Politik und Knast

 

Gerade wird wieder ein Sturm der Entrüstung über die "Unrechtszustände" in der DDR angeblasen. Für Leute, eine Unterschrift auf einem gewissen IM-Papier geleistet haben, soll es keinerlei Verjährung geben - nicht einmal nach 15 Jahren, während Verbrechen, die mit einer Freiheitsstrafe von 1 bis 5 Jahren belegt worden wären, längst (nämlich nach 10 Jahren) verjährt wären. Dies soll im Interesse der Opfer geschehen, jener Menschen, die in der DDR unter politischer Verfolgung litten und die erfahren mussten, wie politische Anliegen zu kriminellem Tun umdefiniert wurden.

Gleichzeitig wird auch in der Bundesrepublik politisches Engagement immer gefährlicher. In den letzten 6 Jahren sind mittlerweile zwei meiner Kontaktpersonen aus dem links-alternativen Bereich im Knast gelandet. Den einen hat der unbarmherzige Druck des Sozialabbaus tatsächlich zu einer Straftat gebracht, für die er nun sitzt (Werner), der andere wurde für den 18.5.06 zu einem 8-monatigen Haft eingeladen und unter fadenscheinigen Vorwänden schon am 14.5. eingesperrt.

Hier sind die politischen und rechtlichen Hintergründe wesentlich komplizierter.

Die Projektwerkstatt Saasen bei Gießen ist seit vielen Jahren ein für alle Interessenten und Aktive offener Raum, der selbst für eine selbstbestimmt-autonome Lebensweise versteht und von dem aus Aktivitäten ausgehen, die sich für eine derartige Lebensweise engagieren.


Archiv und Arbeitsräume in der Projektwerkstatt

Hier wird gelebt, vielleicht auch manchmal geliebt - und gearbeitet an Ideen, Vorstellungen und Plänen für eine andere Welt für alle Menschen. Dabei steht die Projektwerkstatt Saasen nicht für duldsames Bitten an die herrschende Politik, auch nicht für rituell eingeübte "Latschdemo-"Organisationen, sondern eher für moderne Stategien wie "Direct Action". Die Vision eines anderen Lebens und der Widerstand gegen alles, was dieses Leben heute verhindert, ergänzen sich ständig. Hier werden Buchprojekte koordiniert oder maßgeblich unterstützt (wie auch jene drei, bei denen ich als Autorin mit beteiligt bin), aber auch Aktionen gegen Herrschaft und Ausbeutung initiiert.

In Gießen fanden diesbezüglich seit einigen Jahren öfter kreative Aktionen statt. Einige waren mit "Sachbeschädigung" verbunden, wie die Veränderung von Wahlplakaten. Auch sonst wurden diverse Farbanbringungen den Aktiven der Projektwerkstatt zugeschrieben. Weil es letztlich keine direkten Nachweise gab, wurde wohl auch nachgeholfen. Zum Beispiel wurde als Vorwand für das brutale Vorgehen gegen Demonstranten in Gießen behauptet, es habe eine Bombendrohung gegeben.

Einige Gerichtsprozesse folgten, die ziemlich deutlich aufzeigen, wie wenig "unparteiisch" die Gerichte in der Bundesrepublik sind. (Eine Zusammenstellung siehe www.projektwerkstatt.de/prozess). Mehrmals wurden Zeugenaussagen von der Polizei von vornherein als wahrhaftig angenommen, während Zeugen mit gegenteiligen Aussagen und sogar Videoaufnahmen dagegen nicht berücksichtigt wurden. Es zeigt sich auch an anderen Orten, dass Polizisten als Zeugen bevorzugt werden.

Um Interessierten die Zeit zum weiteren Nachrecherchieren nicht zu klauen, schließe ich hiermit meinen Kommentar. Warum die Geschehnisse auch mich etwas angehen und manche, die das heute noch gar nicht glauben, verdeutlicht das folgende Zitat:

http://www.deu.anarchopedia.org/index.php/Antirepression:8Monate-Kampagne_Aufruf:
"Mit dem harten Urteil gegen zwei Aktive aus dem Umfeld der Projektwerkstatt sollen alle eingeschüchtert werden, die sich den sich ausbreitenden „law and order“-Konzepten, der deutschen Abschiebepolitik und anderen Formen autoritärer Politik widersetzen. Für den Widerstand gegen Justiz und die autoritären Verhältnisse liefert das rechtskräftige Urteil keinen neuen Grund, höchstens einen weiteren konkreten Anlass. Das Wegsperren, das zielgerichtete Zerstören sozialer Existenzen, ist keine auf Polit-AktivistInnen beschränkte Ausnahme, sondern eine Normalität, welche jeden Tag Menschen trifft, die mit der herrschenden Ordnung in Konflikt geraten, weil sie z.B. per Eigentumslogik vom gesellschaftlichen Reichtum abgeschnitten werden."

 

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