Neue Arbeit für Mühlheim

Institut für Neue Arbeit

Wege aus der Krise der Arbeit

... und anderswo

 

 

"Dort wo alles Arbeit ist, ist gleichzeitig nichts mehr Arbeit"
Zwanzig Jahre "Sozialistische Selbsthilfe Mülheim" (SSM)

 
von Philipp Rügemer und Anne Kathrin Appel

  Am Morgen des 3. November 1979 besetzten die Mitglieder der damaligen Sozialistischen Selbsthilfe Köln (SSK) die Häuser und die Hallen der in Konkurs gegangenen Schnapsfabrik Esser in der Düsseldorfer Straße. Werner Heidenreich, Gründungsmitglied, beschreibt im Vorwort der Jubiläumsbroschüre das Grundstück: ·Es war ein schönes Gelände, der große Innenhof war herbstlich mit Blättern bedeckt, und die Fassaden hatten ein freundlich warmes Aussehen." Die Bedingungen waren jedoch katastrophal. Löchrige Dächer, kalte, feuchte Zimmer mit undichten Türen und Fenstern. Zudem konnten sie nur ·mit ätzend qualmenden Kohleöfen", die die SSKler vom Sperrmüll holten, heizen. Es gab weder Strom noch Wasser. Neben dem Grundstück lag die alte Dachpappenfabrik ZIKO, deren Besitzer sich von der SSK Schutz gegen die geplante Verlagerung der Fabrik versprach. Der Besitzer half der Gruppe, indem er sie mit Wasser und Strom versorgte, da die GEW dies verweigerte.

Die Mitglieder begannen allmählich das gesamte Gelände zu renovieren. Politische Unterstützung kam unverhofft vom damaligen Stadtdirektor der CDU, Uhlenküken. "Ohne diese beiden Personen gäbe es heute wahrscheinlich kein 20jähriges SSM-Jubiläum", resümiert Heidenreich.

Aktionen und Tätigkeiten

Die Düsseldorfer Straße 74 war Teil des Sanierungsgebietes und sollte für Neubauten abgerissen werden. So lag der Einstieg in der Sanierungspolitik mitzumischen für den Verein nah: Die SSM trug entscheidend zur Enthüllung und Bekanntmachung der "Mülheimer Grundstücksaffäre" 1980 bei F&G bei. Nach diesem Skandal und dem selbstbewußten Auftreten der SSM in der Öffentlichkeit öffneten sich zaghaft einige Türen: CDU, FDP und die Grünen interessierten sich für die Umgestaltung des besetzten Geländes und boten ihre Hilfe an. Die "Grauen Panther" und besonders die Grünen verhalfen der SSK zu einem Platz im Sanierungsbeirat, mit sichtbaren Erfolgen: Die besetzten Häuser in der Holweider Straße blieben erhalten und das ganze Gebiet entlang des F&G Geländes wurde nicht, wie geplant, abgerissen.

1984 startete der SSM sein Landprojekt. Die Grundidee bestand darin, einen Hof zu finden, auf dem sie ökologische Landwirtschaft betreiben und auf dem einige Leute leben und arbeiten können. Die SSM-Aktivisten fanden schließlich in Erp, 30 km von Köln entfernt, einige Hektar Land, die sie von einem Bauern pachteten. Im ersten Jahr bauten sie nur Kartoffeln an, im zweiten Jahr kamen Roggen und Hafer hinzu. Zwei Mitglieder des Vereins zogen auf den Hof, um dort zu leben. "Wegen persönlichen Querelen innerhalb der SSK endete das Projekt", so Heidenreich. 1988 änderten die SSKler ihren Namen in Sozialistische Selbsthilfe Mülheim (SSM).

Räumungsklagen gegen die Hausbesetzer des SSM gab es viele, alle ohne Erfolg. 1993 kam es dann zum Mietvertrag mit der Stadt Köln. Die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim bekam die Renovierung des Geländes und der sich darauf befindlichen Gebäude angerechnet. Die "erbrachte Leistung" verrechnete die Stadt mit der Miete, insgesamt 380.000 DM. Der Vorwurf, die SSM zahle kein Miete, wies Mitinitiator Rainer Kippe vehement zurück. Für die ganze Mietzeit von 30 Jahren ist die Stadt von allen Kosten wie Grundbesitzabgaben, Versicherungen und Instandhaltungskosten befreit. Kippe kritisiert die von der Stadt anerkannte Summe. Die öffentliche Hand müßte für die Unterbringung von fünfzehn Menschen im sozialen Wohnungsbau für 14 Jahre ca. zwei Millionen DM ausgeben. Allein durch die Unterbringung und Integration von Schwerstbehinderten - der SSM erhält keine staatlichen Fördermittel, auch keine Sozialhilfe - erspart der Verein der Stadt jährlich 150.000 DM. Diese Summe summiert sich in den nächsten Jahren auf 4.5 Millionen DM, erläutert Rainer Kippe.

Das Selbstverständnis der SSM

Auf dem Gelände wohnen heute "fünfzehn Menschen in einer sozialistischen Gemeinschaft", erklärt die ehrenamtliche Mitarbeiterin Gisela Emons. Hier leben Leute zusammen, die sich nicht vom bestehenden System ausbeuten lassen wollen", charakterisiert Emons die Mitglieder. Sie betont, daß es durchaus nicht nur Obdachlose und Sozialschwache sind, die auf dem Gelände leben. Wer in die Gemeinschaft aufgenommen wird, entscheidet die Mitgliederversammlung, an der alle fünfzehn Bewohner teilnehmen. "Keiner ist in der Gemeinschaft weniger wert, jeder hat die Möglichkeit, bei allen Tagesordnungspunkten mitzubestimmen, z.B. wer kocht und was es gibt", beschreibt die engagierte Frau. Jeder trägt durch gemeinsame Arbeit zur Gemeinschaftskasse bei: Der Verein bietet z.B. Umzugs- und Entrümpelungsaktionen an, die er mit dem vereinseigenen LKW durchführt. Zusätzlich erhält jeder ein Taschengeld.

(Zum 20-jährigen Bestehen der SSM ist eine Broschüre erschienen: "20 Jahre SSM - 20 Jahre gelebte Utopie), 54 Seiten, 8 DM, ISBN 3-932248-09-0)

(Kölner Woche vom 25.11.99)

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