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taz-köln vom 25.06.04

Bürokratie gefährdet Selbsthilfe

Seit Jahren macht die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim "soziale Umzüge". Doch jetzt will das Ordnungsamt dafür eine Extra - Lizenz sehen. Damit droht dem selbstverwalteten Betrieb das Aus.

von Susanne Gannott

"Seit 25 Jahren fahren wir Umzüge - meist im Auftrag des Sozialamtes". Dass das auf einmal nicht mehr möglich sein soll, will Rainer Kippe von der Sozialistischen Selbsthilfe Mülheim (SSM) nicht in den Kopf. Aber wenn es nach dem Kölner Ordnungsamt und dessen Leiter Robert Kilp geht, braucht die SSM für ihre Umzüge wie jede ganz normale Spedition eine "Güterkraftverkehrsgenehmigung". Und nicht nur der selbstverwaltete Betrieb in der Düsseldorfer Straße: Alle sozialen Einrichtungen, die wie Emmaus, De Flo oder Bürger für Obdachlose günstige Umzugsdienste anbieten, müssten eigentlich eine solche Lizenz vorweisen, sagt das Ordnungsamt. Als "Kompromiss" hat die Verwaltung immerhin angeboten, dass diese Gruppen, die sich zum "Verbund gemeinnütziger Kölner Möbellager e.V." zusammengeschlossen haben, nur eine einzige Lizenz für alle brauchen. Aber die müsste sein, meint Kilp und beruft sich, ganz Verwaltungsfachmann, auf die Gesetzeslage: "Das NRW - Verkehrsministerium sagt, auch soziale Vereine müssen die Genehmigung haben". Da hat Martin M., langjähriger Unterstützer des SSM und ihr "Rechtsberater ohne Mandat", seine Zweifel: "Andere Vereine, aber auch die Stadt selbst, haben Gutachten eingeholt, die besagen, dass das Gesetz für soziale Vereine eine Ausnahme vorsieht". Daher hätten es die Vereine des Möbelverbundes bei einer internen Beratung vor einer guten Woche auch abgelehnt, sich auf den "Lizenzkompromiss" der Verwaltung einzulassen. "Keiner von uns kann die Konsequenzen tragen, die mit einer solchen Lizenz verbunden sind". Denn abgesehen von den Kosten für eine solche Güterverkehrsgenehmigung ist damit auch die Anmeldung als Gewerbe verbunden, erklärt Martin. "Aber als soziale Vereine können und wollen wir uns nicht in eine kommerzielle Spedition verwandeln." Dann müsste ein Verein wie die SSM nämlich alle möglichen rechtlichen und steuerlichen Vorgaben erfüllen - und könnte auch die Menschen nicht mehr weiter beschäftigen, die bei der Selbsthilfe ihr Auskommen finden. "Wir arbeiten hier mit Ex - Junkies, Behinderten, Langzeitarbeitslosen und Leuten, die im normalen Arbeitsleben nie bestehen könnten", erklärt Kippe. "Wie sollen die doppelte Buchführung machen?" Dass Kilp trotzdem auf der, wie er sagt, "rein straßenverkehrstechnischen Genehmigung" beharrt, geht offenbar auf das Eingreifen kommerzieller Spediteure zurück, die sich im Jahr 2000 über die unliebsame "Konkurrenz" beschwerten , die vom Sozialamt Aufträge für die Umzüge von Sozialhilfeempfängern bekommt und die sogar mit finanzieller Hilfe des Sozialamtes einen speziellen Umzugslastwagen anschaffen konnte. Seitdem hatten Stadt und Möbelverbund die Angelegenheit jedoch auf unbürokratisch - kölsche Art unter sich ausgehandelt - bis der Fall dieses Frühjahr vom Ordnungsamt wieder "entdeckt" wurde, weil "der zuständige Mitarbeiter seine Wiedervorlage - Akten durchforstet hat", sagt Kilp. Was der Verwaltungsmann gegenüber der taz fast wie einen bürokratischen Betriebsunfall darstellt, der ihn jetzt - leider, leider zum Handeln zwinge, stellt sich den SSM - Leuten allerdings ganz anders dar. "Uns gegenüber hat Herr Kilp deutlich gemacht, dass er sich als Leiter des Ordnungsamtes dazu berufen fühlt, den `Wildwuchs´ der 70er, 80er Jahre mit seinen autonomen Strukturen zu beseitigen", erinnert sich Martin an das letzte Gespräch im Mai. Ob sich das Ordnungsamt damit tatsächlich durchsetzt, ist allerdings noch nicht ausgemacht. Laut Sozialdezernentin Marlis Bredehorst hat zumindest "die Sozialverwaltung kein Interesse daran, den Möbelverbund zu zerschlagen. Die machen ja wertvolle Arbeit, die wir auch finanziell unterstützen." Die Einwände von SSM und Möbelverbund gegen den "Lizenzkompromiss habe man erst vor ein paar Tagen schriftlich bekommen. "Wir werden ihre Argumente prüfen und versuchen, das stadtintern zur Zufriedenheit aller Beteiligten Ordnungsamt, Sozialamt und Möbelverbund zu regeln".


Selbsthilfen in Gefahr
Kommerz sucht letzte Nischen

Erst die SSK, jetzt die SSM. Die Sozialistischen Selbsthilfen in Köln kämpfen derzeit um ihr wirtschaftliches Überleben. Zwar mag man auf den ersten Blick keinen Zusammenhang zwischen beiden Fällen sehen. Bei genauerer Betrachtung ist eins jedoch offensichtlich: Beide Male sind es Dritte, die den Ärger losgetreten haben, weil sie ihr wirtschaftliches Interesse durch die Selbsthilfen verletzt sehen - und sie daher loswerden wollen.

Kommentar von Susanne Gannott

Im einen Fall - bei der SSK - ist es ein privater Vermieter, der erst ein Haus günstig erworben hat, und jetzt so richtig schön Asche damit machen will. Im anderen Fall - beim Mülheimer Pendant SSM - ist es ein Amt, das auf bürokratische Vorgaben pocht, damit aber letztlich nur die Interessen gewerblicher Spediteure exekutiert. Und die fürchten, dass ihnen gemeinnützige Vereine wie SSM oder Emmaus das Geschäft verderben. Und das geht natürlich nicht in diesen harten Zeiten: Geschäft ist Geschäft! Wen interessiert` s, dass diese "Vereine" neue Perspektiven für Arbeitslose schaffen, sich um Flüchtlinge oder Behinderte kümmern und nebenbei noch Wohnraum instand halten oder gar neuen schaffen? Dass sie für Menschen mit wenig Geld günstige Waren und Dienstleistungen anbieten und nebenbei mit Sperrmüllrecycling zum Umweltschutz beitragen? Für solche "sozialen Mätzchen" hatte man vielleicht in den goldenen 70er Verständnis. Damals gab es auch noch Leute wie Ralf Sterk, die der SSK günstig Häuser vermieteten - oder wie Heinrich Böll, der der Gruppe ein Haus in der Liebigstraße schenkte! Damals schien es durchaus möglich, dass solche Gruppen mit ihren alternativen Lebensentwürfen eine Nische finden - und dort ihren Traum vom selbstbestimmten, "sozialistischen" Leben träumen zu können. Heute passt diese Koexistenz nicht mehr in die allseits verinnerlichte Verwertbarkeitslogik. Was tun? Die Stadt muss für die Selbsthilfe Partei ergreifen. Und sei es, weil sie von deren Arbeit profitiert - in barer Münze.

Die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim

Mit der Besetzung einer ehemaligen Schnapsfabrik in der Düsseldorfer Straße gründete sich 1979 die "Sozialistische Selbsthilfe Mülheim" (SSM) als Ableger der SSK (Sozialistische Selbsthilfe Köln). 1993 bekam die SSM von der Stadt einen Mietvertrag. In dem Betrieb leben und arbeiten Menschen, die für sich keinen Platz in der "normalen" Arbeitsgesellschaft sehen. Laut Vereinssatzung darf keiner Sozial - oder Arbeitslosenhilfe beziehen. Die SSMler verdienen ihr Geld mit Umzügen, dem Verkauf von Second - Hand -Ware und der Vermietung eines Veranstaltungsraumes. 1998 gründete die SSM das "Institut für Neue Arbeit", das für die Idee vom selbstbestimmten , solidarischen Leben das theoretische Fundament liefern soll. Daneben engagiert sich die SSM auch im Stadtteil. Auf ihre Anregung entstand der Kulturbunker Mülheim, in der Holweider Straße rettete die SSM zahlreiche Häuser vor dem Abriss. Neuste Idee ist, im ehemaligen Güterbahnhof Mülheim neuen Raum für alternatives Wohnen und Arbeiten zu schaffen. Die SSM versucht daher, die Architekturausstellung "plan04" im September an den Ort zu bringen.

 

 

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