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Seit einigen Jahren stehe ich in Kontakt mit einer engagierten SF-Autorin und Mitherausgeberin des Informationsblattes des Interessenkreises Phantastik und Raumfahrt Ostsachsen (IPRO). Da sie noch nicht im Internet veröffentlicht, übernehme ich hier einen interessanten Text von ihr.

Falls Sie auch einige ihrer Geschichten, Infos über aktuelle Raumfahrtaktivitäten und astronomische Erkenntnisse kennenlernen wollen, können Sie eine aktuelle Nummer des IPRO-EXPRESSes bei ihr bestellen: Helga Kreutziger, Hintere Dorfstr. 9, 12744 Oberoderwitz.

Eine kleine Querdenkerei

von Helga Kreutziger

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, es rauscht und raunt im Blätterwald, es rankt sich schon durch alle Medien: die Kommerzialisierung der Raumfahrt. Nachdem nun fast alle raumfahrenden Staaten auf Kapitalfüßen stehen, ist das ja nur eine logische Entwicklung. Allen zusammen fehlt das Geld für hochtrabende Pläne, was ja den Markt zum Billigeren hin ankurbelt. Sogar Zeitschriften, die sich rein der Marktentwicklung gewidmet haben, bringen aufschlußreiche Artikel darüber, wie sich einzelne Industriegruppierungen ins An-gebot an den Raumfahrtsektor einfügen, wie z. B. das Ostdeutsche Wirtschaftsmagazin "WIRTSCHAFT & MARKT", das in seiner Oktoberausgabe 1998 einige sehr interessante und lesenswerte Ausführungen über die Ostdeutsche Raumfahrt und die ihr anhängende Industrie und Forschung veröffentlicht, nachzulesen auf den Seiten 18 bis 23 (wen es interessiert, der möge gegen Porto und Kopierbeitrag 2,20 DM + -,60 DM = 2,80 DM in Briefmarken einen Abzug bei mir bestellen). Da geht es um schon vorhandene Erfah-rungen und um Betriebe und Institutionen, die sich über die Wende retten konnten und erfreulicherweise schwarze Zahlen schreiben, da geht es um Wettbewerbsfähigkeit, um preiswerte Leistungen, um Arbeitsplätze. Alles in allem sind wir im Osten ganz gut drauf, und das ist ja schön.

Mittlerweile hört man vermehrt, so wie auch Herrn Naumanns Texte in dieser Zeitung belegen, im Zusammenhang mit dieser Kommerzialisierung vom "Weltraumtourismus". Sogar das Fernsehmagazin der "Sächsischen Zeitung" Nr. 38/1998 (26.9. - 2.10.1998) hat dem Thema ein Eckchen gewidmet unter rtv Reisen "Besuch beim Mann im Mond" - "Reiche und Spinner zuerst: 2025 kostet ein Mond-Ticket circa 100.000 Dollar." Im An-schluß wird ein Buch für 24,80 DM interpretiert, wo für solche Touristen alles Wissens-werte zusammengefaßt zu sein scheint. Ich bin sofort ganz froh, daß ich 2025 schon 75 Jahre alt sein werde, daß ich es vielleicht gar nicht erlebe oder so "down" und "marode" bin, daß mich so ein Gereise nicht mehr juckt. Auf unangenehmste Weise fallen mir bei solchen Zeilen immer die Landverkäufe auf dem Mond in den sechziger Jahren ein, über die ich damals als junges, unerfahrenes Menschlein nur den Kopf geschüttelt, bestenfalls gegrinst habe. Und wirklich steht da in dem Artikel, der dieses Buch auch ironisch prä-sentiert: "Grundstück mit Erdblick gefällig?" und "Der größte Grundstücksbesitzer des Sonnensystems hat mit Sicherheit noch einige Schnäppchen anzubieten..." . Da ich finanziell so miserabel gestellt bin, daß ich mir weder Reise (auch nicht in der 5. Klasse nahe am Antriebsbooster) noch Grundstückskauf (was sollte ich wohl mit einem Stück Mond?) leisten kann, bin ich doch der Meinung, recht unbedarft urteilen zu können.

Ich hätte allerdings nicht gedacht, daß mich solche Dinge noch um das Jahr 2000 errei-chen. Eigentlich hatte ich gehofft, daß die Raumfahrt einen anderen Weg nehmen wird. Für mich war sie von klein auf die Möglichkeit, Kenntnisse zu sammeln über das uns umgebende Weltall, die anderen Himmelskörper, die Stellung unserer Erde in dem großen kosmischen System, über uns selbst und unser Eingebundensein in eine Realität, in der wir leben und wirken. Ich durfte mit atemloser Spannung verfolgen, wie Lebewesen der unterschiedlichsten Art im Raum überlebten, den Weg ebneten für den Flug des Menschen (Warum schicken wir eigentlich immer andere Wesen voran? Warum stellen wir uns, die wir unvergleichlich stärker und intelligenter sind, nicht an die vorderste Front?). Ich durfte die Mondlandungen miterleben, die Erforschung der Planeten mit Sonden und Robotern. Die Erkenntnisse, die die Menschheit seit Beginn der Raumfahrt, seit dem ersten Ein-dringen einer Rakete in den erdnahen Weltraum, gewonnen hat, sind enorm - wollen wir das jetzt mit seichtem Tourismus-Blabla, und sei er auch noch so teuer und kostspielig, verwässern, ja, dem Vergnügungsreisenden zu Füßen legen? Sollte die gefährliche und kostenintensive Raumfahrt und die Erforschung des Weltraumes nicht Domäne der ernsthaften wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Welt bleiben? Da schallte mir doch der gewichtige Satz entgegen, jeder Mensch habe das Recht, den Weltraum zu erle-ben, die wunderschöne blaue Erde von außen zu sehen, durch Mondlandschaften zu spazieren und sich auf dem Mars zu tummeln (Proxima Centauri, Wega und Epsilon Eridani waren noch nicht dabei, weil wohl doch etwas zu weit weg). Ich stolperte zuerst über das "jeder Mensch". Damit meint die sich für die fortschrittlichste gesellschaftliche Form haltende westliche Welt zuerst einmal sich selbst, bestenfalls noch einen extravagan-ten Ölscheich, falls es dem erlaubt ist, Allahs Pforten zu durchwandern. Zuletzt meinte sie wohl die Armen der 3. und 4. Welt, die Schmuddelkinder der Slums in ihren eigenen Städ-ten und auch nicht die minderbemittelten Bevölkerungsschichten der großen Industriena-tionen. Der Ausspruch ist für mich somit blanke Heuchelei, der Ausdruck der Bemän-telung einer Notwendigkeit, eines Rechtes oder was auch Demokratisches immer. Ich selbst habe in guter Qualität durch Bücher, Berichte in Film und Fernsehen, durch die Presse und durch Videos den Aufbruch in den Kosmos miterlebt, auch ohne gleich selbst mitzufliegen. Ich denke, das könnte für andere auch genügen. Eine Notwendigkeit dahin-gehend besteht also nicht. Die wirkliche Notwendigkeit ist ein Kind der Marktwirtschaft, nichts anderes als das Geldbeschaffen für die Raumfahrt. Auch die damit entstehenden Arbeitsplätze sind nicht der Grund, die sind nur eine angenehme Begleiterscheinung, mit der man die Tourismuspraktiken "sozial-fortschrittlich" darstellen kann. Ich meine aber, statt "Reiche und Spinner" in den Kosmos mitfliegen zu lassen (mit allen Konsequenzen), sollte man solche staatlichen Systeme schaffen, die finanziell allzu fettgewordenen Zeitge-nossen die vielen Hunderttausende oder gar Millionen in Form von Steuern, die wir alle zahlen müssen, abknöpfen, um davon eine ordentliche wissenschaftlich orientierte Raum-fahrt finanzieren zu können, die auch für unser Leben, die Industrie, die Medizin und an-dere Institutionen von Wert ist, von der wir alle profitieren werden. Vielleicht noch eine böse Bemerkung dazu: Hat man die Challenger-Katastrophe schon vergessen? Sollte man nicht Lehren daraus ziehen, wohin der Transport zugunsten von Passagieren führen kann? Sind Christa McAuliffe und die anderen umsonst gestorben? - Wollen wir nun wieder in Aussicht von dicken Schecks Dinge tun, die man in der Raumfahrt aufgrund ihrer Gefähr-lichkeit vermeiden sollte? Mir jedenfalls - auch wenn ich mich in einzelnen Punkten irren sollte - ist nicht wohl bei dem Gedanken an einen Weltraumtourismus, der vor allem dem Geldbeutel dient.

Und davon ganz abgesehen würde es mir grauen vor Raumschiffen, an denen die Werbung aller irdischen Firmen klebt, die es sich leisten können, vor Flugkörpern, die zugepappt sind mit bunten, in geschmacklosem Arrangement angeordneten Werbeschildern, wo Coca-Cola neben Beate Uhses Nackedeis prangt, wo man schon beim Einsteigen von Disneyfiguren begrüßt wird. Und stellen Sie sich einen Mond oder Mars mit Pommes-buden, Souvenirshops und Striplokalen vor! Die reichen Herrschaften wollen doch auch im abenteuerlichen Weltraum ihren Lieblingsbeschäftigungen nachgehen und ihre ge-wohnte Umgebung nicht vermissen. Damit will ich nicht sagen, daß jeder, der sich so einen Flug leisten kann, auch solchen Details frönt, aber betrachte man sich doch die Tourismus- und Werbebranche: Bestimmte Attribute folgen ihr überall hin, nach Mallorca, nach Australien, ins Hochgebirge, auf die Bermudas, ins Eismeer und natürlich auch auf den Mond. Wieso dorthin ausgerechnet nicht? Auch das Fernsehen wird mitziehen, so wie wir es kennen, mit Mord und Totschlag, mit Sensationen und Histörchen. Filme werden ent-stehen: "Erschlagen im Mondkrater", "Verschollen im Marssandsturm", "Das Gold vom Merkur"... "Jack, the Ripper, hinterm Saturn"...Es wird die Mars-Ranger geben, die den Bösewichten auf die Finger klopfen, Mystery-Serien werden ins All umziehen, "Die Stra-ßen von San Francisco oder Berlin" sich in "Die Ringe des Saturn" umwandeln und Sei-fenopern werden unter den drohenden Wolken der Venus spielen. Unsere ganze (Un)kultur werden wir mitschleppen, hinaus ins All. Und die ist schon auf der Erde stinklangweilig und öde, bestenfalls abstoßend, jedenfalls für mich, weil immer gleich in Ausführung und Anliegen, wobei ich gegen einzelne, bestimmte Serien und Filme nichts gesagt haben will, ich meine mehr das allgemeine, massive Erscheinungsbild. Auch wenn ich das Geld hätte, unter solchen Umständen läge mir so eine Reise schal im Magen. Und sollten wir im All auf außerirdisches Leben treffen, das auch begreifen kann, was wir da treiben, ich würde mich zu Tode schämen. Und deshalb bin ich froh, daß ich im Jahr 2025 schon so alt bin, daß diese Branche vielleicht erst anrollt, wenn ich es nicht mehr erleben muß. Ein Trost ist es zu wissen, daß es nicht so einfach ist mit der Raumfahrt, daß sie noch lange brauchen wird, um auch nur Menschen auf den nächsten Planeten zu bringen. Es wird Rückschläge geben, die alles verzögern. Die Entfernungen sind so groß und die reisenden Menschen so allein in dieser lebensfeindlichen Schwärze, daß ihnen auch Donald Duck nicht helfen wird. Möglicherweise denke ich jetzt ganz falsch und schon den ersten Touristen vergehen angesichts der Ferne der Erde, der feindlichen, tödlichen Umgebung oder der winzigen Sonne, z.B. beim Marsflug, alle leichtsinnigen Allüren. Möglicherweise erstarren sie innerlich bei der Gewißheit, daß es da draußen keine Rettungshubschrauber oder "LIFEGUARD-Boote" wie in "Baywatch - die Rettungsschwimmer von Malibu" gibt, die ihren zerbrechlichen und anfälligen Leib bergen, wenn etwas schiefgeht. Vielleicht gibt es nicht mal mehr einen Arzt, der sie behandelt, wenn sie krank werden, weil der schon nicht mehr atmet, und sie merken bald, daß sie ihr Geld nicht essen können...Nun, was solls, wir werden es sehen.

 

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