Stefan Meretz
im Seminar März 2001 in Hütten
zum Umgang mit Kategorien
Dieser Name der Kritischen Psychologie hat was damit zu tun..... der Ansatz war die traditionelle bürgerliche Psychologie zu kritisieren, aber nicht einfach nur zu sagen, das was ihr da macht ist schlecht, weil ihr z.B. nur darauf guckt, wie die Leute zum besseren Funktionieren in dieser Gesellschaft gebracht werden und das ist schlecht. Okay, das kann man kritisieren, aber die Frage ist, kann man es auch zu einer positiven Wendung bringen. Kann man also ein theoretisches Konzept entwickeln, mit dem man in der Lage ist, die Welt angemessen zu betrachten, also dies war diese mit der Brille. Eine Brille sich sozusagen aufzusetzen, die man auch begründet hat, die für andere nachvollziehbar und damit auch kritisierbar ist. Und kann ich dann ich dann mit dieser Brille auch gucken und einschätzen, was haben die anderen Psychologien, die ja auch auf die gleiche Sache gucken. Was machen die da eigentlich für komische Sachen, dass sie z.B. zu dem ein und dem selben Ding unterschiedliche Aussagen machen. Warum ist das so? Kann ich also einen Standpunkt erreichen, von dem aus so etwas beurteilbar ist. Oder ist das ein arrogantes Vorhaben, sich über andere zu stellen und zu meinen, ich habe jetzt Recht! Ist das eine Frage des Recht Habens, oder ist es eine Frage von Wissenschaft, von Nachvollziehbarkeit, von Begründung.

Ich will zeigen, dass es eine Frage von Wissenschaft und Begründung und von explizit machen ist, was immer einschließt, dass das, was ich explizit mache natürlich auch kritisiert werden kann.
Jetzt hat die Kritische Psychologie, insbesondere der Holzkamp in diesem Buch, der hat nun sich verschiedene Vorarbeiten vorgenommen und hat gesagt, nun okay, ich schreib mal so eine Art Zusammenfassung. Die Kritische Psychologie ist also mit der Studentenbewegung entstanden und dann so in den 80er Jahren hat sich der Holzkamp gesagt, so nun haben wir eine Menge herausgefunden und jetzt mache ich meine Zusammenfassung. Und dann hat er festgestellt, das geht nicht, ich kann gar keine Zusammenfassung machen, sondern ich muß sozusagen eine Art von Integration der bisherigen Arbeiten machen, die eben aus dem alten Dilemma, das Einzeltheorien nebeneinander stehen, heraus führt. Ich muß eine Integration vollziehen. Und bei diesem Durcharbeiten wurde ihm klar, wir sind doch vom Ansatz ist her ziemlich unterschiedlich zur klassischen Psychologie.

Was ist jetzt der Unterschied?
Die traditionelle Psychologie geht, so nenne ich das jetzt vereinfachend, top down vor. Sie verwendet bestimmte Begriffe, die nimmt sie sich und sagt: wir verstehen unter Emotionalität:...... und dann wird irgendetwas geschrieben, was Emotionalität ist. Und mit diesem Begriff operieren wir jetzt. Machen einen Versuch, meinetwegen mit Versuchspersonen und versuchen irgendetwas herauszufinden. Eine Fragestellung.
Die Kritische Psychologie, die geht andersherum vor, die geht nicht top down vor, top down ist also sozusagen: die Begriffe sind irgendwie da und ich nehme sie, breche sie runter, mache dann ein Experiment, sondern sie sagt: Halt, wo kommen denn die Begriffe her? Was ist denn eigentlich der Inhalt der Begriffe? Reicht es aus, einen Begriff zu definieren? Oder was mache ich überhaupt, wenn ich einen Begriff definiere?
Interessanter weise ist ja eine Definition nicht das Schaffen einer neuen Bedeutung, sondern eine Definition ist nichts anderes als eine Abgrenzung. Ich ziehe also sozusagen innerhalb von ganz vielen Bedeutungen Grenzen. Mein Begriff, der geht bis hierhin, und was dahinter kommt trifft auf den Begriff nicht mehr zu, sondern das meint einen anderen Begriff. Also, Emotionalität, das ist dies und jenes mit drin, und das andere ist dann nicht mehr mit drin. Das ist dann nicht mehr Emotionalität, sondern irgend etwas anderes. Ich grenze also nur ab, aber setze eigentlich voraus, das die Bedeutung, was Emotionalität ist, irgendwie schon da ist! Also, ich setze eigentlich etwas voraus. Ich kann nur was definieren, was ich eigentlich schon habe. Und sage nur noch, ich ziehe Grenzen.
Die kritische Psychologie sagt nun, das kann ich so nicht machen! Wo kommt denn die Bedeutung, die ich abgrenze, wo kommt die denn eigentlich her?
Es ist also nicht damit getan, einer irgendwie impliziten Bedeutung ein Schild aufzukleben, dass sei jetzt Emotionalität, Motivation oder was auch immer.
Das Interessante, ist das was drin steckt. Wie komme ich an die Bedeutung des Begriffes heran. Wie kann ich diesen Begriff oder die Bedeutung dieses Begriffes eigentlich füllen. Also, die kritische Psychologie beschäftigt sich mit dem Inhalt der Begriffe und versucht eine Methode zu entwickeln, den Inhalt der Begriffe, die Bedeutung der Begriffe mit Leben zu füllen.
Sie sagt sozusagen, erst wenn ich weiß, worüber ich inhaltlich rede, dann kann ich zum Schluß zu einer begrifflichen Definition kommen. Das macht die zur Kenntnisnahme der kritischen Psychologie schwer.
Das, wo ich euch mitzunehmen versuche, ist der Prozess der Begriffsfüllung, der Begriffserzeugung, der Begriffsgenese. Genese ist ein Begriff für Entwicklung, der Begriffsentwicklung.
Wie kommt man da ran?
Traditionelle Psychologie hat einen Begriff von Empirie. Empirie, die hier gemeint ist, bedeutet, wie kann ich Daten, Phänomene der wirklichen Welt, nutzen um wissenschaftlich tätig zu werden. Die traditionelle Psychologie betreibt Empirie, so wie ich es beschrieben habe. Sie nimmt Begriffe, definiert die, macht eine Konstruktion, meinetwegen ein Experiment, mißt Daten, interpretiert die Daten, macht vielleicht eine statistische Auswertung, z.B. 50% aller Schüler sind so und so, meinetwegen und hat dann irgendein Ergebnis. Das ist Empirie.
Die Kritische Psychologie sagt nein, wir können so nicht empirisch vorgehen, weil, mit den Begriffen wird quasi vorentschieden, was ich nachher überhaupt zu Gesicht bekomme. Und wenn ich vorher eigentlich keine Klarheit über den Inhalt habe, weiß ich auch gar nicht, was ich später rauskriege. Auf dieser Grundlage soll ich was interpretieren.
Also muß ich eine andere Art von Empirie haben, die dieser aktuellen Empirie vorausgeht. Also, ich brauche eine Empirie zur Erzeugung von Begriffen. Ich brauche eine Begriffsempirie.

Wie geht so etwas überhaupt?
Begriffsempirie geht historisch, wenn man Begriffe historisch erforscht. Nicht die Begriffe selber, sondern in einer bestimmten Form. Diese Form wird in der kritischen Psychologie mit dem Begriff Kategorialanalyse bezeichnet. Kategorialanalyse. Kategorien sind inhaltlich bestimmte gefüllte Begriffe, nicht definierte, sondern in diesem historisch empirischen Prozess mit Bedeutung gefüllte Begriffe. Die Kategorialanalyse ist eben genau dieser Prozess der Bedeutungsfüllung.

Historische Empirie
Das Ziel ist, dass die Begriffe, die ich bekomme, den historischen Prozess, um den es mir geht, widerspiegeln sollen.
So ein historischer Prozeß, wir werden uns gleich mit der Historie, mit der Geschichte der Psyche beschäftigen, dieser historische Prozeß der Entstehung und Weiterentwicklung und der Ausdifferenzierung der Psyche oder des Psychischen bis hin zum Menschen, denn der Mensch interessiert uns. Dieser Prozeß der Ausdifferenzierung, wenn ich den rekonstruieren kann, also durch Forschung: wie war es denn damals bei der Entstehung des Psychischen, wann fand sie statt, und warum und wie hat sie sich ausdifferenziert, welche Funktionen des Psychischen sind entstanden, wenn ich diesen Prozeß empirisch rekonstruieren kann und jedem dieser entscheidenden Schritte dann einen Begriff verleihe, dann hab ich sozusagen den realen Prozeß begrifflich abgebildet und rekonstruiert. Das kann man sich so vorstellen, wie eine Begriffspyramide oder wie ein Begriffssystem.
Wir werden gleich zusammen diesen historische Prozeß vollziehen, der fängt bei ganz einfachen Formen an und die einfachen Formen haben dann auch die Grundbegriffe. Wir werden uns zusammen mit dem Psychischen beschäftigen.
Was ist das Psychische, wo kam es zum ersten mal vor, in seiner Urform sozusagen? Und das hat sich dann ausdifferenziert. Und so werden sich die Begriffe ausdifferenzieren.
Also, am Anfang gibt es nur das Psychische. Und dann gucken wir an, okay, welche Funktionen hat denn das Psychische, und wann sind sie warum wie entwickelt worden. Und diesen werden wir dann wieder Begriffe geben. Und diese Funktionen haben sich dann immer weiter ausdifferenziert, bis wir am Schluß sozusagen ein System von Begriffen haben, was zum Realprozeß isomorph ist, gleich strukturiert ist. Also, der Realprozeß ist so gelaufen und der Begriffsprozeß bildet das gleich strukturmäßig ab, in der gleichen Struktur.
Also, wenn in der realen Entwicklung etwas sich gespalten hat - ich sag jetzt mal ein Beispiel, ich nehme das vorweg: es gab zwei Arten von Lernformen, die sich herausgebildet haben, dann haben sich die beiden Arten von Lernformen, die qualitativ unterschiedlich sind, und wir werden dann sehen, warum der Unterschied besteht, zwei verschiedene Begriffe. Das eine heißt subsidiäres Lernen das andere autarkes Lernen. Da kommen wir noch dazu. Dieser reale Trennungsprozeß in zwei Lernformen bildet sich in zwei Lernbegriffen ab. Und so geht es weiter. Wenn ich also den wirklichen realen Prozeß rekonstruiere, dann habe ich am Schluß eine Abbildung in den Realbegriffen. Ich habe meine Begriffe mit Inhalt gefüllt.
An jeder Stelle kann ich sozusagen Rechenschaft darüber ablegen, warum ist der jetzt so gefaßt dieser Begriff und nicht anders.
Jetzt ist aber die Frage: Na gut, wenn ich so jetzt ran gehe, dann hängt natürlich jetzt aber wiederum ab, oder die Ergebnisse, die herauskriege in dieser historischen Empirie, also in diesem historischen Forschungsprozeß, die hängen doch wiederum davon ab, wie ich auf diesen historischen Forschungsprozeß gucke.
Ich hab ja gesagt: ja Brille, so wie im Alltag, so auch bei der Forschung. Also sprich, wenn ich eine bestimmte Sichtweise auf einen Forschungsprozeß habe, dann kriege ich die oder die Ergebnisse raus. D.h. ich muß mir wiederum Rechenschaft ablegen, wie ich auf diesen Prozeß gucke. Auch das hat die Kritische Psychologie wieder getan, das kommt sonst auch kaum vor. ...


Abschrift des Mitschnitts: Carmen E.

 

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