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Schellings Dialektik V
Schellings Erlanger Vorlesungen

Schelling geht hier von einem Grundgesetz aus. Demnach ist die Aussage, , "[d]aß die ewige Freiheit sei", das "Höchste und Letzte, und hätten wir dieses gefunden, so wären wir hier schon am Ende der Wissenschaft" (Init: 77). "Die ganze Wissenschaft muß eine fortgehende Selbstdarstellung jener ewigen Freiheit sein." (ebd.: 23) Dabei ist das Ziel, auf das Schelling philosophisch hinarbeitet, ist nicht nur das, was möglich ist, sondern was wirklich ist. Das kann als materialistischer Inhalt der Philosophie von Schelling interpretiert werden, die sich auch explizit gegen Hegels Konzept richtet, denn er äußert sich gegen diesen:

"Die ganze Welt liegt gleichsam in der Vernunft gefangen, aber die Frage ist: wie ist sie in dieses Netz gekommen [...]" (SW Fuhr: 222) Bloch würdigt diese Fragestellung "wie das einzeln Sinnliche [...] solch geistigen Ursprung haben kann" (Bloch SO: 203) und konstatiert ebenso wie Schelling: "Kraft und Stoff können geistig nicht abgeleitet werden" (ebd.). Dies zeigt sich in der Sprechweise vom getrennten "alogischen Daß vom logischen Was oder Inhalt der Wirklichkeit" (ebd.: 205). Bloch erkennt allerdings auch, dass diese "Abkehr vom Panlogismus bei Schelling ganz und gar nicht realistisch" [ist], sondern erst recht mythologisch geriet" (ebd.).

Das Mögliche

Die ewige Freiheit entspricht dem Sein Gottes vor der Erschaffung der Welt. Diese Freiheit ist ganz absichtsloser Wille (ebd.). Wäre sie auf etwas gerichtet, und wirkend, würde sie zum Wollen - hier aber ruht der Wille noch ganz in sich, er enthält das "Vermögen aus, sich in alle Gestalten zu begeben und in keiner zu verweilen" (ebd.: 25). Die "fortgehende Selbstdarstellung" verläuft über die Entfaltung von Potenzen. Was Schelling unter Potenzen versteht, ändert sich häufig, hier ist die höchste Potenz jene des "Seinkönnens", die der ewigen Freiheit zukommt.

"Die Freiheit ist das reine Können, nicht das Können von etwas, sondern das Können um seiner selbst willen, ein Können, das nichts voraussetzt, ein absichtsloses Können." (ebd.: 23) In der ewigen Freiheit, dem "Seinkönnen" sind Sein und Wille identisch. In dieser Bestimmung steckt aber ein Dualismus: In diesem Seinkönnen stecken zwei Möglichkeiten: Es kann etwas anderes werden, oder es kann sich lassen, wie es ist (ebd.: 79). Es ist indifferent, aber ohne Statik. Denn die ewige Freiheit als Seinkönnen "ist das Seinkönnen nicht als die es schon ist, sondern als die es sein kann." (ebd.: 77). Die ewige Freiheit ist nicht, aber sie kann sein, sie ist "Freiheit im Potenzzustande" (ebd.: 77). Die ewige Freiheit bezieht sich selbst nicht auf ein Sein. "Jenes lautere Können denkt selbst nicht an sein Sein u. hat das Sein an sich, ohne sich etwas daraus zu machen. Es macht sich nichts aus seinem Sein, ist völlig gleichgültig dagegen." (ebd.: 94). Es ist das Sein, dass sich auf sein Können bezieht und dadurch die ewige Freiheit kenntlich macht als " die anziehende Kraft des Seins, der wesentliche Hunger des Seins." (ebd.: 77). Damit erweist sich das Sein als "das absolute Subjekt selbst, aber objektiv gesetzt" (ebd.: 95).

Dieses hungrige Sein muss sein, und damit sind wir bei der Potenz des "Seinmüssens" (ebd.: 79). Was bedeuten diese beiden Potenzen "Seinkönnen" und "Seinmüssen" nun zusammen genommen? Schelling sieht im "Seinsollen" diese Einheit. Das Seinsollende kann sein und es muss sein.

Die eben entwickelten Potenzen sind Potenzen des Seins (ebd.: 81) und Gott ist für Schelling die Einheit des Seinkönnens, des Seinmüssens und des Seinsollens. Es ist allen wirklichen Formen des Seins entbunden (ebd.: 92). Der Zustand der ewigen Freiheit befindet sich zeitlich gesehen in einem Bereich, in dem von Dauer noch gar nicht die Rede sein kann (ebd.: 195). Nach Schelling "müssen wir dem Zustand der ewigen Freiheit einen Zustand der Unbewußtheit voraussetzen, möge dieser auch nur einen Augenblick sein. Denn die Dauer dieses Zustandes ist uns gleichgültig; denn es kann ja von gar keiner Dauer die Rede sein." (ebd.). Dieser Zustand ist übernatürlich, "[d]enn gerade im Sich-nicht-wollen liegt alle Übernatürlichkeit. Im Sich-selbst-Begehren [aber] liegt eigentlich der Anfang aller Natur. Dieses ist nämlich über alle Natur, auszuharren im nichtswollenden Willen." (ebd.: 133)

Übergang vom Möglichen zum Wirklichen

Aber da es Wirkliches gibt, entsteht die Frage nach dem Übergang vom Möglichen zum Wirklichen, vom Potenziellen zum Aktuellen. Dabei ist das Wirkliche das Seiende und das Mögliche ist nichtseiend, verborgen im Wirklichen (ebd.: 91). Die verschiedenen Potenzen sind der grundlos gesetzte Grund (ebd.: 94) für das Wirkliche und sie kommen auf verschiedene Weise zur Wirklichkeit, zum Sein.

  • "Was durchs Seinkönnen ins Sein gelangt, erscheint als ein nur durch Seinkönnen Seiendes." (ebd.: 93) Es entspricht "dem Dasein, d.i. dem Sein, das nicht gewollt, das eben so vorgefunden wird." (ebd.)
  • "Das Seinmüssende erscheint als ein unaufhaltsam ins Sein Übergehendes, gleich der Liebe, die nicht an sich halten kann, die überströmen muß." (ebd.) "Das Seinmüssende ist das lautere Wirkliche." (ebd.)
  • "Das Seinsollende kommt nur durch eine Bewegung ins Sein, wie das Seinkönnende u. Seinmüssende dahinkommen." (ebd.) "Das Seinsollende, das am meisten excentrische, ist das Existirende." (ebd.)
Auf die Frage, "wie das Seinkönnende dazu gebracht worden ist, in das wirkliche Sein überzutreten" (ebd.: 116), also jene Frage, mit der er über Hegel hinausgehen will, antwortet Schelling: " Hier läßt sich nichts mehr aus Notwendigkeit erklären, sondern der Übergang ins Sein ist freie Tat" (ebd.) und als solche unwillkürlich, also weder frei noch durch bloße Notwendigkeit hervorgebracht (ebd.: 133 f.). "Hier hört alle Deduktion, sofern sie nämlich Herleitung eines schlechthin Gegebenen aus vorher bestimmten Prämissen ist, auf. Hier trennen wir uns von dem Begriff des Dialektikers. Hier ist der Punkt, wo nicht der Begriff, wo nur die Tat entscheidet. Das Reich der Begriffe ist zu Ende u. das Reich der Tat fängt an." (ebd.: 116)

Das Reich der Tat

Es kann zwar nichts mehr aus Ursachen oder aus dem Begriff abgeleitet werden, aber es kann weiter diskutiert werden: "Was sollte sein? Was wäre besser in Beziehung auf die Endursache des Ganzen: wenn das Sein innerlich blieb oder hervorträte?" (ebd.) Der Orientierungsmaßstab ist das Gesetz des Lebens, "das alles Entscheidende und in Krisis Setzende" (ebd.: 116):

"Denn das höchste Gesetz alles Lebens ist: es soll Freiheit sein; und dieses ist das höchste Gesetz des Universums: es soll nichts andres sein als ewige Freiheit. Jedes soll, was es ist, mit Freiheit sein. Was etwas ist, soll es nicht blindlings, sondern mit seinem Willen sein; und selbst das Nichts soll dieses nicht blindlings sein, sondern weil es das Sein sich versagt. Wo irgend etwa, wenn auch bewußtlos, zwischen Entweder-oder sich befindet, so waltet doch ein Gesetz." (ebd.: 106)

Vor diesem Richterstuhl lässt sich auch das Übergehen des Seinkönnenden ins Sein rechtfertigen: Das Gesetz "es will, daß alles seinen Willen habe und zeige, damit es heraustrete als das, was es ist" (ebd.: 118), denn mit diesem Heraustreten ist "eine viel größere Entfaltung der Einheit und des ganzen Lebens gesetzt" (ebd.). In der Äußerung kann das Seinkönnen auch mehr seiner Möglichkeiten offenbaren, als in einer Entscheidung für das Nichtsein. Trotzdem ist das Heraustreten des Könnenden in das Sein eine Erniedrigung und das entstandene Sein strebt immer wieder nach dem ursprünglichen Zustand zurück (ebd.: 119 f.). Diese Konstruktion erweist sich deshalb als sinnvoll, weil es ja bewusstlose natürliche Kreaturen gibt. Welchen Sinn macht deren Existenz aus der Sicht des Gesetzes des Lebens? Nur den genannten, dass ihre Existenz eine Durchgangsphase der Bewegung der Verwirklichung der ewigen Freiheit ist. Das Verhältnis von ewiger Freiheit im Reingeistigen und den Verwirklichungsformen in der Natur erinnert an die Unterscheidung von natura naturans und natura naturata des frühen Schelling. Hier nun bezieht sich Schelling auf eine andere Sprechweise: "Deshalb wird Gott bald als ein Plural , bald als ein Singular genannt. Als ersterer wird er in seiner Verbindung mit der Natur, und als letzterer als das Reingeistige genannt." (ebd.: 153) Die Aufgabe der Menschen ist es nun, als "schaffender Geist" "die vollkommene Umwendung des Äußern in das Innere" zu gestalten und die "lautere Freiheit" wieder herzustellen (ebd.: 169). Die versprochene "fortgehende Selbstdarstellung jener ewigen Freiheit" durchdenkt Schelling in dem unvollendeten Projekt der "Weltalter"-Philosophie und seinen späten Projekten.


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