Christlicher Neoplatonismus

Jahrhunderte nach der griechischen Antike werden verschiedene Ansätze zu etwas Neuem vereint. Philon (25 vuZ. – 40 nuZ.) verwendet den frühchristlichen transzendenten Gottesbegriff und die Vorstellung einer geschaffenen, sündigen Welt. Als Mittelwesen vermitteln Engel und Dämonen zwischen diesen beiden Bereichen – und als Bote des Göttlichen wird der Logos verstanden. Plotin (um 204 – 270) Welt entsteht aus Emanationen des Einen – wie Licht aus der Sonne. Geist und Seele vereinigen sich schließlich mit dem Nichtseienden, der Materie. Das Bestreben von Menschen gilt dem Aufstieg zum Einen. Dem menschlichen Leben ist die Aufgabe gestellt, dem Abfall entgegenzuwirken, die Entfremdung vom Einen aufzuheben, Geist zu werden. "Je mehr Geist, desto mehr Freiheit" (nach Hirschberger I, S. 310). Jede Person ist deshalb in Bewegung: "Person ist nicht, sie wird erst" (ebd.). In Plotins Denken gehen christliche und platonische Ideen zusammen. Es wird auch "Christentum ohne Christus" (Osborne 1996, S. 36) genannt.

Scholastik

Das typisch scholastische Denken ab dem 9. Jahrhundert wurde vorbereitet durch das philosophische Denken der Kirchenväter in den Jahrhunderten des Übergangs vom Neuplatonismus. Wissen geht nicht völlig unter im christlichen Glauben, sondern beides soll in einer Einheit aufgehen. Trotzdem muß sich nicht alles Denken der kirchlichen Autorität unterstellen. Persönliche Wahrhaftigkeit – auch wenn sie irrt - steht noch über Gehorsam und "Alles, was nicht aus Überzeugung geschieht, ist Sünde" (nach Hirschberger I, S. 319).

Freiheit des Menschen – auch des Sklaven – wird hier begründet: "Keiner ist von Natur aus, in der Gott zuerst den Menschen geschaffen hat, Sklave eines Menschen oder einer Sünde" (Augustinus, zit. in Hirschberger I, S. 341). Freiheit kann auch zum Bösen missbraucht werden.

Das bereits aus dem griechischen Denken überkommene Gewissen bekommt jetzt eine größere Bedeutung.

Bild 5: Augustinus

Augustinus (354 – 430) entwickelt die Vorstellung einer ewigen Seinsordnung aus Gott – in durchaus stoischer Tradition. Menschliche Freiheit rettet Augustinus durch die Unterscheidung der Wirkungsweise des ewigen Gesetzes: In der Natur besteht eine kausale Determination – im Bereich der Geistwesen stellt es nur eine ideale Sollensvorschrift dar (nach Hirschberger I, S. 369). Neben dem Intelligiblen, wie in den früheren Konzepten, werden jetzt auch Affekte, wie Wille und speziell Liebe als maßgebliche Faktoren berücksichtigt. Wenn die Liebe wahr ist, kann Augustinus sogar sagen: "Liebe und tue, was du willst". Trotzdem sind alle Menschen durch eine Erbschuld belastet – durch die sie nur durch Gottes Gnade befreit werden können.

Als Lösung der Frage, wie sich entgegen der Vorsehung auch das Böse entwickeln kann, entwickelt Boethius (um 480 – 524) die Vorstellung, daß das Böse und das Schicksal durch eine Distanz zur göttlichen Mitte entsteht. Während Gott immer gut ist, steht der Mensch vor der Wahl: Er kann gut sein.

Abealard (1079 – 1142) entwickelt später eine Ethik – gegen die damalige Rechtspraxis - , bei der unterschieden wird zwischen dem Tun und der Gesinnung, aus der heraus das Tun erfolgt. Nicht das Tun selbst ist moralisch bewertbar, sondern nur die jeweilige Gesinnung.

Der bedeutendste Autor des Mittelalters, Thomas von Aquin (1225 – 1274) systematisierte viele vorhandene Vorstellungen und formte sie zu einem neuen Bild. Der Mensch wird als Einheit von Körper und Seele bestimmt, wobei die Seele selbst verschiedene Vermögen beinhaltet: das vegatative (Lebenskraft), sensitive (Sinneswahrnehmungen), appetitive (triebhaftes Streben), motive (Ortsbewegung) und rationale (Verstand). Thomas unterscheidet zwischen dem Seienden (die Substanz, welche verschiedene zufällige Bestimmungen annehmen kann) und dem Wesen, dem Allgemeinen im Einzelnen. Ethisch gutes Verhalten zielt auf die Vervollkommnung in Richtung dessen, was das Wesen des Menschen ausmacht.

Die richtungsleitenden ethischen Prinzipien können nicht weiter abgeleitet werden – ergeben sich aber aus der Natur, der Wesenheit des Menschlichen ("ideale Menschennatur") und sind jedem Menschen durch seine Teilhabe an Gott gegeben. Die Willensfreiheit ist dadurch nicht geleugnet. Ich zitiere die Charakterisierung eines Grundzugs der gesamten Scholastik: "Nur in der untermenschlichen Natur wirken die ewigen Gründe als innere Beweggründe der Dinge, also notwendig und immer gleich; dem Menschen gegenüber aber nimmt das ewige Gesetz den Charakter einer Regel oder eines Gebots an, das bei unbedingter ethischer Geltung doch keine physische Nötigung mit sich führt" (Hirschberger I, S. 519).

Bild 6: Ethik und Gesetze bei Thomas von Aqin

Unter der Last der logischen Spitzfindigkeiten und theologischen Überfrachtung ging die spätere Scholastik jedoch in das über, was wir heute noch im negativen Sinn als "scholastisch" kennzeichnen.


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