Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

Brief an Bundeskanzler Schröder

»Politik darf engagierte Menschen nicht enttäuschen. Sie muß ihre schöpferischen Kräfte wecken und sich von ihnen beflügeln lassen.«

(aus der Broschüre der SPD »Wir sind bereit«)

An die
Bundesregierung der
Bundesrepublik Deutschland
Herrn Bundeskanzler Schröder
Adenauerallee 141
53113 Bonn

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Schröder, sehr geehrte Damen und Herren,

hiermit senden wir Ihnen unseren Vorschlag zur Behebung des Problems der Massenarbeitslosigkeit und zur weiteren Finanzierbarkeit unseres Sozialstaates, mit dem wir gleichzeitig einer besseren Lebensqualität den Weg ebnen wollen.

Wir vertreten den Standpunkt, daß es möglich ist, mit weniger Erwerbsarbeit und auch weniger Einkommen befriedigender zu leben. Die Lücke, welche das geringere Einkommen hinterläßt, gilt es in der gewonnenen Zeit zu schließen. Die gewonnene Zeit kann unter anderem durch Eigenarbeit und Eigenversorgung im weiteren Sinne gefüllt werden. Eigenes Tun schafft Selbstvertrauen und Selbstzufriedenheit. Versorgung durch eigenes Tun macht ein Stück weit unabhängig vom Geldsektor bzw. von Alimentationen.

Eigeninitiative geht nicht darin auf, daß nun jede und jeder für sich wirkt, vielmehr ist darin auch ein gemeinschaftliches Handeln und Miteinander eingeschlossen. Diese wird gerade dadurch erst zwischenmenschlich interessant und vom Ergebnis her gesehen effektiver und facettenreicher.

Nun, dieser Bereich ist nichts Neues in der Geschichte. Im Mittelalter beispielsweise wurde er Subsistenz genannt und dort wurden etwa 80 Prozent der Gesamtproduktion hergestellt. Diese Tradition ist bis heute nie ganz verschüttet worden. Sie ist noch zu finden in der Schrebergärtenkultur, beim Eigenheimbau oder beim Renovieren der Wohnung. Ein Großziehen der Kinder, ein Bewältigen des Haushaltes wäre sogar ohne das Selbermachen gesellschaftlich überhaupt nicht zu bewältigen.

Wir wollen an dieser Tradition wieder anknüpfen, nicht um zurückzukehren in Enge und Ärmlichkeit des Gestern oder Vorgestern, wir wollen vielmehr nach vorne gehen und Eigenversorgung vernetzt und gemeinsam, mit raffiniertem Knowhow wie auch mit den Möglichkeiten von Computertechnik betreiben. Dazu braucht es eine neue Kultur von befriedigendem Zusammenwirken, wofür bereits soziale Techniken wie Moderation oder Supervision entwickelt wurden. Andererseits braucht es neue Techniken im unmittelbar produktiven Sinne. Beispielsweise können Lebensmittel mittels Permakultur gezüchtet werden. Es können Häuser der Eigenarbeit genutzt werden, wo ernsthaft und sinnvoll mit gängigen Maschinen Handwerk betrieben werden kann. Denkbar sind auch CAD-gesteuerte-Maschinen, wo zum Beispiel qualitativ hochwertige, individuell entworfene Möbel gefertigt werden können.

Unser »Institut Für Neue Arbeit« vertritt nicht nur das Konzept der Verknüpfung von weniger Erwerbsarbeit und attraktiver, kombinierter Eigenversorgung, es fußt auch auf jahrzehntelangen Erfahrungen von Projekten im Stadtteil Köln-Mülheim. Die »Sozialistische Selbsthilfe Mülheim e.V. (SSM) « hat sich gänzlich ohne staatliche Leistungen selber Wohnraum in einer ehemaligen Fabrik geschaffen, verdient ihren Lebensunterhalt als selbstverwaltete Firma im Umzugsbereich und deren Mitglieder helfen sich gegenseitig in verschiedensten Bereichen. Der Verein »Wohnen gegen den Strom« hat mit Eigenleistung und den finanziellen Mitteln des Wohnungsbau ein Haus vollkommen neu renoviert und ausgebaut. Der »Kulturbunker e.V.« hat in Eigeninitiative einen Bunker aus dem zweiten Weltkrieg für Musikproberäume und Veranstaltungen instand gesetzt und ein Umbau- und Nutzungskonzept entwickelt. Zur Zeit wird das Gebäude mit Landes- und Kommunemitteln umgebaut und bietet dem Stadtteil danach in Eigenregie ein Kulturzentrum. Der »Böckingtreff e.V.« betreibt in einem Neubaugebiet ein provisorisches Stadtteilzentrum, was von der Verwaltung schlicht »vergessen« wurde. Im Quartier konnte die Jugend- und Drogenkriminalität - als Ausdruck sozialer Verwahrlosung - deutlich gesenkt werden. Soziale Aktivitäten nahmen zu und brachten neue Wohnqualitäten. Der Verein "Initiative Bauen-Wohnen-Arbeiten e.V." hat ein zukunftweisendes Projekt begonnen. Ehemals Obdachlose schaffen sich Wohnraum in einem Gebäude einer ehemaligen Kaserne und betreiben gleichzeitig eine Gartenbaufirma, welche das gesamte Außengelände betreut. Die »Bürgerdienste Mülheim« - ein Zusammenschluß der sozialen Initiativen und Behörden im Stadtteil - haben sich vor einem Jahr in der »Mülheimer Erklärung« für »Neue Arbeit« ausgesprochen, welche auf der Industriebrache »Alter Güterbahnhof« verwirklicht werden soll. Auf dem 15 ha großen Gebiet könnte ein neues Quartier entstehen, wo neben Wohnen und Arbeiten auch attraktive Eigenversorgung und Nachbarschaftshilfe ihren Platz haben sollen. Auch gewöhnliche Betriebe sollen integriert werden, sofern sie sinnvolle und umweltverträgliche Dienstleistungen anbieten oder entsprechende Produkte anbieten oder vertreiben, wie beispielsweise Baurecycling, Solarschule oder häusliche Krankenpflege.

Wir sind der Überzeugung, daß hinsichtlich der Rationalisierungsmöglichkeiten, die in den neuen Technologien angelegt sind und welche bisher überhaupt erst ansatzweise realisiert worden sind, der Anstieg der Massenarbeitslosigkeit durch das bisherige Allerheilmittel Wirtschaftswachstum nur noch »gebremst«, aber nicht mehr umgekehrt werden kann. Selbst die besten technischen Innovationen können den drastischen Verlust von Arbeitsplätzen nicht mehr kompensieren. Auch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen können das gewaltige Problem nur wenig lindern. Es bleibt letzlich keine andere Möglichkeit, als neue Wege zu gehen und zu erproben. Wir treten dafür ein, die Sackgasse einer tendenziell ausufernden Konsumtivförderung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern allmählich zu verlassen und den noch schmalen Pfad einer Investivförderung zu begehen und auszuweiten.

Wir wenden uns an Sie, um Ihnen unser Konzept und unsere konkreten Erfahrungen näher vorzustellen und mit Ihnen darüber zu diskutieren. Wir wenden uns auch an Sie mit der Bitte, eine notwendige finanzielle Förderung des "Neue Arbeit"-Projektes auf der Industriebrache "Alter Güterbahnhof" auf den Weg zu bringen, weil für ein Projekt dieser Größenordnung die vorhandenen Möglichkeiten der Initiativen im Stadtteil bei weitem nicht ausreichen.

Und schließlich wenden wir uns an Sie, weil unser interdiziplinäres Vorhaben die Zuständigkeiten der einzelnen Ministerien überschreitet. Eine Durchschrift senden wir den zuständigen Ministerien der Bereiche Arbeit, Stadtentwicklung und Umwelt, ebenso den anderen Parteien des Bundestages wie der interessierten Presse.

mit freundlichen Grüßen

Heinz Weinhausen (Geschäftsführer)

 

 

 

weitere Texte:

 

Aus der Satzung von INA e.V.

 

Berichte

 

Grundlagentexte

 

Veranstaltungen

 

siehe auch:

 

 

Keime für Neues Arbeiten

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  Zum offenen Brief des INA an Bundeskanzler Schröder
von Norbert Trenkle

e-Mail-Kontakt

Home-Page