Nichtklassische Vorstellungen zur Geometrie des Raumes

Nichteuklidische und mehrdimensionale Geometrien
Zum Verhältnis zwischen Mathematik und Physik
Physikalische Räume im 19. Jahrhundert

Nichteuklidische und mehrdimensionale Geometrien

Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde die aus dem Altertum bekannte Bestimmung einer dreidimensionalen Geometrie nach Euklid als Beschreibung des realen Raums anerkannt. Euklids Axiomatik hatte nur einen kleinen Schönheitsfehler. Seine Geometrie wird durch ein Regelsystem definiert, bei dem 4 Axiome - die als selbstverständlich angesehen werden - vorausgesetzt werden müssen. Das 5. Axiom, das Parallelenaxiom, ließ sich aber nicht aus den anderen 4 Axiomen ableiten und lässt sich auch nicht so einfach als selbstverständlich annehmen. Das Parallelenaxiom ist auch äquivalent mit der Aussage, dass in einem Dreieck innerhalb dieser Geometrie die Summe aller Winkel 180° beträgt (wie im ersten Bild der Abbildung 4a gezeigt).
Bereits Ptolemäus hatte erkannt, dass drei Kreisbögen auf der Oberfläche einer Kugel Winkel zueinander bilden, deren Summe größer als 180° ist und bei der die Winkelsumme mit der Flächengröße des Dreiecks ansteigt (wie im zweiten Bild der Abbildung 4a). Aber diese Erkenntnis wurde nicht in das Fachgebiet der Geometrie eingeordnet, und deshalb nicht grundlegend diskutiert.
Im 19. Jahrhundert jedoch kamen unabhängig voneinander drei Mathematiker in unterschiedlichen Teilen Europas auf neue Gedanken: Carl Friedrich Gauß, Janós Bolyai und Nikolai I. Lobatschewski. Sie erkannten, dass das 5.Axiom der Euklidschen Geometrie, das Parallaxenaxiom, Alternativen besitzt. Während das Euklidische Parallelenaxiom fordert, dass es für jeden beliebigen Punkt, der nicht auf einer gegebenen Geraden liegt, genau eine Gerade durch diesen Punkt gibt, die die gegebene Gerade nicht schneidet, kann es in der hyperbolischen Geometrie für einen beliebigen Punkt, der nicht auf einer gegebenen Geraden liegt, unendlich viele Geraden geben, die diese Gerade nicht schneiden. Wie kann man sich nun ein Objekt vorstellen, für das eine solche Geometrie gilt? Gauß und auch Helmholtz nutzten eine Analogie: Stellen wir uns ein zweidimensionales Wesen vor, das sich jeweils auf der Oberfläche dieses Objekts bewegen und auch Kurvenlängen und Winkel messen kann. Dann wird ein solches Wesen auf der Oberfläche einer Kugel eine Winkelsumme ermitteln, die größer als 180° ist und auf der Oberfläche eines hyperbolischen Objekts eine Winkelsumme, die kleiner als 180° ist.


Abbildung 4a: Euklidische, elliptische[1] und hyperbolische Geometrie (auch Bucher, Sperger 2001: 38)

Bereits Gauß vermutete, dass unser Raum nicht unbedingt der Euklidischen Geometrie entsprechen müsse; er konnte es aber nicht praktisch klären und er veröffentlichte diese Gedanken deshalb nicht.


Abbildung 4b: Euklidische, elliptische und hyperbolische Raumvorstellungen (ebd.)

Eine andere Frage, die gleichzeitig von Mathematikern in die Debatte gebracht wurde, war die Frage der Dimensionalität. Diese Frage ist nicht mehr auf die Metrik einer Geometrie bezogen, sondern ist eine topologische Frage.
All diese neuen Ansätze, einerseits die Frage der Veränderung des Parallaxenaxioms und andererseits die einer möglichen Vieldimensionalität, untersuchte schließlich Bernhard Riemann in einer allgemeinen Theorie der n-dimensionalen Mannigfaltigkeit. Als Abstand zweier Punkte in solchen Räumen bestimmte er die Metrik, die sich aus der Verallgemeinerung des Satzes von Pythagoras vorstellen lässt. Für den dreidimensionalen Raum mit den Raumkoordinaten x1, x2 und x3 gilt beispielsweise für die Metrik ds2:

 

Die Metrik ds2 ist eine allgemeine Struktureigenschaft jedes (Riemannschen) Raumes, durch die Abstände und Winkel gemessen werden können. Dabei wird vorausgesetzt, dass die Raumeigenschaften im Infinitesimalen euklidisch sind. Wir werden bei der Diskussion des Raums der allgemeinen Relativitätstheorie den Begriff der Krümmung benötigen. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Krümmung einer Fläche im dreidimensionalen Raum, bei der die (skalare) Abweichung der Fläche von der Ebene bestimmt wird und der Krümmung als Abweichung der Geometrie des riemannschen Raumes von der des euklidischen Raums, die durch den Riemann-Christoffelschen-Krümmungstensor bestimmt wird. Bedeutsam ist, dass in Riemannschen Räumen an jedem Punkt andere Maß- und Krümmungsverhältnisse vorliegen können. Dabei ist es aber möglich, an jedem Punkt eine Tangentialebene zu betrachten und die Menge aller Tangentialebenen "hüllt" den gekrümmten Raum ein.
Der euklidische, der elliptische und der hyperbolische Raum sind Spezialfälle des Riemannschen Raums.

Zum Verhältnis zwischen Mathematik und Physik

Albert Einstein erarbeitete revolutionäre Einsichten in neue physikalische Zusammenhänge und damit auch neue Raum-Zeit-Vorstellungen. Er beschäftigte sich immer wieder mit dem Verhältnis von Mathematik und Physik. Er stellte beispielsweise fest:

Insofern sich die Sätze der Mathematik auf die Wirklichkeit beziehen, sind sie nicht sicher, und insofern sie sicher sind, beziehen sie sich nicht auf die Wirklichkeit. (Einstein 1921/1953: 157) Damit meint Einstein die Mathematik bzw. die Geometrie in ihrer reinen Form. Um aber Physik treiben zu können, unterschied Einstein von dieser reinen Form die praktische (ebd.: 159), bei der es um die "Möglichkeiten der relativen Lagerung gewisser Naturkörper zueinander" geht (ebd., vgl. auch Einstein 1930). Wenn es also um Raumkonzepte in der Physik geht, kann von der Möglichkeit der Messung mit wirklichen Körpern nicht mehr abgesehen werden, denn "der Physiker hat ja nicht nur die Aufgabe, eine in sich konsistente Theorie aufzubauen, sondern eine Theorie, die auch zutreffen muß." (Treder 1999: 49)
Auf diese Weise unterscheiden sich mathematische Koordinatensysteme von physikalischen Bezugssystemen. (Einstein 1919a: 13; vgl. dazu auch Treder 1974: 283; Kanitscheider 1991: 169). Obwohl auch die physikalischen Bezugssysteme nur Idealisierungen von real nicht verwirklichbaren idealen Messanforderungen sind, ist ihre Festlegung nicht beliebig oder nur der Bequemlichkeit geschuldet, sondern notwendig für Messungen innerhalb der jeweils verwendeten physikalischen Theorie. Poincaré, für den die Festlegung der Geometrie nur eine Sache der Konventionen war, verkannte diesen wesentlichen Unterschied. Die jeweiligen Längen- und Zeitbegriffe innerhalb der physikalischen Raumvorstellung besitzen eine jeweils genau bestimmte physikalische Bedeutung.

Physikalische Räume im 19. Jahrhundert

Der absolute Raum Newtons beinhaltet eine innere Problematik. Einerseits soll er als "starres Gerippe" (Einstein 1930: 182) gelten, andererseits zeigt das Eimerexperiment, dass er eine trägheitsbestimmende Wirkung ausübt; dass er also insoweit "real" ist, als ihm gegenüber Beschleunigungen messbar sind.
Eine weitere Entwicklung der Raumvorstellungen in der Physik ergab sich mit neuen physikalischen Theorien. Die Feldtheorien des Lichts, bzw. des elektromagnetischen Feldes beruhten auf der Äthervorstellung, bei dem ein den ganzen Raum durchdringendes Medium, der Äther, als Träger der elektromagnetischen Phänomene gedacht wurde. Mechanische Erklärungen des Äthers gelangen nicht.
Hendrik A. Lorentz kam schließlich auf den Gedanken, dass der Äther identisch mit dem Raum sein könnte. Damit wurde der Raum zum Träger für Feldphänomene und er wurde seine vorherige Starrheit los.

Fußnoten:

[1] Die elliptische Geometrie unterscheidet sich von der Oberfläche einer Kugel, weil in ihr das erste Euklidische Axiom gilt (vgl. Banchoff 1991: 187).


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