Beschäftigten ist der Mehrwertanteil wesentlich größer.

 

 

Zu den charakteristischen Eigenschaften des Kapitalismus gehört die spiralförmige Ausweitung der Kapitalmenge, ihre Akkumulation. (Kapital ist das Geld, das sich im Wirtschaftskreislauf vermehrt) und daß dies nicht einfach "abschaltbar" ist (weil der ganze Kreislauf inzwischen diesem Ziel unterworfen ist und die reale Bedarfsbefriedigung quasi nur noch "nebenbei" erfolgt).

Es geht einfach nicht, als Unternehmer über längere Zeit stabil (ohne Vergrößerung) zu arbeiten. Die Konkurrenz erzwingt eine Verbilligung und/oder "Verbesserung" der Waren (durch bessere Maschinen, die Investitionen, also Wachstum erfordern)- was über lange Zeit hinweg als Triebkraft von Fortschritt gewertet werden mag - aber angesichts der Verselbständigung des Akkumulationszwangs des Kapitals von realen, qualitativen Bedürfnisbefriedigungen und den damit verbundenen ökologischen Desastern insgesamt wieder konterkariert wird.

Daß die Wurzeln dafür eben nicht nur im falschen Bewußtsein liegen, sondern strukturell in der Trennung der Arbeitskräfte vom Eigentum an Lebens- und Produktionsmitteln liegen, schließt einerseits persönlichen "Klassenhaß" und Feindbilder aus und verweist andererseits auf noch größere Anstrengungen, die zur Überwindung dieser Vergesellschaftungsform unternommen werden müssen.

Natürlich besteht jetzt ein Problem: Ich weise nach, daß die materiellen gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse als Subjekt eigentlich das Kapital als sich selbst verwerteten Wert haben. Was können wir als diesen Prozeß"logiken" unterworfenen Menschen eigentlich unternehmen? Manche Politiker und Unternehmervertreter verweisen nur zu gern darauf, daß die "Globalisierung" den "Konkurrenzdruck verschärft" und damit Sachzwänge setzt, die Möglichkeiten der politischen Regulation im Interesse des Sozialen und Ökologischen verringert.

Ich glaube, diese Leute haben nur zu recht - denn auch fast-linke Parlaments- oder gar Regierungsvertreter machen im Wesentlichen keine andere Politik - solange sie sich diesen Zwangslogiken unterwerfen (Wachstumszwang, Arbeitsplatzargument statt Freizeit als Reichtum anzusehen...). Solange wir diese Logiken anerkennen - wirken sie über unser gutes oder schlechtes Wollen hinweg in ihrem "sinnlosen" Wirken weiter. Es kommt schon durchaus auf "Neues Denken" an - aber in einem anderen Sinne als ich oben kritisiert hatte. Es hilft kein Neues Wunsch-Denken, das so tut, als könne man sich diese Zwangslogiken wegdenken. Sondern diese Zwangslogiken sind real - und nur zu überwinden, wenn die gesamte sie erzeugende Gesellschaftsstruktur umgewandelt wird.

Ich will mit dem Nachweis der Zwangslogik der Kapitalakkumulation nicht nachweisen, daß der Kapitalismus nicht zu beenden sei - sondern darauf hinweisen, daß er nicht mit Halbheiten zu beenden ist (nur Rolle des Geldes ändern, Zinsen an Wachstum koppeln, "neu denken"), sondern seine strukturelle Verankerung tiefer sitzt und ausgehebelt werden muß.


Quelle


 
  Zu besonderen Problemen der Herrschaft im Kapitalismus

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