Dialektischer Begriff von Arbeit

Diesen Text habe ich (in leicht veränderter Form) schon veröffentlicht, ich möchte ihn hier aber noch einmal im Kontext von Blogbeiträgen zum Thema "Zum Verhältnis zwischen Menschen und Natur" vorstellen.

Peter Ruben und Camilla Warnke veröffentlichten 1979 einen Text, der sich gegen eine ihrer Ansicht nach einseitige Bestimmung der menschlichen Arbeit richtet. Georg Lukács hatte als Bestimmung der menschlichen Arbeit vor allem ihre Zielgerichtetheit betont. Für ihn beruhte die Arbeit auf einer "fortlaufenden Verwirklichung teleologischer Setzungen" (zit. in Ruben, Warnke 1979: 21).

Dem stellten Ruben und Warnke eine umfassende eigene Bestimmung der Arbeit entgegen, bei der das umfassende Wissen Camilla Warnkes über die philosophische (Hegelsche) Dialektik und Peter Rubens über die analytische Verdinglichung als einer reduzierenden Denkmethode zur vollen Wirkung kommt. Auch die menschliche Arbeit kann unter diesen beiden Sichtweisen betrachtet werden, der dialektischen und der analytischen. (Das ist auch ein Beispiel für den Unterschied zwischen "vernünftigem" Begreifen und der Anwendung des "Verstands", siehe hier).

Dialektische und analytische Sicht auf die Arbeit

Eine dialektische Sicht auf die Arbeit muss die konkrete Einheit ihrer Momente erfassen. Dabei sind die Momente zwar kategorial unterschieden, aber in ihrer Existenz und ihrer inhaltlichen Bestimmung untrennbar miteinander verknüpft (Auch wenn etwas "untrennbar" ist, kann es "unterschieden" werden. Trennbarkeit und Unterscheidbarkeit sind nicht dasselbe.) . Dies gilt, wenn wir die unmittelbare, aktuelle Existenz eines Arbeitsvorganges betrachten.. Dabei eignet sich ein Arbeitssubjekt das Arbeitsobjekt an und bildet es um. Das Subjekt ist als solches nur bestimmt in der konkreten Einheit mit dem Objekt (und diesem entgegen gesetzt) - das Objekt in der Einheit mit dem Subjekt (und diesem entgegen gesetzt). Das Begreifen dieser widersprüchlichen Beziehung von Einheit und Gegensatz erfordert dialektisches Denken (Vernunft).

Eine Unterscheidung dieser Momente ist durch die gedankliche Analyse jedoch auch möglich und häufig sinnvoll. Das "Subjekt" arbeitet dann aber nicht mehr, sondern wird zu einem abstrakten, verdinglichten Arbeitsvermögen und das "Objekt" steht diesem Vermögen äußerlich gegenüber.

Ein wirkliches Subjekt und ein wirkliches Objekt gibt es nur in der dialektischen Relation in der wirklichen, konkreten Beziehung. In einer analytischen Sichtweise werden (potentielle) "Subjekte" und (potentielle) "Objekte" zu vergleichbaren Gegenständen in einer nicht mehr dialektischen, sondern in einer binären Relation. Beide werden als in ihrer Existenz voneinander unabhängige Dinge unterstellt und zwischen ihnen werden analytische Vergleiche möglich (so können zwischen aufgewandtem subjektiven Arbeitsvermögen - Aufwand - und dem konsumierbaren vergegenständlichten Arbeitsvermögen - Nutzen - ökonomische Vergleiche stattfinden).

Dialektische Unterscheidung

Welche Momente sind nun im konkreten Arbeitsprozess ("konkrete Arbeit") zu unterschei-den? Gerade für die Arbeit ist es wesentlich, dass Subjekt und Objekt nicht unvermittelt wechselwirken, sondern dass sich das Subjekt Arbeitsmittel schafft, mittels derer es seine Arbeitsobjekte umgestaltet. Das Subjekt ist dabei der Akteur der Aneignung und Umbildung des Objekts und das Arbeitsobjekt ist nicht nur die äußerliche, passive Bedingung eines auf ihn einwirkenden Prozesses, sondern konstitutives Moment der Arbeit. Innerhalb dieser dialektischen Einheit kann nicht in dem Sinne unterschieden werden, dass eins der Momente ein aktives, ein anderes ein passives wäre - jedes Moment ist selbst als Einheit von Gegenstand und Verhalten (ebd.: 25) zu betrachten. Das bedeutet, dass in der Arbeit auch das Subjekt verändert wird und auch das Objekt nicht nur passiver Veränderung unterliegt sondern in seinen Verhaltensweisen aktiv mitwirkt.

Analytische Trennung

Bei der analytischen Trennung erhalten wir eigenständige Dinge, die nur das Abstrakte der vorher konkreten Momente darstellen. In unserem Fall sehen wir als verdinglichtes Arbeits-vermögen die realisierbare Arbeitsfähigkeit auf der einen Seite und auf der anderen Seite Rohstoffe oder Halbfertigwaren als potentielle Objekte der Arbeit oder die fertigen Arbeitsprodukte. Es sind nicht Momente wirklicher Arbeit, sondern "Bedingungen ihrer Möglichkeit" (Ruben, Warnke 1979: 22). Diese Faktoren können getrennt existieren, außerhalb des konkreten Arbeitsprozesses. Wenn ich sie in dieser Form einer Untersuchung zum Thema Arbeit zugrunde lege (wie ökonomietheoretisch z.B. als "Produktionsfaktoren"), seziere ich tote Dinge, aber ich kann den konkreten Arbeitsprozess nicht begreifen. In dieser getrennten Form kann ich sie auch einem Vergleich unterwerfen, bei dem ihre konkrete Mannigfaltigkeit auf wenige oder einen Parameter reduziert wird (wie bei der Zuschreibung des ökonomischen "Werts").

Während in der dialektischen Sichtweise jedem der Momente eine innere Einheit von Aktivität und Passivität, von Verändert-Werden und Verändern zugesprochen wird, wird bei einer trennenden Analyse dem "Subjekt" das aktive Einwirken auf ein als passiv vorgestelltes "Objekt" zugeschrieben. Dem entspricht die Auffassung von Arbeit als Äußerung eines Subjekts unter Ausschluss und im Gegensatz zum Objekt, wie es bei Lukácz zu verzeichnen ist (Ruben, Warnke 1979: 28).

Reale Abstraktion im Kapitalismus

(Die folgenden Gedanken sind nicht Gegenstand der Arbeit von Ruben und Warnke, sondern von wurden durch mich ergänzt. Ruben und Warnke erwähnen in einer Nebenbemerkung, dass die Trennung der konkreten Einheit von Subjekt und Objekt durch Enteignung geschehen kann (Ruben, Warnke 1979: 21).)

In der kapitalistischen Gesellschaftsformation liegt eine besondere Form von Arbeit vor: In der Lohnarbeit verhält sich das Arbeits"subjekt" (der arbeitende Mensch, der seine Arbeits-kraft verkauft hat) nicht mehr als Aneigner (Eigentümer) und Umgestalter (Produzent) zum Objekt, sondern die Aneignungs- und die Umgestaltungsfunktion wurden getrennt. Der Ar-beiter gestaltet das Objekt zwar um, aber nicht er entscheidet über die Zwecksetzung, sondern diese sind durch die gesellschaftlichen Verhältnisse vorgegeben (im Kapitalismus: Produktion zum Zwecke der Mehrwertaneignung durch die Produktionsmitteleigentümer).

Kapitalistisches Eigentum an Produktionsmitteln und -gegenständen vollführt also quasi eine "Realabstraktion" (die nicht nur in Gedanken stattfindet, sondern ein wirkliches gesellschaftliches Verhältnis kennzeichnet) und ist deshalb die Grundlage für die kapitalistische Entfremdung und das Fetischverhältnis.

Eine gedankliche Abstraktion ist nicht per se abzulehnen ist, sondern nur die entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnisse. Deshalb muss auch nicht das Kind mit dem Bade ausgeschüttet werden und für nachkapitalistische Verhältnisse die Vergleichung von Aufwand und Nutzen abgelehnt werden.


Literatur:

  • Lukácz, Georg (1973): Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins. Die Arbeit. Neuwied, Darmstadt.
  • Ruben, Peter; Warnke, Camilla (1979): Telosrealisation oder Selbsterzeugung der menschlichen Gattung. DZfPh 27 (1979), S. 20-30.

 

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