Rüdiger Lutz:

Meine Zukunftswerkstatt-Revision.
Ein persönlicher Rückblick auf die letzten 30 Jahre

Die siebziger Jahre

Die ersten Anfänge liegen in den frühen siebziger Jahre und in Berlin (West). Robert Jungk war mein eye- and door-opener hinsichtlich Futurologie bzw. Zukunftsforschung (beide Begriffe waren damals en vogue: Professor Ossip Flechtheim stand für die Futurologie an der FU und Robert Jungk war Honorarprofessor für Zukunftsforschung an der TU, aber ein etabliertes Institut für Zukunftsforschung gab es an keiner Universität (in ganz Deutschland nicht!). Jungk brachte somit hauptsächlich Materialien aus den USA und anderen Ländern zu uns. Er war eine lebende Zukunftswerkstatt. Immer mit den neuesten Informationen und Erlebnissen von seinen Reisen führte er in die Welt der internationalen Futurists-community. Ich assistierte ihm etwas und fuhr ihn zu Terminen, Vorträgen und später dann auch zu den Zukunftswerkstätten, die erst einmal nur ein Begriff waren, keine Methode oder Didaktik. Das brauchte er ja nicht, seine Präsenz genügte. Das erinnert mich an Gregory Bateson, den ich später kennenlernte und der mal gefragt wurde, welche Methode er denn verwende - worauf er antwortete: "Ich bin erfahrener Wissenschaftler, Methoden sind für Anfänger." Das stimmt, aber gerade bezüglich Zukunft sind wir eben alle Anfänger, uns half dann der Ansatz der participatory workshops (A. Tofler), die dann bei Jungk im deutschsprachigen Raum zu Zukunftswerkstätten wurden. Durch die Zusammenarbeit mit Norbert Müller und der Bildung der PROKOL-Gruppe (Projekt kooperativer Lebensgemeinschaften) wurde die ZW-Methode präzisiert und inhaltlich ausformuliert. Als Nach-68er waren wir thematisch gegenüber der reinen Gesellschaftsanalyse und Systemkritik, wie sie von Marcuse, Adorno et. al formuliert wurden, schon mehr auf der Lösungssuche und Alternativen-Entwicklung. Unser kollektiv verfasstes Buch "Der sanfte Weg" schilderte dann die damals in Umrissen sich abzeichnende Vision der nachindustriellen Gesellschaft. Darüber wurden auch Zukunftswerkstätten veranstaltet, die aber meist noch in der Kritik-Artikulation steckenblieben, noch war die Stimmung "anti"-Atom, -Kapitalismus, -Industrie, -Konsumgesellschaft, -Medien (Bild ist blöd!) - für Utopien und Visionen fehlte noch die Kraft und die Hoffnung - doch das sollte sich bald ändern.

Für mich selbst war dann der Wechsel in die USA, speziell California, prägend. Dort war vieles von dem, was wir in Deutschland andachten, schon in experimentellen Praxisansätzen realisiert. Farrallones Institute mit seinem Integral Urban House, the New Alchemists, Land-Institute, The Farm etc. waren echte Forschungs- und Lebensprojekte, die offenbar aus dem Whole Earth Catalogue lebten, statt aus Walmart und Woolworth. Auch war die New Age Welle ausgebrochen, mit tausenden von Bewusstseins-Zentren, von denen nicht nur für mich Esalen zum entscheidenden Stammplatz zählte. Dort lernte ich dann auch psychologisch und esoterisch-psychedelisch die "doors of perception" zu öffnen. Von Bewusstseinserweiterung und Paradigmenwechsel war allerorten die Rede und manchmal auch die Tat.

Die achtziger Jahre

Zurück in Deutschland versuchte ich dann die US-Erfahrungen in meine ZW-Konzeption einzubetten. In einem kleinen Tochterinstitut des Berliner Instituts für Zukunftsforschung in Hannover entwickelte ich die Zukunftswerkstatt als Methode und international als Future Lab weiter. Nach den amerikanischen Eindrücken sowie Erlebnissen auf internationalem Konferenzparkett wurden Moderatoren oder "facilitators" für die ZW unerlässlich. Die Durchführung von ZW-Moderations-Ausbildungen begann. Ab Mai 1980 wurden die Moderatorentrainings angeboten, anfänglich zögerlich, weil das Gruppenleitermodell eigentlich dem basisdemokratischen Anspruch der ZW zu widersprechen schien, dann aber wurden die Moderatoren zum "harten Kern" der ZW-Entwicklung, wie es sich auch bis heute zeigt. ZW in Schule, Kindergarten, im Betrieb, für Lehrer und Politiker (wir machten viele "Bürgermeister-ZW"), für Sozialarbeiter und (Bau-)Planer - fast jeder Bereich konnte mit dem ZW-Ansatz etwas anfangen, hauptsächlich für Kleingruppen (20-30 Personen), manchmal aber auch für Veranstaltungen bis zu 2000 Teilnehmern (z.B. Hamburg Markthalle) und open-air-events (Zukunftsfestivals).

Daneben waren bis zum Fall der Mauer auch die Friedenswerkstätten ein auf der ZW beruhender eigenständiger Zweig in Ost und West. Nach der Öffnung und Osterweiterung verlor dies leider wieder an Bedeutung, war aber nun durch das Hinzukommen und Gründungen von ZW im östlichen Europa mehr als ausgeglichen.

Die neunziger Jahre

Die ZW-bewegung wuchs und differenzierte sich immer mehr. Es gab reine Schulungs- und Bildungsprojekte in Kooperation oder innerhalb staatlicher Institutionen, sowie freie Projektgruppen, die wie freiberufliche Unternehmensberatungen und Planungsgesellschaften arbeiteten. Mein hauptsächliches Arbeitsfeld war nun die Innovationsökologie in bestehenden Untenehmen in Europa und das Future Lab in den USA (EcoManagement mit dem Elmwood Institute / F. Capra) wurden zu Kernpunkten meiner ZW-Tätigkeit. Die ZW als Management- und Organisationsmodell zu nehmen und in fortschrittlichen Betrieben zu implementieren ist "in noch zu lösendes Problem". Die traditionellen Strukturen und hierarchischen Top-Down-Modelle reagieren kritisch auf den seltsamen neuen Attraktor ZW. Zwar ist jedermann/frau für Innovationen und flexible Ordnungsmuster, aber in der Realität gibt es große Widerstände gegen die Auflösung bekannter und gewohnheitsmäßiger "settings". Diese Blockaden sind eher im Kopf als in der materiellen Umgebung zu finden. Das "Neudenken" macht große Schwierigkeiten und benötigt sicherlich noch Jahrzehnte für seine Selbstverständlichkeit, so wie jede Revolution erst durch die danach stattfindende Transformation umgesetzt wird.

2000+

Am Anfang des 21sten Jahrhunderts wird die Millenniums-Krise unüberseh- und unüberschaubar, der Paradigmenwechsel wird von der Worthülse zum Alltagstrauma. Die globalisierte Wirtschaft zwingt uns neue Perspektiven auf, die wir bislang nur informationell und literarisch wahrgenommen haben, aber nicht existentiell fühlten. Dies ändert sich nun rapide und drastisch:

Ausgehend von den bereits früher untersuchten Szenarien möglicher Entwicklung stehen heute vor allem folgende Szenarien zur Diskussion:

Chinatown: Boom or yellow Doom ? (statt 1500 Euro nur 150 Euro Lohn?);

Dallas: von der 2/3- zur 1/8- Gesellschaft (7/8 sind faktisch ausgeschlossen;

Findhorn: die große TranCeformation;

2012: als Kulmination des "Mind"

Raumkolonien: Letzter Ausweg Mars? NASA-Strategie: intergalaktische Flucht;

Computopia oder(1984) im 21. Jahrhundert;

Corcoran: als Sicherheitsgürtel per sé; ein globaler Corcoran ist ein überwachter, kontrollierter Weltstatt "Frozen Terror";

Ökotopia: der grüne Garten Eden - wo?

Gaia: die planetare und kosmische Integration.

Mehr

 

- Diese Seite ist zu Gast in "Annettes Philosophenstübchen" 2005 - http://www.thur.de/philo/gast/ruediger/lutz4.htm -