2 Der Hegelsche Weg zur Vernunft

„Der einzige Mensch, der sich vernünftig benimmt, ist mein Schneider.
Er nimmt jedes Mal neu Maß, wenn er mich trifft,
während alle anderen immer die alten Maßstäbe anlegen in der Meinung,
sie passten auch heute noch.“ (George Bernard Shaw)

2.1 Die Besonderheit der Hegelschen Kategorien

Um die Hegelschen Argumente nachvollziehen zu können, ist es ganz wichtig, die Worte nicht einfach nur in ihren Alltagsbedeutungen zu nehmen oder sie aus anderen Kontexten einfach zu übertragen. Kant unterscheidet z.B. ebenfalls Verstand und Vernunft, bestimmt ihre Inhalte aber anders als Hegel. (Spruch aus Knischek 2009: 93)

Philosophie hat wie jede Wissenschaft ihre eigene Fachsprache und über die Jahrtausende und Jahrhunderte hinweg hat sich eine Menge Wissen in die verwendeten Begriffe „eingeschrieben“. Es wäre sehr verschwenderisch, sich diese nicht aneignen zu wollen - auch wenn das anstrengend ist - sondern alles neu erfinden zu müssen. Man kann auch nicht erwarten, durch das Lesen einer kurz gefassten Zusammenfassung (wie in Wikipedia) ließe sich das Studium der Wissenschaft selbst ersparen (bei der höheren Mathematik oder etwa der Stringtheorie würde das keiner erwarten, warum so oft bei der Philosophie?). Das bedeutet natürlich nicht, dass alle Menschen die gesamte Philosophie zu studieren müssen - jedoch erwarte ich das bei denen, die der Meinung sind ihre Ergebnisse angemessen be- oder gar verurteilen zu können.

Die Hegelsche Philosophie hat gegenüber anderen den Vorteil, dass die Bedeutung aller von ihm verwendeten fachlichen Begriffe in Hegels Philosophie selbst entwickelt und dargestellt wird. Der Nachteil ist, dass seine Art zu philosophieren keine starren Definitionen verträgt, die man in der Art „Dies und jenes = das und das“ festschreiben könnte. Die Bedeutung eines Begriffs enthält den gesamten Denkweg zu ihm hin und aus ihm ergeben sich (bis hin zum absoluten Geist) neue Fragestellungen und Widersprüche, die über das Erreichte hinaus führen. Ich habe die Bedeutung eines Begriffes erst dann begriffen, wenn ich weiß, auf welche Fragen er in welcher Weise eine Antwort gibt und wie es über ihn hinaus weiter geht. Ich muss das gesamte Gedankennetzwerk kennen, um die Bedeutung jedes Knotens aus seiner Rolle im Netzwerk ableiten zu können. Die inhaltliche Bedeutung erhält sich im denkenden Mitvollzug der gegenseitigen Beziehungen, nicht in aufgeschriebenen toten Definitionen. Der Prozess des Erkennens lässt sich nicht ersetzen durch bloße Kenntnis des einst von anderen Gedachten.

„Der lebendige Geist, der in einer Philosophie wohnt, verlangt, um sich zu enthüllen, durch einen verwandten Geist geboren zu werden.“ (HW 2: 16)
Jenen, die „aus irgendeinem Interesse auf Kenntnisse von Meinungen“ aus sind, wird dieser lebendige Geist „als ein fremdes Phänomen vorüber“ ziehen und sein Innerstes nicht offenbaren (ebd.). Ich fürchte, so geht es vielen Wikipedia-Leser_innen beim Überfliegen der entsprechenden Zusammenfassungen. (Mich erinnert das immer an das Zitat aus dem „Faust“: „Du gleichst dem Geist, dem Du begreifst - , nicht mir!“)

 
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