Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

"Ein einzelnes Projekt wird nicht die Welt verbessern"
Interview mit Frithjof Bergmann

?: Ihr Konzept von 'New Work' findet auf Veranstaltungen in Deutschland viel Anklang, mehr als in den meisten anderen Ländern. Woran liegt das?

Bergmann: Der Pessimismus in Deutschland ist drückender als anderswo. Es herrscht eine düstere Stimmung vor. Die hohe Resonanz erkläre ich mir damit, daß meine Thesen Hoffnung geben. In Deutschland ist man sehr auf das Erwerbsarbeitssystem fixiert. Arbeit ist zur Lebensstruktur geworden, das Vertrauen auf die Erwerbsarbeit ist sehr groß. Die Erfahrung, daß dieses System zersplittert und kaputtgeht, wird dramatischer erlebt als etwa in Amerika.

?: Welche Erfahrungen machen Sie mit der konkreten Anwendung ihres Konzeptes? Wie weit klaffen Theorie und Praxis der 'Neuen Arbeit' auseinander?

Bergmann: Mir war von Anfang an klar, daß ich mit der sogenannten Projektekultur, die es ja auch in Amerika gibt, meine Probleme habe. Ich lerne natürlich viele Leute kennen, die mir von ihren Projekten erzählen. Das Denken ist: Wenn man das erfolgreich macht, wenn alle Rädchen geputzt sind und das picobello aussieht - deutsche Qualität sozusagen - dann wird das einen Einfluß haben. Dann wird das zum Vorbild, zum nachahmenswerten Modell. Genau das finde ich nicht überzeugend. Ich bin da mit einer vollkommen anderen Mentalität herangegangen: Für mich dreht es sich darum, eine Utopie in die Welt zu setzen. Ich habe nicht die Vorstellung, daß sich das genauso umsetzen läßt wie in meiner Theorie. Meine Absicht ist also die Verbreitung einer Idee. Es gibt kein Vorzeigeprojekt, das beweist, daß es tatsächlich geht. Ich will nur den Samen verstreuen, und an vielen verschiedenen Plätzen soll der Samen aufgehen.

?: Das Image, daß sie bei Ihren Vorträgen vermitteln, ist nicht das eines reinen Theoretikers. Ihre hohe Akzeptanz hat viel damit zu tun, daß Sie sagen: New Work wird auch praktisch umgesetzt in Deutschland.

Bergmann: In der Tat versuche ich stets, konkrete Dinge anzustoßen. Meine Wahrnehmung ist, daß sich derzeit explosionshaft viel tut. Die vielen Einzelbeispiele befinden sich alle in einer Entwicklung, aber nichts ist ein Modell.

?: Mittlerweile kursieren unter dem Label New Work viele Dinge, die nichts mit Ihrem Konzept zu tun haben.

Bergmann: Mit dem Wort 'Nichts' bin ich nicht einverstanden. Ich war mir von von Anfang an bewußt, daß das Ganze möglicherweise dreißig Jahre dauern kann. Wichtig ist mir, den Gedanken an ein Ziel in die Welt zu setzen. Der Gedanke lautet, daß Menschen Arbeit nicht als Sklaverei erleben sollen, sondern als Erfüllung. Ein einzelnes Projekt in irgendeinem Stadtteil wird natürlich nicht die Welt wie die Hefe verbessern. In der Tat, an vielen Plätzen wird der Begriff Neue Arbeit gebraucht, auch wenn nur ein Anfang in diese Richtung gemacht wurde. Ich versuche darauf aufzubauen, indem ich sage: Okay, ihr habt jetzt die erste Phase erreicht, aber jetzt kommt die zweite und die dritte. Daß es diese weiteren Phasen geben kann, das ist das Neue.

?: An wen richtet sich New Work? An diejenigen, die noch Arbeit haben, aber vielleicht von Entlassung bedroht sind? Oder an Langzeitarbeitslose, an Problemgruppen des Arbeitsmarktes? Unser Eindruck ist, daß es sich bei den bestehenden Gruppen fast ausschließlich um Beschäftigungsinitiativen handelt. In den Unternehmen läuft sehr wenig.

Bergmann: Mir geht es darum - und ich weiß, das ist ein bißchen größenwahnsinnig - eine Kultur zu verändern. Ich messe den Fortschritt nicht daran, daß man drei tadellose Projekte hat. Aber so denkt man in Deutschland: Abgeschlossen, abgerundet, das ist wie ein wissenschaftliches Experiment. Ja, es gibt bisher nur wenige Betriebe, die sich auf die Neue Arbeit beziehen. Aber ich will ein Beispiel nennen: Vor einigen Woche habe ich bei einem Computerhersteller referiert, und die Akzeptanz war ganz außerordentlich. Und einer der Organisatoren hat zu mir gesagt: Vor vier Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, daß sich die Leute hier so etwas überhaupt angehört und darüber diskutiert hätten. Ich messe den Fortschritt der Neuen Arbeit nicht daran, ob Leute genau das tun, was ich im Sinn habe. Ich beobachte, welchen Fortschritt die Ideen machen, und das ist viel schwieriger zu messen.

?: Wenn jeder macht, was er will, welche Bedeutung hat dann das Konzept New Work? Hat es eine Klammerfunktion, ist es ein Raster, ein Angebot?

Bergmann: Ich finde es nicht schlimm, wenn sich die Leute erstmal mit handwerklichen Dingen auseinandersetzen und nicht gleich 'High-Tech-Providing' machen. Daß sie überhaupt tätig werden, finde ich einen großen Fortschritt. Die Tragödie von vielen Arbeitslosen ist, daß sie gar nichts tun, weil sie eben dem Job-System so verschworen sind, daß andere Arbeit überhaupt nicht in Frage kommt. Ich kriege oft zu hören: 'Callings' mit Arbeitslosen, das kann doch nicht ihr Ernst sein! Das muß ja auch nicht gleich in der ersten Phase sein. Das kann sich langsam entwickeln, meinetwegen können die ruhig damit anfangen, ihre Wohnungen zu verbessern.

?: Man kann also auch Einzelelemente von New Work erproben, das Konzept muß nicht als Ganzes umgesetzt werden?

Bergmann: Ich will doch die Leute zur Freiheit erziehen! In den USA werden die Leute jetzt mit viel Geld gezwungen, an den großen Highways die Papierchen aufzuheben. Das wird als Arbeitsplatz bezeichnet, aber es ist ein enormer Apparat nötig, um die Leute dazu zu bringen. Der Staat sollte eher wie eine Stiftung funktionieren und die Leute ermuntern, Ideen zu entwickeln. Und dann sollen diese Menschen unter Umständen vom Staat eine Art Stipendium kriegen. Die großen Betriebe sollten ordentlich besteuert werden, keine Frage. Aber das Geld, das eingenommen wird von BMW, sollte auch dazu ausgegeben werden, daß Leute, die von BMW entlassen werden, etwas tun können, was sie wirklich wollen - auch wenn sich das unter Umständen nicht am Markt rechnet. Wir sollten die Leute dafür bezahlen, daß sie etwas für sich Sinnvolles tun. Und dann werden sie hoffentlich nicht die Autobahn fegen.

Die Fragen stellten Thomas Gesterkamp und Michael Wiedemeyer.

("Frankfurter Rundschau" vom 21.10.98)

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