Potentiale und Kräfte

Die Bedeutung von klaren Bedeutungen für physikalische Begriffe

Die Bezeichnung "Produktivkraft" verwendet ein Wort, das wir aus der Physik kennen. Irgendwie hat jeder Mensch eine Vorstellung von einer "Kraft". In der Geschichte der Physik wurde der Begriff der Kraft lange mehrdeutig verwendet und es stellte ich heraus, dass genau geklärt werden muss, was damit gemeint ist. Wenn wir uns als Kraft z.B. vorstellen, dass eine Billardkugel angestoßen wird, so verwechseln wir an dieser Stelle die Kraft mit dem Impuls. Eine Billardkugel befindet sich in dieser Vorstellung in Ruhe und ihre Bewegung wird "angestoßen". Wenn wir im Sinne der klassischen Dynamik von einer Kraft sprechen, gehen wir aber nicht vom "Anstoßen vorher ruhender Körper" aus, sondern davon, dass ein Körper sich "vor" der Krafteinwirkung schon in einer bestimmten Bewegung (nämlich gleichförmig-geradliniger) befindet und durch die Krafteinwirkung (positiv oder negativ) beschleunigt wird. Ihm wird nicht Geschwindigkeit mitgegeben, sondern Beschleunigung. Die träge Masse eines physikalischen Körpers kennzeichnet die Fähigkeit des Widerstands gegen eine solche Beschleunigung, d.h. Bewegungsänderung.

In einem mechanistischen Weltbild sind die Körper und die Bewegung getrennt. Die Newtonsche Mechanik dagegen unterstellt den Körpern selbst eine Wirkfähigkeit. Die spätere Interpretation der Formel F=ma (die erst 1750 durch Leonhard Euler entwickelt wurde) wird häufig so interpretiert, als sei die Kraft eine äußere Ursache der Bewegung. Dies ist aber nicht richtig. Kräfte gehören auch nicht zu isolierten Körpern, sondern sie konstituieren sich jeweils in der Beziehung zwischen Körpern.

Wichtig sind diese anscheinend haarspalterische Unterscheidungen nicht bloß bei physikalischen Berechnungen, sondern auch für unser Weltbild. Häufig wird z.B. der mit der Newtonschen Physik verbundenen Weltanschauung unterstellt, sie sei "mechanizistisch". Die Newtonschen Gesetze beschreiben schließlich die räumliche Bewegung von Körpern durch Krafteinwirkungen und wenn man die Welt entsprechend dieser Vorstellung konzipiert, erhält man eine "mechanische" bzw. "mechanizistische" Weltsicht. Deutlich wird das an der durchaus verbreiteten Billardtisch-Vorstellung.

Wer aber meint, diese Billard-Tischweltsicht sei die Newtonsche, der irrt gewaltig. Denn dann wird der eben genannte Unterschied zwischen Impuls und Kraft nicht berücksichtigt. Beim Impuls wird ein isolierter Körper vorgestellt, der von außen angestoßen wird. Der Newtonsche Kraftbegriff unterstellt jedoch, dass wir von vornherein über Verhaltensweisen von miteinander wechselwirkenden Objekten sprechen.

Kräfte, Potentiale und Arbeit

Kommen wir nun zu den Kräften und den Potentialen. In vielen Räumen kann auf einen Körper an jedem Punkt eine bestimmte Kraft wirken. Dies gilt z.B. für die Gravitationskraft im Kosmos oder elektrische/magnetische Kräfte in elektrischen/magnetischen Feldern. Es wird dann gesagt, dass in solchen Räumen ein Kraftfeld vorliegt. In solch einem Kraftfeld ist jedem Punkt des Raumes eine Kraft zugeordnet, die auf ein geeignetes Objekt an diesem Ort wirken würde, wenn sich das Objekt dort befände. Wenn wir z.B. in ein Magnetfeld Eisenfeilspäne geben, sehen wir die entsprechenden Feldlinien (die senkrecht zu den Äquipotentiallinien des Kraftfeldes stehen) sogar.

Wenn ein Objekt von einem Ortspunkt zu einem anderen bewegt wird, wird Arbeit ausgeübt. Die Menge der dazu nötigen Arbeit wird über das Multiplizieren der dazu nötigen Kraft und der Wegstrecke berechnet (W=Fs mit F: Kraft, s: Weg bei Richtungsänderungen wird das mit einem Integral berechnet).

Wenn es für die Menge der notwendigen Arbeit egal ist, über welchen Weg das Objekt bewegt wird (bei einem festen Anfangs- und Endpunkt), so wird das Kraftfeld "konservativ" genannt (außerdem darf keine Zeitabhängigkeit vorliegen). In solchen Kraftfeldern kann man dem Objekt (z.B. mit der Ladung q) in Bezug auf die Quelle des Potentials eine potentielle Energie zuschreiben - der Zustand des Raumes, in dem solch eine potentielle Energie existiert, wird "Potential" genannt (häufig wird leider "Potential"=Φ; und "potentielle Energie" = Ep=qΦ gleichgesetzt).

Der Unterschied zwischen Potential und Kraft, um den es mir hier geht, wird deutlich an der von mir gegenüber anderen Darstellungen leicht veränderten Schreibweise. Ich habe absichtlich im Konjunktiv formuliert: "In solch einem Kraftfeld ist jedem Punkt des Raumes eine Kraft zugeordnet, die auf ein Objekt an diesem Ort wirken würde, wenn sich das Objekt dort befände." Erst wenn sich das Objekt an einem bestimmten Ort befindet, wirkt die Kraft darauf ein, das Potential beschreibt lediglich die Möglichkeit dazu. Um wirksam zu werden, müssen die Objekte in den Raum gebracht werden (in der Physik die sog. "Probekörper").

Kein Reduktionismus!

Diese Erläuterungen dienen zur Klärung einiger Worte, die wir häufig verwenden. Es soll nicht vorgeschlagen werden, die physikalischen Fachbegriffe für die Diskussion von gesellschaftlichen Themen zu verwenden, auch nicht die "richtigen" (physikalischen Fachbegriffe). Da sich jedoch Wortverwendungen eingebürgert haben, die in ihren Bedeutungen zumindest metaphernhaft auch in anderen Bereichen verwendet werden, soll hier darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie sogar in ihren Ursprungsbedeutungen häufig wesentlich differenzierter und präziser verwendet werden als dann in den Übertragungen.

Die vertiefte Kenntnis dieser Differenzierungen und Präzisierungen kann dann durchaus auch heuristisch nützlich sein für die Arbeit in anderen Bereichen.

P.S. Vielen Dank an P. Enders für einige Hinweise zur sprachlichen und inhaltlichen Verbesserung.

 

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