4. "Global Scaling"® als Pseudowissenschaft

4.1. Zusammenfassung

Das Konzept Global Scaling® ist eine bunte Mischung aus richtigen Aussagen, falschen Interpretationen und irreführenden Strategien.

So ist es durchaus oft sinnvoll, eine logarithmische Skala für die Darstellung von Messwerten und ihren Häufigkeiten zu verwenden. Über die Strukturbildung im Kosmos gibt es gerade viele neue Arbeiten aus der Astrophysik und Kosmologie, vor allem, seit im Computer viele möglichen Entwicklungsverläufe simuliert werden können. Die Biologie untersucht sog. "allometrische" Zusammenhänge zwischen verschiedenen Größen, wie der Abhängigkeit der Stoffwechselgeschwindigkeit von der Masse der Organismen und andere strukturelle Beziehungen. Auch die Fraktalität (Skaleninvarianz) ist ein gängiges Forschungsthema. Allerdings verschweigt das GS®-Konzept solche vorhandenen Erklärungen, um ihre eigene Erklärung als einzig mögliche unter zu schieben. Diese "Erklärung" führt in die wissenschaftliche Arbeit eine Entität ein (die "stehenden Wellen im Universum der Maßstäbe" oder auch die "Protonenresonanz"), die angeblich Muster in allen Bereichen hervorrufen soll, wobei der Wirkungsmechanismus geheimnisvoll bleibt.

Dass die Welt der Maßstäbe (die wir beim Messen erzeugen, wie die Millimeterdarstellung auf dem Lineal) in die reale Welt (in der mein Bleistift eine bestimmte Länge hat) einwirken soll, verkehrt die Realität: Wir bilden Maßstäbe und Skalen, um die reale Welt messen und beschreiben zu können.

Dass wir dabei für verschiedene Gegenstände denselben Maßstab verwenden können, liegt in der Natur der Sache (wir können die Länge eines Bleistifts oder eines Fisches und vieles mehr mit dem Lineal messen). Aber deswegen erzeugen nicht die Maßstäbe die Länge des Bleistifts oder Fischs.
Das ist ein grober methodischer Fehler, der auch "Sphärenvermengung" [8] genannt wird.

Die Vorträge und Texte zum Global Scaling® wirken durch die permanente Widerholung von Bildern, bei denen Messwerte auf einer Skala angeblich immer wieder das gleiche Muster bilden, das sog. "logarithmisch-hyperbolische Müller-Fraktal". Dabei wird dieses Muster erstens erzeugt durch eine fragwürdige Kettenbruchbildung und zweitens werden die gezeigten Werte, die angeblich genau in den Knoten- bzw. Bauchbereichen der "stehenden Wellen" liegen, ziemlich willkürlich ausgewählt. Es werden nur jene Werte genannt, die den gewünschten Werten entsprechen, die anderen werden weggelassen. Eine solche selektive Datenauswahl ist wissenschaftlich nicht seriös. Ich bin in dieser Arbeit hier gar nicht ausführlich auf die Sünden eingegangen, die bezüglich der statistischen Datenauswertung und des Umgangs mit Histogrammen begangen werden, wer sich einmal damit beschäftigt, wird sie leicht selbst herausfinden. Übrigens wird eine wichtige Regel völlig mißachtet: Sogar wenn statistische "Korrelationen", also lineare Beziehungen zwischen zwei statistischen Variablen gefunden werden, sagt das überhaupt noch nichts aus über kausale Verursachungen. [9] Die von ihm als Autorität aufgefahrenen russischen Wissenschaftler sind, soweit ich mich damit beschäftigt habe, auch nicht frei zu sprechen von diesen Kritiken und sie sind in der Weltwissenschaft auch nicht anerkannt.

Besonders kritikwürdig ist meines Erachtens die Trickserei bei den Experimenten. Es ist schlimm genug, dass die wissenschaftliche Allgemeinbildung in großen Hörsälen anscheinend so gering ist, dass die allermeisten das nicht mitbekommen. Schon ein klein wenig Beschäftigung mit dem Inhalt würde hier Abhilfe schaffen.

Zusammenfassend muss festgestellt werden, dass alles, was richtig ist im Global Scaling®-Konzept, nicht neu ist und dass alles, was neu sein soll, auf unhaltbaren Voraussetzungen beruht und nicht wissenschaftlich haltbar ist.

4.2. Pseudowissenschaft

Für das, was Hartmut Müller mit Global Scaling® betreibt, gibt es eine ziemlich treffende Kennzeichnung: Pseudowissenschaft.

"Pseudowissenschaften sind Disziplinen, die sich als Wissenschaften ausgeben, diesen Anspruch aber nicht einlösen." (Vollmer 1994: 94) Was gehört zum Anspruch der Wissenschaftlichkeit? Zumindest müssen die als wissenschaftlich deklarierten Behauptungen kritisierbar sein. Dass die Methoden von Global Scaling® nicht vollständig in wissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht sind, sondern es anscheinend erst eines kostenpflichtigen Lehrgangs bedarf, um mitreden zu dürfen, fällt Global Scaling® also schon auf den ersten Blick durch dieses Sieb, das wissenschaftlich anspruchsvolle Theorien aussondert. Wenn wir die veröffentlichten Schriften und Vorträge als Grundlage nehmen, so wird eins deutlich: Es gibt eine Behauptung, nämlich dass eine Struktur auf der Maßstabsebene, nämlich das logarithmisch-hyperbolische "Müller-Fraktal", reale Muster in der Wirklichkeit, wie Größenverteilungen, bestimmt. Dann werden möglichst viele Beispiele zusammen gesucht, bei denen das anscheinend gilt. Auf den ersten Blick passen alle möglichen Messwerte für reale Objekte in das "Müller-Fraktal".

4.2.1. Keine Überprüfbarkeit bzw. falsche Aussagen

Sein Muster ist außerdem auch so gestaltet, dass es eigentlich keinen Messwert gibt, der aus seinem Muster "herausfällt". Jede wissenschaftliche Theorie muss überprüfbar sein. Es muss eine Möglichkeit geben, etwas zu messen und dabei heraus zu kriegen, ob die Behauptungen der Theorie stimmen oder nicht. So etwas gibt es bei Global Scaling® nicht. Wenn ein Messwert gerade nicht im Bereich der größten Häufung liegt, dann bekommt er einfach eine andere Bedeutung zugeschrieben. Dabei ergeben sich dann angeblich sogar neue Ergebnisse, die aber im Widerspruch mit dem wissenschaftlichem Stand der Forschung stehen. So wird aus der Lage der Planeten im Bild 2.8 heraus gelesen, die Gasriesen Jupiter und Saturn seien jung, die Gasriesen Uranus und Neptun dagegen seien alt, wie auch Erde und Venus. Dies "sind Erkenntnisse, die die Naturwissenschaft noch nicht gewinnen konnte." (Müller 2008). Im Gegensatz dazu geht die Wissenschaft davon aus, dass sich alle Planeten im gleichen Zeitrahmen mit der Entstehung der Sonne gebildet haben. (Carone 2008)

Damit verletzt Global Scaling® ein weiteres Kriterium für Wissenschaftlichkeit: Das Konzept widerspricht akzeptiertem Wissen. GS® lehnt auch die Allgemeine Relativitätstheorie ab, ohne deren Erklärungen (Periheldrehung, Gravitationslinseneffekt...) selbst ersetzen zu können.

Es geschah zwar häufig, dass sich neue Behauptungen gegen die jeweils herrschende Lehrmeinung nur schwer durchsetzen

Aber nicht "weil alle großen Neuerungen zunächst heftig bekämpft wurden, ist jede These, die heftig bekämpft wird, auch schon eine große Neuerung" (Vollmer 1994: 100).

4.2.2. Ockhams Rasiermesser

Global Scaling® behauptet strukturelle Zusammenhänge (logarithmisch-hyperbolische Häufigkeitsverteilungen) und begründet diese dann mit der "globalen stehenden Welle" oder der "Protonenresonanz". Dass sie ziemlich beliebig einmal die eine Begründung, das andere Mal die andere anführt, ohne deren Zusammenhang darzulegen oder auch nur zu versuchen, die konkreten Wirkmechanismen wissenschaftlich zu bestimmen, ist ein Verstoß gegen die für Wissenschaften geforderte "interne Widerspruchsfreiheit".

Zusätzlich missachtet und verleugnet sie alle Erklärungen für die strukturellen Zusammenhänge, die tatsächlich vorliegen (z.B. in der räumlichen Verteilung großer kosmischer Strukturen im Universum oder von biologischen Größen), die in der Wissenschaft schon bekannt sind bzw. die gerade auf anderer Grundlage untersucht werden. Damit verstößt Global Scaling® gegen die Forderung der "ontologischen Sparsamkeit". Dieses ist auch bekannt als "Ockhams Rasiermesser". Dieses fordert, dass von allen Theorien, die denselben Sachverhalt zu erklären versuchen, die einfachste zu bevorzugen ist. Wenn wir die Abstände der Planeten durch Resonanzeffekte ihrer gravitativen Wechselwirkung erklären können, brauchen wir keine ominöse "globale stehende Welle". Für alle Beispiele, die Müller für sein Konzept anführt, und das sind wirklich eine ganze Menge, kann man mit einer gewissen Fleißarbeit eine alternative Erklärung angeben bzw. erkunden, wie die Wissenschaft diese Phänomene erforscht. Da die Zuhörerschaft seiner Vorträge das nicht macht, staunt sie mit offenem Mund und glaubt unbesehen, dass ausgerechnet er die Weltformel gefunden habe.

4.2.3. Die "Sieben Sünden" der Pseudowissenschaft

Deerksen (1993) nennt "Sieben Sünden", mit denen man die Pseudowissenschaft von echter Wissenschaft unterscheiden kann. Prüfen wir Global Scaling® einmal daran:

  1. Mangel an ordentlicher Beweiskraft: Es werden anscheinend "verlässliche" Erkenntnisse und Methoden behauptet, obwohl dies nicht stimmt. GS® trickst die statistischen Werte für Häufigkeitsverteilungen so hin, dass vieles augenscheinlich wie ein "Müller-Fraktal" aussieht. Die Verwendung von lognormalen Verteilungen, verbunden mit einer gewissen mathematischen Manipulation, wird dann als allgemeine Strukturformel behauptet, obwohl alle anderen Verteilungen einfach weggelassen werden und andere Erklärungen geleugnet werden.
  2. Unbegründete Immunisierungen: Kritische Argumente werden abgewiesen und Argumente, die die eigene Auffassung stützen, werden gezielt gefördert. GS® lehnt Kritik von nicht bei ihnen geschulte Menschen sowieso ab. Werte, die nicht in die behauptete Verteilung passen, gibt es nicht (keine Prüfbarkeit) und es werden gezielt Werteverteilungen gesucht, die "passen".
  3. Die Verlockung der spektakulären Übereinstimmung: Übereinstimmungen mit der Theorie werden rein gefühlsbedingt als bedeutsamer eingestuft. Es wird nicht geprüft, ob auch alternative Erklärungen möglich sind. Dies gilt für GS® in vollem Maße.
  4. Die magische Methode: Es werden gern neuartige Methoden entworfen, mit denen die benötigten Daten geliefert werden (wie die Kettenbruchdarstellung der Messwerte).
  5. Die Einsicht des Eingeweihten: Zwar ist das Erlernen jeder wissenschaftlichen Methode mit Bemühungen verbunden, die nicht jeder Mensch leistet - aber pseudowissenschaftliche Methoden funktionieren anscheinend nur bei dem Kreis der Eingeweihten, die angeblich alte Vorurteile abgelegt haben, so dass nur ihnen die "echte" Wahrnehmung der Phänomene möglich ist. GS® ist nicht nur namentlich markenrechtlich geschützt, sondern auch die Anwendung der GS®- Methoden soll nur Anhängern erlaubt sein.
  6. Die alles erklärende Theorie: Eine Pseudowissenschaft behauptet oft (nicht immer), alle möglichen Phänomene, bzw. die ganze Welt, erklären zu können. GS® will genau dies und nicht weniger.
  7. Unkritischer und übertriebener Anspruch: Auch dies gilt GS® ohne Abstriche.
Für die zu Beginn schon genannten "pathologisch scheinwissenschaftlichen" Phänomene will GS® als Begründung gelten. Damit schließt sich der Kreis. Eine Pseudotheorie will pathologische Effekte erklären und die pathologischen Effekte sollen als Beweis für die Pseudotheorie gelten. Wers glaubt, wird kaum aus diesem Teufelskreis heraus kommen - auch dieser Text wird daran nichts ändern.

Wer sich aber wirklich für die fantastischen Phänomene in unsrer Welt interessiert und für die Wunder der komplexen Zusammenhänge, wird sich hoffentlich nicht in der Sackgasse dieser irreleitenden Scheinerklärungen zufrieden geben.


 


 
Fußnoten:
[8] "Caesar ist eine Primzahl". - 1931 verwandte Rudolf Carnap in einem Aufsatz, der gegen Martin Heideggers Vorlesung '"Was ist Metaphysik?"' gerichtet war, den Begriff 'Sphärenvermengung'. Er meinte damit den Fall, daß Dinge, die an sich durch eine Kluft getrennt sind und verschiedenen logischen Sphären angehören, in 'einer' Aussage verbunden werden. Sein berühmt gewordenes Beispiel erklärte Caesar zur Primzahl. Ein derartiger Satz sei nicht falsch, sondern sinnlos. Er verquicke das Unvereinbare. (http://www.doku.net/artikel/plastikwoe.htm. 04.11.2008)

[9] "So darf man über die Tatsache, dass man Feuerwehren oft bei Bränden findet, nicht folgern, dass Feuerwehren die Ursachen für Brände seien." (http://de.wikipedia.org/wiki/Korrelation, abgerufen 25.01.2009)


 
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