Die Ware I

 
Marx beginnt das "Kapital" mit der Analyse der "Ware". Im ersten Abschnitt "Ware und Geld" folgen dem Kapitel "Ware" noch die Kapitel "Austauschprozess" und "Geld oder Warenzirkulation". Erst danach geht es um die "Verwandlung von Geld in Kapital" (MEW 23: 161) und weiter.

Die Frage, warum Marx mit der "Ware" beginnt, wird häufig gestellt. Die Antwort ergibt sich aus der Methode von Marx. Wir hatten im Methodenteil festgestellt, dass die Forschungs- und die Darstellungsmethode in ihrem Zusammenhang betrachtet werden müssen: "Finge ich also mit der Bevölkerung an, so wäre das eine chaotische Vorstellung des Ganzen und durch nähere Bestimmung würde ich analytisch immer mehr auf einfachere Begriffe kommen; von dem vorgestellten Concreten auf immer dünnere Abstracta, bis ich bei den einfachsten Bestimmungen angelangt wäre. Von da wäre nun die Reise wieder rückwärts anzutreten, bis ich endlich wieder bei der Bevölkerung anlangte, dießmal aber nicht als bei einer chaotischen Vorstellung eines Ganzen, sondern als einer reichen Totalität von vielen Bestimmungen und Beziehungen." (MEW 42a: 35 = MEGA II.1.1: 35 f.) Die "Ware" ist solch ein Abstraktum, das durch die Entwicklung seiner Bestimmungen zum Begreifen der kapitalistischen Verhältnisse führt.

Marx hatte vorher versucht, mit anderen Kategorien zu beginnen (z.B. mit "Kapital" oder "Mehrwert"), musste aber feststellen, dass deren Erklärung jedes Mal andere Begriffe voraus setzt, die noch nicht eingeführt waren (vgl. Einleitung MEGA II.5: 22). W.F. Haug zeigt beispielhaft, welche anderen Anfänge denkbar sein könnten und spielt sie durch (Haug 1989: 25-34).

Ware (1 und 2)

Beginnen wir mit der ersten Aussage von Marx: "Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine "ungeheure Warenansammlung", die einzelne Ware als seine Elementarform." (MEW 23: 49) Nach Haug ist dies ein "Gemeinplatz", der es jeder Person ermöglicht, von hier aus mitzudenken, ohne als Voraussetzung z.B. die Hegelsche Logik studiert haben zu müssen (Haug 1989: 37 f.). Weiterhin ermöglicht dieser Ausgangspunkt einen "verbindlichen Fortgang" (ebd.: 39). Dadurch führt das selbständige Denken zwar zu Autonomie, aber nicht zur Beliebigkeit. Wie Haug betont, muss der Ausgangspunkt der Argumentation einfach und elementar sein für den zu begreifenden Komplex und "zugleich zur Erschließung des Aufbaugesetzes führen" (ebd.: 40). Wer die Hegelsche Logik kennt, sieht die Parallele: Auch dort gibt es einen solchen für das formale Denken ungewohnten Anfang.

Dem Satz können wir weiterhin entnehmen, dass es im Folgenden NICHT um eine Darstellung der historischen Entwicklung des Kapitalismus geht, sondern von vornherein um eine Untersuchung der kapitalistischen Produktionsweise selbst (vgl. Heinrich 2005: 37). Oft wird die Kategorie "Ware" auch für getauschte Güter der vorkapitalistischen Zeit verwendet, so bei Heinrich (2005: 37). Sie bezeichnet dann in sehr unspezifischer Weise ein ausgetauschtes Gut, das die Konstitution der Gesellschaft aber nicht dominiert und ich unterscheide ihn von den anderen Warenbegriffen durch die Kennzeichnung "Ware (1)".

Waren (2) im Kapitalismus dagegen sind die "Elementarform des Reichtums" in dieser Gesellschaft und ihre Produktion und ihr Austausch konstituieren die Gesellschaft grundlegend. Die im "Kapital" erst später abgeleitete Totalität der gesellschaftlichen Verhältnisse, die die Dominanz der Warenhaftigkeit der Güter begründet, setzt folgende Bedingungen voraus:

  • Es liegt eine gesellschaftliche Arbeitsteilung und eine Verselbständigung einzelner Produzenten vor.
  • Es geht nicht um die persönliche Arbeit von Warenproduzenten, sondern darum, dass ein Produktionsmittelbesitzender Nichtproduktionsmittelbesitzende zu von ihm festgelegten Bedingungen arbeiten lässt und dadurch Ausbeutung stattfindet. Dies geschieht auf der Grundlage der Trennung zwischen Produktionsmittelbesitzenden und Menschen, die keine eigenen Produktionsmittel besitzen.
  • Gegeben ist also die "Bedingung und Voraussetzung, dass die konkurrierenden Glieder der Gesellschaft sich als Personen gegenübertreten, die sich nur als Warenbesitzer gegenüberstehn und nur als solche in Kontakt miteinander treten (das schliesst Sklaverei etc. aus) und zweitens unter der anderen Bedingung, dass das gesellschaftliche Produkt als Ware produziert wird. (Dies schliesst alle Formen aus, worin für die unmittelbaren Produzenten der Gebrauchswert der Hauptzweck und höchstens der Ueberschuss der Produkte etc. sich in Ware verwandelt)." (Marx Resultate: 5)
Es geht nun darum, die Entfaltung des inneren Widerspruchs in der einzelnen Ware (2) zu ergründen. Später entsteht dann ein tieferes und umfassenderes Verständnis dessen, was Ware im Kapitalismus ist.

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