3. Nur fehlgeleiteter Erfindergeist oder Betrug?

Jede Wissenschaft kann ihren Erklärungsanspruch erhärten, wenn sie technische Erfindungen ermöglicht. Auch Global Scalingâ versucht sich hier zu beweisen. Die GS®-Effekte sollen auch hier wieder auf natürlichen Selektionsprozessen "durch die stehende Gravitationswelle" (special: 119) beruhen. In der technischen Entwicklung sei dies z.B. ablesbar an den Kalibern von Gewehren, die sich durchgesetzt haben. Denn: "Die Größen dieser Kaliber belegen nur Knotenbereiche stehender Gravitationswellen." (ebd.) Wir erinnern uns an den Bleistift, dessen Länge durch die Zahl auf dem Linear vorgegeben wurde...

Das Wissen um die universellen [6] stehenden G-Wellen soll nun aber auch nützlich sein für konkrete technische Geräte- und Verfahrenserfindungen.

3.1. Das G-Element

Als erste technische Errungenschaft wurde das sog. G-Element vorgestellt. Es soll "auf einer Resonanzkopplung mit einer globalen stehenden Gravitationswelle" (special: 90) basieren und Raum-Energie in Strom umwandeln. Technisch soll ein Kondensator über einen "gravielektrischen Energiewandler" (Serpentin-Quarz) aufgeladen werden, die Energiequelle soll die stehende Gravitationswelle sein. Die Energieausbeute ist noch gering, im Jahr 2000 wurden 100 mW im Dauerbetrieb angegeben. Interessanterweise wurde hierfür kein Patent angemeldet. Nachdem nun schon 10 Jahre ohne weitere Erfolge auf diesem Gebiet vergangen sind, werden die Ungeduldigen getröstet: "Natürlich werden die ausgereiften Geräte dann auch käuflich zu erwerben sein, aber weder über die genauen Termine noch über die Preise können jetzt schon Angaben gemacht werden. Nur soviel ist jetzt schon klar: Erst wenn die Geräte 100 Prozent funktionstüchtig sind, werden sie verkauft." (special, S. 91) Da die "stehende Gravitationswelle" in dieser Form in den veröffentlichten Texten nach und nach aufgegeben wurde (weil das Konstrukt nicht haltbar ist), scheint die Erfindung auch nicht mehr zu funktionieren...

Andere scheinen erfolgreicher zu sein: Ein Fan veröffentlichte "von der Global Scaling Theorie ausgehend" im Internet den erfolgreichen Eigenbau eines Gravitationswellenempfängers.

Er will die, trotz aller gegenteiligen Behauptungen in der Wissenschaft unbekannten, Skalarwellen zur Anregung benutzt haben und als Reflektoren verwendet er "metallische Eierbecher" aus dem Einzelhandel. Damit - so gibt er an - empfängt er 2-4 mal wöchentlich Signale, die "höchstwahrscheinlich intelligenten Ursprungs sind", weil ja die Aliens die stehenden Gravitationswellen längst zur Kommunikation nutzen...
Abb. 3.1. Der "Eierbecher-"Detektor (Quelle)
3.2. G-Com®: Telekommunikation mittels Quantenteleportation

Was uns die Aliens vormachen, sollte für Global Scaling® auch kein Problem sein. Am 27.Oktober 2001 soll die "erste Sprachübertragung über stehende Gravitationswellen" zwischen Bad Tölz und St. Petersburg (special: 125) bei den Tölzer IT- und Medientagen vorgeführt worden sein. Auch für eine 2002 vermeldete Verbindung zwischen Australien und Deutschland (ebd.: 145) soll ein G-Element mit den Maßen 6 x 8 mm verwendet worden sein. Beworben wird diese neue Technik als "Telekommunikation ohne Elektrosmog" (special 133).

Die Tüftler von GS® sind anscheinend so genial, dass sie diese wissenschaftlich nie seriös veröffentlichte oder erfolgreich von Anderen nachvollzogene Technik sogar auf zwei verschiedene Weisen herstellen können. Seit 2003 wird auf das G-Element hier verzichtet und es werden "im Pentium III Prozessor eingebaute Rauschgeneratoren" verwendet. Auf diese Weise soll 2003 eine Datenverbindung zwischen Deutschland und Krems in Österreich zwischen zwei Laptops erreicht worden sein (ebd.: 264) und 2004 erfolgte eine öffentliche Vorführung an der TU Berlin (Müller 2004, special: 236 f.). Als Funktionsprinzip werden nun wiederum verschiedene Mechanismen genannt, die mächtig gewaltig klingen, aber nach allem, was wissenschaftlich davon bekannt ist, prinzipiell nicht so funktionieren können, wie behauptet wird. Außerdem sollte es mehr als misstrauisch machen, wenn so verschiedene Mechanismen für ein und dasselbe behauptet werden. Einmal soll an einem Ort eine "Vakuumfluktuationen der Resonanzfrequenz f mit definierten stochastischen Eigenschaften erzeugt" werden, die über "thermische Rauschprozesse" mit einem anderen Computer an einem anderen Ort verbunden sein soll (spezial: 272). Ein anderes Mal geht es nicht um Vakuumfluktuationen, was schon spektakulär genug wäre, sondern irgendwie ist Hartmut Müller darauf gekommen, die derzeitigen neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Quantenverschränkung als Erklärung für seine Behauptungen zu verwenden (zu missbrauchen?). Er versucht dies zu erklären auf der DVD zur TU-Veröffentlichung (Müller 2004) und es wird referiert in der "jungen welt":

"Müller nutzt ein physikalisches Phänomen, dessen Existenz erstmals in den 80er Jahren experimentell nachgewiesen wurde: die räumlich und zeitlich unabhängige Verschränkung von Quanten- und Teilchenpaaren. Das Problem bei der nun "klassisch" zu nennenden Quantenteleportation, wie sie z. B. von Anton Zeilinger in Innsbruck oder eben Weinfurter in München praktiziert wird, bestand in der Markierung der jeweils "richtigen Teilchen", zu der dann auch die Übermittlung der entsprechenden Information auf klassischem Wege per Schall- oder elektromagnetischen Wellen gehörte. Dieses Problem hat Müller mathematisch gelöst.." (Romanski 2004) Die Darstellung des Problems bei Zeilinger mit der angeblichen Lösung durch Müller geht völlig an der Wirklichkeit vorbei, wie jeder leicht in den vielen recht allgemeinverständlichen Veröffentlichungen von Anton Zeilinger nachlesen kann. Aber damit brauchen Müller, seine Anhänger und leichtgläubige Journalisten wohl eher selten rechnen. Es wird in altbekannter Müllerscher Manier mit Halbwissen geprotzt und dabei das Wesentliche falsch interpretiert. Den tatsächlichen Stand der Entwicklungen auf dem Gebiet der Quantenverschränkung kann man z.B. bei Anton Zeilinger (2007) nachlesen. Er erklärt deutlich und beinahe Hartmut-Müller-sicher, dass die Erzeugung und Detektion von verschränkten Quantenzuständen nichts mit Informationsübertragung zu tun hat. Auch ist die Manipulation verschränkter Zustände keineswegs durch zwei Laptops mit irgendwelcher Software zu bewerkstelligen. An dieser Stelle wird es offensichtlich: Die angegebenen unterschiedlichen Erklärungsweisen können die angebliche Informationsübertragung nicht nur nicht erklären, sondern sie können rein technisch gar nicht so verwirklicht worden sein wie behauptet. Das riecht nicht mehr nur nach Irreführung, sondern nach bewusstem Betrug.
Die Erzeugung verschränkter Photonen ist zwar mittlerweile Standard hochentwickelter Physiklabors, aber doch nicht ganz ohne ausgefeilte Lasertechnik und optische Raffinessen möglich (siehe Abb. 3.2, nach Zeilinger 2007: 275, 279). Jede Quelle verschränkter Photonen ist "ein kleines Einfamilienhaus" wert (ebd.: 281). Bei dem Müllerschen Laptopexperiment fehlt dies alles. Sollte Herr Dr. Müller eine den Quantenphysikexperten noch nicht bekannte Form des technischen Umgangs mit Verschränkungen gefunden haben, die man einfach so mit einer Diskette in einen Laptop laden kann, wäre ihm wohl der Nobelpreis sicher.
Abb. 3.2: Erzeugung verschränkter Photonen (aus Zeilinger 2007, Bild 6)

Abb. 3.3: Laboraufbau für Experimente mit Quantenverschränkungen (Lackner)
Zur Verdeutlichung noch eine Aussage über echte Verschränkungsexperimente: "Die eigentliche Schwierigkeit in dem Experiment war der Nachweis, dass die Teilchen tatsächlich miteinander verschränkt sind. Es mussten rund 650.000 Messungen durchgeführt werden, um die acht "Quantenbits (Qubits)" durch Zahlen beschreiben zu können. Allein dieser Messprozess nahm über zehn Stunden in Anspruch. Die Berechnung der Zahlen und deren Umsetzung in eine grafische Darstellung auf einem Hochleistungscomputer der Universität dauerte gleich mehrere Wochen." (Quelle)
Glücklicherweise ließen sich nicht alle Anwesenden von den öffentlichen Vorführungen reinlegen. So wird von der Berliner Veranstaltung berichtet: "Es wurde keine Datenübertragung gezeigt. Zwar waren zwei Laptops zu sehen, die beide unabhängig voneinander im Sekundentakt jeweils dieselben Zahlenwerte anzeigten. Doch dafür ist es nicht erforderlich, dass eine Datenübertragung zwischen den beiden Computern stattgefunden hat. So können auch zwei Radios dieselbe Musik spielen, wenn sie auf denselben Sender eingestellt sind. Zwar gibt es dann eine Übertragung vom Sender auf die zugehörigen Radios, aber nicht zwischen den Radios untereinander. Genauso könnten auch die beiden Computer auf denselben Sender gelauscht haben." (Petzke 2004) Dass auch nicht in allen Chipsätzen der von Müller genannten von Intel-Prozessoren Rauschgeneratoren vorhanden sind, die angeblich für das Experiment benötigt werden, ist ein weiterer Kritikpunkt (vgl. auch Karl 2007).
3.3. Patente

Einige der technischen Anwendungen des GS®-Konzepts wurden im Jahr 2004 zum Patent angemeldet. Von 5 eingereichten Patentanmeldungen ist noch keine positiv mit einer Patenterteilung abgeschlossen worden. Ein Antrag wurde zurückgewiesen, bei einem die Recherche abgelehnt, eins wurde zurückgezogen, bei zweien ist die Prüfung noch im Gange (diese beziehen sich aber auch nicht direkt auf Global Scaling®).

In den Patentanträgen wird ziemlich dreist behauptet: "Global Scaling (GS) ist ein eingeführter physikalischer Begriff" (z.B. in WO 2005/071 504 S. 2; WO 2005/081 433, S. 2; WO 2006/066 425, S. 3). Das sind ausgerechnet jene Patente, die bereits zurückgewiesen oder zurückgenommen worden. Im Gegenzug wird im GS-Kompedium auf den patentrechtlichen Schutz von GS®-Methoden und -Verfahren verweisen (Kompendium 2007: 23). Dass die Patentanträge als Nachweis für die angebliche Seriosität interpretiert werden, beweist die Behauptung von Hartmut Müller bei seinem Erfurter Vortrag: "Die Methoden von GS sind patentiert, d.h. wir können das." (Müller 2008) [7]

3.4. Abzocke

Letztlich geht es nicht nur um Irrtümer, und die technischen Tricksereien dienen nicht nur der Selbstbeweihräucherung, sondern es werden auch handfeste materielle Interessen vertreten. Die Erfinder und ihr Institut müssen natürlich irgendwie finanziert werden. Das geschieht einerseits durch den Vertrieb von Produkten (GS®-Software, Lichttherapiegerät), andererseits durch kostenpflichtige Lehrgänge für Menschen, die mit den GS®-Methoden selbst Geld verdienen wollen. Aber sie entblöden sich auch nicht, über GS® Lottoprognosen erstellen zu wollen. Auf der entsprechenden Webseite finden Interessierte lediglich den passwortgeschützten Login für zahlende Kunden! Warum eigentlich brauchen die Verfechter des Global Scalingâ noch Einnahmen, wenn sie eh die ganzen - mit ihrer Methode gemachten - Lottogewinne einsacken könnten?
Dagegen nimmt sich die Investorwerbung für das ominöse "Global Scaling Verfahren der PIN-Codierung" unter Zuhilfenahme des "Kosmos als Provider" schon harmlos aus.


 


 

 
Fußnote 6:
[6] Ich weiß nicht, warum die Theorie sich "Global Scaling" nennt. Es geht schließlich nicht nur um unseren Globus, sondern das gesamte Universum. Insofern wäre die Bezeichnung "Universal Scaling" konsequenter und passender. Das "Copyright" für diese Bezeichnung habe ich mit dieser Veröffentlichung schon mal ;-), auf das Markenrecht kann ich verzichten...

Fußnote 7:
[7] Dabei wird fälschlicherweise unterstellt, dass erteilte Patente auf Funktionsfähigkeit geprüft würden, was nicht der Fall ist.


 
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