Umfassende Bereiche:
Bisher konnten soziale Probleme in den Zentren der kapitalisierten Welt - bei entsprechendem Kräfteverhältnis - gemindert werden durch ein Anwachsen des zu verteilenden Kuchens in der "Wachstumsgesellschaft".
Abgesehen vom veränderten Kräfteverhältnis und
den ökonomischen Krisen beim Übergang zur globalisiert-vernetzten
neuen Regulationsform des Kapitalismus ergeben sich völlig
neuartige Bedingungen durch die sich schließenden ökologischen
Schanken.
Die stofflichen Grundlagen, die ökologischen Zusammenhänge
werden qualitativ derart geschädigt, daß unsere Art,
industriell zu produzieren, sich selbst den Ast absägt, auf
dem sie sitzt. Die kapitalistische Produktionsweise beruht auf einer In-Wert-Setzung der Natur. Der Reichtum der Menschheit erwächst aus Quellen der nichtmenschlichen Natur und der (letztlich auch natürlichen) menschlichen Fähigkeit, Arbeit zu verrichten.
Quantifizierbare Werte jedoch erwachsen nur aus dem Arbeitsprozeß.
Hier entsteht der Mehrwert aus der Enteignung unbezahlter Mehrarbeit
der Arbeitskräfte. Aller Gebrauchswert beruht zwar auf Warenqualitäten
- wird aber als Wert nur ökonomisch "verrechenbar"
über den Vergleich der benötigten (quantitativen) Arbeitszeiten.
Die Qualitäten verschwinden prinzipiell. Daß Natur
in den Wertbildungsprozeß eingegangen ist, ist nur spürbar,
wenn Naturquellen monopolisiert werden und ihr Besitzer einen
Extraprofit (die Differentialrente) einstreicht (siehe Theorien
über die Grundrente bei Marx).
Naturwissenschaftlich gesehen besteht die Grenze der In-Wert-Setzung
zumindest der irdischen Natur in dem thermodynamischen Fließgleichgewicht
der Energiezufuhr und -ausstrahlung des Planeten Erde (Klimakatastrophe;
sonst könnten prinzipiell alle stofflichen Umwandlungen mit
immer mehr Energien möglich gemacht werden.)
Die sozialen, meist traditionellen linken nicht-revolutionären
Forderungen zielen i.a. auf "Mehr Lohn" (also mehr Anteile
am geschaffenen Wert) und auf "Mehr Arbeit!".
Beiden Forderungen entzieht nun nicht nur das politisch veränderte
Kräfteverhältnis die Grundlage - dieses wieder zu verändern
ist eine notwendige Aufgabe, aber keine hinreichende. Und es wäre
nicht einmal hinreichend, würden die Konsequenzen aus der
veränderten ökologischen Situation nicht gezogen.
Ein bloß quantitaves "Mehr" vom Gleichen, der
gleichen Art zu arbeiten, zu konsumieren ist nicht mehr fortschrittlich.
Die Lösung durch ein "Mehr vom Gleichen", oder
die Verabsolutierung einer von mehreren widerstreitenden Seiten
(Ökonomie-Ökologie) führt i.a. nur noch tiefer
in das Desaster ("selbstorganisierte Kritizität"
oder einfacher: Kontraproduktivität). Nur die Veränderung
aller Seiten und ihrer Beziehungen zueinander kann den "gordischen
Knoten" aufschlagen, prinzipiell Neues ermöglichen.
An bestimmten Punkten der Entwicklung erzwingen die (vorher selbst-veränderten)
Bedingungen eine abrupte Änderung des Verhaltens und der
Qualität aller beteiligten Seiten (neue Differenzierung und
neue Synthese, Funktionswechsel...).
Daß alle Krisen-Faktoren derzeit zusammenfallen, gleichzeitig
auf Basis des "alten Denkens" (in Logiken des alten
Verhaltens, der alten Strukturen) keine Antworten auf die Fragen
zu finden sind, deutet auf die historische Situation eines solchen
Punktes in der Gegenwart hin.
Jetzt ist eine Gratwanderung notwendig. Nur sie führt noch
ins Offene. Eine (auch sozial "gut gemeinte" Ökonomie
führt ins ökologische Desaster - eine (von Kapitalseite
oder von Alternativen geforderte) Überbetonung der Natur
gegenüber menschlichen Bedürfnissen führt zur Öko-Diktatur.
In diesen Wirren ist eine begriffliche Rückbesinnung nützlich.
Wenn es sich bei uns eingefleischt hat, zu akzeptieren, daß
"die Ökonomie stimmen" muß (auch in
einem Sozialismus), so galten schon bei Aristoteles zwei Begriffe
dafür. Die Gesetze (nomos) des Haushaltens (oikos) beinhalteten
auch qualitative Fragen der Lebensführung. Ein untergeordneter
Teil dessen war die Wertproduktion, der Gelderwerb, was Aristoteles
mit Chrematistik bezeichnete. Unsere Art der "Ökonomie" - weitestgehend auch der "linken" - ist eigentlich eine Chrematistik. Der Horizont des menschlichen Lebens ist ein anderer.
In unserem Leben vermischen sich mehrere Ebenen.
Wir verdingen - wenn wir es schaffen - einen Teil unserer
"Fähigkeit, Arbeit zu verrichten" (=Arbeitskraft)
in der sog.Lohn-Arbeit.
Als Arbeit ist insgesamt die Sphäre zu betrachten,
in der Gebrauchswerte geschaffen werden, die für andere Menschen
einen Nutzen haben, absichtsvoll und zweckbezogen hergestellt
werden. Dies erfaßt auch (unbezahlte oder nicht in Lohn-Arbeit
ausgeführte) Tätigkeiten des Haushalts, der Erziehung,
Teile von Kunst und Kultur, Dienstleistungen usw.
Wenn in der Arbeit die menschliche Tätigkeit erfaßt
wird, so kann zur Unterscheidung die Produktion noch umfassender
definiert werden als "physische und soziale Gestaltung der
Materie" (Immler), d.h. als Naturprozeß, der den menschlichen
Arbeitsprozeß nur als einen seiner Teile enthält.
Es gibt viele andere mögliche Begriffsbestimmungen;
oft wird z.B. die "Produktivität" an die Vermittlung
durch gesellschaftliche Arbeit gebunden, dann ist Naturproduktivität
nur ein Teil der Arbeitsproduktivität... Ich möchte
mit der Verwendung eines möglichen Denkmodells mindestens
die Notwendigkeit der Ausweitung der Begrifflichkeiten und genauerer
Unterscheidungen deutlich machen.
Die Menschen eignen sich Naturprodukte an und "bringen die
Dinge zum Wachsen" (M.Mies nach /1/ 56). Dabei werden aus
historischem Abstand heraus die meisten unserer gegenwärtigen
Bemühungen, die "Natur in den Griff zu bekommen"
mittels Biotechnologie, Gentechnik und unserer Art von quantifizierender
Wissenschaft, alle Qualitäten auslöschenden Ökonomie
eher als Destruktion statt als Produktion gewertet werden
müssen.
""Produktion" und "Arbeit"
werden spätestens seit der Neuzeit als Tätigkeiten gedacht,
die die Materie von ihrer Lebendigkeit... trennen soll. Damit
wird versucht, der Einheit der Natur etwas entgegenzusetzen, das
aufgespalten, dabei entlebendigt und neu zusammengesetzt ist:
die materialisierte Konstruktion der "Idee" von menschengerechter,
"zweiter Natur", die der "ersten Natur" als
"Maschine" entgegengestellt wird." (/4/ 12)
Insofern ist unser ganzes Denksystem von "Produktion"
einer Überprüfung zu unterziehen. Die Entstehung ökonomischer
"Werte" in der "Produktion" ist überhaupt
erst möglich in einer entfremdeten Welt, in der Mangel durch
die Unterbrechung vitaler Funktionen des Ökosystems erst
erzeugt wurde (/1/ 181, vgl. auch Diskussion in /6/).
Aber sogar die positiv zu betrachtende zweckvolle Produktion von
Nützlichem für andere (Arbeit) macht aber nicht das
ganze menschliche Leben aus. Dieses wird als Praxis
bezeichnet (Marx, Petrovic). Es enthält mehr als die stets
von der Notwendigkeit der Reproduktion geprägte Arbeit und
ist ein wesentliches Feld spezifisch menschlicher Freiheit.
Erst dieser Aufwand an Begriffen ermöglicht es mir, meine
ganz alltäglichen Lebenserfahrungen auszudrücken. Meine
Praxis enthält wesentlich auch Mußestunden und Tätigkeiten
nur für mich selbst, ich arbeite nicht nur immer ganz zweckvoll
für andere. Meinen Teil an Produktion für andere bringe
ich auch ohne Lohn-Arbeit, sogar eigentlich eher außerhalb
dieser, denn er ist auf dem kapitalistischen Markt nicht ver-wertbar
(Aktivitäten im Freundeskreis, dafür Denk-Leistungen
erbringen, koordinieren...). Die Lohn-Arbeit, bzw. die als Ersatz
"beschaffte" Arbeit ist prinzipiell und noch dazu unter
den heutigen ökologisch eher schädlichen Bedingungen
für mich eher ein Hindernis, zu meinem "Wesen"
zu kommen.
Wenn also alle soziologischen Analysen behaupten, die Frauen im
Osten Deutschlands würden alle "arbeiten" wollen,
so folgt daraus nicht eindeutig, die Lohn-Arbeit müsse ausgedehnt
werden. Hier wäre genauer und differenzierter zu hinterfragen.
Ich denke, die tiefere Motivation liegt in der Selbstbestätigung.
Aber:
"Bestätigt wird sein/ihr menschliches Wesen
nur dann, wenn seine/ihre gegenständlichen Wesenskräfte
sich dem Wollen seiner/ihrer Naturanlagen gemäß bestätigen
können..." (I.Schmidt, /3/ 15, wbl. Form ergänzt
von A.S.).
Das subjektive Bedürfnis nach Selbstbestimmung über
den Sinn und Zweck ihrer Arbeit, einer kreativen Ausgestaltung
und nach freier Zeiteinteilung (zwischen Muße und Arbeit
für andere) haben die meisten Menschen - geben es sich nur
oft selbst gegenüber nicht zu und lassen es auf den Arbeitsämtern,
Umschulungen usw. zerstören.
Es ist gar nicht die Erwerbsarbeit (= Lohn-Arbeit),
die der Mensch zur Emanzipation braucht, sondern eine für
sich und die Gesellschaft sinnvolle Betätigung, in der er
seine Fähigkeiten und Kräfte in und mit der Natur und
der Gesellschaft entwickeln kann. Dies ist Arbeit im marxistischen
Sinne (dazu siehe besonders (/2/, ab S. 14).
Diese entwickelten inneren Bedürfnisse wurden nicht unwesentlich
ausgerechnet in der noch entfremdeten Lohn-Arbeit erzeugt. Sie
treiben aber über sie hinaus, auch wenn sie jetzt innerhalb
dieser noch ausgenutzt und wiederum pervertiert werden (Teamwork,
Gruppenproduktion...).
Sie verweisen aber auf die historische Situation, in der die Menschheit
die Fähigkeiten entwickelt hat, aus dem puren "Reich
der Notwendigkeit" in das "Reich der Freiheit"(Marx)
überzugehen. Wir könnten die zu einem reichen Leben
notwendigen und ökologisch sinnvollen materiellen Güter
in einem Bruchteil der heute verwendeten/(vergeudeten) Arbeitszeit
herstellen, wenn sie haltbar, den sich gleichzeitig mit verändernden
Bedürfnissen gemäß und nicht im Profitmaximierungsinteresse
hergestellt würden.
Der Verbrauch von Autos, Betten, Kleidung usw. läßt
sich trotz Wegwerfgesellschaft nicht beliebig erhöhen. "Das
Maß der Erwerbsarbeit reicht aus, um die nur mit organisierter
Arbeit produzierbaren Güter in ausreichender Menge herstellen
zu können." (siehe /2/).
Arbeit wäre dazu immer in einem gewissen (mit den Bedürfnissen
gemeinschaftlich und frei entwickel- und abstimmbaren) Maße
notwendig - aber die historisch konkrete Form der Lohn-Arbeit
ist genauso historisch abschaffbar wie die Sklaverei und die Fronarbeit.
Das bedeutet aber nicht, daß die Lohn-Arbeit bis zu ihrem
historischen Ende uninteressant geworden wäre. In ihr befindet
sich ein großes Feld an möglichen und für die
eigene Abschaffung und weiteres Leben notwendigen Emanzipationsschritten.
In der Lohn-Arbeit wird gegenwärtig Kreativität, Teamfähigkeit,
Motivation gebraucht und erzeugt (zwar in pervertierter und deformierter
Anwendung für fremde Zwecke und Ziele) - genau diese Fähigkeiten
der Menschen sind auch notwendig für die Überwindung
der Lohn-Arbeit und die (Wieder-)Entwicklung nichtentfremdeter
Arbeitsformen.
Das Ende der Lohn-Arbeit wäre kein Ende der Arbeit selbst.
Die Arbeit könnte nur wieder besser mit der Natur-Produktivität
in Form einer Mensch-Natur-Allianz (Bloch) vermittelt werden.
Viele kulturelle und technologische Aufgaben stehen dafür
noch vor uns. Daß kein Theoretiker der Welt vorher genau
sagen kann, wie das abläuft und was dabei herauskommt, und
daß wir niemals jemandem eine Machtposition, dies zu bestimmen,
geben sollten, ergibt sich aus der historischen Grundsituation,
die Offenheit und Flexibilität der (zu begreifenden) Praxis
fordert.
Die Tatsache, daß die Lohn-Arbeit in ökonomistischen
Analysen überhaupt überbewertet wurde und die Reproduktions-Arbeit
der Frauen, vor allem der sog. Dritten Welt ausgeblendet wurde,
betonen besonders Feministinnen mit Recht. Sie sehen deshalb nicht
nur in der weiteren Entwicklung der Lohn-Arbeit bis über
ihren revolutionären qualitativen Umschlagpunkt (Befreiung)
hinaus eine Aufgabe, sondern in der Rückgewinnung der schöpferischen
Kräfte entsprechend des "weiblichen", partnerschaftlichen,
kooperativen Prinzips für die menschlichen Verhältnisse
und die Beziehungen zwischen Menschen und ihrer äußeren
Natur.(siehe /1/,/4/ und /5/).
Der erste Schritt in Richtung des Offenen erfordert jedoch ein
Loslassen der alten scheinbaren Sicherheiten. Wir müssen
zuerst "loslassen" vom inneren Zwang "zu ackern".
Es gibt für uns nicht nur das "Recht auf Faulheit",
wie es der Schwiegersohn von Marx formulierte, sondern angesichts
der ökologischen Schäden, die unser Tun anrichtet, sogar
eine gewisse historische Pflicht zur Faulheit.
In ihr finden wir dann die Kraft zu neuen Gemeinschaften, zu neuen
Lebensformen, zu neuen Praxen, die jeder/m und jeder Gemeinschaft
ihre Wahl und deshalb, "alle Blumen blühen" läßt.
/1/ Shiva, V.: Das Geschlecht des Lebens. Frauen, Ökologie und Dritte Welt, Berlin 1989 /2/ Werner, H.: Mythos und Realität der Erwerbsarbeit, Mainz 1992 /3/ Eidam, H., Schmied-Kowarzik, W.: Natur - Ökonomie - Dialektik. Weitere Studien zum Verhältnis von Natur und Gesellschaft, Kasseler Philosophische Schriften 26, Kassel 1989 /4/ Werlhof, C.v.: Was haben die Hühner mit dem Dollar zu tun? München 1991 /5/ Mies, M., Shiva, V.: Ökofeminismus, Zürich 1995 /6/ Immler, H., Schmied-Kowarzik, W.: Natur und Marxistische Werttheorie, Kassel 1988
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siehe auch::