Bedürfnisse

Bereits Tiere sind nicht nur bestrebt, unmittelbare physiologische Mangelzustände (Hunger...) auszugleichen. Der Bedarf ist u.U. unabhängig von der Stoffwechselfunktion - er tritt bereits vorher ein, damit die Nahrungssuche beginnen kann, bevor der "Hunger zuschlägt". Zum Bedarf bei Tieren gehört auch die emotionale Wertung im Zusammenhang zwischen organismischem Ungleichgewicht und der Fähigkeit zu seiner Beseitigung aufgrund der Aktivitätsumsetzung von Bedeutungen (Holzkamp 1985, S. 101).

 

Auch Tiere streben bereits nach individueller Umweltkontrolle. Bei Menschen verändert sich die Art der Umweltkontrolle: es geht um die verallgemeinerte Verfügung über die Arbeitsmittel bei der kooperativen Schaffung von Lebensmitteln/-bedingungen (S. 240). Die bloß erkundende Umweltbeziehung der Tiere wird bei Menschen zur gestaltenden Weltbeziehung (S. 214) mit dem Ziel der verallgemeinert-vorsorgenden Abgesichertheit, nicht nur der primären Bedarfsbefriedigung (S. 215).

Die individuelle Umweltkontrolle der Tiere wandelt sich beim Menschen zur personalen Handlungsfähigkeit: Hier geht es um die "Verfügung des Individuums über seine eigenen Lebensbedingungen in Teilhabe an der Verfügung über den gesellschaftlichen Prozeß" (Holzkamp, S. 241).

Damit wird die Handlungsfähigkeit zum ersten menschliches Lebensbedürfnis (S. 243).

"Die in der gesellschaftlichen Natur des Menschen liegenden Bedürfnisse realisieren sich also hier in der Erweiterung der Handlungsfähigkeit, d.h. sie treten in Erscheinung als subjektive Erfahrung der Einschränkung der Handlungsfähigkeit, was gleichbedeutend ist mit der subjektiven Notwendigkeit der Überwindung dieser Einschränkung." (S. 241)

Zum Kritierium für die Bedürfnisbefriedigung wird damit nicht nur die Beseitigung unmittelbarer Mangelzustände (kein Hunger), sondern die Verfügung über die eigenen relevanten Daseinsbedingungen und Lebensquellen (S. 243). Die Qualität der existenzsichernden Primärbedürfnisse ist bei Menschen so spezifiziert, daß eine optimale Befriedigung hier nur noch im Zustand der vorsorgenden Abgesichertheit erlangt werden kann (S. 296). Das heißt, daß das "Füttern" hungernder Menschen nicht ausreicht, menschliche Bedürfnisse sind erst dann befriedigt, wenn das Leben prinzipiell von der Bedrohtheit durch Hunger befreit ist.

 

Menschliche Bedürfnisse sind historisch veränderlich. sie umfassen "alle... Befriedigungs- und Erfüllungsmöglichkeiten ... auf einer jeweils bestimmten historischen Stufe einschließlich "geistig", ästhetisch, künstlerisch verdichteter und überhöhter produktiv-sinnlicher Erfahrungsmöglichkeiten" (S. 309)

 

Literatur:

Holzkamp, K., Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/Main, New York 1985

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