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Schellings Dialektik II
Die Fortführung der Fichteschen Dialektik in den Naturbereich

Auf "Dialektik" bezieht sich der junge Schelling erstmals im Kantschen Sinne, als er die Objektivierung des Ich als dialektischen Schein bezeichnet (SW I: 204). Etwas später bezeiht er sich positiv auf Fichtes Methodik, "die von unserer Freiheit schlechterdings unabhängige, ja diese Freiheit beschränkende Vorstellung einer objektiven Welt durch einen Proceß zu erklären" (SW X: 96 f.), wie er es später selbst beschrieb.

"Das Princip des Fortschreitens oder die Methode beruht auf der Unterscheidung des sich entwickelnden oder mit der Erzeugung des Selbstbewußtseyns beschäftigten Ichs und des auf dieses reflektirenden, gleichsam ihm zuschauenden, also philosophirenden Ichs." (ebd.: 97 f.) Dieses Verfahren der fortschreitenden Wechselwirkung des philosophierenden, also des subjektiven und eines objektiven Ich, "wobei stets, was im vorhergehenden Moment bloß subjektiv gesetzt ist, im folgenden zum Objekt hinzutritt, hat auch in der folgenden, größeren Entwicklung ersprießliche Dienste geleistet." (ebd.: 98). Dies erinnert an die 1806 von Hegel veröffentlichte "Phänomenologie des Geistes" (Schlemm 2010a). Auch Schelling hatte in seinen "Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums" 1802 zur Methode der "Construktion" als "Darstellung [...] des Besonderen im schlechthin Allgemeinen" festgestellt: "Der Akt der Subjekt-Objektivirung geht durch alle Dinge hindurch, und pflanzt sich in den besonderen Formen fort, die, da sie alle nur verschiedene Erscheinungsweisen der allgemeinen und unbedingten, in dieser selbst unbedingt sind" (SW V: 325).

Nach Bloch entwickelte sich so der Leitfaden für die Philosophie im Hindurchgang durch alle Fächer, wobei der wißbare Weltinhalt entwickelt wird (ZW 309 f.). Es war dies das "heuristische Princip, das Princip der Erfindung, welches mich leitete", wie er es später beschrieb (SW X: 98). Er bezeichnete mit "Dialektik" einen Teil seiner Methode, die als "Kunstseite der Wissenschaft", d.h. der Philosophie, die "nicht zwar eigentlich gelernt, aber doch durch Unterricht geübt werden kann" (SW V: 267).

Der bedeutsame Unterschied gegenüber Fichte ist es, dass Schelling die Naturphilosophie der Transzendentalphilosophie im Fichteschen Sinne gleichberechtigt zuordnet. Beide sollen dasselbe sein, aber entgegengesetzte Richtungen verfolgen, während die Transzendentalphilosophie das Reelle dem Ideellen unterordnet, soll in der Naturphilosophie das Ideelle aus dem Reellen erklärt werden (SW III: 272). Das bedeutet, auch in der Natur eine Subjektivität am Wirken zu sehen. Als Objektives zeigt die Natur nur ihre Außenseite, während das "innere Triebwerk [...] nicht-objektiv" ist (SW III: 275). Deshalb reicht es nicht aus, empirisch Objekte als Seiende festzustellen, also Tatsachen und Dinge in statischen Zuständen zu erfassen, sondern wirkliche Wissenschaft betrachtet "das Objekt im Werden und als erst zu Stande zu Bringendes" (ebd, 283). In der erscheinenden Naturdingen (natura naturata) ist die schaffende Natur (natura naturans) zu erkennen. Speziell für den Geist gilt, dass er eine "sich selbst organisirende Natur" ist, d. h., es "kommt nichts von außen, mechanisch, in ihn hinein; was in ihm ist, das hat er von innen heraus, nach einem innern Princip sich angebildet. Alles strebt daher in ihm zum System, d.h. zur absoluten Zweckmäßigkeit" (SW I: 386). In der Natur bildet der Geist eine produktive Kraft. Die Dinge außer uns "können nur Geschöpfe, nur Produkte eines Geistes seyn." (ebd.: 387)

1800 macht Schelling deutlich, dass ein Wissen, welches "zugleich ein Produciren seines Objekts ist", nur als "intellektuelle Anschauung" bestimmt werden kann (SW III: 369). Im Jahr 1804 schließlich konzentriert sich das Interesse Schellings in der Schrift "Philosophie und Religion" (SW VI: 11 ff.) deutlich auf das Absolute und dieses ist als Unbedingtes nicht durch bedingte Erkenntnis zu erfassen (SW VI: 21). Die Anschauung wird jetzt deutlich in den Vordergrund geschoben und zwischen dem unendlichen Absoluten und den endlichen Dingen wird eine Kluft errichtet, der nur noch durch einen "Sprung" zu überwinden ist (ebd.: 38). Alles Endliche wird lediglich als "Abfall vom Absoluten" (ebd.). gedeutet und nicht mehr als Schöpfung bzw. "Geschöpfe eines Geistes" und der Abfall ist als Folge einer "That-Handlung" nicht zu erklären. (ebd.: 42) Das Verhältnis zwischen dem Unbedingtem, Unendlichem, Absoluten, also Gott und dem durch aus eigener Tat davon abgefallenem Endlichen und Bedingten wird zu einer Geschichte, bei der dem Universum die "Absicht" unterstellt wird, eine "vollendete Versöhnung und Wiederauflösung in die Absolutheit" zu erreichen. An dieser Stelle beugt sich die Evolutionsvorstellung, die vorher noch als unendlicher Prozess gedacht war, in sich zurück. Religion, Mythologie und Offenbarung gelangen in den Fokus der Arbeiten.


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