Dialektik als
"allgemeingültige Methode"?
Diese Seite geht auf eine Diskussion zurück. Hier dokumentiere ich die Antwortmail wörtlich. Es geht um eine wirklich fundamentale Frage. Benni schildert die Argumente einiger Dialektik-Gegner bzw. -zweifler:

> Immerhin bin ich jetzt schonmal soweit, dass sie garnicht die
> Dialektik ersetzen wollen und auch keine neue Methode machen wollen,
> sondern eben gerade die Allgemeingültigkeit von Methoden kritisieren.

Ja, da gehen sie total konform mit Hegel. Es geht seiner Überzeugung nach sowieso überhaupt gar nicht, Inhalt und Methode voneinander zu trennen. Jeder Gegenstand trägt seine Methode in sich. Wenn ich souverän denken will, sollte ich nur wissen, welches Arsenal an typischen Inhalten und Methoden die Menschheit so gesammelt hat in den letzten Jahrtausenden, damit ich nicht alleine von vorn beginnen muß.

Wenn ich etwas Unmittelbares nur abspiegeln will, dann reicht die Seinslogik: Ich sage: Ich nehme dies oder das wahr. Punktum. Reicht. Niemand zwingt mich, wesenslogisch oder begriffslogisch denken zu müssen.

Zur Unterscheidung von Seins-, Wesens- und Begriffslogik
Wenn ich nach etwas suche, was bei aller unendlichen Verwandelbarkeit und Veränderbarkeit der unmittelbaren Erscheinungen stabil bleibt (wie die Keplerschen Gesetze bei der Bewegung der Planeten), dann sollte ich aber nicht in der Seinslogik bleiben und nur die Daten sammeln (wie es Tycho de Brahe dankenswerterweise vorher schon gemacht hat), sondern da muß ich eben auf die Suche nach dem Wesen gehen (das hat dann Kepler gemacht). Wenn ich dann das abstrakte mathematische Gesetz für die Planetenbewegung habe, ist die Methode der abstrakten Wesenslogik für diesen Inhalt gerade angemessen und gut so (typische mathematisierte Naturwissenschaft). Da brauch ich nichts noch zusätzlich begreifen wollen (obwohl ja viel linke, ökologische und feministische Wissenschaftskritik ziemlich berechtigt auf die Grenzen dieses abstrakten wesenslogischen Denkens hinweist). Wenn ich aber einGREIFEN will in den Lauf der Geschichte, dann reicht kein Datensammeln und kein Auffinden abstrakter Beziehungen (im Sinne "Keplersche Gesetze der Gesellschaft"), sondern da brauch ich (für diese Inhalte) halt andere Methoden. Vergleiche dasselbe ähnlich in der Biologie: Daten sammeln... dann System von Linné... dann Begreifen des Systems aus der Evolutionsgeschichte heraus und die Möglichkeit, praktisch bewußt in Züchtung und so eingreifen zu können. Daß die Methoden in Physik und Biologie dann wieder unterschiedlich sind, ist klar (halt wie im Fraktal...typische Muster wiederholen sich nur, aber konkret inhaltlich ist alles anders).
Aber: es gibt eben für bestimmte Inhalte bestimmte besonders geeignete Methoden. Und da wäre ich schön dumm, wenn ich den Erfahrungsschatz der Menschheit diesbezüglich einfach so wegwerfen (destruieren) würde.

Zur Dialektik: Daß da oft so getan wurde, als wären die "dialektischen Gesetze" so was wie "allgemeingültige Methoden" hat NICHTS mit Hegel selbst zu tun. Allerdings kostet es etwas viel mehr Arbeit, das zu begreifen, als diese einfach zu popularisierende und verstehende Meinung ("Gesetzesmethode") zu haben und zu verbreiten (oder einfach abzulehnen).

Ich denke mal, der wichtigste Gag aus Hegel ist die Unterscheidung von Wesens- und Begriffslogik. Die Suche nach allgemeingültigen Methoden (unabhängig vom jeweils konkreten Inhalt, d.h. abstrakt) wäre der Wesenslogik zuzuordnen. Hegel drängt nun darauf, das nicht zu verabsolutieren (das entspräche dem "Verstand"), obwohl es eine notwendige Phase sein kann - sondern weiter zu gehen zum Begreifen dessen, was konkret als Einheit ("Totalität") mit je besonderen Momenten vorhanden ist.
Begriffslogik bedeutet: Konkretes begreifen.(aber eben begreifen - das macht die "Vernunft"-, nicht nur das unmittelbar einzeln Erscheinende spiegelbildlich abbilden, die Oberfläche verdoppeln, wie Stefan Mz. dazu sagen würde) - D.h. gerade: nichts allgemeingültig-Abstraktes machen.

Natürlich ist die Aussage: "Nur begriffslogisches Denken begreift das historisch-Konkrete in seiner spezifischen Mannigfaltigkeit" allgemein gültig. Aber auch die Aussage: "Es gibt keine allgemeingültige Methode" ist in diesem Sinne selbst allgemein-gültig!

Mir ist jetzt noch was eingefallen:
Der Fortgang des Hegelschen Denkens (von der Seins- zur Wesens- zur Begriffslogik) ist davon gekennzeichnet, daß er jeweils die Voraussetzungen immer weiter auf ihre Gründe hin hinterfragt. Die Erscheinungen haben eine Art von Gründen im Wesen (daß irgend ein Planet jetzt genau dort ist, hat seinen Grund in den Keplerschen Gesetzen), das Wesen hat seinen Grund im Begriff (d.h. die Keplerschen Gesetze werden begriffen, wenn wir sie als Folge der Gravitation begreifen, und: wenn wir das Machen der Gesetze in unserer wissenschaftlichen Praxis begreifen). Und diese Gründe sind immer konkret, niemals abstrakt-allgemein. Daß wir Gründe suchen, ist allerdings wieder eine "allgemeine Methode". Aber meiner Meinung nach wirklich nicht die Schlechteste.


 

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