Auf der Erde wie im Kosmos...
Wie ein Amerikaner auf dem Raumschiff Kosmos die verwirklichte sozialistische Utopie kennenlernt...

(Aus: Eberhardt del` Antonio: Titanus)

 

 

"Naja, Kollege Inoti", sagte Stafford zögernd, "nach dem, was ich in den Büchern gelesen habe, die im Bücherschrank meiner Wohnung stehen, muß ich ja zugeben, daß Ihre Literatur lebensbejahender ist als unsere; daß sie den Glauben an ein schöneres Morgen zu wecken versucht. Andererseits aber..." Er zögerte.

"Andererseits?" wiederholte de Varenne.

"Der Optimismus gefällt mir – aber die Menschen... Solche Menschen gibt es ja nicht, sie sind am Reißbrett entworfen! Einem Traum nachgezeichnet, einem Wunschtraum. So selbstlos, ohne niedrige Instinkte..."

"Was verstehen Sie darunter?" fragte Inoti gespannt.

"Geiz, Niedertracht, Gier..."

Timar unterbrach ihn: "Gestatten Sie eine Frage. Haben Sie dieses Wesenszüge hier an Bord gefunden?"

Stafford sah ihn verwundert an. "Das ist doch kein Gegenargument! Die Kosmos ist eine kleine, isolierte Insel, eine Ausnahme, die man nicht verallgemeinern kann."

"Sie könnten sich also vorstellen, daß ein Mitglied unserer Besatzung, sobald wir wieder auf der Erde sind, einen andern bestiehlt oder übervorteilt? Daß einer von uns gierig ist und Reichtümer an sich rafft?"

Stafford lächelte. Eine zupackende Art hatte der kleine Chefgeologe. Wie seine Augen sprühten! Er hatte sich vorgebeugt, als ginge sein ungarisches Temperament mit ihm durch. "Natürlich nicht!" sagte er. "Eine Gemeinschaft ausgesuchter Leute... Und was sollte man stehlen, wenn man alles erhält, was man braucht!"

"Aha!" sagte Timar nachdrücklich. "Gier und Geiz snd demnach abhängig vom unterschiedlichen Besitz. Sehen Sie, Kollege Stafford, Siehalten die niedrigen Instinkte – wie Sie es nennen – für unabänderlich, weil sie unterschiedlichen Besitz, also unterschiedliche Klassen für unabänderlich halten."

"Aber das sind doch Utopien, Kollegen, haltlose, wenn auch verlockende Utopien! Ich gebe gern zu, daß diese Utopien als Propaganda oder sagen wir als Erziehungsmittel vor allem bei er Jugend gewisse Erfolge erzielen können, daß Sie durch dieses unerreichbare Ideal einen Menschentyp entwickeln, der dem gegenwärtigen überlegen ist. Aber einen Menschen ohne Furcht und Tadel...?"

"Der neue Typ ist bereits da", sagte Inoti. "Schon seit Jahrzehnten! Wir erziehen ihn nicht durch propagandistische Tricks, sondern wir schaffen die Voraussetzungen, daß der arbeitende Mensch menschenwürdig leben und alle Fähigkeiten entfalten kann, und wir vermitteln ihm Einblick in die Zusammenhänge der gesellschaftlichen und ökonomischen Entwicklung. Dieser Typ ist nicht ohne Furcht und Tadel, aber er weiß, daß das Wohlergehen des einzelnen abhängig ist vom Wohlergehen der Gesellschaft."

"Eines Tages wird es kein Geld mehr geben, wird es auf der Erde sein wie auf der Kosmos: Was man braucht, das holt man sich – weil alles in genügender Menge vorhanden ist."

"Und was gibt den Menschen den Ansporn, wenn er nicht mehr um das tägliche Brot kämpfen muß, wenn nicht mehr das Streben nach Besitz die Triebkraft ist?" fragte Stafford und lächelte nachsichtig. "Woher wollen Sie den Nachwuchs nehmen, wenn keiner mehr studieren will, weil er doch auch ohne Studium einen hohen Lebenstandard haben kann!"

"Hunger ist keine menschenwürdige Triebkraft. Wir werden die unschöpferische Arbeit den Automaten übertragen und dem Menschen Zeit verschaffen, daß er seine Anlagen entfalten und pflegen kann. Er wird ungemein vielseitig werden, Kunst und Kultur werden eine Blüte entfalten wie nie zuvor. Die Leistungen werden größer sein, da der Mensch nicht von der Not getrieben wird, da er tun kann, was ihm Freude macht, was seiner Veranlagung am besten entspricht. Und er wird es tun, weil er Freude an der schöpferischen Verwirklichung seiner Gedanken hat, weil er sich als Glied der Gesellschaft fühlt und bewußt zu ihrem Fortschritt beitragen will. Denn so, wie er für die Gesellschaft schafft, so schafft doch die Gesellschaft auch für ihn. Und was er der Gesellschaft gibt, das gibt sie im tausendfach wieder zurück."

"Aber stellen Sie sich das doch einmal bildlich vor: Ich gehe in einen Laden und hole mir auf einmal zwanzig Anzüge. Sie holen sich nur einen – wie ungerecht!"

Timar lachte. "Aber das können Sie doch schon, Kollege Stafford! Niemand wird Sie hindern, wenn Sie sich zwanzig Anzüge aus dem Lager holen."

"Was sollte ich damit? Mehr als einen kann ich nicht tragen... "

Zu weiteren Texten über Utopische Literatur ("SF")
besonders:
Abschied von den Utopien!

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