2.2. Universelle Skalierung als Kern von GS®

Wir müssen wie in jeder Theorie unterscheiden zwischen empirischen Messwerten und den gesetzmäßigen Zusammenhängen, die in der Wissenschaft erkundet werden. Dabei wird schon beim Messen vorausgesetzt, welche Messgrößen wie zu messen sind und welche Einflüssen ausgeschaltet werden. So wird beim freien Fall der Widerstand des Mediums, z. B. der Luft, nicht berücksichtigt, und das Experiment wird möglichst in luftleeren Falltürmen durchgeführt. Die aus den Messreihen heraus gefundenen Gesetze (z. B. das Fallgesetz: s(t) = 1/2 gt2 mit s: zurückgelegter Weg, g: Fallbeschleunigung auf der Erde = 9,802 m/s2, t: Fallzeit) haben einen im Verlauf des Fortschritts der Wissenschaft immer weiter ansteigenden Allgemeinheitsgrad. Der Gedanke, dass sich viele Erscheinungen auf einheitliche Zusammenhänge zurück führen lassen, ist durchaus vor allem in der Physik bisher sehr fruchtbar gewesen.
2.2.1. Stehende Welle .... von was?®

Global Scaling® macht das jedoch auf eine für die moderne Wissenschaft durchaus untypische Weise. Sie untersucht nicht an den vordersten Fronten die jeweiligen vereinheitlichten Stränge des Wissens und sucht nach tieferen Gemeinsamkeiten (wie die String- oder die Looptheorie für die Vereinigung von Quanten- und Gravitationserscheinungen), sondern setzt quasi "daneben" an und entwickelt verblüffend einfache Vorstellungen, wie es angeblich zu einer viel einfacheren Erklärung kommen soll. Sie entwickelt dazu feischwebend neue Begriffe, mit denen ein "gelernter Physiker" erst mal wenig anfangen kann, die für Halb- oder Unwissende aber durchaus "wissenschaftlich klingen". Nun aber zu den Behauptungen von GS®:

"Die Existenz einer stehenden Kompressions- bzw. Dichtewelle im logarithmischen Raum ist eine fundamentale naturwissenschaftliche Tatsache, die sich stets dann offenbart, wenn etwas gemessen wird." (special: 162) Dabei sollen sich die Messwerte von Verteilungen natürlicher (und technischer) Objekte an den Spitzen der Schwebung einer stehenden Welle häufen.
Die Schwebung entsteht dabei aus der Überlagerung zweier Wellen mit einem Frequenzunterschied von 1/3 (special: 9, siehe auch zur Schwebung). Welche Welle ist dies nun, die hier als Schwebung wirksam wird? In den ersten Artikeln wird eine "im Gravitationsäther stehende Gravitationswelle" (special: 9) genannt. Später heißt es nur noch: "stehende Dichtewelle im logarithmischen Raum der Maßstäbe" (ebd.: 127).
Abb. 2.1: Stehende Gravitationswelle im Gravitationsäther, deren Spitzen in der Verteilung natürlicher Objekte sichtbar wird (aus: special: 9)
Das ist schon mal ein Unterschied, ob es um eine (physikalische) Wechselwirkung wie die Gravitation geht, oder um die (rein mathematische) Darstellung im einen Raum von Maßstäben. Aber letztlich muss es unentschieden bleiben, was GS® nun wirklich meint. In frühen Texten jedenfalls ist es eindeutig, dass das wirkliche Universum gemeint ist, denn die (angeblich) neue Physik "interpretiert das Universum als gigantisches verzweigtes materielles Kettensystem mit gravitativer Kopplung das durch Energiezufuhr von außen zu permanenten Eigenschwingungen angeregt wird, die sich im Universum als Form von Gravitationswellen fortpflanzen" (special: 93). Wir haben also ein geschlossenes Universum (denn eine stehende Welle braucht eine Raumabgrenzung, an der sie reflektiert wird), dem dann aber doch von außen Energie zugeführt wird. Diese weltanschaulich doch ziemlich außergewöhnliche Vorstellung wird einfach so nebenbei erwähnt. Wenn das Konzept diese ungewöhnlichen Voraussetzungen klar darstellen würde, würde ihr Widersinn offensichtlicher. Für jeden klar denkenden Menschen müsste die Verwirrung deutlich werden: "Die globale stehende Kompressionswelle im logarithmischen Raum der physikalischen Maßstäbe ist eine Schallwelle. [...] Jeder Knotenpunkt auf der globalen stehenden Kompressionswelle wirkt als Materie-Attraktor und erzeugt physikalische (entropische) Kräfte." (special: 164) Wie in einem (mathematischen) Raum eine (physikalische) Welle wirken soll, muss erst mal erklärt werden. Das Problem mit der Welle und dem Raum besteht also nicht nur in der Verwirrung mit der Geschlossenheit, in die dann trotzdem Energie gelangt, sondern es geht letztlich gar nicht um den Raum, den wir um uns herum als physikalische Wirklichkeit haben, sondern um eine Maßstabsskala.
Das ist genau so, als würde nicht die Größe meines Bleistifts mit einem Lineal gemessen, sondern als würde eine Maßzahl auf dem Lineal dem Bleistift sagen, wie groß er sein darf.
Wem das alles zu kompliziert ist, für den habe ich ein einfacheres Beispiel: Stellen wir uns eine andere Theorie vor: Fast alle Objekte in der Welt können nebeneinander getan werden und dann können wir ein Objekt und ein anderes Objekt zusammen zählen und gelangen zur Zahl 2. Die mathematische Formel "1+1=2" gilt also für alle Objekte im Universum. Nach der Logik von Global Scaling® ist es die Formel "1+1=2", die bewirkt, dass reale Dinge zusammenzählbar sind.

2.2.2. ... oder Protonenresonanz®

So ganz scheint Hartmut Müller diesen ominösen stehenden Wellen nicht so recht zu vertrauen. Vielleicht hat er mitbekommen, das dieses Konzept nicht funktioniert. Aber das macht ja nichts. Flugs wird eine neue Erklärung aus dem Ärmel gezaubert: Diesmal ist es eine "Protonenresonanz", die in irgendeinem Zusammenhang zur Vakuumresonanz steht, die alles beeinflussen und letztlich regeln und steuern soll. Statt von stehenden G-Wellen spricht Hartmut Müller nun von "Eigenschwingungen der Materie auf niedrigstem Energielevel" (Müller 2004) und Protonen sind für ihn jene elementaren Teilchen, die er als Standard nimmt, an dem er alle anderen physikalischen Größen eichen wird. Auf jeden Fall ist die "Protonenresonanz" im Müllerschen Sinne [3] genau so eine Erfindung wie die "G-Welle", die man sich zwar vielleicht gut bildlich vorstellen kann, die aber in der Fachwissenschaft völlig unbekannt sind.

Anhänger seines Konzepts finden noch blumigere Umschreibungen der behaupteten Wirkung der Protonenresonanz:

"Das heißt: Ob du gerade einen Apfel isst, ein Email liest oder entspannt den Sonnenuntergang betrachtest - die Welt weiß es! Weil alle Atome und alle subatomaren Teilchen (Protonen z.B.) es wissen. Das Universum sieht dich, sobald deine Schwingung von der dominanten Synchronschwingung des Ganzes abweicht." (Mohr 2008) [4]

2.2.3. Kettenbruchdarstellung erzeugt Fraktale ®

Hartmut Müller macht es uns einigermaßen schwer, seine Methoden nachzuverfolgen. Er trägt nämlich nicht einfach die Messwerte für Längen, Massen oder andere Größen auf einer (logarithmischen) Skala auf, sondern diese Messwerte müssen erst umgerechnet und in der sog. "Kettenbruchdarstellung" dargestellt werden. Dabei verwendet Müller eine unübliche Kettenbruchdarstellung, die von vornherein dazu führt, dass jeder Messwert nicht nur einmal auf der Skala auftaucht, sondern die Nachkommastellen werden noch mehrmals in umgerechneter Weise in dieselbe Skala eingetragen. Dadurch ergibt sich so etwas wie ein "Echo" der Nachkommastellen und dadurch entsteht eine fraktale Struktur. Der Wert 63,85 wurde in der folgenden Abbildung in die Skala (dargestellt von 60 bis 66) eingetragen (der Wert ist der natürliche Logarithmus des Messwertes, geteilt durch den entsprechenden Wert eines Protons).


Abb. 2.2: Eintragung des Werts 63,85 in die Maßtabsskala Der Wert ln m/m0=63,85 entspricht, wenn als Eichmaß die Protonenmasse verwendet wurde, einem Messwert von 9 kg (aus spezial: 159).

Hartmut Müller behauptet nun, dass beinah alle möglichen Messwerte aus allen Naturwissenschaften, auf diese Weise auf eine Skala (des "logarithmischen Raums") aufgezeichnet werden können und dann eine "logarithmisch-fraktale" Häufigkeitsverteilung haben, d.h. dass die jeweils schwarz gezeichneten Bereiche (in den "Knoten") am häufigsten auftreten und die weißen (in den "Bäuchen") am seltensten.

Aus der Lage des Messwerts innerhalb dieser verschiedenen Bereiche sollen sich auch Aussagen über den Zustand und die Dynamik der Gegenstände, die mit diesem Messwert behaftet sind, ergeben:

Häufig besetzter Knotenbereich Nicht besetzter Bauchbereich Kompression (vom Bauch zum Knoten) Dekompression (vom Knoten zum Bauch)
Superstabil, verdichtet;
Entropie niedrig;
System offen;
Information hoch.
Chaotisch, verdünnt;
Entropie hoch;
System geschlossen;
Information tief.
Fusionstendenz, verdichtend;
Entropie sinkend;
System öffnend;
Information steigend.
Zerfallstendenz,verdünnend;
Entropie steigend;
System schließend;
Information sinkend.
Tab. 2.1: Auswertung der Lage des Messwerts bezüglich Zustand und Dynamik (nach spezial: 247)

Außerdem soll gelten: "Ob ein System normal funktioniert, relaxed und gesund ist oder nicht, kann man daran erkennen, ob die physikalischen Werte seiner wichtigsten Eigenschaften logarithmisch normal verteilt sind oder nicht. Gaußsche Normalverteilungen hingegen sind charakteristisch für Zerfallsprozesse, sie indizieren Chaos und Deregulation." (special: 268) Die Auswertung dieser Art Darstellung mit den angegebenen Zustands- und Dynamikbeschreibungen ist die Grundlage für alle möglichen angeblichen Anwendungsfelder.
 



 
Fußnoten:
[3] "Protonenresonanzen" sind bekannt für Strukturaufklärungsmethoden, wie die NMR-Spektroskopie. Über die dabei auftretenden wirklichen Kopplungen siehe z.B. Wikipedia: Kernspinresonanz. Dabei verschwindet die Protonenresonanz zwischen Wasserstoffatomen bereits, sobald sich 3 Kohlenstoffatome zwischen ihnen befinden! Deshalb kann diese Protonenresonanz keine universelle Wechselwirkung vermittelt, wie in GS® behauptet.

[4] Hartmut Müller beteiligt sich an der Werbung für die DVD zu B. Mohrs Buch "Bestellungen beim Universum" (siehe Internet: http://www.cosmic-ordering.de/ und http://www.youtube.com/watch?v=eG_zogNyhXA (abgerufen 09.10.2008)).


 
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