Freie Software (für das Heftprojekt)
Das Wort "Software" im Titel wird wohl nur eingefleischte Computerfans zum Lesen dieses Textes verleiten. Aber ich kann versprechen, dass die Technik hier - wie fast überall - nur Mittel zum Zweck ist. Wichtiger ist das Attribut der Freiheit, das durch die Erfahrungen mit der Freien Software neue Inhalte bekommt. Freiheit für Menschen hat immer mit dem Verhältnis einzelner Menschen mit ihren Mitmenschen und der Gesellschaft insgesamt zu tun - und im Bereich der Wirtschaft, der Bedürfnisbefriedigung ist die Frage nach Freiheit oder Zwanghaftigkeit der Beziehungen untereinander absolut wichtig. Oft wird behauptet, Wirtschaft funktioniere nur, wenn "gerecht getauscht" wird, oder wenn "Knappheit über Märkte verwaltet" würde. Auf den Märkten wird eine Bewertung vorgenommen, d.h. den einzelnen, konkreten Dingen wird ein Wertstempel aufgedrückt, der den Austausch untereinander ermöglicht. Die Planung und Organisation der Produktion richtet sich mehr danach, welchen Gewinn man aus dem Austausch der bewerteten Waren machen wird, als aus den Bedürfnissen. Aber es geht durchaus auch anders. Dies zeigt die Wirtschaft der Freien Software. Insbesondere wird uns dabei interessieren, welche neue Form der individuellen Freiheit im gesellschaftlichen Umfeld dabei möglich wird (individuelle Selbstentfaltung) und warum gerade diese Freiheit selbstbestimmte kooperative Selbstorganisierung voraussetzt und gleichzeitig ermöglicht. Dass das nicht nur auf software- und computerbezogene Produkte gilt, wird im Anschluss angedeutet. Freier Code und Freiheit der Organisierung Das "Freie" bei der Freien Software besteht nicht darin, dass Freie Software immer völlig kostenlos zu haben wäre. Manchmal entsteht Freie Software inzwischen auch schon im Auftrag von kommerziellen Firmen wie IBM. Trotzdem wird die Freie Software häufig völlig berechtigt als wichtige Quelle für Inspirationen für herrschaftsfreie Wirtschaftsformen betrachtet. Die erste Bedeutung der "Freiheit" der Freien Software besteht darin, dass bei Freier Software der Quellcode nicht mehr privatisiert und kommerzialisiert werden kann (Copyleft). Im Jahr 1984 wurde der bis dahin frei zugängliche Source-Code des weitverbreiteten Betriebssystems UNIX durch restriktive Lizensierung der Allgemeinheit entzogen. Dies stieß aber von Anfang an auch auf Gegenkräfte. Richard Stallman gründete das GNU-Projekt, in dem eine neue Software entwickelt wurde, die vor der Privatisierung geschützt wurde. GNU heißt "GNU Is Not Unix". Der Schutz vor Privatisierung erfolgt durch die GNU General Public License (GPL), die im Gegensatz zum Copyright auch "Copyleft" genannt wird. Diese Bezeichnung drückt ironisch den subversiven Charakter der freien Lizenz aus: Das Copyleft basiert auf dem Copyright, dreht aber den ursprünglichen Sinn - exklusive Verfügung zum Zwecke der Vermarktung - um. Die GPL gewährleistet die freie Nutzung und Verteilung sowie das Recht, das Programm zu ändern und geändert zu verteilen. Bedingung ist nur, dass der Source-Code stets zugänglich bleibt und abgeleitete Programme ebenfalls der GPL unterstellt werden. GPL-lizensierte Programme sind inklusive ihrer Folgeversionen zum allgemeinen, öffentlichen und damit nicht-privaten Gut geworden. Sie sind damit dauerhaft der Verwertung entzogen - Freie Software ist im besten Sinne "wertlos". Die zweite Bedeutung der "Freiheit" entwickelte sich etwas später: Zuerst hatte die Produktionsweise der GNU-Software noch in üblicher Weise funktioniert - also zentralistisch gesteuert und "wie der Bau einer Kathedrale" (Raymond 1999) organisiert. Linus Torvalds änderte 1991 dieses Vorgehen radikal. Er weigerte sich, wie bisher in einem kleinen eingeschworenen Team "die Kontrolle behalten" zu wollen - sondern stellte einfach seine Zwischenergebnisse beim Programmieren der inzwischen als Linux bekannt gewordenen Software öffentlich ins Internet und forderte zur Fehlersuche und Mitarbeit auf (Bei der Erarbeitung der Texte dieses Heftes wurde dieses Prinzip ebenfalls angewendet). Manche fürchteten, die Koordination dieser Arbeitsweise würde so schwer werden wie "Katzen hüten". Es zeigte sich aber bald, daß diese Organisationsform der internetbasierten, selbstorganisierten Kooperation die Leistungsfähigkeit der früheren starren "Kathedralen-Organisation" weit übertrifft. Eher "wie auf einem Basar" (Raymond 1999) werden Informationen geteilt, mit Innovationen angereichert, weiter verteilt usw. Die Qualität der erstellten Software beweist inzwischen, dass hochkomplexe Produkte nicht - wie früher meist gedacht - nur in perfekt durchgeplanten und -organisierten Strukturen hergestellt werden können, wodurch schon aus technologischen Gründen so etwas wie Vormachtstellungen und Herrschaftsstrukturen entstehen (bis hin zu den Planungsbürokratien der großen Konzerne oder eben den Sozialismusversuchen). Es zeigt sich demgegenüber, dass auch in dezentralen, von den beteiligten Menschen selbst organisierten Strukturen effektiv und qualitativ hochwertig gearbeitet werden kann. Der Produktionsprozess geht dabei nicht von Plänen oder Profitmaximierungsinvestitionsentscheidung aus, sondern von den unmittelbaren Bedürfnissen der Menschen. Das sind einmal das Bedürfnis nach guten Produkten und zum anderen die ebenso starken Bedürfnissen nach einer Verwirklichung des eigenen Könnens, der Kreativität, also auch des eigenen Produktionsvermögens.Einheit von individueller Selbstentfaltung und kooperativer Selbstorganisierung Es sollte für andere selbst organisierte Prozesse interessant sein zu schauen, wie sich die Menschen bei der Herstellung Freier Software organisieren: "Maintainer, einzelne Personen oder Gruppen, übernehmen die Verantwortung für die Koordination eines Projektes. Projektmitglieder steigen ein und wieder aus, entwickeln und debuggen Code und diskutieren die Entwicklungsrichtung. Es gibt keine Vorgaben, wie etwas zu laufen hat, und folglich gibt es auch verschiedene Regeln und Vorgehensweisen in den freien Softwareprojekten. Dennoch finden alle selbstorganisiert ihre Form, die Form, die ihren selbst gesetzten Zielen angemessen ist... Ausgangspunkt sind die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Vorstellungen - das ist bedeutsam, wenn man freie und kommerzielle Softwareprojekte vergleicht." (Meretz 2000). Als besonders bedeutsam sind aus diesen Erfahrungen folgende Aspekte hervorzuheben (Meretz, Schlemm 2001):
Selbstentfaltung in Freiheit
Eben wurde anstelle des bekannteren Wortes "Selbstverwirklichung" das Wort "Selbstentfaltung verwendet. Das ist kein Zufall. Es soll andeuten, dass wir damit etwas anderes meinen, als eine individualistische Verwirklichung irgend eines "Selbsts". Erstens meint individuelle Selbstentfaltung, dass mein Leben nicht nur darin besteht, irgend ein vorgegebenes Ideal oder eine Anlage zu "verwirklichen". Was aus mir werden will, entwickelt sich selbst erst in meinen Lebensprozessen. Es gibt immer wieder die Möglichkeit, etwas Neues zu beginnen und von alten Pfaden abzuweichen. Ich kann mich aber nur wirklich entfalten, und dies ist ein wichtiger zweiter Punkt, wenn sich alle Menschen in meinem Umfeld, alle Menschen dieser Erde und überhaupt alle anderen produktiven Prozesse, mit denen ich wechselwirke, selbst auch entfalten können. "Ich kann mich nur entfalten, wenn die anderen es auch tun. Die anderen - potentiell alle anderen - sind meine Entfaltungsbedingung, wie ich umgekehrt Entfaltungsbedingung für die anderen bin. Es entsteht eine positive Rückkopplung: Mein Bestreben richtet sich darauf, dass die anderen sich entfalten können, damit ich mich entfalten kann.. Würde ich mich nur darauf konzentrieren, was ich zu tun wünsche und die anderen ignorieren oder gar ausgrenzen, dann würde ich mir selbst schaden." (Merten, Meretz 2005: 294). Ist die Software eine Ausnahme? Es muss zugegeben werden, dass die Freisetzung bei Software besonders gut funktioniert, weil hier keine materielle Knappheit gegeben ist. Software kann im Unterschied zu Brötchen und Kühlschränken kopiert und weiter gegeben werden, ohne dass der Geber etwas verliert. Die "natürliche" Kopierbarkeit und Fähigkeit zum Weitergeben soll gerade unterbunden werden, die Freiheit in diesem Bereich soll eingeschränkt werden durch die Einführung von Patenten auf Software. Die Kämpfe gegen diese Patentierbarkeit sind wichtige politische Kämpfe, die viele Weichen für die Zukunft stellen, auch wenn leider viele politisch aktive Menschen sich zu wenig für die Technik interessieren. Vom Prinzip her ist die Freie Software aber auch für die materiell-stofflichen Produktionsbereiche ein wichtiges Modell bzw. eine Keimform für eine andere Produktions- und Bedürfnisbefriedigungsweise. Das hängt mit folgenden Aspekten zusammen:
Mehr als nur Software
Daraus ergibt sich eine faszinierende Vision: "Auf lange Sicht ist das Freigeben von Programmen ein Schritt in Richtung einer Welt ohne Mangel, in der niemand hart arbeiten muß, um sein Leben zu bestreiten. Die Menschen werden frei sein, sich Aktivitäten zu widmen, die Freude machen, zum Beispiel Programmieren, nachdem sie zehn Stunden pro Woche mit notwendigen Aufgaben wie Verwaltung, Familienberatung, Reparatur von Robotern und der Beobachtung von Asteroiden verbracht haben." (Stallmann 1984). Dass es nur auf den ersten Blick so aussieht, als seien die von uns erhofften neuen Möglichkeiten nur an die Eigenarten von Software und Computernutzung gebunden, zeigen schon die Bemerkungen in den Punkten 1. bis 5. im vorigen Abschnitt.
Es wird eingeschätzt, dass es auf dieser Grundlage durchaus sinnvoll ist, neu über experimentelle Werkstätten und Autonome Arbeit nachzudenken. "Das Herstellen wirklich global nutzbarer und nicht bewirtschaftbarer (=nicht zur Erpessung anderer produzierter) Handlungsvoraussetzungen" (Nahrada 1993) beantwortet das Problem von Karl Marx, der die Trennung der Arbeitskräfte von ihren Produktions- (und Lebens-)Mitteln als Grundübel des Kapitalismus ansah, auf neue Weise. Dabei ergeben sich auch interessante Konsequenzen für die nicht hochindustrialisierten Gebiete unserer Welt. Freie Software bringt ihnen Schritte aus ökonomischer Abhängigkeit, ermöglicht die Implementierung von kulturellen Eigenheiten, sie schont Ressourcen, ermöglicht Vernetzung, ist international und - macht unabhängig (Merten 2000).
Neben der Freien Software gibt es bereits viele andere praktische Prozesse, die in die gleiche Richtung weisen. Als Ansätze seien erwähnt der freie nachbarschaftliche Musikaustausch auf Basis des MP3-Digitalformats, der von der Musikindustrie als "illegal" denunziert wird; eine quellenoffene partizipative Stadtplanung ; verschiedene freie Computer-Hardwareprojekte , freie Enzyklopädien; offene Kulturprojekte; offene Text- und Theorie-Entwicklung etc. Eine permanent aktualisierte Sammlung führt das Oekonux-Projekt im Internet. Literatur siehe in der Veröffentlichung |