Gesprächskultur und Runde Tische

Farah Lenser - Heiner Benking

frei nach Goethe's Märchen "Die grüne Schlange":

 
Was ist erquickender als Licht ?

Was ist erquickender als Wasser ?
    Das Gespräch   Das Gespräch
  Das Gespräch hat in allen Kulturen seine besonderen Regeln. Immer gilt es eine Balance zwischen Einzel- und Gruppenstimmen und -interessen zu finden. Idealtypisch gelöst wurde dieses Problem in den traditionellen Kulturen der Indianer, wo bei beliebiger Zeit und mit großer Geduld jedes Mitglied der Gemeinschaft seine Stimme erheben und beliebig lange und in aller Tiefe sein Thema ausführen kann; auf der anderen Seite finden wir in hierarisch organisierten Gesellschaften den Allein-Herrscher und -Redner, der einigen wenigen das Wort erteilt und abschneidet. Dazwischen finden wir in allen Kulturen die unterschiedlichsten Formen das Gespräch zu fördern oder zu behindern, von der Tafelrunde King Arthurs, über literarische Salons und Talkshows bis hin zu gesetzlich geregelten Parteistrukturen, die dann demokratisch geregelt, das Gespräch zur Zeremonie oder Farce verkommen lassen und damit Stoff für unzählige Satiren, wie den Wahlkampfzirkus, liefern.

Das Gespräch wiederzuentdecken scheint eine der erfolgversprechensten Methoden zu sein, eine erstarrte, verkrustete Gesellschaft wieder in Bewegung zu bringen. Es wird auch viel über Dialog gesprochen, vom Dialog der Kulturen, über Interdisziplinarität und Austausch in der Wissenschaften anstelle von Abschottung und Konkurrenz, von Teambildung statt hierachischer Befehlstruktur in der Wirtschaft. Doch innerhalb der alten, ausgetretenen Strukturen bleiben solche Versuche, Dialog und Gespräch neu zu erfinden, oft wieder stecken. Dies hat sicherlich viele Gründe von der Aufrechterhaltung von Machtinteressen bis hin zu Phantasielosigkeit und Apathie.

Wir glauben, daß die Kunst und damit das Spiel uns Wege weisen kann, wie ungewöhnliche Maßnahmen auf fremdem Terrain übertragen, zu kreativen Lösungen führen können.

In unserer Gesellschaft gilt das Wort "Gespräch" fast schon etwas altmodisch, geläufiger scheint uns die Diskussion, die erinnernd an "Perkussion" oft darin besteht, Meinungen in das Gehirn anderer Menschen einzubleuen, vergessend, daß das wirkliche Gespräch zwei aktive Teilnehmer verlangt, den Sprechenden und den Zuhörenden. Es handelt sich hierbei um einen Prozeß, in dem sich die Trennung zwischen den beiden aufhebt, schafft doch erst der Zuhörende den Raum, in dem der Sprechende seine Ideen entwickelt, so daß eine eindeutige Zuordnung der Urheberschaft von Ideen nicht mehr gegeben ist, die beiden Akteure des Gesprächs schaffen sozusagen eine neue Gestalt - eine Kunstperson - die mehr ist als die Addition der Gesprächsteilnehmer.

Eine von vielen Möglichkeiten diesen Raum zu schaffen ist die Umsetzung der Idee von "Runden "Zaubertischen - Magic Round Tables" in denen sich das Gespräch durch die Vergabe von Zuhörzeit, symbolisiert durch Zeiteinheiten, lebendig und transparent entwickeln kann, neues hervorbringt und die Menschen verzaubert; so werden durch die klare Begrenzung der Gesamtzeit und die Ermutigung von Beiträgen gemeinsame Interessen gefördert und Synergien entwickelt.

  Die Form des freien Dialogs kann sehr gut eines der effektivsten Möglichkeiten sein,
die Krisen zu untersuchen, denen sich die Gesellschaft gegenübersieht.
Mehr noch, es könnte sich herausstellen,
daß diese Form des Austauschs von Ideen und Information von fundamentaler Bedeutung ist,
um Kultur so zu verändern, daß Kreativität freigesetzt werden kann."
  David Bohm: On Dialogue
 Spielregeln:

Bei der Vorgabe von einer Stunde Gesamtzeit und sieben Gesprächsteilnehmenden werden jeweils sieben Minuten Redezeit, symbolisiert in Form von Steinen, Nudeln, Nüssen etc. an jede Person verteilt. Nach einer kurzen Vorstellungsrunde, in der jede Person kurz sich und ihr Anliegen skizziert, können diese Zeiteinheiten verschenkt und damit in Zuhörzeit umgewandelt werden. In der Regel beginnt die Person, die die meisten Zeiteinheiten bekommen hat, mit der Eröffnung des Gesprächs, sie kann - muß aber nicht - solange reden, wie sie Zeit zur Verfügung hat. Eine Moderatorin achtet auf Einhaltung der Regeln und die Zeit und nimmt die Zeiteinheiten an sich, wenn diese verbraucht sind. Hat eine Person ihre Redezeit verbraucht, also keine Zeiteinheiten mehr vor sich liegen, können die anderen - bei Interesse - ihre eigene Redezeit als Zuhörzeit verschenken, und so die Person ermutigen, ihr Thema weiter zu entwickeln. Auf diese Weise bleibt das Gespräch dynamisch und transparent - es gibt keine starren Redezeitbegrenzungen wie in üblichen Diskussionsgruppen, sondern das Zuhören wird als aktiver Bestandteil des Gesprächs und als besondere Qualität erkannt, da die Inhalte das Interesse der gesamten Gruppe zu dieser Zeit und an diesem Ort symbolisieren. Durchaus kann eine Person auch in diesem Spiel die gesamte Redezeit bekommen, wenn sie in dem Moment zum Medium oder Katalysator der gesamten Gruppe wird, und wenn die Teilnehmer dies wünschen.

Dialog im Zirkus als Zukunftswerkstatt

Wir alle befinden uns ständig in Situationen, in denen wir uns selbst als be- und -verhinderte erfahren; geflügelt ist schon das Wort von den Sachzwängen, die ständig zitiert werden, wenn jemand eine Lösungsmöglichkeit zu entwickeln versucht, die es bisher noch nicht gegeben hat. Technische Innovationen werden gefördert, da sie Gewinn versprechen, soziale Innovationen scheinen unmöglich, gesellschaftliche Verhältnisse werden als konstante Naturgesetze betrachtet und Phantasie und Utopie in künstlerische Schrebergärten und Science Fiktion Romane abgeschoben. Aus diesem Erkennen heraus hat Robert Jungk in den bewegten siebziger Jahren der Bürgerbewegung zusammen mit Rüdiger Lutz die Methode der Zukunftswerkstätten entwickelt, in denen "Betroffene von sozialen und politischen Entscheidungen" zusammenkommen, um ohne Rücksicht auf die "Realität" auf Visionssuche zu gehen, ihrer Phantasie freien Lauf zu lassen und erst in einer Schlußphase Phantasie und Realität sich wieder begegnen zu lassen, um konkrete Schritte zu einer Problemlösung anzugehen.

So befinden wir uns nicht nur in der Situation, daß wir als Arbeitslose, Behinderte, Alte, Schwache, Kranke, Fremde und Doofe einer sonst funktionnierenden Gesellschaft gegenübertreten, die das sie behindernde wie bösartige Geschwulste wegschneiden könnte, sondern wie auch beim biologischen Krebs sind wir die Symtome, die darauf hinweisen, daß das gesamte System marode ist und nur geheilt werden kann, wenn das vermeintlich behindernde angeschaut wird, um im Symptom selbst die Kraft zur Veränderung zu entdecken.

In diesem Sinne wollen wir ermutigen, innezuhalten ohne zu erstarren, uns zu bewegen, ohne blind loszurasen, zu schauen, ohne anzustarren, zuzuhören ohne gleich loszureden, zu leben, ohne Lebens"versicherung".

Rückblick und Zusammenhang

Der Wunsch Gespräche zu strukturieren, Redner auszuwählen und Redezeit gerecht, also gleichmäßig, zu verteilen ist genauso alt wie unbefriedigend. Doch wie die Zukunft ist auch Kreativität und das Gespräch nicht planbar. Wie bei einer Rückschau lassen sich zwar bekannte Beiträge einladen und wiederholen, doch es passiert wenig Neues, wenn nicht der Dialog und das Gespräch andere und neue Sichtweisen hervorbringen. Aufbauend auf Dialogkreisen mit Anthony Judge aus Brüssel, wo mit der Idee, Redezeit als freien Kredit in Umlauf zu bringen und in einer Bank zu verwalten, Gedankenexperimente durchgespielt wurden, haben wir unsere Erfahrung und die Idee umgesetzt. Zentral ist dabei die Vorstellung, daß Wert von Redezeit steigt, wenn jemand sie verschenkt und damit eine andere Person bestätigt und ermutigt, wodurch Resonnanz und Synthese im Gespräch fühlbar und sichtbar werden.

Ein weiterer Ursprung dieser Methode liegt in politischen Dialogen, bei denen sich Politiker, Militärs, Journalisten, Umweltschützer und Unternehmer zur Klausur zurückziehen, um offen miteinander zu reden, ohne befürchten zu müssen, daß am nächsten Tag aus dem Zusammenhang gerissene Details in der Tagespresse auftauchen. Dabei geht es darum, neue und alte Sicht- und Denkweisen kennenzulernen, sie zu verbinden und dabei möglichst oft seine Meinung in Frage zu stellen, vielleicht sogar bewußt in die Rolle der anderen Partei zu schlüpfen und damit den eigenen Blick und Horizont zu erweitern.

Entscheidende und Verantwortungstragende sind oft sehr einsam, verbittert und in Ihrer Wahrnehmung eingeschränkt. Dadurch, daß sie Öffentlichkeit als Publikum mißverstehen, schließen sie sich selbst aus der Gemeinschaft aus; Verständnis und Mitgefühl können sich so nicht entwickeln. Doch gerade diese sind Grundbedingungen für Kreativität und Offenheit, die jedoch im gesellschaftlichem und politischen Dialog oft fehlen. Daraus resultierten Überlegungen, wie das "Gewicht" einzelner Teilnehmer und das gemeinsame Interesse aller in eine Balance zu bringen sind. Individuelle Interessen sollen zwar berücksichtigt, Dauerredner und Alleinunterhalter jedoch sollen gemäßigt und so Teil der Gruppe werden. Ein Schritt in diese Richtung ist Einführung einer "Währung" von Zeit-Kretit, die als "Maß" nicht Prestige, Redegewaltigkeit, oder Einfluß, sondern das Interesse zuhören zu wollen, wiederspiegelt. Damit ist ein erste Schritt getan - von einem vorgebenen Dialog mit Tagesordnung zu einem offenen Modell, das auf Überraschung, Bestätigung und gemeinsamen Ideen basiert, und damit zur Katalyse und Synthese. Manipulationsversuche auf der einen Seite, die Gabe packend zu reden auf der anderen Seite, stellen sich so einer Transparenz, einer Offensichtlichkeit worüber momentan entsprechend der Wünsche aller gesprochen werden soll. Einmal nicht zu Wort zu kommen oder der Wunsch die Redezeit nicht zu verschenken sonder selbst zu beanspruchen werden wahrgenommen. Die Gesprächskultur liegt im Abwägen der Dringlichkeiten und Wichtigkeiten, der Angebote und der Signale. Gespielt wird ein Schritt, eine Übung oder ein Spiel auf dem Weg zu einem zivilisierten Dialog, einem Dialog der nicht darin besteht das die Welt in Beweger, Redner und Zuschauer und Zuhörer eingeteil ist, wie es oft scheint wenn man geschlechts- und kulturspezifische Ausprägungen plötzlich so deutlich erkennen kann. Weiteres Material finden sich in dem Artikel Gesprächskultur - Dialogue Culture und unter den angegebenen Adressen: http://www.ceptualinstitute.com/genre/benking/dialogue-culture.htm

http://newciv.org/cob/members/voicetext.htm oder gerne auf Anfrage: 030 793 2230.

Die Struktur dieser Gesprächsform ist beeindruckend, weil jeder Teilnehmer fast gleiche Chancen hat, seine eigenen Statements zu äußern und an die anderen Teilnehmer Fagen zu stellen. Die Gefahr der sonst üblichen Dauerreden wird so vermieden.
Durch die Vergabe von Boni kann man interessante Teilnehmer zu längeren Ausführungen veranlassen.
Ellen Henseln, Bonn
Das offene Forum ist eine innovative Idee. Es gibt Rednern und Teilnehmern die Möglichkeit miteinander ins Gespräch zu kommen. Die Methode ist da, um zu verhindern, daß eine Person eine Gruppe monopolisieren kann.
Stranley Krippner, San Francisco
Eine gute soziale Erfindung.
Hazel Henderson, Florida
Ein Schritt in Richtung auf einen zivilisierten Dialog.
Marylin Wilhelm, Houston
Runde Tische: verblüffend intensiv.
Claus Biegert, München
Dies ist eine wunderbare Methode
Zeit zuzuteilen und zu teilen.
John McLaughlin, Findhorn
Der Magic Round Table bringt zu Tage, wieviel wache Energien in den Menschen sind und durch dieses findige Spielsystem sie zu sich
und zu anderen in Kontakt kommen.
Nora Herberstein, Wien
Das schönste war,
daß Menschen verschiedener Kulturen
sich sofort verstanden haben.
Luise Rinser, Italien


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